Kohlbrügge, Hermann Friedrich - Neun Predigten - Ueber Psalm 19.

Kohlbrügge, Hermann Friedrich - Neun Predigten - Ueber Psalm 19.

„Ein Psalm Davids, vorzusingen. Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündiget seiner Hände Werl. Ein Tag sagt es dem andern, und eine Nacht thut es kund der andern. Es ist keine Sprache noch Rede, da man nicht ihre Stimme höre. Ihre Schnur gehet aus in alle Lande, und ihre Rede an der Welt Ende; er. Hat der Sonne eine Hütte in denselben gemacht; und dieselbe gehet heraus, wie ein Bräutigam aus seiner Kammer, und freuet sich wie ein Held, zu laufen den Weg. Sie gehet auf an einem Ende des Himmels und läuft um bis wieder an dasselbe Ende, und bleibt Nichts vor ihrer Hitze verborgen. Das Gesetz des Herrn ist ohne Wandel und erquicket die Seele. Das Zeugniß des Herrn ist gewiß, und macht die Albernen weise. Die Befehle des Herrn sind richtig, und erfreuen das Herz. Die Gebote des Herrn sind lauter, und erleuchten die Augen. Die Furcht des Herrn ist rein, und bleibet ewiglich. Die Rechte des Herrn sind wahrhaftig, allesammt gerecht. Sie sind köstlicher denn Gold und viel seines Gold; sie sind süßer denn Honig und Honigseim. Auch wird Dein Knecht durch sie erinnert, und wer sie hält, der hat großen Lohn. Wer kann merken, wie oft er fehlet? Verzeihe mir die verborgenen Fehler. Bewahre auch Deinen Knecht vor den Stolzen, daß sie nicht über mich herrschen , so werde ich ohne Wandel sein, und unschuldig bleiben großer Missethat. Laß Dir Wohlgefallen die Rede meines Mundes und das Gespräch meines Herzens von Dir, Herr, mein Hort und mein Erlöser.“
Psalm 19.

Meine Geliebten!

Der 19. Psalm wird gewöhnlich so aufgefaßt, daß er in der ersten Hälfte die Kenntniß Gottes aus der Natur, aus der Schöpfung enthalte, und in der andern Hälfte die Kenntniß Gottes aus dem geschriebenen Wort. Ich habe wohl mal in Haushaltungen gesehen, daß, wo man die Bibel liest und an die Psalmen kommt, man auch die Ueberschriften über den Psalmen mitliest, die eigentlich nicht zu Gottes Wort gehören, die Ueberschriften, wie z. B. über Psalm 20: „Gebet der Unterthanen für ihre Obrigkeit.“ Solche Ueberschriften sind aber nicht allemal richtig. Man kann da wohl so Etwas aus den Psalmen herausnehmen, es liegt aber nicht allemal darin. Es erscheinen seit Langem allerlei Bibelausgaben. Wenn Jemand von euch nun für einen Freund oder für seine Kinder eine Bibel kaufen will, so wollet ihr doch ja nachsehen, ob diese Ueberschriften mit denen in unsern gewöhnlichen Bibeln übereinstimmen, z. B. mit denen aus dem Lager der Bergischen Bibelgesellschaft, auf daß ihr nicht auf eine falsche Fährte gebracht werdet. Die Ueberschriften, die wir so in unsern Bibeln haben, führen doch durchweg auf Christum, aber in manchen neuern Bibeln führen sie meist von Christo ab.

Die Ueberschrift über diesem 19. Psalme nun heißt: „Lehre von Christo, seinem Wort und rechter Buße.“ Ihr könnt diese Ueberschrift so annehmen; aber die Alten, wenn sie in diesem Psalme gelesen haben vom Himmel, von der Feste, von der Sonne, wie sie aufgeht und ihren Lauf macht, wie ein Bräutigam, haben sofort gedacht an Christum, die Sonne der Gerechtigkeit, das ist, sie haben dafür gehalten, daß David nicht von der natürlichen Sonne spreche, sondern daß er in einem Bilde spreche von Christo. Der 19. Psalm wird angeführt Röm. 10, 18. Lesen wir von Vers 14 an: „Wie sollen sie aber anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? Wie sollen sie aber predigen, wo sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht: Wie lieblich sind die Füße derer, die den Frieden verkündigen, die das Gute verkündigen! Aber sie sind nicht alle dem Evangelio gehorsam. Denn Jesajas spricht: Herr, wer glaubt unserm Predigen? So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Gottes. Ich sage aber: haben sie es nicht gehört?“ Darauf antwortet nun der Apostel: „Zwar es ist ja in alle Lande ausgegangen ihr Schall, und in alle Welt ihre Worte.“ Er nimmt diese Worte aus dem 4. und 5. Verse unseres Psalms! „Es ist keine Sprache noch Rede, da man nicht ihre Stimme höre. Ihre Schnur gehet aus in alle Lande, und ihre Rede an der Welt Ende.“ Da haben nun Viele den Zusammenhang zwischen den Worten Davids und ihrer Anführung durch den Apostel nicht finden können. David redet von der Natur, daß der Schall der Werke Gottes allerwärts ausgegangen sei, das liegt auf der Hand; und Paulus redet von dem Evangelium. Da sagen denn Viele, der Apostel Paulus habe diese Worte eben nur so angeführt, sie stehen aber nicht in diesem Sinne im 19. Psalm. Dem ist aber nicht so. Vielmehr: Da David diesen Psalm machte, war er nicht ohne Wort, und ihr, die ihr diesen Psalm leset und höret, seid auch nicht ohne Wort. Da ihr nicht ohne Wort seid, wie David nicht ohne Wort war, könnet ihr den Himmel, die Feste des Himmels, die Sonne nicht ansehen, oder der Himmel, die Feste des Himmels, die Sonne in ihrem herrlichen Lauf predigen auch, indem ihr das Wort habt, dasselbe was dieses Wort euch predigt, nicht als ein doppeltes Wort, eins von der Natur, und eins von der Gnade, sondern Ein Wort aus der Natur, aus dem, was man daselbst sieht, und aus der Gnade, die man dabei an seinem Herzen erfährt. Daß man diesen Psalm in seinem Zusammenhang nie recht hat verstehen können, liegt daran, daß man unaufmerksam ist auf Gottes Schöpfung. Der Mensch ist entweder beschäftigt mit den Sorgen für den Bauch, Essen und Trinken oder Kleidung, oder er ist beschäftigt mit innern Ueberlegungen, Sorgen, Anfechtungen, läßt den Kopf hängen und sieht nicht, was er sieht, und hört nicht, was er hört, und vernimmt Nichts von all den großen Werken Gottes. Daß Gott Himmel und Erde geschaffen, das ist eine That gewesen seiner Liebe, eine freie That seiner Barmherzigkeit; denn er braucht der Kreatur nicht. Himmel und Erde, Sonne, Mond und Sterne, alles was lebt und sich bewegt von den stummen Geschöpfen, das hat Gott für den Menschen geschaffen. Aber der Mensch verließ seine Herrlichkeit, verließ seinen Gott, und gerieth durch muthwilligen Ungehorsam und Verführung des Teufels in die Macht des Todes, der Sünde, der Eitelkeit. Gott der Herr aber hebt seine. Schöpfung darum nicht auf; und obwohl die Erde einestheils verflucht ward durch die Sünde, so ist anderntheils diese Erde alsbald auch wieder gesegnet worden durch das Blut des Weibessamens, Christi. Gott also hob die Kreatur, hob die Schöpfung für den Menschen nicht auf. Da er aber den Menschen ansah und Himmel und Erde, da sah er an den ersten Menschen, den höchsten Menschen, den Menschen, der da ist für die Menschen, Jesum Christum, und da er diesen Christum ansah, so gab er das Wort, die Lehre von Christo, als dem einzigen Menschen in Gnaden, die Lehre von der Gnade, die Lehre von der wahren Bußfertigkeit, welche empfunden wird von einem Jeglichen, der auf Gnade lebt und stirbt. Seht, meine Geliebten! der Mensch macht es gewöhnlich so: er sieht den Himmel an, die Feste mit den Sternen, die Sonne, den Mond, und denkt nicht dabei an Christum, an die unaussprechliche Gnade und Treue Gottes, daß er der Sünde wegen die Schöpfung nicht zerstört hat, sondern daß die Schöpfung Tag für Tag die Wunder Gottes predigt. Da muß man aber nun mal erst zu einem armen Sünder werden, und das Leid dieses Lebens, den Schmerz, den Kampf dieses Lebens erfahren, um dann zu preisen die Güte Gottes, was er für uns thut.

Das Wort des Herrn, das Wort von Gnade, von Christo, ist von Anfang an unter die Völker verbreitet worden. Adam und die erste Welt hatte, um so zu sagen, eine kleine Bibel, man brauchte der Worte nicht so viele wie jetzt, wo man harthörig geworden ist, sondern es gab einzelne Worte, und diese einzelnen Worte schlugen ein. Wenn die Kinder der Patriarchen sprachen von der Herrlichkeit des Himmels, von dem wunderbaren Gebäude dieser Feste des Himmels, von der Pracht der Sonne in ihrem Aufgehen und Untergehen, da konnten die Patriarchen nicht schweigen von dem tiefen Falle Adams, von der Gnade, der Verheißung, der Treue, Güte und Langmuth Gottes, und da malten sie dann so zu sagen diese Herrlichkeit der Gnade ab am Himmel. Ich habe mal einen Wüstling gekannt, der hatte ganze Nächte durchgebracht in lauter Gottlosigkeit der Hurerei. Starke Ermahnungen hatte er zwar oft bekommen von Vater und Mutter, und manchmal hatte es an seinem Gewissen und Herzen angeklopft, er hörte aber nicht darauf. Eines Morgens verläßt er ganz frühe das schlechte Haus, sieht die Sonne aufgehen in all ihrer Pracht, und „Großer Gott,“ rief er aus, „Du lassest mich noch an die Sonne kommen und diese Pracht schauen, wo ich doch Werth bin, daß ich in die äußerste Finsternis; geworfen werde! Gott, sei mir gnädig um Jesu willen, und laß die Sonne der Gerechtigkeit über mich aufgehen!“ Diese Worte des Evangeliums wurden von den Patriarchen in Einfalt und Kürze ihren Kindern übergeben, von diesen wieder ihren Kindern, und so kam die Kenntniß Gottes und seiner Gnade, welche man mit Händen tasten konnte in der Schöpfung, zu den Völkern, so weit die Welt ist. So ist also das Wort des Evangeliums, die Predigt von Gnade, zu gleicher Zeit mit der Predigt: „Die Götter, welche den Himmel und die Erde nicht gemacht haben, sind nicht Götter,“ zu gleicher Zeit mit der Predigt: „Der Herr hat Himmel und Erde gemacht, das Meer und Alles was darin ist“, zu allen Völkern gekommen. In ihrem Unverstand und weil sie die Wahrheit nicht wollten, sondern sie unterdrückten, vergaßen sie diese Predigt und machten sich nach den Gedanken ihrer Herzen allerlei Götter, beteten die Gestirne des Himmels, Sonne und Mond an, statt darin zu sehen ich sage nicht die Macht, sondern ich sage die Gnade Gottes, die Langmuth, die Geduld, das Erbarmen Gottes.

Also redet der Psalm von dem wirklichen Himmel, welchen wir über unsern Häuptern haben, von der wirklichen Feste, die wir am Himmel ausgebreitet sehen mit all den Sternen, von der wirklichen Sonne, wie sie auf- und untergeht über dem ganzen Erdkreis, so daß alle Völker sie sehen können. Aber der Psalmist hat zu gleicher Zeit Gottes Wort im Herzen, er redet von dem Allem nicht ohne Wort, nicht so als bestehe das Alles ohne Wort, sondern dieser Himmel, die Feste mit dem Heer der Sterne, die Sonne, wie sie auf- und untergeht in ihrer Pracht, predigen durch den Heiligen Geist das Wort von Gnade, von Erbarmen, von Güte, daß Gott sich eines Armen, Verdammungswürdigen also erbarmt, daß er nicht allein gibt das geschriebene Wort, sondern daß er das Wort gibt allenthalben, daß er in alle seine Geschöpfe das Wort hineinlegt. Wenn also der Psalm anhebt, Gottes Wort zu loben, wie z. B. Vers 8: „Das Gesetz des Herrn ist ohne Wandel und erquicket die Seele,“ so thut er das nicht im Gegensatze zu der Schöpfung, sondern um mit dem Worte die Schöpfung zu erhöhen und durch die Wunder der Schöpfung gebracht zu werden auf das Wort, und gestärkt zu werden durch das Wort. Also wollen wir diesen Psalm ja nicht anders lesen denn als Menschen, so wie wir Menschen Menschen sind, das ist als arme Sünder, welche nichts Anderes verdient haben als in die Hölle geschleudert zu werden, als weggeworfen zu werden in die ewige Finsterniß hinein, als solche, die nicht Werth sind, daß die Sonne uns bescheine, vielmehr Werth sind, daß der Himmel uns auf den Kopf falle und uns zermalme. Wenn wir so dastehen, stehen wir vor Gott da in wahrhaftiger Bußfertigkeit. Darum ist die Ueberschrift des Psalmes richtig: von Christo, seinem Wort und rechter Buße, oder Bußfertigkeit. Diese Bußfertigkeit hebe ich auch hervor aus dem 13. und 14. Verse des Psalmes. Erst heißt es Vers 12: „Auch wird Dein Knecht durch sie erinnert.“ Also wir haben hier einen Knecht Gottes vor uns, der sagt das Alles aus von dem Himmel, von der Feste, von der Sonne, was wir oben gesehen, und dann sagt er: auch wird dein Knecht durch sie, d. i. durch die Rechte des Herrn, belehrt oder erinnert, d. i. er wird durch sie erleuchtet. Stellen wir uns einen Knecht vor, der nicht gut sehen kann; das thun seine Sünden, seine Sorgen, sein Herzeleid. Also die Augen sind niedergeschlagen und er sieht Nichts. Mit Einem Mal kommt ihm das Wort vor: „Unsere Seele ist entronnen wie ein Vogel dem Strick des Voglers; der Strick ist zerrissen und wir sind los. Unsere Hülfe stehet im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“ Es kommt ihm das Wort vor: „Zähle die Sterne, ob du sie zählen kannst,“ und: „Er rufet die Sterne alle mit Namen.“ Er geht des Morgens früh mit der Bibel in der Hand heraus, betrachtet die Natur, die Sonne geht auf, aber ihm ist es finster, ja was kann einem Menschen nicht Alles überkommen, daß es ihm greulich finster ist! Er hat die Bibel in der Hand und schlägt auf, während die Sonne aufgeht, die Stelle, wo es heißt: „Ueber euch soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter desselben Flügeln“; oder: „Deine Sonne wird nie untergehen“; oder: „Dein Tag wird sein wie sieben Sonnen“. Verlassen und verwaist sieht er die Sonne aus ihrer Kammer gehen, wirklich wie ein Bräutigam, und verlassen und verwaist wie er sich fühlt, kommt ihm vor der Bräutigam seiner Seele. Co wird Dein Knecht durch sie erinnert, erleuchtet. Mit Einem Mal gehen ihm die Augen auf, daß er spricht: das ist wahr! ja das ist wahr! und so traurig wie er ausging, so fröhlich und munter kehrt er wieder heim. „Wer sie hält, der hat großen Lohn.“ Wohlan, wenn wir den Himmel, die Feste, die Sonne betrachten, so sehen wir: Gott erhält das Alles, und alle diese Dinge thun Gottes Befehl. Aber was sagt nun dieser Knecht von sich? „Wer kann merken, wie oft er fehlet?“ Da haben wir die Bußfertigkeit. Nun erst einmal: wer kann merken, wie oft er Gottes Schöpfung vergißt? Es sollte eine Kindergebärerin doch nicht zweifeln an Gottes Gnade und Allmacht, und wie er ein Gott des Lebens ist, wenn sie ein Kind zur Welt gebracht hat. Wie oft erfährt man nicht, wo man mit Gottes Wort in der Hand die Natur betrachtet, wie noch eben dickes Eis und fürchterlicher Schnee da war, und bei dir ist auch dickes Eis um das Herz, und am andern Tage ist Alles weggeschmolzen. So war fürchterliche Dürre da, und am andern Tage kam ein gnädiger Regen. So stand der Tod da, man war hart krank, und am andern Tage lebt man wieder auf. Und das vergißt man. Das nenne ich „fehlen“. Und wir fehlen alle mannigfaltig, schreibt der Apostel Jacobus, und wiederum: das ist ein vollkommener Mann, welcher mit seiner Zunge nicht fehlt. Was kommen von der Zunge nicht viele unnütze Worte, alberne Worte gegen Gott, gegen seine Macht und Treue, unnütze Worte gegen sich selbst und gegen den Nächsten! Wer kann das Alles merken? wer kann in diese Tiefen hineinschauen? wer kann es alles herzählen, was Einem nur in fünf Minuten für Dinge durch den Kopf schwirren, daß man vor sich selbst erschrickt! Und dabei ist das Leben wie ein Strom, der Alles in seinen Fluchen hinwegträgt, so daß wir solche Gedanken durch andere Umstände immer wieder vergessen. Welche alberne Gedanken, welche Irrthümer und Verirrungen kommen nicht bei dem armen Menschen auf! Wer kann merken, wie oft er fehlt? Das ist mit andern Worten: meiner Fehler, meiner Verirrungen, sind mehr als Haare auf dem Haupte. Und wie viele schlummern noch in Herz und Nieren, die einem Menschen verborgen bleiben, wenn ein böser Traum es ihm nicht offenbart, was im Herzen steckt. Das ist wahrhaftige Bußfertigkeit, solches anzuerkennen und zu bitten: „Verzeihe mir die verborgenen Fehler“, verzeihe mir, d. i. nimm die Schuld von mir ab, die ich auf mich bringe durch meine Fehler, die mir verborgen sind. Also das bekenne ich, daß ich Schuld auf Schuld häufe, ohne daß ich es weiß. Da Gott der Herr den Abraham aus dem Zelt führte und zu ihm sprach: Zähle die Sterne, ob du sie zählen kannst!„ da dachte Abraham auch an all die verborgene Schuld, welche er aufgehäuft hatte durch seinen Unglauben und brach vor dem Herrn zusammen: Du Herr Gott in Deiner Größe hast all die zahllosen Schaaren der Sterne gemacht, und Du solltest mir nicht einen Sohn und Erben geben können? wie gottlos bin ich, daran zu zweifeln!

David sagt Vers 14 weiter: „Bewahre auch deinen Knecht vor den Stolzen, daß sie nicht über mich herrschen.“ Die Uebersetzung mag richtig sein, aber besser ist die Uebersetzung, welche wir in unserm Reimpsalme finden. Da heißt es nicht: Bewahre deinen Knecht vor den Stolzen, sondern:

Nimm mich in Deine Hut,
Kein Stolz, kein Uebermuth
Empör sich je in mir!

Obschon die Uebersetzung in der Bibel zu rechtfertigen ist, ziehe ich doch die in den Reimpsalmen vor. Bewahre Deinen Knecht vor dem Stolz, vor dem Stolz, daß wir meinen: wir können Etwas und sollen Etwas, daß wir uns anmaßen Dinge, die uns nicht zustehen; Stolz, daß wir meinen, wir feien die Herren, und es solle Alles gehen nach unserm Sinn und Willen. Vor Uebermuth, daß wir Gott drangeben und gehen unsere eigenen Wege in unserm Stolz. David also, wo er vor Gott bittet: Verzeihe mir meine verborgenen Fehler, d. i. nimm die Schuld davon von mir hinweg! setzt die Bitte noch oben drauf: Bewahre mich, o Gott, vor Stolz und Uebermuth. Er bekennt damit also, daß er die Anlage hat, stolz oder übermüthig zu sein.

Indem David zu Gott bittet: „Bewahre mich vor Stolz und Uebermuth“, so bekennt er von Herzen, wie er von Natur geneigt ist, die Rechte des Herrn für nicht wahrhaftig zu halten, wie er geneigt ist daran mäkeln zu wollen, davon was abzudingen, als ob sie nicht allesammt gerecht wären. Die Rechte des Herrn aber, das ist seine Weise, wie er uns seine Wege führt, seine Handlungsweise mit seinen Kindern. Da kommen wir oft in unserm Trotz gegen auf, meinen, Gottes Wort und Weise von Handeln mit uns sei nicht allemal so, daß das Ende gut sein wird, meinen, Gott thue uns in diesem oder jenem Stück Unrecht in dem, was er uns lehrt und gebeut und wie er uns führt und hält. David bekennt hier seine Sünde, wie oft er darin blind war und blind sei. Er bekennt seine Blindheit, dankt Gott dem Herrn für seine Geduld, daß er ihm die Augen aufthut, um zu sehen, wie weise und zuverlässig Gottes Worte sind und seine Weise von Handeln, und wie guten Lohn derjenige davon trägt, d. i. wie gut er damit auskommt, der sich an solcher Weise Gottes genügen läßt und dabei bleibt, und er fleht den Herrn an, er möge ihn vor Stolz und Uebermuth bewahren, auf daß er nicht solche Weise Gottes bekrittle und eigene Wege einschlage. O wie sein lehrt es uns der Psalm, wie man ohne Wandel einhergeht, und der Schuld großer Missethat entgeht, also vor allem eigenen Wollen und Laufen bewahrt bleibt, wenn man kindlich und demüthig mit Verleugnung eigener Weisheit unserm Gott, dem Gott Himmels und der Erde, der das Große und Ganze gemacht, das Steuerruder überläßt.

Ja, meine Geliebten, Stolz und Uebermuth, das liegt in uns. Und doch, sehen wir mal einen Fels an, einen Berg, sehen wir die Feste des Himmels an und die Sonne, wie sie aufgeht in ihrer Pracht meine Lieben, ich bitte euch, was bedeuten wir? was vermögen wir? Können wir die Sonne auf und untergehen lassen? haben wir die Feste des Himmels gemacht, die, dünner als die dünnste Seide, diese ungeheure Masse Wassers trägt, so daß sie nicht auf die Erde niederstürzt? Und dennoch liegt es bei uns so, daß wir stets meinen: wir seien die Herren, und die Sonne drehe sich um uns! Und nun, dieser große Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, der die Feste geschaffen, und die Sonne läßt auf- und untergehen kann dieser große Gott nicht sorgen für mein Dach? weiß er nicht um alle diese Lappalien, daß ich so sage, die mich quälen? Dieser große Gott kann der nicht mein Licht sein in der Finsterniß, und sein Licht, die Sonne der Gerechtigkeit über mir aufgehen lassen? Ach Gott, was bist Du groß und mächtig! aber wenn Stolz und Uebermuth über mich herrschen, dann bin ich ja ein Sklave von Stolz und Uebermuth; dann sehe ich die Sonne, den Himmel, die Feste nicht an, sondern gehe einher, gebunden von den Stricken des Sichtbaren! Gott der Herr wolle uns erleuchten, auf daß wir es einsehen, daß er groß ist, und wir Nichts bedeuten, und wo wir das von uns wissen wollen, gibt er uns sein Lob in den Mund, und Gedanken von ihm ins Herz: Herr Gott, ich bin Nichts als Dein Machwerk, aber Du bist mein Fels und mein Gott!

Amen.

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