Lobstein, Johann Friedrich - Die Geheimnisse des Herzens - XIV. Der Geist der Gesetzlichkeit

Lobstein, Johann Friedrich - Die Geheimnisse des Herzens - XIV. Der Geist der Gesetzlichkeit

Matthäi 18, 21. 22.
“Da trat Petrus zu ihm, und sprach: Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist's genug sieben Mal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir, nicht sieben Mal, sondern siebzig Mal sieben Mal.“

Das menschliche Herz verrät sich oft auf eine wahrhaft erstaunlich naiv-hässliche Weise. Gibt es etwas Naiveres als die Frage Petri: Herr, wie oft soll ich meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist's genug sieben Mal? Ist das nicht naiv: soll ich vergeben? und wie oft? Die Religion des Petrus lautete in diesem Augenblicke Soll man? sie war eine Religion des Zwanges. Petrus fühlte wohl, wie notwendig es ist, zu vergeben; aber er dachte, diese Pflicht müsste ihre Grenzen haben; er dachte hierin, wie so viele Christen, die sich genau danach erkundigen, wie wenn es sich um eine Gewissenssache handelte, wie weit die Forderungen Gottes gehen und wie weit sich ihre Geduld erstrecken dürfe. Wer so denkt, der kennt sich noch nicht, so wenig als er das Evangelium verstanden hat. Dasselbe gibt uns kein Verzeichnis von dem, was wir tun oder nicht tun sollen. Die Religion Jesu ist kein Einmaleins, sondern sie ist Geist und Leben und durchdringt den ganzen Menschen. Je weiter das Herz wird, desto weiter dehnen sich unsere Pflichten aus und desto gebieterischer wird das Gewissen. Auch wenn wir alle unsere Pflichten erfüllt hätten, so hätte das nicht den geringsten Wert, so lange wir noch fragen: Muss ich? Die Pflichten hängen zu sehr mit dem Leben zusammen, und das Leben selber ist zu sehr eine Kette von Handlungen und freien Antrieben, als dass man aus der Moral eine Art Uhrwerk machen könnte, das man mechanisch, regelmäßig aufzieht.

Was der Heiland dem Petrus mit seiner Antwort sagen wollte, ist eben diese Wahrheit. Petrus glaubte sehr großmütig zu sein, wenn er des Tages sieben Mal vergebe, sieben gute Werke verrichte, sieben Mal sein Fleisch kreuzige: Ist's nicht genug? Ist das nicht großmütig ? Gewiss, ja, nur in den Augen Christi nicht. Er verlangt keine Moral, die nach dem Einmaleins rechnet; er verlangt ein Herz. Er verhandelt mit seinen Erlösten nicht auf dem Wege des Soll und Haben. Als er den Himmel verließ, fragte er nicht, wie viel Mal soll ich gehorsam sein? wie viele Tropfen Blutes soll ich vergießen? Er sagte zu seinem Vater: Hier bin ich, deinen Willen tue ich gern und dein Gesetz habe ich in meinem Herzen. Was dem Petrus fehlte, das war eben dieses Gern. Das Evangelium war noch nicht in seinem Herzen. Seine Frage: Ist's genug? war eine ganz jüdische, ja beinahe pharisäische. Wir tun die nämliche Frage sehr oft, und wenn sie auch nicht in Worten ausgedrückt wird. Die Frage: Ist's genug? ist eigentlich weiter nichts als der Wunsch, die Pflicht so schnell und so leicht wie nur möglich abzutun. Es ist nicht eine Weigerung, wie sich zum Beispiel ein Widerspenstiger gegen etwas auflehnt, sondern es ist ein Zeichen, dass man der Pflicht gern los wäre. So lange man von diesem Geiste beseelt ist, ist die Pflicht weiter nichts, als ein Frondienst, dem man sich eben unterzieht, und ein Sohn, der seinen Vater fragt: Ist's genug? ist kein Sohn, sondern ein Tagelöhner.

Wir wollen jedoch nicht zu weit gehen, sonst könnten wir ungerecht werden. Wenn Jesus den Petrus von diesen sieben täglichen guten Werken, die er großmütig verrichtete, losgesprochen hätte, so würde er sich wahrscheinlich gegen eine solche Erleichterung seiner Pflicht gesträubt haben. Er war überzeugt, dass es seine Pflicht sei, zu vergeben, und diese Überzeugung seines Gewissens hätte er sich nicht nehmen lassen; aber gerade dieses Gefühl war ihm lästig, und er hätte zur Abkürzung der Pflicht gern eingewilligt; derselben jedoch ganz enthoben zu werden, hätte ihm nicht eingeleuchtet. Der Geist, von dem Petrus hier beseelt war, war der Geist des Zwanges der Gesetzlichkeit. Die Gesetzlichkeit hat eine Licht- und eine Schattenseite. Wir wollen sie beide etwas näher betrachten und ansehen, was aus dieser Richtung unsers Herzens wird, wenn sie der Herr in seine Hand nimmt.

Der Geist der Gesetzlichkeit ist im Grunde nichts Anderes, als das Gefühl von der Rechtmäßigkeit der Pflicht, begleitet von einem gewissen Widerwillen. Der Geist der Gesetzlichkeit fühlt sich durch das Gesetz Gottes zum Gehorsam verbunden gegen Alles das, was es vorschreibt; er fühlt, wie er Gott die Ehre geben soll; aber diese Pflicht wird nur mit Widerstreben ausgeführt. Eine solche Gesetzlichkeit ist aber immerhin noch besser als der Geist der falschen Freiheit. Es gibt Menschen, die nur das tun wollen, wofür sie Geschmack haben und wozu sie gleichsam hingerissen werden. Sie beten nur, wenn sie dazu aufgelegt sind; sie arbeiten nur, wenn sie Lust dazu fühlen; sie wollen keine Heuchler sein. Dieser Geist der Unabhängigkeit würde dem Petrus nicht eingeleuchtet haben; denn wer nur tun will, wozu er Lust hat, kann vielleicht lange warten, bis ihn diese Lust anwandelt. Wie Vieles gibt es nicht, wozu man sich entschließen muss. Das ganze Leben bietet solcher Gelegenheiten zur Genüge dar, und der Geschmack an der Pflicht kommt nicht im Schlaf, wie die körperlichen Kräfte; sondern nur dadurch, dass man Hand ans Werk legt. Danken wir Gott, dass es solche Beschäftigungen gibt, wo wir gezwungen sind, anzugreifen und wo uns niemand fragt: Ist es dir gelegen, oder fühlst du dich nicht aufgelegt? Es ist sehr gut, dass wir manchmal in den Fall kommen, gezwungen zu tun, was wir noch nicht im kindlichen Geiste tun können. Mit einem Wort, die Gesetzlichkeit ist mehr wert, als die Trägheit oder eine falsche Freiheit. Die Liebe zur Pflicht ist die Vervollkommnung der Verpflichtung; aber die Achtung der Pflicht ist ebenfalls etwas Großes. Es ist immerhin besser, man gehorche pflichtgemäß, als gar nicht. Wir haben wenigstens den Gewinn, dass wir uns an die Regelmäßigkeit und Genauigkeit gewöhnen, und dass unsere Stunden schneller verfließen. Wir befinden uns dabei jedenfalls unendlich besser, als wenn wir unserer Bequemlichkeit nachhängen. Lassen wir den großen Geistern und den faulen Leuten das Privilegium, zu warten, bis man sich zum Handeln aufgelegt fühlt; wir wollen lieber zu den gewöhnlichen Menschen gehören; die Gesellschaft hat deren auch eher nötig, als großer Geister. Machen wir uns einen täglichen Beschäftigungsplan, dem wir dann unabänderlich treu sind, und wir werden dabei sicherlich mehr ausrichten und am Ende mehr Segen haben als diejenigen, die darauf warten, bis sie sich aufgelegt fühlen, und die sich so sehr fürchten, sie möchten als Heuchler erscheinen. Aber der Geist der Gesetzlichkeit hat auch eine Schattenseite. Man bildet sich nämlich sehr leicht ein, dass mit der Erfüllung der Pflicht Alles abgetan sei, als ob der Herr auf unsere Hände und nicht vor allen Dingen aufs Herz sehe. Der Geist der Gesetzlichkeit tut Werke, um den Herrn mit Werken zu bezahlen. Wenn er gelegentlich ein Opfer bringt, so geschieht es nur, um sich für ein andermal etwas Nachsicht zu erwerben, wenn er etwa seiner Pflicht nicht ganz genügen sollte. Man schreibt sich sehr gut ins Gedächtnis, was und wie viel man getan habe. Wenn wir neben unsern Werken noch etwa ein bisschen Schmerz oder irgend eine Schmach zu tragen hatten, oder einem Feinde. die Hand gereicht haben: O, wie schnell sind wir da mit der Frage bereit: Ist's genug? Sollte Gott noch mehr fordern? Und diese hochmütige Frage tut man dann noch sehr oft mit demütiger Miene. Man spricht nicht von sich, sondern lobt die Verdienste Anderer; denn die gefährlichste Selbstgerechtigkeit ist die, welche sich am wenigsten brüstet.

Man verzeiht bis sieben Mal einem Bruder, der uns beleidigt hat; aber durch diese sieben guten Werke schadet man sich selbst sieben Mal mehr, als wenn man nicht vergeben hätte, weil man sich in seinem hochmütigen Sinne sieben Mal höher stellt, als den Bruder, dem man vergeben hat. Wenn dieser Geist der Gesetzlichkeit der Grund wird, auf den die Seele sich stützt: so wird dadurch das Werk der Erlösung geleugnet und Jesus wird überflüssig. Eine Menge religiöse Leute sind auf diese Weise Christi Feinde. Sie befinden sich im entschiedensten Widerspruche mit ihrem Bekenntnisse, was sehr bald offenbar wird, wenn sie in den Fall kommen, sich selbst zu verleugnen. Weil sie in gewisser Beziehung das Gesetz Gottes erfüllen, so machen sie ihren Gehorsam zu einem Verdienste, das sie zu den Füßen Christi niederlegen. Sie wollen sich heiligen durch ihre Werke, ehe sie gerecht geworden sind durch den Glauben, und um die Vergebung der Sünden zu erlangen, bezahlen sie ihm dieselbe sieben Mal, und glauben nicht, dass sie sich die Vergebung auf andere Weise zueignen müssen. Eine merkwürdige Vermengung von Gnade und Werken, von menschlichem Verdienst und dem Verdienste Christi! Wie wird's einem solchen Gewissen zu Mute werden, wenn es einst aufwacht und sehen wird, wie eine solche Pflichterfüllung der Weg zur Hölle ist! Mit Schrecken wird eine solche Seele dann sehen, wie der Herr auf ihr sieben Mal ein siebzig Mal sieben Mal antwortet; wie die Stunden und Tage, die sie gut angewendet zu haben glaubte, Lücken, gleich gähnenden Abgründen, enthalten. Sie wird sehen, dass sie in ihrer Rechnung zu kurz kommt und den Ausfall nicht decken kann, weil die Zeit der Gnade und der Vergebung vorüber ist.

Wenn aber dieser Geist der Gesetzlichkeit zu solch' schrecklichem Ende führen kann, sobald das Verdienst der Tugend neben das Verdienst des Heilandes gestellt wird: so kann auf der andern Seite dieser Geist der Gesetzlichkeit durch die Barmherzigkeit des treuen Hirten zu der Gnadenquelle führen, aus welcher man mit vollen Zügen schöpfen darf.

Jesus ist das Licht der Welt. Sobald er uns von diesem gesetzlichen Geiste befreien will, so zeigt er uns zuerst, wie derselbe mit dem wahren Glücke unvereinbar ist. Der gesetzliche Geist führt zum Zwang, zu einem erzwungenen Christentum. Sobald der Mensch etwas tut, wozu er keine Lust hat, so empfindet er Pein. Nun kommen wir ja durch den Geist der Gesetzlichkeit zwischen die Knechtschaft des eigenen Willens und den Widerwillen, den das Herz empfindet, wenn es sich selbst zum Opfer bringen soll. Das ist das Erste, was uns Jesus zeigt, wenn er uns befreien will. Man fängt an, zu befürchten, dieser erzwungene Gehorsam möchte nicht genügen; man fühlt, dass ein anderer Geist nötig ist, wenn das Herz zum Frieden gelangen soll. Wie viele Leute bilden sich nicht ein, dass sie dadurch den Herrn befriedigt und ihr Gewissen beruhigt hätten, wenn sie sieben Mal vergaben. Aber ein erzwungenes Vergeben ist nur eine versteckte Feindschaft. Vergeben heißt Lieben. Wer seinen Feind, der ihn beleidigt hat, nicht liebt, der hat demselben auch nicht vergeben. Das Vergeben im gesetzlichen Geiste heißt also nichts Anderes, als sich das Recht vorbehalten, nicht zu lieben. Man hält sich an eine Tat, durch welche man äußerlich gerechtfertigt erscheint. Man reicht die Hand zur Versöhnung, man vergisst eine Beleidigung, man versichert seinen Feind, dass man nichts mehr gegen ihn habe; aber der Geist, in welchem man dieses Alles tut, ist nicht der Geist Jesu Christi. Das Gesetz Gottes fordert herzliche und aufrichtige Liebe und diese kann der gesetzliche Geist nie geben. Diese Art zu vergeben lässt das Herz kalt, weil die Vergebung nicht aus der Liebe kommt. Und was von dem gesetzlichen Vergeben gilt, gilt auch von dem gesetzlichen Leben, von einer gesetzlichen Freude und von einer gesetzlichen Buße. Das Herz bleibt eiskalt, es ist keine Kraft und keine Salbung darin. Man naht sich zu Gott, aber nur aus Pflicht; denn das Herz hat kein Bedürfnis, und es ergießt sich nicht vor dem Herrn. Es ist nichts Salbungsvolles, nichts Weiches dabei, und man dient dem Herrn nicht. Des Kreuzes Christi und des gewissen, werten Wortes, dass er gekommen ist in die Welt, Sünder selig zu machen, freut man sich, aber nur gezwungen, weil man sich freuen soll. Über die Sünde klagt man, beschuldigt sich, zwingt sich, betrübt zu sein; aber es ist keine Aufrichtigkeit und kein Leben, das Herz bleibt frostig und tot. Der Herr macht in seiner unendlichen Liebe einen solchen gesetzlichen Zustand zu einer wahren Pein. Ein unsichtbares Schwert dringt in die Seele und schneidet darin herum, bis der alte Mensch eine tödliche Wunde empfangen hat. Dann lässt der Herr uns in quälende Gemütszustände kommen, die sich verlängern, die uns aber nur immer besser offenbaren, was im Herzen verborgen ist. Um aus dieser Lage herauszukommen, brauchen wir Erbarmung, Huld, Demut, Sanftmut, Geduld, und nichts von Allem dem haben wir, und je mehr wir uns bemühen, etwas davon in uns hervorzubringen, desto weniger gelingt es uns. Was uns am meisten not tut, ist Ausdauer. Der Herr hat uns in eine Lage versetzt, wo wir nicht leben können, ohne diese Ausdauer zu besitzen, und doch hat der Geist der Gesetzlichkeit so wenig davon. Immerfort schwebt ihm seine Lieblingsfrage auf den Lippen: Ist's genug? Ein erzwungener Gehorsam verwandelt sich sehr bald in offene Feindschaft und man bricht in Empörung aus. O, wie wahr ist es, was Jesus sagt, dass wir geistlich tot sind, Feinde Gottes, untüchtig zu allem Guten! und wenn man von dieser Wahrheit überzeugt ist und dieses Geständnis ablegen muss, was bleibt dann Anderes übrig, als sich der evangelischen Gnade zu ergeben, die nichts gemein hat mit dem gesetzlichen Geiste.

Ihr werdet die Wahrheit erkennen, sagt der Heiland, und die Wahrheit wird euch frei machen, und das geschieht auch, wenn die Wahrheit, die bisher außer uns war, zur Wahrheit in uns wird. Sie befreit uns vom Tode und von der gesetzlichen Furcht, welche die Freiheit und die Freude gefangen hielt. Ein anderer Geist und ein anderes Leben erfüllen das Herz anstatt des gesetzlichen Geistes und des gesetzlichen Lebens. Von dem Augenblicke an, wo der Herr unser Herz fähig macht, an seine Vergebung zu glauben, beginnt diese Veränderung in uns. Was dem gesetzlichen Christen fehlt, ist das Zeugnis der Gnade Gottes. Er kennt das Kreuz seines Heilandes noch nicht, von welchem Friede und Freude auf ein armes Sünderherz fließt. Aber wenn ihm der Heiland die Bedeutung des Wortes recht klar macht: Es ist vollbracht, wenn er weiß und glaubt, dass seine Seligkeit schon erworben ist, selbst ehe er geboren war, dass er schon Alles besitzt, ehe der Herr nur das Geringste von ihm fordert o dann weicht der gesetzliche Geist; dann fragt er nicht mehr, wenn es sich darum handelt, etwas zu tun: Ist's genug? Als Petrus den Heiland fragte: Herr, wie oft muss ich meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist's genug sieben Mal? so antwortete ihm Jesus mit einem Gleichnis von den zwei Schuldnern, die nicht hatten zu bezahlen. Mit andern Worten, er zeigte dem Petrus seine bezahlte Schuld, sein gut gemachtes Leben, seine ewige Erlösung.

Aus den zehntausend Pfunden, die er schuldig ist, bereitet der Heiland zehntausend Freuden für diese und für jene Welt. Das Reich der Gnade ist das Reich der Vergebung, und das Reich der Vergebung ist das Reich der Freiheit! So wie die Sonne das Eis schmelzen macht, so schmelzt die Barmherzigkeit des Herrn, die über uns aufgeht, die Feindschaft unseres Herzens. Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn selig werde. Ist's nun so sehr schwer, umsonst zu geben, was man umsonst empfangen hat? Wenn uns so viel vergeben ist, dürfen wir da noch unserm Bruder mit hartem Herzen die hundert Groschen abfordern, die er uns schuldig ist? Sollen wir ihn nicht vielmehr bei der Hand nehmen und ihm sagen: Komm, lass uns anbeten, uns beugen und niederknieen vor dem Herrn, der uns gemacht, erlöst und geliebt hat? Als Petrus mit dem heiligen Geist und mit Feuer getauft war, fragte er nicht: Ist's genug sieben Mal? sondern er schätzte sich glücklich, seinem Bruder vergeben zu können. Ein Gebundener des Herrn hat eben eine ganz andere Moral und ein ganz anderes Christentum.

Die herrliche Freiheit der Kinder Gottes treibt zum Gehorsam und vertreibt den Zwang. Der undankbare Knecht, der seinen Mitknecht würgt, ist eine Seele, die Jesu Kreuz noch nicht versteht, und welcher noch nicht Gnade wiederfahren ist. Wer selbst von der Gnade lebt, der lernt auch vergeben; er kann nicht anders. Wenn er seine Gabe auf dem Altar opfern will und wird daselbst eingedenk, dass sein Bruder etwas wider ihn hat: so lässt er seine Gabe vor dem Altar und geht zuerst hin und versöhnt sich mit seinem Bruder, und alsdann kommt er und opfert sein Gabe. Er fühlt, wie gerecht es ist, dass ein unbarmherziges Gericht über den ergehe, der nicht Barmherzigkeit geübt hat, und wenn er die Bitte betet: Vergib uns unsere Schulden, kann er mit Aufrichtigkeit hinzusehen, wie ich auch vergebe Allen, die mir schuldig sind.

Dass man wieder in den gesetzlichen Geist zurückfallen kann, nachdem man davon befreit worden, ist leider nur zu wahr. Man verfällt alle Tage wieder darein. Man kann eine Pflicht würgen, wenn man auch keinen Mitknecht mehr würgt. Aber die Zucht des Geistes Gottes ist treu, sie duldet nichts in uns, als was Wahrheit ist. Sie lässt keinen Zwang mehr aufkommen. Die Gesetzlichkeit hört auf, eine Knechtschaft zu sein, sobald sie einmal zur Qual geworden ist; aber sie kann sich wieder als Versuchung einschleichen. Das beste Mittel, dieser Versuchung ihre Kraft zu benehmen, ist das, sich im Geiste aufs Totenbette zu versehen. In der Todesstunde besitzen wir nur das, was wir gegeben haben, und zwar gegeben haben mit Freuden und Aufrichtigkeit. Geben wir daher alle Tage, und warten wir nicht bis zum letzten! Das Herz des Heilandes ist immer offen. Lasst uns bei ihm lernen, Liebe zu üben! Schöpfen wir aus seinem Herzen, und seine Liebe wird uns fähig machen, immer mehr zu geben! Seine Liebe wird unserer Liebe Nahrung geben, und wenn wir den Geist der Kindschaft haben, so werden uns seine Gebote nicht mehr schwer sein.

Ich weiß, sagt der Heiland von seinem Vater, dass sein Gebot das ewige Leben ist. In jedem Gebot, das wir mit Freuden und kindlichem Geiste erfüllen, liegt Leben, und dieser kindliche Gehorsam, fortgesetzt bis zum Ende, ist das ewige Leben. Sorgen wir dafür, dass diese Kanäle des Lebens offen bleiben, damit die Lebenskräfte bis zu uns gelangen, und da die Brünnlein Gottes Wassers die Fülle haben, so lasst uns trinken aus diesem lebendigen Strom!

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autoren/l/lobstein-die_geheimnisse_des_herzens/lobstein-geheimnisse_des_herzens-_xiv.txt · Zuletzt geändert: von aj
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