Lobstein, Johann Friedrich - Die Geheimnisse des Herzens - XII. Das Schweigen

Lobstein, Johann Friedrich - Die Geheimnisse des Herzens - XII. Das Schweigen

Joh. 19, 9.
“Pilatus spricht zu Jesu: Von wannen bist du? Aber Jesus gab ihm keine Antwort.“

Es ist eine größere Kunst zu schweigen, als zu reden. Wer von uns hätte in einer solchen Lage, in der sich Jesus vor Pilatus befand, seinen Mund zuhalten können? In der Tat, ein solcher Augenblick, wo man, ungerecht angeklagt, in Gegenwart falscher Zeugen vor einem Richter steht, der gegen uns eingenommen ist, ein solcher Augenblick scheint nicht der günstigste zu sein zum Schweigen. Wer könnte besser unsere Sache verteidigen als wir selber? Wer fände besser als wir jene Worte, deren Kraft die falsche Anklage zu Schanden macht, und die da sind wie ebenso viele Hiebe in das Angesicht des Gegners? Jesus beobachtet auch keineswegs ein absolutes Stillschweigen. Er redet, wo es nötig ist.

Als Pilatus ihn spöttelnd fragte, was für ein König er sei, war der Heiland weit davon entfernt, zu schweigen, er erklärte ihm feierlich und ernst, dass er ein König sei, dazu geboren und in die Welt gekommen, dass aber sein Reich nicht von dieser Welt sei. Denn das war eine Wahrheit von der größten Wichtigkeit, die Jesus dem Pilatus sagen musste, als eine Wahrheit, die sein Herz beseligen konnte. Darum schwieg Jesus nicht. Pilatus sollte eben so wenig, wie die Juden, eine Ursache haben, ihn zu hassen; auch auf Pilatus bezieht sich jenes Wort Jesu: Wenn ich nicht gekommen wäre, und hätte es ihnen gesagt, so hätten sie keine Sünde, nun aber haben sie nichts, ihre Sünde zu entschuldigen. Aber Jesus, der zu rechter Zeit zu reden und zu schweigen wusste, Jesus schweigt, als Pilatus ihm die Frage vorlegt: Woher bist du? oder eigentlich: Von welchen Eltern stammst du her? Die Juden hatten dem Pilatus gesagt, dass dieser Jesus von Nazareth sich für den Sohn Gottes ausgebe. Diese Beschuldigung kam dem Landpfleger sonderbar vor, und entweder aus bloßer, spöttelnder Neugierde, oder in seinem heidnischen Aberglauben - den er jedoch nicht zeigen wollte - hielt er Jesum für einen jener Göttersöhne, wie sie das Heidentum in großer Anzahl aufzuweisen hatte, und er wollte daher von ihm selber wissen, woher er stamme; um selber sich zu überzeugen, ob die Behauptung seiner Feinde richtig sei.

Aber Jesus gab ihm keine Antwort. Er hielt es nicht für nötig, die eitle Neugierde eines Mannes zu befriedigen, der die Achseln gezuckt hatte bei den Worten: Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme, und darauf in einem gleichgültigen, ungläubigen Tone geantwortet hatte: Was ist Wahrheit? Jesus wollte Pilatus unter der Macht jenes ersteren Wortes lassen und ihm nicht noch dazu verhelfen, sich durch andere Ideen jenem Einflusse zu entziehen. Sehr oft geschieht es, dass man den Eindruck, den ein zu rechter Zeit gesprochenes Wort gemacht hat, durch das wieder aufhebt, was man noch glaubt hinzufügen zu müssen. Das Stillschweigen Jesu machte sicherlich mehr Eindruck auf das Gewissen des Landpflegers, als eine ganze lange Rede gemacht hätte. Das Stillschweigen, das man zu rechter Zeit gegen einen Feind beobachtet, dem man alles gesagt hat, was nötig war, kann für den letzteren ein Richterspruch aus dem Munde Gottes werden. Das Wortgeräusch betäubt nur. Das Stillschweigen, das den Feind seinen eigenen Eindrücken überlässt, kann ein mächtiger Gehilfe der Wahrheit werden. Wenn man die Wahrheit gesagt hat, so ist dies genügend, man braucht nicht noch zu reden, wenn es sich um weiter nichts mehr handelt, als sich selbst zu entschuldigen; man soll es alsdann dem Geiste Gottes überlassen, die Wirkung der Wahrheit in den Herzen weiter zu führen, und seine verborgene Kraft ist auch mächtiger als alle unsere Worte. Wenn wir diese Betrachtung aufs Allgemeine ausdehnen, so stellt sich uns eine Wahrheit dar, die nämlich: welch mächtigen Einfluss das Stillschweigen auf das Leben ausübt. Beim ersten flüchtigen Blick könnte man meinen, dass das Stillschweigen etwas völlig Negatives sei; aber die Erfahrung beweist, dass in wichtigen Augenblicken des Lebens das Stillschweigen durch das, was es in sich schließt, etwas entschieden Positives wird. Die Wirkung des Schweigens kann sich je nach seiner Natur nach drei Seiten äußeren; denn es gibt ein Schweigen der Natur, ein Schweigen der Seele und ein Schweigen Gottes. Dieses dreifache Schweigen, und was in demselben verborgen liegt, wollen wir nun etwas umständlicher darlegen.

I.

Die erste Art des Stillschweigens, welche wir betrachten wollen, ist das Stillschweigen der Natur. Die feierliche Stille einer Landschaft, die Einsamkeit eines Waldes, die reine Luft auf der Höhe eines Berges, alles das ist etwas Feierliches, Majestätisches, für Leib und Seele Erquickendes, und es bildet mit dem Geräusch der Städte und unserer gewohnten Umgebung, mit den hunderterlei Stimmen, die beständig unsre Ohren umtönen, einen merkwürdigen Kontrast. Der Geschäftsmann, der Studierende, und alle die, deren Arbeit eine regelmäßige und fortgesetzte ist, haben von Zeit zu Zeit das Bedürfnis, im Schoße der Natur Stärkung und Neubelebung ihrer Kräfte zu holen. Die Stille, welche uns da umgibt, bringt gleichsam eine Stille und Sammlung des Gemütes in uns hervor, und nicht bloß unser Leib wird erfrischt, sondern auch die Seele erquickt und gestärkt. Ein einfacher Spaziergang hat oft eine heilsame Wirkung auf die Seele durch das Stillschweigen, das rings um uns herrscht. Das beste Mittel, trübe Gedanken und nutzlose Träume, die uns verfolgenden Sorgen, so wie die durch unsere Tätigkeit hervorgerufene Abspannung unsers Geistes loszuwerden ist sehr oft ein Spaziergang in der Natur. Da lasse man dann seine Augen weiden am Anblick des Grüns der Wiesen, an dem Azur des Himmels oder an den Bergen, die den Horizont begrenzen; man verbanne alles, was das Gemüt beunruhigt, und man wird sehen, welchen wohltätigen Einfluss die Stille der Natur auf uns ausübt. Hier, umgeben von der reinen Natur und unter ihrem Einfluss sind unsere Gedanken wie befreit von ihren Fesseln, und unser Urteil wird klarer und ruhiger. Die Mannigfaltigkeit der Werke Gottes und der Anblick der Schöpfung sind eine große Wohltat. Es liegt darin etwas so Sanftes, so Stilles und Feierliches, etwas so Beruhigendes, dass die innere Unruhe und das trübe Gewölk am Himmel des Gemütes mit jenen tausend und tausend Sachen, die uns beschäftigen, verscheucht werden.

In dieser feierlichen Stille der Natur liegt jedoch noch etwas Ernsteres, das von tieferer Bedeutung ist. Der gegenwärtige Zustand der Natur ist ein Zustand des Gebundenseins; die Kreatur ist unterworfen dem Dienste der Eitelkeit; sie sehnt sich nach Erlösung, die ihr verheißen ist. Es liegt in den herabfallenden Blättern eines Baumes, oder in dem Anblick einer Ruine eine stumme Sprache, die uns zur Wehmut und Traurigkeit stimmt. Der Mensch ist genötigt, stille zu stehen. Ich, muss er sich sagen, ich habe durch meinen Abfall von Gott die Werke meines Schöpfers dem Fluche unterworfen. Aber wenn er eine jener schönen Landschaften betrachtet, über welche die Natur alle ihre Reize ausgebreitet hat, so ist's, als sagte ihm eine innere Stimme: Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Die Ruhe der Natur erinnert ihn an jene Ruhe, die dem Volke Gottes aufbehalten ist. Die Sonne, die an einem Ende des Himmels aufsteht, die hervorgeht, wie ein Bräutigam aus seiner Kammer, dieses herrliche Gestirn lässt uns etwas ahnen von einer Zeit, wo keine Sonne mehr nötig, sondern der Herr unser ewiges Licht sein wird. Die Stille der Natur hat etwas Prophetisches. Wer keinen Freund hat, in dessen Schoß er seinen Kummer ausschütten kann; wessen Hoffnung wanken will: der gehe hinaus, und die Werke der Schöpfung werden zu ihm reden, und werden ihn trösten. Es ist keine Sprache noch Rede, da man nicht ihre Stimme höre.

II.

Es gibt aber noch eine andere Stille, die einen noch ausgeprägtern Charakter hat, als die Stille der Natur, und das ist die Stille des Gemütes, die Stille des innern Menschen. Unsere Seele ist in dieser Stimmung, wenn wir in Gott ruhen und Gott in uns. Die innere Stille ist jene göttliche Atmosphäre, welche uns über das Irdische erhebt und uns in die Gegenwart Gottes versetzt, der unser einziges wahres und bleibendes Gut ist. Die Welt kann uns diese Stille nicht geben, so wenig als sie uns den Frieden geben kann. Die Einsamkeit kann einer Seele ihre Stille nicht mitteilen, wenn dieselbe von der Sünde durchwühlt ist. Gott allein ist unsere Ruhe und das Schloss, in dem wir im Frieden wohnen. Aber wie gelangt man zu dieser Stille, zu dieser Ruhe? Solches zu wissen ist die Hauptsache. Unsere Verbindung mit dem Herrn ist gewöhnlich sehr kurz und unzusammenhängend. Eine ruhige Seele ist etwas sehr Seltenes. Unser Zustand ist ein bewegtes Meer; nur mit Mühe können wir uns einige Augenblicke innerer Ruhe verschaffen. Und dennoch ist diese innere Stille so notwendig, nicht bloß um zu beten, sondern auch für das gewöhnliche Leben. Wenn unser Gemüt beunruhigt und mit allerlei unnötigen Dingen angefüllt ist, so wird unser Blick und unser Urteil getrübt, wir werden der Spielball unserer Leidenschaften und sind der Gefahr ausgesetzt, die gröbsten Fehler zu begehen, und das einzig und allein aus dem Grunde, weil unser Gemüt nicht ruhig war. Um Alles das von uns zu entfernen, was uns die Gegenwart Gottes trübt, ist eine lebendige Überzeugung davon nötig, dass wir in dem Maße, als wir uns von Gott abwenden, uns dem Eitlen und Nichtigen zukehren, das uns keinen Frieden und keine Ruhe bringt, eben weil es eitel und nichtig ist. Sehr viele Personen haben das Unglück, dass sie nicht zu dieser Ruhe der Seele gelangen können, und das kommt daher, weil der Herr noch nicht ihr höchstes Gut geworden ist. Wenn Gott einmal in ihrem Herzen herrscht, so wird Er Frieden und Stille um sich her verbreiten. Darum naht euch zu ihm! Unsere trüben Stimmungen kommen daher, dass wir uns vom Herrn entfernen. Ein Herz, in dem Gott nicht ist, ist zerstreut; die Zerstreuung ermüdet, und die Ermüdung bringt Unruhe in die Seele. Der Herr allein hat Ruhe und Stille. Jede weltliche Erholung ist eine Ermüdung. Dasselbe gilt von den Träumereien, welche das Gemüt wie in ein Labyrinth führen, aus welchem es nicht mehr heraus kann, wenn nicht die Hand des Herrn es ergreift. Es gibt Selbstprüfungen, die nur ermüden und zu keinem Resultat führen, weil man sich nicht in der Gegenwart Gottes prüft, weil man sich selber sucht, anstatt den Herrn. Auch auf diese Weise kommt man zu keiner Ruhe und macht keine Fortschritte in der Heiligung.

Der Nutzen, den uns die Stille bringt, ist ein sehr großer, denn sie erhält uns an der Seite des Herrn. Nur eine ruhige Seele kann beten; wenn keine Ruhe in der Seele ist, so ist das Gebet wie eine Zerstreuung. Die innere Ruhe gibt uns die nötige Besonnenheit in schwierigen Lagen; sie hält uns, dass wir nicht vom Bösen fortgerissen, nicht von Heftigkeit und Zorn ergriffen werden; sie macht uns fähig, ruhig und würdevoll einem jeden zu antworten, der uns angreift; sie erhält in allen Lagen unsers Lebens das Gleichgewicht in unserer Seele, das man so leicht verliert, wenn man vom Herrn entfernt und sich selbst überlassen ist. Unsere glücklichsten Stunden sind diejenigen, wo Ruhe und Stille in unserer Seele herrschen; dieser Zustand ist der sicherste und der gesegnetste; in diesem Zustande kann man beten, arbeiten und leiden; denn man ist im Besitz des Einen, was not tut, und wenn uns gleich Leib und Seele verschmachten, so ist doch Gott unsers Herzens Trost und. Teil ewig.

III.

Aber das furchtbarste und feierlichste Stillschweigen ist das Stillschweigen Gottes.

Wir wollen versuchen, auch davon etwas Weniges zu sagen. Wenn Gott schweigt, so sehen wir darin alsdann, was aus uns wird. Wenn sich kein Lüftchen regt, und in drückender Sommerschwüle die Luft mit jener Stille erfüllt ist, die gewöhnlich einem Gewitter voraus geht; wenn die ganze Natur um uns herum wie unbeweglich ist: so wird unser Gemüt mit Bangigkeit erfüllt; in noch höherem Grade ist aber dies der Fall, wenn Gott schweigt und uns für eine Zeitlang uns selbst überlässt.

Es heißt in einem Psalm: Es wartet alles auf dich, dass du ihnen Speise gibst zu seiner Zeit. Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie, wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gut gesättigt. Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; du nimmst weg ihren Odem, so vergehen sie, und werden wieder zu Staub.

Ja, wenn Gott sich zurück zieht, so erschrecken wir und zittern; wenn er mit seinem Stillschweigen fortfährt, wenn er fortfährt, uns seine Gegenwart zu entziehen, so vergehen wir und werden zu Staub. Das Stillschweigen Gottes hat einen doppelten Charakter, je nach den Personen, gegen die er es beobachtet.

Es gibt ein Stillschweigen Gottes, das den Gottlosen, und ein anderes, das den Gerechten umgibt. Gott schweigt, und lässt den Bösen seine eigenen Wege gehen. Er schweigt oft Jahre lang. Der Mensch verbringt dieselben in Unbußfertigkeit und häuft sich selbst den Zorn auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes. Während Gott schweigt, gehen die Gottlosen ihren Weg, die einen geraten in immer größeres Elend, die andern blühen und wachsen und es geht ihnen wohl. Aber von diesen beiden Gerichten Gottes ist das letztere das furchtbarere. Der Wohlstand des Gottlosen ist jener goldene Becher, jener Taumelkelch, von welchem die Propheten reden, dass Gott ihn seinen Feinden einschenke, um sie trunken zu machen, bis der Augenblick erscheint, wo der Schleier fällt, wo ihre Gleichgültigkeit vergeht, und wo sie schreien vor Schmerzen und heulen vor Angst.

Das Stillschweigen Gottes gegen den Gerechten hat nicht denselben Charakter. Es gibt für die Kinder Gottes manchmal sehr schmerzliche Stunden; es sind die Stunden, wo der Herr sich vor ihnen verbirgt, nicht mehr freundlich mit ihnen redet, wo der Himmel geworden ist wie Erz, und die Seele wie ein dürres, ausgetrocknetes Land. Da schreit man dann zu seinem Gott: Mein Gott, warum hast du mich verlassen, warum trittst du so ferne von mir und wendest dein Angesicht von mir ab? Mein Gott, des Tages schreie ich zu dir, aber du antwortest mir nicht, und des Nachts, aber du hörest nicht. Warum dieses Stillschweigen des Herrn, wo die Stunden zu Ewigkeiten werden, wo ein David heulte vor großer Betrübnis seines Herzens?

Wir können nicht immer wissen, welches die Absicht des Herrn ist, wenn er sein Angesicht verbirgt; so viel aber können wir wissen, dass sein Zweck dahin geht, uns Dinge in unserm Herzen zu offenbaren, die wir sonst nie sehen würden, wenn wir nicht zu kämpfen hätten mit uns selber. Die Sünde hat schreckliche Folgen, und wenn der Herr sich für einen Augenblick von uns zurück zieht, so sehen wir, wohin unsere Untreue uns führt, und unser wahre Zustand wird offenbar. So wie die Gottlosen die Ungerechtigkeit wie Wasser saufen, so kann auch ein Kind Gottes eine Gnade nach der andern schöpfen und dabei vergessen, dass es Gnade ist. Das Stillschweigen Gottes aber erinnert uns wieder daran. Man sieht dann, wie der Herr uns alles wieder nehmen kann, und dass wir ganz und gar von ihm abhängen, dass die Gnade, von der wir heute leben, nicht die Gnade ist, die uns gestern zu Teil wurde, dass sie sich täglich erneuert, und dass unser Bestehen von seinem freien Liebeswillen abhängt.

Das Schweigen des Herrn gegen seine Kinder hat aber noch einen andern Zweck. Er schweigt, um unsere Treue zu prüfen und unsere Ausdauer auf die Probe zu stellen. Die Beharrlichkeit ist das notwendigste Stück, und zugleich das sicherste Kennzeichen des Glaubens. Wer eine Prüfung bis zum Ende erträgt, wer mit Geduld wartet, bis der Herr wieder zu ihm redet: der befindet sich in einer Schule, in der man es nicht aushalten kann, wenn man nicht in der Liebe eingewurzelt und gegründet ist. Wenn der Herr uns von der Welt der Sichtbarkeit losgerissen hat, so will er uns auch noch trennen von der Welt unserer Gefühle und uns entkleiden von allem dem, was von uns selber kommt. Er lässt uns gar nichts übrig als den Glauben, d. h. das Anklammern an das, was außer uns liegt, an die Gnade. In solchen Augenblicken, wo der Herr schweigt, und wo alle unsere geistlichen Vorräte aufgezehrt sind, da sind wir in der rechten Verfassung, um zur Ausdauer zu gelangen. Dann lernen wir, wovon wir leben, und kommen auf den Anfang unsers Bestehens zurück, nämlich auf Jesum, auf Jesum allein. Wir verlassen uns dann auf ihn, den Felsen unseres Heils, auf das Lösegeld, das unser Bürge ein für allemal bezahlt, und welches Gott angenommen hat, und es nicht zum zweiten Mal fordert. Wir suchen alsdann den Heiland, der ausgehalten hat bis ans Ende, damit auch wir aushalten könnten. Das Stillschweigen des Herrn lässt uns dieses Verdienst Jesu aufs Neue schätzen als ein ewig göttliches, unermessliches, das allein unsere Hoffnung und unser Trost ist in Zeit und Ewigkeit.

Lasst uns daher unter die zahlreichen Wohltaten unsers Gottes auch die Wohltat seines Schweigens rechnen, jenes dreifachen Schweigens in der Natur, in der Seele und das Stillschweigen Gottes. Wie Jesus vor Pilatus, so wollen auch wir durch seine Gnade reden und schweigen, wo es nötig ist. Lasst uns diese Weisheit von ihm lernen, denn es ist die Weisheit Gottes. Das Schweigen ist ein Zeugnis, das von uns ausgeht und auf uns wirkt; durch Schweigen empfangen wir, durch Schweigen geben. wir. Das Reich Gottes besteht nicht in Worten, sondern in der Kraft. Ein Mensch, der viele Worte macht, ist selten ein tiefer Charakter; was innig ist, trägt den Charakter des Schweigens. Weihen wir dem Herrn die Augenblicke unserer Ruhe, und er wird zu uns reden. Überall werden wir seiner Stimme und seinen Boten begegnen. Die Natur, das Gewissen, das Warten, das Entkleidet werden von aller eigenen Kraft: alles das bringt uns in Verbindung mit dem Gott, der sich uns geoffenbart hat, mit dem Vater unsers Herrn Jesu Christi, und überall werden wir seiner Liebe, seiner Treue und seiner Wahrheit begegnen.

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autoren/l/lobstein-die_geheimnisse_des_herzens/lobstein-geheimnisse_des_herzens-_xii.txt · Zuletzt geändert: von aj
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