Lobstein, Johann Friedrich - Die Geheimnisse des Herzens - XI Das Dunkle
I. Kor. 13, 12.
“Wir sehen jetzt in einem Spiegel, in einem dunklen Wort.“
Aus dem bewunderungswürdigen, vor uns liegenden Kapitel, in welchem Paulus die Liebe darstellt, wählen wir für heute nur diese wenigen Worte. Warum verlässt Paulus gegen das Ende des Kapitels seinen Gegenstand und spricht auf einmal von der Unvollkommenheit unserer Erkenntnis? Wir müssen dabei nur nicht vergessen, dass er an die Korinther schrieb, an jene Gemeine, die in der Erkenntnis so weit vorgerückt war. Er musste sie daran erinnern, dass das Wissen, das Erkennen aufbläst und nur die Liebe bessert und erbaut. Die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung, ist sein Ziel; denn sie ist das Leben Gottes. Das Weissagen, die Sprachen und alle jene geistlichen Gaben haben nur einen bedingten, relativen Wert, und sollen nur dazu dienen, die Liebe zu unterhalten. Die Liebe ist das Besitzen Gottes; daher wird auch einst das Stückwerk aufhören, sobald wir Gott ganz besitzen werden. Gott wird unsere Seligkeit ausmachen und nicht das, was uns zu ihm hinführt. Die Liebe hat ein Leben für sich, besteht für sich selbst und durch sich selbst. Jede andere Eigenschaft ist nur vorübergehend; die Liebe ist daher, streng genommen, auch keine Eigenschaft, sondern ein Wesen. Warum sollten wir stolz sein auf unser Wissen und Erkennen, wenn wir täglich sehen, wie mangelhaft und unvollkommen es ist? Unser Verstand und unser Geist sind durch die Sünde getrübt, darum sehen wir nur unvollkommen. Die Wahrheiten Gottes gelangen nicht unmittelbar zu uns, sondern mittelbar. Sie brechen sich, während sie durch unser Herz und unsern Geist hindurchdringen, gleich wie Lichtstrahlen. Unser Erkennen ist nur ein Helldunkel, eine Mischung von Wahrheit und Irrtum. Wer sich seines Wissens rühmt, beweist dadurch, wie wenig er noch weiß.
Die Worte des Apostels lehren uns, dass es also für die Seele, hinsichtlich ihrer Erkenntnis der himmlischen Dinge, einen ungewissen Zustand gibt, wo sie nur halb sieht, wie in einem dunklen, getrübten Spiegel, und wir wissen ja, wie das Ungewisse, Unbestimmte, Unklare und Halbe manchmal in einen quälenden Zustand versehen kann. Das Ungewisse ist das Entferntsein vom Wahren, so wie das Schöne dessen Bild ist. Wenn wir im Ungewissen sind, so fühlen wir in unserer Seele ein namenloses Unbehagen. Man sucht etwas und kann es nicht finden; man will in die Natur einer Sache eindringen und wird beständig gehindert und aufgehalten durch Zweifel oder durch Dunkelheiten. Solch' ein Zustand ist peinlich und demütigend; denn die Unklarheit hat ihren Grund sehr oft in uns selber, und liegt nicht in den Dingen, die wir zu erforschen suchen. Es gibt Leute, denen es mit dem Suchen nie recht ernst ist und die sich doch immer beklagen, dass sie nichts finden; Andere wollen im Unklaren bleiben, weil es in gewissem Sinne ihr Vorteil ist; denn sie fühlen wohl, dass sie aus einem Zustande, den sie liebgewonnen haben, heraus müssten, sobald die Wahrheit ihre Kraft zeigen würde; dass sie dann einen falschen Gott verlassen müssten, den sie gern behalten möchten. Die Unklarheit kann sich daher auf mancherlei Weise äußeren. Wir wollen hier vier verschiedene Gestalten angeben, in denen sie auftritt, und deren Wirkung ebenfalls verschieden ist.
Es gibt eine Unklarheit, die bloß Unbehaglichkeit ist, eine andere, die zur Gefahr wird, eine dritte, welche zur Tätigkeit antreibt, und endlich eine vierte, die eine Gnade und ein Segen Gottes ist. Die Ungewissheit, welche weiter nichts ist, als ein unbehagliches Gefühl, besteht darin, dass man sich von seinen Gedanken und Ideen keine klare Rechenschaft geben kann. Man fühlt etwas und weiß nicht recht was. Die Wahrheit verschwimmt vor unsern Augen, wie in einem Chaos; man kann sich nicht herausfinden. Der Gedanke, der nach dem Lichte ringt, tappt im Dunkeln umher, und jede Klarheit, die in der Ferne aufleuchtet, verschwindet eben so schnell wieder. Oft glaubt man, gefunden zu haben, was man sucht, und wenn man‘s beim Lichte besteht, so hat man wieder etwas Ungewisses. Die Wahrheit, die man ergriffen zu haben glaubt, entweicht wieder. Ein solcher Zustand kann sehr quälend werden. So wie das Gewissen seine Augenblicke hat, wo es gefoltert wird, so hat auch der Gedanke manchmal solche Augenblicke ; und die Pein, welche die Unklarheit verursacht, ist gar nicht immer die bloße Folge einer unbefriedigten Neugierde. Das Gefühl ist mit den Gedanken näher verwandt, als man insgemein glaubt. Wenn man eine Wahrheit sucht, so geschieht es immer, weil man diese Wahrheit in einem gewissen Sinne liebt, und wenn unser Verstand in seinem Suchen nicht zum Ziele gelangt, sondern im Dunkeln bleibt, so empfindet auch das Herz etwas Unbehagliches, wodurch die Pein noch vergrößert wird. Es ist dies eine Demütigung, besonders für einen ernsten Menschen, beständig etwas zu suchen, ohne es zu finden. Es gibt in dem Bereiche des Denkens Gegenstände vom höchsten Interesse, so dass man sich ganz unwillkürlich von ihnen angezogen fühlt. Welche Entmutigung nun, wenn man dann die Unfähigkeit fühlt, jene Wahrheiten zu ergreifen; wenn man nur um sie herumtappt, ohne in sie eindringen zu können; wenn man sehen muss, wie sie wieder vor uns verschwinden und wie der Gedanke unterwegs stehen bleibt.
Zu einer andern Zeit und bei Gegenständen anderer Natur ist's uns vielleicht besser geglückt; aber die früheren Erfolge trösten uns nicht über das gegenwärtige Fehlschlagen; denn der geistige Mensch lebt selten von dem, was er hat, sondern fast immer von dem, was er noch nicht hat, aber zu haben wünscht. Dasselbe ist der Fall mit dem geistlichen Wissen. Das, was man schon erworben hat, vermehrt den Wunsch, noch mehr zu wissen und zu erwerben; aber je mehr man wissen will, desto ungewisser wird das Wissen; man kommt ins Unklare und vom Unklaren ins Peinigende. Was man vorher wusste, kommt einem nunmehr höchst ärmlich vor im Vergleich mit dem unermesslichen Gebiete, das sich unsern verworrenen Blicken auftut, und in das wir gern eindringen möchten. Der Geist will seiner Natur gemäß vorwärtsschreiten; aber je weiter er kommt, desto mehr wird er durch die Langsamkeit und Mangelhaftigkeit seiner Fortschritte gedemütigt. Anstatt zum Licht hindurchdringen zu können, muss er sich im Weitergehen mehr und mehr davon überzeugen, dass wir hienieden wirklich nur durch einen dunklen Spiegel sehen.
Solche Unklarheit wird zur Unbehaglichkeit, ja sogar zur Pein. Es gibt aber eine andere Ungewissheit und Unbestimmtheit, die sehr gefährlich ist; nämlich der unklare Zustand im Gewissen. Der Zustand eines Menschen, der noch in völliger Sicherheit und Unwissenheit dahingeht, ist nicht so unglücklich, wie derjenige eines andern, welcher im Ungewissen und Unklaren ist. Das sittliche Gebiet ist ernster, als das Gebiet des Denkens und Wissens, und die Elemente unsers Glückes oder Unglückes liegen im Gewissen. Die Unklarheit im Gewissen rührt von der Unklarheit über sich selbst her. Es ist gleichsam ein Nebel über der Seele gelagert, so dass diese sich selbst und Gott nicht zu erkennen vermag, oder sie hat einen falschen Frieden. Dass ein solcher Seelenzustand gefährlich ist, ist klar; denn was ist nötiger, als dass man mit Gott und der Ewigkeit im Reinen sei. Der Tod kann unvermutet an unsere Türe klopfen, und die Ungewissheit in der allerwichtigsten Lebensangelegenheit gibt wahrlich der Hoffnung für unser Glück keinen sichern Grund. Wenn wir in gewissen Angelegenheiten in unsern Beziehungen zu den Mitmenschen im Unklaren bleiben, so hat das am Ende keine so gar wichtigen Folgen; aber gegenüber dem Herrn ist das etwas Anderes. Man weiß, dass er unser Richter ist, und wie er von uns verlangt, dass wir ihn kennen. Der Fehler liegt immer auf unserer Seite, wenn unsere Beziehungen zu ihm nicht klar und bestimmt sind. Es ist ein Zeichen, dass wir Furcht haben, in seine Nähe zu kommen, oder mit andern Worten, dass wir die Finsternis mehr lieben als das Licht. Die Unklarheit im Gewissen kommt daher, dass wir uns weigern, eine gründliche Prüfung über uns selbst anzustellen, oder auch von einer Versöhnung mit Gott, die aber nicht mit dem heiligen Geist besiegelt worden ist, oder endlich von der Liebe und Zuneigung, die wir noch zu unsern falschen Stützen haben. Der Grund unseres Herzens ist ein finsterer Schlund, und man fürchtet sich mit Recht, sich selbst da hinein zu begeben; aber was gewinnt man damit, wenn man in der Unklarheit und in der Betäubung lebt? Die Wahrheit muss doch einmal heraus und zu ihrem Recht gelangen; wäre es daher nicht viel besser, sie anzuhören, so lange sie noch als Freundin zu uns spricht, anstatt zu warten, bis sie einst vor Gottes Richterstuhl unsere Anklägerin sein wird? Was die Unklarheit in unserm Gewissen unterhält, ist nichts Anderes, als der Geist der Falschheit, und der Widerwille, den man hat, sich selbst zu richten. Man geht um die Wahrheit herum, aber man erlaubt ihr nicht, dass sie ihre Pfeile in unser Herz drücke, noch dass sie das aufdecke, was wir geheim halten wollen. O, entsaget diesem Zustand, kommt hervor an das Licht, dann werdet ihr bald im Klaren sein über euch selbst und über euere Zukunft! So lange ihr euch weigert, die Sünde Sünde zu nennen, wird es nie Licht in euch werden, und euere Unklarheit wird euch in die Verdammnis stürzen. Ihr könntet die Wahrheit ergreifen, aber ihr wollt nicht; euer Misstrauen und euere Falschheit halten euch entfernt von Gott.! ihr wisst das Alles wohl, es ist nicht Mangel an Einsicht, ihr seid nur zu gut unterrichtet; aber leider in einer unglücklichen Kunst, in der Kunst, euch selbst zu betrügen und euern Zustand zu verdecken. Ihr seid nur zu sehr im Klaren über die Mittel, die ihr ergreifen müsst, um das Licht und die Klarheit von euch abzuhalten. Ist das nicht eine wahre Narrheit? was findet ihr denn für Glückseligkeit in einem solchen Leben ohne Gott, ohne seinen Frieden? Euer Leben ist ein Leben ohne Freude; euer Gewissen hat keine Macht über euch; die Gerichte des Allmächtigen drohen euch, bis sie einst an dem großen Tage über euch hereinbrechen werden. Das ist der Gewinn eueres Lebens.
Es gibt eine dritte Art Unklarheit, die ein Antrieb zum Forschen und Handeln werden kann. Man ist in eine neue Lage versetzt worden, die man noch nicht klar durchschaut, deren Bedürfnisse und Verpflichtungen man noch nicht kennt; die Ungewissheit wird alsdann zu einem heilsamen Stachel, der zur Tätigkeit und zur Treue anspornt, und eines solchen Antriebes hat man im Leben sehr oft nötig. Nichts schläfert die Geistes- und Seelenkräfte mehr ein, als die Einförmigkeit und Eintönigkeit. Es ist daher eine wahre Wohltat Gottes, wenn wir aus unserer Lage heraus in eine andere versetzt werden. Wenn man immer mit den gleichen Personen zusammen lebt, so wird man sehr leicht einseitig; und dieselben Gedanken drängen sich immer in demselben Kreise herum. Man lebt immer in derselben Beschäftigung, man wird eine Maschine, und das Leben verliert seinen Reiz und seine Frische. Nur in der Mannigfaltigkeit liegt Lebendigkeit. Wir müssen in neue Ideen und Beschäftigungskreise, in Lagen versetzt werden, die uns zur Tätigkeit nötigen und uns veranlassen, immer auf neue Mittel zu denken, mit einem Wort, man muss ein wenig in der Welt herumgeworfen werden, damit man nicht einschläft. Alles, was das Leben Neues mit sich bringt, und was früher oder später mehr oder minder wichtige Folgen nach sich zieht, Alles das nimmt gewöhnlich einen unklaren und unbestimmten Anfang; aber gerade diese Unklarheit treibt uns an, ins Klare zu kommen und einen Ausgang zu gewinnen. Zum Beispiel, man kommt in eine Stadt zu wohnen, und weiß noch nicht, wie's einem daselbst gehen wird. Gott bringt uns in Verbindung mit Personen, deren Charakter wir erst studieren müssen, ehe wir wissen, ob sie unsere Freunde oder Feinde sein werden. Man muss sich nach neuen Verhältnissen, neuen Gewohnheiten und Gebräuchen richten, die vielleicht nicht nach unserm Geschmack sind, die uns aber in der Folge nützlich werden können. Wir sind genötigt, unsere Lebens- und Anschauungsweise, unsere Methoden zu ändern. Im Anfang will uns das nicht einleuchten; aber nach und nach gewöhnt man sich daran, lebt sich hinein, wird erfinderisch; und hinter den Nebeln hervor fängt eine freundliche Sonne an zu scheinen. Man lasse sich nur nie entmutigen, man suche, man arbeite und bete, und die neue Lage wird bald ihre Reize für uns haben, und wenn es auch nur darin wäre, dass wir zu neuer, bisher nie gekannter Tätigkeit angespornt werden.
Gewisse Leute verlieren den Kopf, wenn sie von einem unerwarteten Besuch überrascht werden, oder wenn sie mit irgend einer Schwierigkeit zu kämpfen haben, oder wenn sie genötigt sind, in aller Eile sich zu etwas zu entschließen. Sie würden ein stilles, ungestörtes Leben im warmen, bequemen Zimmer, an der Seite ihrer Frauen und Kinder, weit vorziehen. Für solche Stubenchristen gibt es nichts Besseres, als wenn sie genötigt sind, oft auszuziehen. Sie lernen nachdenken, sich rühren, sich bewegen und werden später sich darüber freuen, wie ihre Tage unter den Abwechslungen dahinfließen. Im Kampfe stählt sich der Mut, und in der Verlegenheit wird man erfinderisch; Schwierigkeiten bringen die Kräfte zur Entwicklung. Wenn das Schiff sich bald auf den Spitzen der Wogen erhebt, und bald wieder in die Tiefe stürzt, so erfährt man mehr, als wenn man ruhig schläft.
Was wir hier von neuen Lagen, in die man versetzt wird, gesagt haben, gilt auch von neuen Verbindungen. Gott bringt uns in Verbindung mit irgend jemanden, den wir noch nicht kennen, weder von seinen guten, noch von seinen schlimmen Seiten. Wie Vieles liegt in einer Menschenseele verborgen, das von Anfang an zu kennen uns nicht gut wäre. Die Verbindungen, welche sich gar zu schnell machen, sind selten dauerhafter Natur. Es gibt Leute, die sich einander nur langsam und vorsichtig, fast mit einer Art Misstrauen nähern; und solche Verbindungen, wenn sie zu Stande kommen, haben schon mehr Wert. Es gibt ferner verschlossene und zurückhaltende Charaktere, welche, ohne stolz zu sein, sich im Hintergrunde halten, und über die man im Unklaren ist, bis sich einmal eine Gelegenheit darbietet, wo sie sich aussprechen müssen. Diese Unklarheit, mit welcher solche neuen Verbindungen umgeben sind, ist ebenfalls ein Sporn zu neuer Tätigkeit. Man möchte gern wissen, mit was für einem Menschen man es zu tun habe; da macht man einen Gegenstand des Gebetes daraus, und man sucht in das Innere des Menschen einzudringen, von dem man bisher nichts kannte, als seine äußere Gestalt. Die Zuneigung erwacht endlich, die Verbindung wird geschlossen, und je länger die Unklarheit gedauert hatte, desto lieblicher wird nun die Harmonie.
Endlich gibt es noch einen Zustand der Unklarheit, der aber ein Segen für uns ist. Es ist das nämlich jene Unklarheit, jenes Dunkel, in welche der Herr die Führungen der Seelen einhüllt. Gottes Wege sind nicht unsere Wege, und in Bezug auf dieselben gilt ganz besonders das Wort unseres Textes: Wir sehen jetzt in einem Spiegel, in einem dunklen Wort. Aber Alles, wodurch unser Glaube geübt wird, ist ein Segen für uns. Du weißt jetzt nicht, was ich tue, sagt der Heiland zu Petro, du wirst es aber hernach erfahren. Wenn der Herr uns im Unklaren lässt, so will er uns den Glauben lehren. Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird es wohl machen. Wer im Dunklen wandelt, und scheint ihm kein Licht, der vertraue auf den Namen des Herrn und verlasse sich auf seinen Gott. - Die Hoffnung, die man sieht, ist nicht Hoffnung; wie kann man das hoffen, das man sieht? so wir aber das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir sein mit Geduld. Eine solche Hoffnung ist an sich selbst schon ein großer Gewinn, ohne an das zu gedenken, was hernach kommen wird; denn man kommt ins Klare über sich selbst und wandelt in der Klarheit. Der böse Grund unseres Herzens und die Reste des alten Menschen kommen zum Vorschein, und wir sehen, wie wenig gegründet wir noch sind in unserm geistlichen Leben. Wir gelangen durch die Mühe, die wir haben, uns einer neuen Stellung anzubequemen, zu der Überzeugung, welch' eine Macht des Widerspruchs und des Aufruhrs in uns ist, und wie unser Zutrauen zum Herrn eigentlich nur ein Zutrauen zu seinen Wohltaten und nicht zu ihm selbst ist. Durch Hoffen und Harren ist unser Geist genötigt, zu kämpfen gegen das Fleisch, gegen den Eigenwillen, gegen die Unbußfertigkeit, gegen die Undankbarkeit und gegen den Unglauben; aber die Kehrseite der Medaille darf uns den unschätzbaren Segen nicht verdecken, den dieser Zustand des Harrens in sich birgt. Wenn man sich in die Wege des Herrn ergeben muss, ohne zu wissen, was da kommen wird, so wird man auf diese Weise gleichsam im Atem erhalten, und es kann uns keine falsche Ruhe beschleichen. Man gleicht einer Schildwache, die jeden Augenblick eine schlimme Begegnung fürchtet und deshalb das Gewehr beständig in Bereitschaft hält. Wir würden unser Christentum nicht sehr oft untersuchen, wenn wir nicht durch die Umstände dazu gezwungen würden. Diese Wachsamkeit treibt ins Gebet. Menschen können uns weder trösten, noch unsere schwankende Stellung sicher machen; denn unsere Zukunft liegt nicht in ihren Händen. Wer laufen will, muss beten lernen. In solchen Zeiten haben die Verheißungen Gottes einen viel größeren Wert als sonst. Man muss lernen, dem Herrn auf sein Wort glauben und vorwärtsgehen, weil er es uns befohlen hat. Ich werde meine Herrlichkeit an dir vorübergehen lassen. Er hat uns seinen Sohn gegeben, ihn für uns geopfert am Kreuz; sollte er uns nun etwas geschehen lassen, was mit seiner Liebe im Widerspruche steht? Es wäre ihm zwar ein Leichtes, uns jederzeit und augenblicklich seine Gnade scheinen zu lassen; aber in seiner Weisheit hüllt er sie ins Dunkel, um uns desto mehr zu segnen. Sobald man angefangen hat, zu glauben, so entwickeln sich auch die Kräfte des Glaubens, denn wir müssen im Glauben wandeln, wenn das Unsichtbare das Sichtbare verschlingen und die Freiheit unser Teil werden soll.
Auf diese Weise führt uns die Dunkelheit zum Licht, zur Liebe. Sie treibt uns in die Arme unsers Gottes, dem wir alle Ehre geben; sie macht uns tüchtig zum Erbteil der Heiligen im Lichte; sie macht uns fähig, einmal das ewige Licht zu sehen, und zu erkennen, wie wir erkannt sind.