Lobstein, Johann Friedrich - Die Geheimnisse des Herzens - Vorrede des Verlegers
Johann Friedrich Lobstein wurde am 9. Januar 1808 in Straßburg geboren. Von den Jahren 1830 bis 1841 war er Professor am Kollegium in Mühlhausen. Gegen das Ende dieses Aufenthalts wurde er zur Erkenntnis des Herrn geführt. 1842 war er Gehilfe des Herrn Pfarrer Le Grand in Freiburg. Von 1843 bis 1848 war er Prediger an der reformirten Kirche in Odessa. Hier trat er in den Stand der heiligen Ehe. Im Jahr 1849 finden wir ihn als Evangelisten in Épinal (Frankreich). Im September 1852 wurde er als Professor an die theologische Schule in Genf berufen und im Mai 1853 nach Basel als Pfarrer an die französische Kirche, wo er als reichgesegneter Prediger eine innig teilnehmende Zuhörerschar um sich versammelte. Aber sein Heiland fand für gut, ihn mitten aus seiner Tätigkeit heraus und in die ewige Heimat zu nehmen. Es war am 26. Januar 1855, dass dieser treue Knecht zu seines Herrn Freude einging.
Am Montag den 29. Januar war eine schmerzlich bewegte Zuhörerschar in der französischen Kirche versammelt, um des geliebten Predigers und Seelsorgers Leichenrede zu vernehmen.
Vierzehn Tage sind es, so sagte sein Kollege, Herr Pfarrer Cramer, dass der Vollendete noch von Mund zu uns redete; acht Tage sind es, dass er nur noch in einigen, mühselig mit eigener Hand auf dem Krankenbette geschriebenen Zeilen Worte des Segens an seine Gemeine richtete.
„Liebe Herde,“ so schrieb er, „ich lege Euch Alle unter meine schwachen, aber segnenden Hände. Niemals bin ich Euch so nahe gewesen, als ich es heute bin. Ein Liebesband umschlingt uns für Zeit und Ewigkeit. Lieber Cramer, liebes Konsistorium, liebe Freunde in Basel, lasst uns in Jesu bleiben, es gibt keinen andern Felsen des Heils außer Ihm! Lasst uns einander die Hand geben für den Rest unserer Wallfahrt hienieden! Es ist heute mein ganzes Verlangen, mich eines Tages im Himmel mit Euch vereinigt zu sehen. Ich danke Euch für Eure Gebete, für Eure Güte, für Eure große Nachsicht; ich bleibe mit Euch vereinigt im Leben und im Tode, und was auch meine Krankheit für eine Wendung nehme, so wird sie zur Ehre Gottes dienen.“
Heute, fuhr Herr Cramer fort, redet der Vollendete zum letzten Mal zu uns durch die Worte der heiligen Schrift, welche er ausgewählt und uns gegeben hat, damit sie gegenwärtig vorgelesen werden: „Es müsse Friede sein inwendig in deinen Mauern und Glück in deinen Palästen!“ Das war sein letztes Lebewohl an eine Stadt, deren Gastfreundschaft er schätzte.
Es ist sein letztes Lebewohl an eine Geistlichkeit, deren Glauben und deren Licht ihn mehr als ein Mal reich gemacht und deren Liebe ihn mehr als ein Mal erwärmt hat, und von welcher er vor vier Tagen noch sagte: „Wie viel Gutes habe ich nicht aus den Predigerversammlungen bis zur letzten geschöpft! Die Gedanken, welche in denselben über die Gemeinschaft mit unserm Herrn und Heiland ausgesprochen wurden, erquicken und beleben mich noch in dieser Stunde!“ Es war das sein letztes Lebewohl an eine Kirche, welcher er mit ganzer Seele angehörte.
Während seiner kurzen Krankheit wurde der Vollendete zu einer großen Höhe des Glaubens und der Hoffnung, ja man möchte fast sagen der Anschauung erhoben. Es war um dieses Bett der Ehren und der Schmerzen etwas Bewunderungswürdiges. „Ich hätte nie geglaubt,“ sagte der Vollendete, „dass ein freudiges Todbette mir würde zu Teil werden. Ich durchlaufe alle Gebiete des Todes. Der Herr lässt mich um einige Stufen empor steigen, dann, wenn ich an diesen Zustand gewöhnt bin, noch einige weiter; der Horizont erweitert sich, ich steige empor zu einem Lande des Lichtes, einem himmlischen Italien. Ich verstehe nun die Stelle: „das Verwesliche muss anziehen das Unverwesliche;“ der Herr zieht mich heraus aus dem Vergänglichen, ich befinde mich schon fast gänzlich im Gebiete des Unvergänglichen. Das Gebet verwandelt sich in innige Hingebung, ich bin nicht einmal im Stande, alles das zu nehmen, was der Herr mir gibt; die Verbindung mit ihm ist unmittelbar und fortdauernd. Ich trete in die Luft ein, die den Herrn umgibt; ich fühle, dass der Herr die Engel für diejenigen bereit hält, welche das ewige Leben ererben werden, wie geschrieben steht.“
Vielen christlichen Todbetten habe ich beigewohnt: Hier war ich von Staunen ergriffen und sagte zu mir selber: wenn ich alle Erfahrungen an demselben erzählen wollte, so wäre es, als wenn ich von den Höhen unserer Alpen und von der Aussicht, welche man von denselben anstaunt, von der Luft, welche man daselbst atmet, zu einem Fremden spräche, der nie aus dem dicken und schweren Dunstkreis der Ebenen herausgekommen wäre.
Und dennoch stieg der Selige aus diesen himmlischen Höhen fortwährend zu seiner Herde hernieder und nannte die Seelen eine nach der andern, für jede von ihnen einen ihren Bedürfnissen und ihrer Stellung angemessenen Wunsch aussprechend.
Das, was ihm am schwersten war anzunehmen, und weswegen wir mit ihm kämpfen mussten, war das Verbot, seine Freunde zu ihm zu lassen. Lächelnd wiederholte er an einem fort: „Der Herr hat gesagt: Ich werde Keinen von denen hinaus stoßen, welche zu mir kommen; und mich armen Sünder nötigt man, diejenigen zurück zu weisen, denen ich noch etwas Gutes tun, oder von denen ich noch etwas empfangen kann. Liebe Freunde, ich wollte, ich könnte noch länger unter Euch leben; nirgends wäre ich so glücklich gewesen, als in Eurer Mitte.“ Aber der Herr hat anders entschieden; er hat seinen Knecht in die Wohnungen des Friedens genommen; er wandelt nicht mehr hienieden, aber sein Glaube redet noch zu uns.
Mögen auch die folgenden Reden des Vollendeten recht Vielen zum Segen gereichen, dass ihr Glaube seinem Glauben und ihre Liebe seiner Liebe ähnlich werde! Wie alle seine Schriften so atmet auch das gegenwärtige Büchlein einen Geist der Liebe und des Glaubens, wie wir ihn in wenigen Erbauungsbüchern antreffen. Was seine Schriften auszeichnet, ist eine unübertreffbare Klarheit der Darstellung, eine wohltuende Harmonie des Herzens und Geistes, ein inniges Verschmolzensein der Gefühle des Herzens mit der lebendigen, gesunden Erkenntnis der Heilswahrheiten. Jedes seiner Worte trägt den Stempel gereifter Erfahrung. Man fühlt ihnen ab, dass es nichts Gelerntes, sondern Erlebtes ist. Was wir ganz besonders an ihm bewundern, ist seine tiefe und richtige Schriftauffassung; er war ganz eigentlich einer von denen, die recht teilen das Wort der Wahrheit. In den folgenden fünfzehn Betrachtungen nimmt er eine eigentliche Zergliederung des menschlichen Herzens vor, geht dabei in die verschiedensten Lagen und Verhältnisse ein und gibt Ratschläge und Winke, die sich nicht etwa bloß aufs Allgemeine beziehen, sondern in einer Menge von kleineren Verlegenheiten mancher Seele ins Klare verhelfen können. Wir sind überzeugt, dass niemand - und dass wir hier nicht von der Welt, sondern von Kindern Gottes reden, braucht wohl kaum erwähnt zu werden - dass niemand dieses Büchlein aus der Hand legen wird, ohne reichen Segen empfangen zu haben.