Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan - Kades
Zweiunddreißigste Lagerstätte: Wüste Zin, das ist Kades.
(Fortsetzung der achtundvierzigsten Predigt.)
Text: 4. Buch Mosis 20,1.
Die Bedeutung der beiden Namen dieser Lagerstätte sollte das Erste sein, was wir erwägen. Was Zin heißt wissen wir. Was heißt denn Kades? Kades bedeutet Heiligkeit. Das Wort Wüste kann auch durch Schule übersetzt werden. Wollen wir das tun, so heißt es: sie lagerten sich in der Schule der Heiligkeit. Aber dieser Lagerplatz hat auch den Namen Barnea und das verdirbt alles, denn Kades Barnea heißt auf Deutsch Heiligkeit des unsteten Sohnes. Schellen haben ihren Namen davon, weil sich der Klöpfel in denselben hin und her bewegt. Was für einen Wert hat aber eine unstete Gottseligkeit? Gar keinen. Wer heilig ist, sei immerhin heilig, und wer fromm ist, sei immerhin fromm. Es muss etwas Ganzes und Beständiges sein. So auch in der Selbst- und Sündenerkenntnis, darum wird hinzugesetzt: wer böse ist, der sei immerhin böse, und wer unheilig ist, der sei immerhin unheilig, er erkenne seine Unheiligkeit nicht bloß in einigen, sondern in allen Stücken an, damit er so ganz von sich aus- und zu Christo übergehe.
Das wichtige Wort Kades Heiligkeit, könnte uns zu einer langen und wichtigen Betrachtung veranlassen, über ihr Wesen, ihre Notwendigkeit, ihre Teile, ihre Regel, ihre Hilfsmittel, und den Weg dazu mit Sicherheit zu gelangen. Unter dem A. T. war, wie uns der Apostel Ebr. 9,8. belehrt, der Weg zur Heiligung noch nicht offenbart, und ihr jetziges Lager kann nur insofern eine Schule derselben genannt werden, als sie das Gegenteil hervorruft. Sie zeigt uns durch die Tat, dass in uns selbst keine Heiligkeit sei, auch nicht aus uns hervorgehe, sondern uns anders woher eingeflößt und mitgeteilt werden müsse, zeigt uns, dass das Gesetz auch in seiner größten Strenge, uns nicht heilig zu machen vermöge, woraus vielmehr nur Erkenntnis der Sünde kommt, welche dadurch lebendig wird, dass es nur allerlei Lust erregt und die Kraft der Sünde ist. Soll derhalben aus der Gottseligkeit etwas rechtes werden, so müssen wir nach Röm. 7. dem Gesetz getötet, und bei einem andern Manne, nämlich Christo sein. Er ist der Weg, und wer auf demselben wandelt, wird auf eine angenehme nicht aber beschwerliche Weise zur wahren Gottseligkeit gelangen, und darin von Kraft zu Kraft bis gen Zion fortschreiten. Diese Wüste prangte zwar mit dem glänzenden Namen der Heiligkeit, aber sie mitteilen konnte sie nicht, das war einem Andern, das war Christo vorbehalten, welcher uns zur Heiligung gemacht ist, und uns nach Ebr. 2,11. heiligt. Hiermit ist denn zugleich die Hauptsache gesagt. Wir müssen wissen, dass zum glücklichen Beharren und Fortschreiten in der Gottseligkeit nicht bloß Fleiß und Tätigkeit, sondern auch Tüchtigkeit erforderlich sei, wonach wir uns vorab umsehen und sie gewinnen müssen, sonst kann eine Tätigkeit der Bewegung eines Perpendikels1) gleichen, der sie Tag und Nacht fortsetzt, ohne weiter zu kommen. Soll ein Lahmer gehen, so muss ihm das Vermögen dazu mitgeteilt werden. Im Geistlichen geschieht das durch den Glauben an Jesum Christum, welcher es allein ist, der uns tüchtig macht. - Ich möchte den Liebhabern einer wahren und heitern Gottseligkeit, ein vortreffliches Buch sehr empfehlen, welches aus dem Englischen übersetzt, kürzlich aufs neue herausgegeben ist, und den Titel führt: Das evangelische Geheimnis der Heiligung in verschiedenen praktischen Anleitungen. Zwar erfordert es bedächtige und solche Leser, die schon geübte Sinne im Worte der Wahrheit empfangen haben, solchen aber kann dies Eine Büchlein statt vieler dienen, mögen sie sich auch genötigt sehen, es mehr als ein- oder zweimal zu lesen, welches sie auch gern tun werden. Freilich bedürfen wir anderer Anleitung als solcher, welche in Schriftzügen verfasset sind. Ein rechtgearteter Sinn bleibt aber auch weder bei Predigten noch Büchern noch auch bei der Heiligen Schrift selbst stehen, sondern wendet sich an den, von welchem sie zeugen und findet so in Einem das Ganze.
Lasst uns aber doch wenigstens einige allgemeine Anmerkungen von der Heiligung machen. Wenn wir von der Heiligung reden, so meinen wir damit die Gottseligkeit in ihrem ganzen Umfange, welche sich in der Ausübung der göttlichen Gebote erweist, also hauptsächlich in der Liebe Gottes und des Nächsten. Diese Heiligung oder Gottseligkeit ist zur Gemeinschaft mit Gott, und also zur ewigen Seligkeit nicht weniger notwendig, als die Rechtfertigung oder Vergebung der Sünden, wenn gleich der höchste Staffel in der Gottseligkeit, nie und auf keinerlei Weise weder ganz noch zum kleinsten Teile, der Grund der Hoffnung zu Gott und seiner Huld sein oder werden kann. Dieser Grund ist Christus allein und ganz. Einen andern kann niemand legen. Und wer den Versuch machte, würde nur seine eigene Seele verlegen. Zwar machen die Güter des Gnadenbundes nur Eine siebenfache goldene Kette aus, woran kein einziges Glied wegbleiben kann, wenn sie vollständig sein soll, wie sie soll; dennoch hat das eine dieser Güter eine höhere Vortrefflichkeit wie das andere. So ist offenbar die kräftige Berufung zwar in ihrer Beziehung das Wichtigste unter allen, weil sie der Anfang ist. Aber eben deswegen, weil sie nur der Anfang und nichts mehr ist, vergleichungsweise das geringste, und der mehrenteils unmerkliche Übergangspunkt aus der Natur in die Gnade, daher beiden verwandt, indem einiges bei derselben, nur Vorbereitung zu dem eigentlichen Anfang des Gnadenwerks sind, wie Lampe sich ausdrückt. Die Verherrlichung ist das letzte und das Schlussglied der goldnen Diamant Kette, das alle andern an Herrlichkeit überstrahlet, oder sie in sich fasst. Die Heiligung ist nun auch eins von den allervortrefflichsten Gütern des Gnadenbundes, wie unter den dreißig Helden Davids, drei waren, denen die übrigen sieben und zwanzig nicht beikamen, wie herrlich sie auch waren 1. Chron. 12. Vorzugsweise vortrefflich ist sie, weil sie vier so herrliche Güter und Werke voraussetzt, wodurch sie ihr Erscheinen anbahnet, wie der goldene, reiche Herbst den Frühling und Sommer vor sich hersendet. Eins dieser anbahnenden Werke haben wir jetzt genannt. Das zweite was sie voraussetzt, ist das große Werk der Wiedergeburt, das dritte nicht weniger große ist der Glaube, das Vierte als ihr eigentlicher Stamm und Wurzel ist die Rechtfertigung. Sodann tritt diese Königin, die Heiligung hervor und wie schön ist ihr Gang in diesen Schuhen, und also an Beinen gestiefelt, tut sie gewisse Tritte mit ihren Füßen. Ja, um also wandeln zu können, ist zugleich erforderlich, dass die Seelen der wirklichen durch Christum erlangten Vergebung aller ihrer Sünden, auch der sündlichen Art womit sie ihr Leben lang wird zu streiten behalten; dass sie ihrer wirklichen Rechtfertigung und Begnadigung fröhlich versichert; dass sie los sei von dem bösen, anklagenden Gewissen, welches durch das Blut Christi von den toten Werken gereinigt ist; dass sie kein Gewissen mehr hat von der Sünde, weil sie einmal gereinigt ist; dass sie mit Freudigkeit zum Gnadenthron hinzuzutreten verstehe; dass sie erstarkt sei im Glauben. Dass zu diesem allen ein reichliches Maß des Heiligen Geistes erforderlich sei, spricht so sehr von selbst, dass es kaum nötig ist, dies noch besonders bemerklich zu machen.
Offenbar ist also die Heiligung eins der allervortrefflichsten Gnadengüter, das, vergleichungsweise die meisten andern übertrifft. Sie ist vortrefflicher als die Wiedergeburt, denn durch sie gewinnt Christus eine Gestalt in der Seele, vortrefflicher als der Glaube, denn eben durch denselben wird das Herz gereinigt. Wir werden geheiligt durch den Glauben an ihn. Sie ist in manchem Betracht köstlicher als die Rechtfertigung, so wie diese in andern Stücken vortrefflicher ist wie die Heiligung. Vortrefflicher als die Heiligung ist die Rechtfertigung hier auf Erden, denn sie ist hienieden schon vollkommen, da jene mangelhaft bleibt; sie gibt dem Gewissen einen völligen Frieden gegen Gott, den Heiligung aus der genannten Ursache der Unvollkommenheit nie gewähren kann noch soll; sie verleiht rechtliche Ansprüche an die reichen Güter des Hauses Gottes. Wer dürfte die aber auf seine Heiligung gründen, ohne sie augenblicklich einzubüßen? Die Rechtfertigung weiset alle Beschuldigungen und Anklagen zurück, wie könnte eine Gottseligkeit die Stelle dieses Schildes vertreten? welche bei Leibes Leben bekennen muss: wir fehlen mannigfaltig. Sie naht sich freimütig zu Gott, die die Heiligung aber ruft: gehe nicht ins Gericht. Wiederum aber ist die Heiligung vortrefflicher als die Rechtfertigung, denn indem diese das Recht gibt, führt jene zum Genuss. Die Rechtfertigung befiehlt die Gefangenen und Gebundenen loszulassen, die Heiligung öffnet den Kerker, löset die Banden, und führt in weiten Raum. In der Rechtfertigung wird dem Sünder die Kindschaft gerichtlich zuerkannt, durch die Heiligung wird er wirklich mit dem Bilde Gottes geziert. Jene ist der Rechtsspruch, diese die Ausführung. Jene legt den Grund und entwirft den Plan, diese führt ihn aus und errichtet den Tempel, in welchem Gott wohnt und wandelt.
Doch warum sollten wir diese Nebeneinanderstellung verlängern. Beide sind unzertrennlich verknüpft. Nur wer gerechtfertigt ist, wird geheiligt und wird es gewiss. Wer das Eine begehrt, sucht auch das Andere; Beide Edelsteine befinden sich in einem Ringe, welcher dem verlorenen aber wiedergefundenen Sohn an den Finger gesteckt wird. Beider Quelle ist der eine Christus. Wie Christus der Weg ist zur Vergebung der Sünde, so ist er auch der Weg zur Reinigung von derselben, zur Erneuerung des Herzens, zur Bequemmachung und Ausübung des neuen Gehorsams. Das ist wohl zu merken, damit man nicht aufs ungewisse laufe, und Streiche in die Luft tue, die wohl ermüden aber dem Feinde nicht schaden. Wollt ihr viel Frucht bringen, so bleibt in ihm, denn ohne ihn könnt ihr nichts tun. Es ist nicht ein anderer Weg wodurch ich gerecht, und wiederum ein anderer Weg wodurch ich heilig zu werden suche, sondern es ist Ein Weg, nämlich Christus wodurch ich beide Zwecke erreiche.
Wir sollen uns eifrig angelegen sein lassen, immerdar zuzunehmen in dem Werke des Herrn, immer mehr und völliger abzulegen die Sünde, die uns immerdar anklebt und träge macht, auszuziehen den alten Menschen, der durch Lüste in Irrtum sich verdirbt, und uns erneuern in dem Geist, und anziehen den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist, in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit. Nicht zufrieden nur einen Anfang im Guten gemacht zu haben, oder gar dafür zu halten, als seien wir schon vollkommen und hätten es schon ergriffen, sollen wir ihm unausgesetzt nachjagen, ob wirs ergreifen mögen, nachdem wir von Jesu Christo ergriffen sind. Israel ist gewisslich in Kades gelagert. Wer aber Sünde tut, ist vom Teufel. Wer Jesum nicht eben so begierig zur Weisheit und Heiligung als zur Gerechtigkeit und Erlösung annimmt, ist darauf aus, den Unteilbaren zu teilen und bekommt ihn gar nicht. Wo Christi Blut wirklich hinkommt, da reinigt es, und wo es diese Wirkung nicht hat, da ist es auch nicht. Faget derhalben nach der Heiligung, ohne welche wird niemand den Herrn sehen, ja lasst uns fortfahren mit der Heiligung in der Furcht Gottes und uns reinigen von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes.
Wie notwendig, bei einem wahren Christentum unausbleiblich und selig dieses auch unleugbar ist: so müssen wir doch wissen, dass wir die Heiligung nicht anders, als in der nämlichen Weise wie die Rechtfertigung erlangen, und darin fortschreiten können, d. i. nur vermittelst des Glaubens, nicht aber durchs Gesetzeswerk, diejenigen, welche damit umgehen, richten so wenig etwas aus, welche Mühe sie sich vielleicht auch geben, dass sie vielmehr unter dem Fluche bleiben.
Übrigens ist das Geheimnis der Gottseligkeit groß. Es können Reden sehr vernünftig sein, und doch betrügen, nach Kol. 2. die Philosophie, setzt der Apostel hinzu, beraubet nur, weil sie den Weltsatzungen und Menschenlehren gemäß, aber nicht nach Christo ist. Ist es schwer, die Lehre von der Rechtfertigung zu erläutern, die Lehre von der Heiligung ist es noch mehr. Lasst euch das also Gott offenbaren, wie Paulus Phil. 3, 15. sagt.
Nachdem wir nun die Bedeutung der beiden Namen dieser Lagerstätte Zin und Kades erläutert haben, gehen wir zur Betrachtung der Begebenheiten über, welche sich daselbst zutrugen, und welche uns 4. Buch Mose 20 von Vers 1 bis 22. genannt werden.
Die erste Begebenheit die sich hier zutrug, war der Tod der Schwester Mosis, der Mirjam oder Maria. Sie muss sehr alt geworden sein, denn als Moses geboren wurde, war sie schon erwachsen, und wurde Jungfrau genannt. Sie war es, welche sich bei der ägyptischen Prinzessin, welche ihr Brüderchen so eben aus dem Wasser hatte ziehen lassen, das nun weinend zu ihren Füßen lag und mit seinen stummen und doch so beredten Tränen um ihr Erbarmen flehte - sie war es, welche sich bei dieser Königstochter erbot, dem vierteljährigen Kindlein eine hebräische Amme zu suchen, den Befehl dazu bekam und seine eigene Mutter herbrachte, die ihn aufzog. Zur Zeit ihres Todes war dieser ihr jüngster Bruder 119 Jahre alt. Es mag also leicht, dass sie ein Alter von 135 erreicht hat. Zu Hazerot, der 13. Lagerstätte, versah sie, nebst ihrem Bruder Aaron es sehr, wider ihren Bruder Moses, über welchen daselbst alles herfiel, sogar auch diese seine eigenen Geschwister. Sie ward dafür mit dem Aussatz gestraft, auf die Fürbitte Aarons und Mosis bald wieder geheilt, jedoch noch 7 Tage lang außer dem Lager verschlossen, und so vor dem ganzen Volke gedemütigt. Diese Demütigung wird ihr sehr heilsam gewesen sein.
Merkwürdig ist es, wenn Moses im 5. Buch 24,8. gebeut: hüte dich vor der Plage des Aussatzes! Gedenke was der Herr dein Gott mit Mirjam tat auf dem Wege, da ihr aus Ägypten zogt. Beim Propheten Micha wird ihrer 700 Jahre nachher, noch sehr ehrenvoll gedacht, wenn es daselbst Kap. 6,3. heißt: was hab' ich dir getan, mein Volk, und womit habe ich dich beleidigt, das sage mir? Habe ich dich doch aus Ägyptenland geführt und aus dem Diensthause erlöst, und vor dir hergesandt Mosen, Aaron und Mirjam. - Sie muss dem Volk Israel viele und wichtige Dienste geleistet haben welche? das ist, wie ihr Name, im Buche Gottes verzeichnet.
Sie war eine gottselige Person, und das ist das Vortrefflichste und Glückseligste was von jemand gesagt, und die höchste Ehre, welche ihm zu Teil werden kann. Wäre ihr Name hier auf Erden auch nicht bekannt, wie ja der Name der wenigsten Gottseligen hienieden bekannt ist: so ist ers im Himmel desto genauer, und das ist ja wiederum mehr, als wenn man hier wie Pharao auch tat mit den Titeln einer Majestät oder Durchlaucht figuriert, die dort gar nicht berücksichtigt werden. Sie wurde sehr alt, und musste endlich doch sterben. Sterben werden wir auch, ohne ihre Jahre zu erreichen. Lasst uns nur zusehen, dass wir so sterben, wie sie, dann werden wir gar nicht sterben. Zu einem gleichen Alter, wie sie zu gelangen, ist kein Weg vorhanden, wohl aber zu gleicher Gottseligkeit. Lasst uns den bewandeln. Sie musste 39 Jahre lang durch die Wüste wandern, und an allen Beschwerlichkeiten Teil nehmen. Jetzt gelangte sie in das rechte Kanaan, das droben ist, wo sie nun schon seit mehr als drei tausend Jahren in höchstem Vergnügen wallet. Wähle denn ein jeglicher das beste Teil, das nicht von ihm soll genommen werden.
Es ist wahr, in ihrem Leben kommt ein Flecken vor, indem sie sich von Ehrgeiz leiten lässt, sich Ungebührliches gegen Moses anzumaßen. Sie will mehr sein am Kirchenhimmel als bei Tage der Mond neben der Sonne, und wird über diesem Beginnen ein Nichts, ja ein totes Aas, wie Aaron von ihr schreit. Wohlan, hüte dich vor der Plage des Aussatzes. Wohlan, setze dich auf den Richterstuhl. Vergleiche deine Flecken mit dem dieser Prophetin. Schließe aus der scharfen Zucht, welche über sie hereinbricht, auf die Geißel, welche deinem Rücken gebührt. Wurde dieser teuren Person ins Angesicht gespien, für einen Missgriff, welcher überhaupt nicht einmal dafür gehalten wird von den blödsichtigen Menschen, welcher Behandlung magst du wert sein? Sie wurde gezüchtigt, weil sie Gott zum Vater, und er sie lieb hatte. Hat er dich auch lieb? ist er auch dein Vater? achtet er dich wohl einer nützlichen Züchtigung wert? oder spart er dich zum Tage des Gerichts zu einer verderblichen Strafe? Ihr wurde alles vergeben. Kannst du auch Gott als einen solchen rühmen, der dir alle deine Sünden vergibt? Endlich, wirst du in der Hitze der Versuchung derselbe sein als außer dem Kampfe? Bei der Veranlassung und Gelegenheit, derselbe sein, wie da, wo sie fehlt? Welche Sünden sind es, wofür die Güte deiner Natur dich jedenfalls sichert, auch wenn Gott dich allein stehen ließe? Sei nicht stolz, sondern fürchte dich. Wer unter euch meint zu stehen, der sehe wohl zu, dass er nicht falle. Wer aber merkt, dass er noch immerdar zu allem Bösen geneigt sei, der werde zwar demütig aber nicht verzagt, sondern ergreife Jesum Christum desto inbrünstiger und halte ihn.
Die ehrwürdige hochbejahrte Mirjam lag denn nun da, und schlief sanft und fest, und schläft dem Leibe nach noch in Kades. Sie wird noch eine gute Weile schlafen, bis der große Wecker kommt, dessen Stimme alles aus dem Schlafe weckt, die da Gutes getan haben, und das hatte sie - zur Auferstehung des Lebens, die aber Übels getan haben zur Auferstehung des Gerichts. Davor ist sie gesichert. - Sie ist gestorben. Man begräbt sie in Kades. Ich lese nicht, dass man um sie weint. Es war auch nicht nötig. Sie hat einen herrlichen Tausch getan. Ihre Wallfahrt war besonders mühselig und langwierig, das Ende derselben selbst der Natur willkommen. Mochte sie denn aber auch dornig gewesen sein: so war sie nun glücklich beendet, wie es denn im Äußeren gegangen. Hat sie einen Namen, der auf Widerspenstigkeit deutet: so hatte sie die Wirklichkeit mit Schmerz und Betrübnis an sich wahrgenommen, und manche schwere Zucht darüber hinnehmen müssen. Der Tod traf hauptsächlich dies Widerspenstige, dem sie ihn schon längst herzlich gegönnt hatte. Welch' eine Erleichterung für den nun ganz losgebundenen, frei gewordenen Geist, dem kein Hindernis des Guten mehr im Wege stand. Wie musste dieser alten Prophetin zu Mute sein, als sie aus der öden Wüste, wo es heult, in die himmlische Gefilde anlangte, wo es jauchzt, aus einer Menge halsstarriger, unartiger Menschen, die immer auf neue Übeltaten brüteten, und neue Strafgerichte gebaren, in die liebliche Gesellschaft lauter heiliger Engel und Menschen sich versetzt sah, da sie selbst vom Leibe dieses Todes erlöst, samt ihnen Gott vollkommen dienen, lieben und verherrlichen konnte. Welche Freude würde es ihr gewähren, ihre heiligen Stammväter Abraham, Isaak und Israel zu sehen, von denen sie schon so viel gehört hatte, und in ihnen ihre geliebten und zärtlichen Freunde zu erblicken, so wie ihre Mutter und die gottseligen Weiber alle, die sie hienieden gekannt und nicht gekannt hatte. Welch' ein entzückendes Licht strahlte ihr nun entgegen, als die geheimnisvolle verhüllende Decke von dem Angesicht Mosis weggenommen wurde, und sie nun durch den offenen Vorhang schaute. Geriet sie vorab in eine so jubelnde Freude, als sie glücklich mit der ganzen Gemeine an dem diesseitigen Ufer des roten Meeres stand, dass sie eine Pauke in ihre Hand nahm und alle Weiber ihr nachfolgten mit Pauken in der Hand zum Reigen, und Mirjam sang ihnen vor: Lasst uns dem Herrn singen, denn Er hat eine herrliche Tat getan was würde es denn jetzt sein! Wie wurde sie sich selbst, wie wurden andere sie beglückwünschen, dass sie nun auf ewig jeglichem Pharao und jeglichem roten Meere und jeglicher Wüste entronnen war, und sich selbst oben drein.
Was wird das sein! wie werden wir
Von ew'ger Gnade sagen!
Wie uns dein Wunder führen hier
Gesucht, erlöst, getragen;
Da jeder seine Harfe bringt
Und sein besondres Loblied singt.
Ihr Leib wurde in Kades in Heiligkeit begraben, und durch Tod und Verwesung geläutert und von allem gesäubert was für die Wohnung des Lichtes nicht geeignet ist, und ihn zu einem unbequemen Werkzeug zur Verherrlichung Gottes macht, bis er am jüngsten Tage als ein herrlicher, verklärter, dem Leibe Christi gleichförmiger, heiliger Leib wieder aufersteht. Besonders aber sank ihre Seele ganz in Kades in Heiligkeit hinein, sie ward ganz Sünden leer und Gottes voll.
Und so gut kann, soll und wird's auch uns werden, wenn wir auf dem heiligen Wege wandeln, auf welchem kein Löwe noch ein anderes reißendes Tier tritt, worauf kein Unreiner wandelt, und kein Tor irrt. Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen und nicht tritt auf den Weg der Sünder, sondern hat Lust zu dem Gebote des Herrn, und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht, der wird sein wie ein Baum am Wasser gepflanzt, welcher seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht, und was er macht, das gerät wohl. Amen.