Spurgeon, Charles Haddon - Nach der Verheißung - Verschiedene Hoffnungen.
„Dazu um Ismael habe ich dich auch erhört. Siehe, ich habe ihn gesegnet und will ihn fruchtbar machen, und mehren gar sehr. Zwölf Fürsten wird er zeugen und will ihn zum großen Volk machen. Aber meinen Bund will ich aufrichten mit Isaak, den dir Sara gebären soll, um diese Zeit im andern Jahr.“ 1 Mose 17, 20. 21.
Es ist durchaus nicht wunderbar, dass zwei in ihrer Geburt und ihrer Natur so verschiedene Menschen, wie Ismael und Isaak, auch in ihren Hoffnungen sehr verschieden waren. Für Isaak wurde die Bundesverheißung der Polarstern seines Daseins; aber für Ismael war kein solches Licht aufgegangen. Ismael strebte nach großen Dingen, denn er war der Sohn eines der größten Männer; aber Isaak schaute nach noch höherem aus, denn er war das Kind der Verheißung und der Erbe des Gnadenbundes, den Gott mit Abraham gemacht hatte.
Ismael mit seinem hohen und kühnen Geiste wünschte sich ein Volk, das nie unterworfen würde, eine Rasse, so unbezähmbar wie der wilde Esel der Wüste; und sein Wunsch ist in reichem Maße gewährt worden: die Beduinen Arabiens sind bis auf diesen Tag treue Nachbilder ihres großen Stammvaters. Ismael sah im Leben und im Tode die irdischen Hoffnungen, die er hegte, erfüllt; aber in das Verzeichnis derer, die den Tag Christi sahen und in Hoffnung der Herrlichkeit starben, ist sein Name nicht eingetragen. Isaak dagegen blickte weit voraus, bis auf den Tag Christi hin. Er wartete auf eine Stadt, die einen Grund hat, welcher Baumeister und Schöpfer Gott ist.
Ismael hatte wie „Leidenschaft“ in Bunyans Pilgerreise sein Bestes hienieden; aber Isaak erwartete wie „Geduld“ sein Bestes in der Zukunft. Seine Schätze waren nicht im Zelt und im Feld, sondern in dem, „das man noch nicht sieht.“ Er hatte die große Bundesverheißung empfangen, und darin fand er größere Reichtümer als alle Herden Nebajoths ihm verleihen konnten. Auf sein Auge hatte der Morgenstern der Verheißung geschienen, und er erwartete den vollen Mittag des Segens, wenn die bestimmte Zeit erfüllt sein würde. Die Verheißung wirkte so auf ihn ein, dass sie den Lauf seiner Gedanken und Erwartungen lenkte. Ist es so mit dir, mein Leser? Hast du die Verheißung des ewigen Lebens empfangen und dir zu eigen gemacht? Hoffst du deshalb auf das, das man noch nicht sieht? Hast du ein Auge für das, was niemand sehen kann, ausgenommen die, welche an die Treue Gottes glauben? Hast du das Fahrgeleise der gegenwärtigen sinnlichen Wahrnehmung verlassen und den Weg des Glaubens an das Unsichtbare und Ewige betreten?
Ohne Zweifel beeinflusste der Empfang der Verheißung und der Genuss ihrer Hoffnungen das Gemüt und das Temperament Isaaks, so dass er ruhigen Geistes war. Für ihn gab es keine Kriege und Kämpfe. Er entsagte dem Gegenwärtigen und wartete auf die Zukunft. Isaak fühlte, da er nach der Verheißung geboren sei, so sei es Gottes Sache, ihn zu segnen und die gegebene Verheißung zu erfüllen; deshalb blieb er bei Abraham und hielt sich ferne von der Außenwelt. Er hoffte ruhig und wartete geduldig auf den Segen Gottes. Sein Auge war auf die Zukunft gerichtet, auf das große, zukünftige Volk, das verheißene Land, und den noch herrlicheren, verheißenen Samen, in dem alle Völker der Erde gesegnet werden sollten. Das alles erwartete er von Gott allein, in dem weislichen Gedanken, dass Der, der die Verheißung gegeben, auch für ihre Erfüllung sorgen würde. Er war nicht weniger tätig um dieses Glaubens willen, aber er zeigte nichts von dem stolzen Selbstvertrauen, das in Ismael so in die Augen fallend war. Er war auf seine Art energisch, mit ruhiger Zuversicht auf Gott und stiller Ergebung in seinen höchsten Willen. Jahr auf Jahr setzte er das abgesonderte Leben fort und trotzte unbewaffnet den Gefahren, die ihm aus seiner heidnischen Nachbarschaft erwuchsen - Gefahren, denen Ismael mit seinem Schwert und seinem Bogen gegenüber trat. Er vertraute jener Stimme, die sprach: „Tastet meine Gesalbten nicht an und tut meinen Propheten kein Leid.“ Er war ein Mann des Friedens, und doch lebte er ebenso sicher wie sein kriegerischer Bruder. Sein Glaube an die Verheißung gab ihm Hoffnung der Sicherheit, ja, gab ihm die Sicherheit selbst, obgleich der Kanaaniter noch im Lande war.
So wirkt die Verheißung auf unser gegenwärtiges Leben ein, indem sie in uns eine Erhebung des Geistes erzeugt, ein Leben, das über die sichtbare Umgebung hinausgeht, eine gelassene und himmlische Gemütsstimmung. Isaak findet seinen Bogen und seinen Speer in seinem Gott, Jehovah ist sein Schild und sein sehr großer Lohn. Ohne einen Fuß breit Landes sein eigen nennen zu können, als Pilgrim und Fremdling in dem Lande wohnend, das Gott ihm durch die Verheißung gegeben, begnügte Isaak sich damit, von der Verheißung zu leben und sich reich zu schätzen in den zukünftigen Freuden. Sein merkwürdig stiller und gleichmütiger Sinn, während er das seltsame, nicht der Erde angehörende Leben eines großen Pilgervaters führte, entsprang aus seinem einfachen Glauben an die Verheißung des unveränderlichen Gottes. Eine von göttlicher Verheißung entflammte Hoffnung beeinflusst das ganze Leben eines Menschen in seinen innersten Gedanken, Wegen und Gefühlen sie mag von geringerer Wichtigkeit scheinen als der richtige sittliche Wandel, aber in Wahrheit ist. sie von wesentlichem Gewicht, nicht nur an sich selbst, sondern auch wegen der Wirkung, die sie auf Herz, Geist und Leben ausübt. Die geheime Hoffnung eines Menschen ist ein besserer Prüfstein seines Zustandes vor Gott, als die Handlungen irgend eines Tages oder selbst die öffentlichen Andachtsübungen eines Jahres. Isaak verfolgt seinen ruhigen, heiligen Weg, bis er alt und blind wird und entschläft sanft im Vertrauen auf seinen Gott, der sich ihm geoffenbart hatte und ihn berufen, sein Freund zu sein, und gesprochen: Sei ein Fremdling in diesem Lande, und ich will mit dir sein und dich segnen. Und durch deinen Samen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden.“
Wie die Hoffnungen eines Menschen sind, so ist er. Wenn seine Hoffnung auf der Verheißung Gottes ruht, so steht es und muss es gut mit ihm stehen.
Leser, was sind deine Hoffnungen? „Ei,“ sagt der eine, ich warte, bis ein Verwandter von mir stirbt, und dann werde ich reich. Ich hege große Erwartungen.“ Ein andrer hofft auf sein stetig sich ausdehnendes Geschäft; und ein dritter erwartet viel von einer glückverheißenden Spekulation. Hoffnungen, die in einer dahinsterbenden Welt sich verwirklichen können, sind ein bloßer Spott. Hoffnungen, die keine Aussicht über das Grab hinaus gewähren, sind trübe Fenster für die Seele zum Hindurchsehen. Glücklich ist der, welcher an die Verheißung glaubt und gewiss ist, dass sie ihm seiner Zeit erfüllt werden wird, und alles andre den Händen der unendlichen Weisheit und Liebe überlässt. Solche Hoffnung wird Prüfungen bestehen, Versuchungen überwinden und einen Himmel hienieden genießen.
Als Christus am Kreuze starb, begannen unsre Hoffnungen, als Er auferstand, wurden sie bestätigt, als Er gen Himmel fuhr, fingen sie an in Erfüllung zu gehen, wenn Er zum zweiten Mal kommt, werden sie verwirklicht werden. In dieser Welt sollen wir Pilgerkost und „einen Tisch in Gegenwart unsrer Feinde bereitet“ haben; und in jener Welt. sollen wir das Land besitzen, in dem Milch und Honig fließt, ein Land des Friedens und der Freude, wo die Sonne nicht mehr untergehen soll, noch der Mond den Schein verlieren. Bis dahin hoffen wir, und unsre Hoffnung hält sich an der Verheißung.