Kapff, Sixtus Carl von - Am Sonntag Kantate.
Text: Jak. 1,13-20.
Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von GOtt versucht werde. Denn GOtt ist nicht ein Versucher zum Bösen, er versucht Niemand. Sondern ein Jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird. Danach wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert sie den Tod. Irrt nicht, liebe Brüder. Alle gute Gabe, und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung, noch Wechsel des Lichts und der Finsternis. Er hat uns gezeugt nach seinem Willen, durch das Wort der Wahrheit, auf dass wir wären Erstlinge seiner Kreaturen. Darum, liebe Brüder, ein jeglicher Mensch sei schnell zu hören; langsam aber zu reden, und langsam zum Zorn. Denn des Menschen Zorn tut nicht, was vor GOtt recht ist.
„Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.“ Das ist das Grundgebot des Alten und Neuen Bundes, in dem der HErr alle Gesetze kurz zusammenfasst und ihnen die tiefste Begründung dadurch gibt, dass Er GOttähnlichkeit als das höchste Ziel uns vorhält. Zu GOttes Bild geschaffen, durch die Sünde von GOtt getrennt können wir keine höhere Bestimmung haben, als die, in das Ebenbild GOttes wieder verklärt zu werden. Dazu will unsere Epistel uns ermuntern, indem sie die reine, ungetrübte Vollkommenheit GOttes uns zeigt als ein herrliches Licht, das alle unsere Finsternis uns aufdecken und vertreiben soll. Die Ermahnungen unserer letzten Episteln gründeten sich mehr auf das, was durch das Erlösungswerk JEsu uns zu Teil geworden ist; unser heutiger Text fasst mehr das Wesen GOttes und seine heiligen Eigenschaften ins Auge und leitet daraus die Notwendigkeit und die Kraft eines heiligen Wandels her. Ist GOtt ein reines Licht in lauterer Heiligkeit, so müssen auch die, die Er als seine Kinder zeugt durch das Wort und durch den Geist, sie müssen ihrem Ursprung und Element ähnlich werden, nur dann sind sie, was sie nach ihrer ursprünglichen Bestimmung sein sollen, Erstlinge der Kreaturen, Herrscher der Welt. Hierüber wollen wir weiter nachdenken, indem wir nach unserer Epistel betrachten:
Wozu die reine Vollkommenheit GOttes uns antreibe,
- dass wir GOtt über alle Dinge fürchten, lieben und Ihm vertrauen, nichts als Gutes Ihm zutrauen,
- dass wir trachten als Erstlinge seiner Kreaturen Ihm ähnlich zu werden.
Majestätisch Wesen!
Möcht' ich Dich recht preisen,
Und im Geist Dir Dienst erweisen!
Möcht' ich wie die Engel
Immer vor Dir stehen
Und Dich gegenwärtig sehen!
Lass mich Dir
Für und für
Trachten zu gefallen,
Liebster GOtt, in Allem.
Amen.
I.
Die Lehre von der Heiligkeit und Vollkommenheit GOttes, auf die Jakobus in unserem Text seine Ermahnung gründet, ist in den Worten enthalten: „alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe“, d. h. Nichts, als lauter gute und vollkommene Gabe kommt von Oben herab von dem Vater des Lichts, wörtlich der Lichter, bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichts und der Finsternis. In diesen Worten ist das Wesen GOttes nach seinen Haupteigenschaften geschildert. Vater der Lichter heißt GOtt als der Urgrund alles Guten, denn Licht ist das Vollkommenste und Freudenreichste in der sichtbaren Welt, Licht ist daher der Ausdruck für alles Gute, Reine, Heilige und Selige; das Alles hat seinen Grund in GOtt, als dem allerheiligsten und seligsten Wesen. Nehmen wir andere Ausdrücke der Schrift über das Wesen GOttes zu unserer Stelle hinzu, so können wir GOttes Eigenschaften nach den drei Hauptpunkten betrachten: GOtt ist der Geist. GOtt ist das Licht, GOtt ist die Liebe. Geist ist sein Wesen, Licht seine vollkommene Alles durchdringende Erkenntnis, Liebe sein vollkommener, heiliger Wille.
„GOtt ist ein Geist,“ sagt JEsus Joh. 4., und Hebr. 12. heißt er „Vater der Geister,“ das ist er als der Ewige, der den Grund seines und alles Lebens in und aus sich selbst hat, als der Allmächtige, durch dessen Schöpferwort das ganze All geschaffen, erhalten und wunderbar regiert wird, als der Allgegenwärtige, in dem wir Alle leben, weben und sind. Er ist der Geist aller Geister, das Leben alles Lebens, ewig sich selbst gleich und ist nach unserem Text bei Ihm keine Veränderung noch Wechsel des Lichts und der Finsternis. Denn Er ist das Licht alles Lichtes, oder wie Jakobus sagt: „der Vater der Lichter.“ Wie Er Alles ins Leben gerufen hat, so durchdringt auch sein Geist Alles und es ist Nichts in allen Zeiten und Orten vor Ihm verborgen, sondern Alles bloß und entdeckt vor seinen Augen. Dieses Licht der Allwissenheit GOttes ist zugleich der Grund aller Wahrheit. Denn so wie GOtt alle Dinge ansieht, so sind sie und wie sie sind, so erkennt Er sie, und nach seiner reinen, vollkommen wahren Erkenntnis aller Dinge und Menschen behandelt Er sie und erweist so das reine Licht seiner Wahrhaftigkeit, nach der Er unveränderlich seinem innersten Wesen gemäß sich offenbart. Diese Wahrhaftigkeit ist zugleich die höchste Weisheit, deren Licht die ganze Schöpfung erhellt und nach der GOtt die vollkommensten Zwecke durch die vollkommensten Mittel erreicht und Alles so regiert, dass seine eigene Vollkommenheit und Seligkeit in den Geschöpfen dargestellt und geoffenbart werde. Wer diese Lichtwerke GOttes überdenkt, der muss mit David sagen: „HErr, mein GOtt, groß sind Deine Wunder und Deine Gedanken, die Du an uns beweist. Dir ist Nichts gleich; ich will sie verkündigen und davon sagen, wiewohl sie nicht zu zählen sind.“
Doch noch mehr, als alles bisher Genannte, zieht unser Herz das an sich, was Johannes als das Wesen GOttes rühmt, nämlich GOtt ist die Liebe. Dass Er der Vater der Geister und der Vater der Lichter ist, das erfüllt uns mit heiliger Scheu vor seinem majestätischen Wesen und mit Anbetung der unergründlichen Tiefen seiner erhabenen Macht und Weisheit. Aber dass dieses Wesen, vor dem wir Alle nur ein Tropfen am Eimer und nur ein Stäublein in der Waage sind, dass der Ewige und Allmächtige die unendliche Liebe ist, von der nach unserem Text lauter gute und vollkommene Gaben uns zufließen, ja die Liebe, die sich selbst mitteilt, das erst zieht uns mit Macht zu GOtt hin, und nur wer GOtt als die Liebe kennt, nur der kennt Ihn recht als Vater der Geister und als Vater der Lichter.
GOtt ist die Liebe - wer kann diese Wahrheit mit Worten ausdrücken? Wer diesen Brunnen lebendigen Wassers ausschöpfen? Alles, was ich sehe über mir, unter mir, rings um mich her, ist Alles ein Werk seiner Liebe, mein Leben, Alles, was ich genieße und besitze, das Kleinste, wie das Größte, ist Alles eine gute Gabe seiner Liebe, deren ich tausendfach mich unwert gemacht habe. Und was die Millionen genießen, die Ihn nicht kennen und nicht lieben, das Alles ist lauter Liebe. Und für diese Millionen hat Er sich selbst dahingegeben und hat als der menschgewordene GOtt sie erlöst von allen Feinden und sie sich erkauft zum ewigen Eigentum. Größere Liebe hat Niemand, als dass er sein Leben lässt für seine Freunde, aber der Sohn GOttes hat sein Leben gelassen für uns, die wir durch die Sünde seine Feinde und seines Fluches wert waren. Nur wer diese Liebe erkannt hat, nur der ist auf dem Wege, GOtt zu erkennen; nur wer im Gekreuzigten den Sohn GOttes und Heiland der Welt erkennt und als seinen Heiland Ihn liebt, nur der kennt GOtt. Er erkennt Alles, was GOtt tut und offenbart, als lauter Liebe, als lauter gute und vollkommene Gabe.
Auch die Heiligkeit und Gerechtigkeit GOttes ist Liebe. Denn warum hasst Er das Böse, als weil es von Ihm trennt und so des Lebens und der Seligkeit beraubt, und warum vergilt seine Gerechtigkeit Jeglichem nach seinen Werken, als weil Er durch Strafen vom Weg des Verderbens erretten und ein Verlangen nach Seligkeit, d. i. nach GOtt in der Seele wirken will. Bald durch Langmut!) und Güte, bald durch Ernst und Gerichte will Er zur Buße leiten und so zum Leben und zur seligsten Freude in Ihm selbst. Denn sich selbst will Er den Herzen, die Ihn suchen, mitteilen, wie JEsus sagt: „wer mich liebt, der wird mein Wort halten und mein Vater wird ihn lieben, und wir - der Vater und ich - wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.“ Solche Inwohnung GOttes geschieht durch den heiligen Geist, und darin erst offenbart sich GOtt vollkommen als die Liebe, und nur in solcher Gemeinschaft unseres Geistes mit dem dreieinigen GOtt kommen wir zu tieferer Erkenntnis GOttes. Was man da innerlich von GOtt erfährt, das ist mehr, als Alles, was man mit Worten von GOtt sagen kann.
Wer in solcher innerlichen Bekanntschaft mit GOtt steht, bei dem gibt sich von selbst, was Luther zur Erklärung des ersten Gebots sagt, dass wir GOtt über alle Dinge fürchten, lieben und Ihm vertrauen sollen. Je mehr wir GOtt kennen lernen, desto größer und majestätischer erscheint Er uns, dass wir Ihn mit heiliger Ehrfurcht und Scheu anbeten und allezeit in seiner Gegenwart stehen, Ihn vor Augen und im Herzen haben, dass wir in keine Sünde willigen, noch tun wider seine Gebote. Doch die Furcht würde das nicht wirken, sondern die Liebe tut es. Je mehr wir GOtt kennen lernen, desto mehr geht es uns, wie ein Lied sagt:
O wie groß ist deine Güte,
Deine Treu', Die stets neu
Preiset mein Gemüte.
Ach, ich muss, ich muss dich lieben;
Seel' und Leib', Ewig bleib'
Deinem Dienst ergeben.
Wer GOtt kennt, der wird Ihn so lieben, wie unser Konfirmationsbüchlein sagt: Ihn als das höchste Gut achten, Ihm mit dem Herzen anhangen, immer in Gedanken mit Ihm umgehen, das größte Wohlgefallen an Ihm haben, das größte Verlangen nach Ihm tragen, Ihm ganz und gar sich ergeben und um seine Ehre eifern.
Bei solcher Liebe zu GOtt kann das Vertrauen nicht fehlen, das Ihm durchaus nichts Böses, Unrechtes, sondern nur Gutes zutraut und daher vor den Irrtümern bewahrt bleibt, die unser Text im Auge hat, als ob GOtt ein Versucher zum Bösen wäre, als ob Er überhaupt irgend etwas unrecht machen würde. Zu solchen Gedanken hat der natürliche Mensch viele Versuchung. Statt die Ursache alles Bösen und alles Übels in sich selbst zu suchen, sucht sie der Naturmensch außer sich und scheut sich nicht, selbst GOtt als Urheber des Bösen zu nennen. Der feine und grobe Unglaube vieler Philosophen erklärt GOtt geradezu für den Urheber des Bösen; der Leichtsinn der Fleischesmenschen entschuldigt sich mit der Gotteslästerung: warum hat mich GOtt so geschaffen? So bin ich eben einmal von Natur, ich kann mich nicht anders machen. Da muss Zorn, Rachsucht, Hochmut, Eitelkeit, Wollust und alle Weltliebe, das Alles muss Naturanlage sein und diese Einrichtung der Natur wird GOtt zugeschrieben.
Gegen solche gotteslästerliche Meinungen sagt der Apostel in unserem Text: irrt nicht, liebe Brüder. Von GOtt, als dem Vater der Lichter, kommen nur gute Gaben, die Sünde aber hat ihren Grund in der uns eigenen und angeborenen Lust, die reizt und lockt, und wenn sie empfangen, d. h. von unseren Gedanken Besitz genommen hat, so gebiert sie die Sünde, die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod, d. h. alles leibliche und geistliche Elend in Zeit und Ewigkeit. Nach GOttes Willen sollte es keinen Tod und kein Übel irgend einer Art geben, sondern ungetrübtes Glück und paradiesische Freude hat GOtt unserem ganzen Geschlecht zugedacht. Wir allein tragen die Schuld aller Sünde und alles Übels, und wer mit bußfertigem Sinn sich selbst erkennt, der wird sich nicht wundern, wenn GOtt ihm manchmal den Weg mit Dornen verzäunt, wenn Er Strafgerichte über ganze Völker und einzelne Menschen kommen lässt, wenn Hagel die Felder verwüstet, wenn Dürre oder Nässe, Frost oder Hitze, Feuer- oder Wassersnot, Krankheit und Tod in vielerlei Elend und Jammer stürzen. Das Alles können wir aus der Hand GOttes annehmen, wenn wir Ihn und wenn wir uns selbst kennen. Wem GOtt als der Vater der Lichter, folglich als Urquelle alles Guten erschienen ist, der traue GOtt so wenig etwas Unrechtes zu, als er von der Sonne erwartet, dass sie finster mache auf Erden. Nur wer so mit GOtt und mit allen seinen Wegen und Werken zufrieden ist, nur der ist glücklich, auch im Unglück, nur der ist der rechte Weise, nur der kann bleiben in der Liebe und so bleiben in GOtt und GOtt in ihm. Ein solcher Geist blickt sein eigen Leben und die ganze Welt an im Licht des ursprünglichen Schöpfungsplanes GOttes, der durch Christum einst zu seiner vollen Erfüllung kommen wird, wenn GOtt Alles neu macht und wenn nach Aufhebung alles Feindlichen und Gegensätzlichen GOtt Alles sein wird in Allem. So gewiss ein solches Ende alles Bösen und eine vollkommene Herrschaft GOttes oder des Guten verheißen ist, so gewiss trauen wir heute schon GOtt, als dem Vollkommenen, alles Gute zu, so wie wir einem weisen Baumeister zutrauen, dass er aus den unordentlich umherliegenden Steinen und Balken ein wohlgeordnetes Gebäude zu Stande bringen werde.
Wenn so die Vollkommenheit GOttes, die unser Text lehrt, uns antreibt, unsere ganze Liebe und vollstes Vertrauen Ihm zu schenken, so liegt hierin
II.
auch der Antrieb, dass wir trachten, als Erstlinge seiner Kreaturen Ihm ähnlich zu werden. Nachdem unser Text GOtt als den vollkommenen und unveränderlichen Vater der Lichter gepriesen hat, so fährt er fort: „Er hat uns gezeugt, nach seinem Willen,“ d. h. nach seiner freien Gnade ohne unser Verdienst, nach seiner unendlichen Liebe gezeugt, d. h. zu seinen Kindern gemacht, mit sich vereinigt durch das Wort der Wahrheit und durch den heiligen Geist, der das Wort vom Kreuz lebendig macht in den Herzen. Der Geist straft nach dem heutigen Evangelio über die Sünde und treibt zur Buße; er überzeugt von der Gerechtigkeit Christi und in Christo, und treibt zum Glauben; er überzeugt von dem Gericht über Satan und Sünde und treibt, dass wir mit Christo uns auferwecken lassen zu einem neuen Leben. So wirkt der Geist, dass eine GOtt verlangende Seele nach dem Gebot unseres Textes mit Sanftmut, mit GOtt hingegebenem Sinne in lebendigem Glauben das Wort annimmt, das in uns gepflanzt ist durch Unterricht, Predigt und brüderliche Handreichung, das Wort, welches kann unsere Seelen selig machen.
Durch solche Wirkungen seines Geistes macht GOtt in Christo uns zu seinen Kindern, zeugt uns in der Wiedergeburt, dass wir werden Erstlinge seiner Kreaturen. Nach Röm. 8. hat GOtt uns verordnet, dass wir gleich sein sollen dem Ebenbild seines Sohnes, auf dass derselbige der Erstgeborne sei unter vielen Brüdern. Menschen - Brüder des Sohnes GOttes - welche Würde! wie erhaben über alle Kreaturen, selbst über die Engel. Menschen zur Gemeine der Erstgeborenen gerechnet, zu den Geistern der vollkommenen Gerechten, zur heiligen Familie GOttes, die als Kinder GOttes Eins sein sollen mit Ihm in ewiger Seligkeit und Herrlichkeit. So unbegreiflich ist die Herablassung des großen GOttes, so wunderbar will Er zu sich, dem Vollkommenen, uns emporziehen. Hat GOtt so viel an uns getan, hat Er durch Schöpfung, Erlösung und Heiligung es uns möglich gemacht, in seine Vollkommenheit verklärt zu werden, so muss auch unser höchstes Trachten sein, das Gebot JEsu zu erfüllen: „Ihr sollt vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ Ist GOtt der Vater der Geister, so wollen auch wir Geist sein, nicht Fleisch, wollen daher nach unserem Text ablegen alle Unsauberkeit und alle Bosheit und unser Fleisch kreuzigen samt seinen Lüsten und Begierden. Ist GOtt ein Licht, ja der Vater der Lichter, so wollen auch wir im Licht wandeln, im Licht reiner Erkenntnis, besonders richtiger Gedanken von GOtt, im Licht reiner Wahrheit und heiliger Gemeinschaft mit Ihm, daher, wie unser Text gebietet: schnell zu hören, was sein Geist in uns oder sein Wort außer uns spricht und was sonst uns zur Lehre sein kann, langsam aber zu reden, weil die Zunge so oft nicht vom Licht GOttes erleuchtet, sondern ein Feuer voll Ungerechtigkeit, ja vielleicht gar von der Hölle entzündet ist, wie Jakobus sagt. Und langsam zum Zorn wollen wir sein, weil GOtt die Liebe ist und weil nur der in Ihm bleibt, der in der Liebe bleibt. Des Menschen Zorn, sagt unser Text, tut nicht, was vor GOtt recht ist. Alle Aufwallung unserer Natur, alle unruhigen Affekte und Leidenschaften sind gegen GOttes Willen und von den Regungen unseres Fleisches und unserer natürlichen Vernunft gilt, was JEsus sagt: „alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, werden ausgereutet werden.“ Wollen wir in GOtt bleiben und Leben haben in Ihm, so müssen wir in der Liebe wandeln, und zwar nach dem Gebot JEsu: „Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe.“ Damit ist Alles gesagt. JEsu Liebe war treu bis in den Tod; sollen wir lieben, wie Er geliebt hat, sollen wir den Nächsten lieben als uns selbst, Anderen tun, wie wir wollen, dass sie uns tun, ohne Neid und ohne Zorn still und geduldig tragen, leiden, verzeihen, geben, vergeben, nachgeben, so sind das Alles Aufgaben, an denen unser ganzes Leben zu lernen und zu üben hat. Aber so nur werden wir GOtt ähnlich, was unsere Bestimmung und der ganze Zweck unseres Lebens ist.
Das Alles aber lernen wir allein durch JEsum und in der Schule seines Geistes. Die Betrachtung des Wesens und der Eigenschaften GOttes kann in uns ein tiefes Verlangen erwecken, GOtt ähnlich zu sein: aber die Sünde ist ein Hindernis, das uns nie zur Erreichung dessen kommen lässt, was unser innerstes Geistesleben wünscht. Nur wenn wir durch lebendigen Glauben an JEsum frei geworden sind von der Sünde, von ihrer Schuld und von ihrer Macht, nur als Kinder GOttes, die von seinem Geist erleuchtet und geheiligt werden, nur so können wir daran denken, nach dem herrlichen Ziel der Gottähnlichkeit zu trachten. Deswegen sagt JEsus: „Niemand kommt zum Vater, denn durch Mich.“ Das erfuhr ein vornehmer sächsischer Staatsmann an seinem eigenen Herzen. In seiner Krankheit ließ er den Hofprediger zu sich kommen und redete ihn also an: „Ich bin sehr kränk und fürchte, ich könnte sterben; ich bitte Sie, mir etwas Erbauliches zu sagen; Eins aber muss ich mir gleich von Ihnen ausbitten, dass Sie mir Nichts von JEsu sagen, denn davon will ich Nichts hören.“ Der Prediger sagte: „Es ist mir lieb, dass Sie mir das so bald sagen, denn das wäre das erste gewesen, wovon ich mich mit Ihnen zu unterhalten gesucht hätte. Indes gibt es ja sonst noch viel Erbauliches, wovon wir uns unterhalten können. Darf ich von GOtt mit Ihnen reden?“ Antwort: „Ja, davon will ich gerne hören, denn vor GOtt hatte ich immer viel Hochachtung.“ Da sprach dann der Prediger von der Liebe GOttes zu den Menschen, was dem Kranken so angenehm war, dass er beim Abschied bat, bald wieder zu kommen. Als der Prediger wieder kam, sagte der Kranke: „Nun, was werden Sie mir heute Schönes erzählen? Ich habe mich schon lange nach Ihrem Besuch gesehnt.“ Da sprach dann der Prediger von GOttes Allmacht, Weisheit und Allwissenheit. Das war schon ernsthafter, aber dem Kranken doch noch angenehm. Beim dritten Besuch sprach der Geistliche von GOttes Heiligkeit, welch' ein reines, heiliges Wesen GOtt sei und umgeben mit nichts Anderem, als reinen und heiligen Wesen. Die vierte Unterredung handelte von GOttes Gerechtigkeit. Da fing aber der Kranke bald an: „Herr Hofprediger, jetzt kann ich es nicht mehr aushalten, mir wird angst und bange, wenn GOtt so heilig und gerecht ist, wie Sie sagen, so bin ich verloren.“ Nun ging aber der Prediger fort und kam den folgenden Tag nicht wieder, um das Sündengefühl des Kranken tiefer gehen zu lassen. Aber der Patient ließ den Prediger rufen und sagte: „Mein GOtt! ich weiß mich vor Angst nicht zu fassen; sagen Sie mir doch wieder etwas Tröstliches; es ist mir ja, als wäre ich schon in der Hölle, oder die Hölle in mir; wissen Sie denn Nichts, wobei ich wieder Beruhigung finden könnte?“ Der Prediger sagte: „Gar nichts weiß ich sonst mehr für Sie, als dass GOtt zwar gnädig, aber auch weise, heilig und gerecht ist, und nicht anders kann, als das Böse bestrafen. Ich wüsste wohl noch viel Schönes und Treffliches, aber davon wollen Sie ja Nichts hören; darum müssen sie in diesem unseligen Zustand dahinsterben und drüben Ihr Schicksal erwarten, worüber ich Sie von Herzen bedauern muss.“ Antwort: „Ach, was wissen Sie denn Tröstliches, sagen Sie mir es doch, kann ich noch gerettet werden?“ - „O ja, aber nur, wenn ich Ihnen etwas von JEsu sagen darf.“ - „Nun, so sagen Sie mir in GOttes Namen, was Sie wollen, wenn ich nur noch aus meiner Verdammnis gerettet werden kann.“ Nun verkündigte er ihm das Evangelium, dass der bisher von ihm so verachtete JEsus sein HErr und GOtt, sein Schöpfer und Heiland sei, zu dem er sich mit allen seinen Sünden wenden und um Gnade bitten solle und dürfe. Für solche Sünder sei er gestorben und habe am Kreuz sein Blut vergossen zu einem Lösegeld für ihn und für die ganze Welt. - Nun war der Kranke froh, von einem solchen JEsus, der die Sünder annimmt, zu hören. Er nahm dann auch seine Zuflucht zu Ihm und erfuhr, dass JEsus der Weg und die Wahrheit und das Leben sei, so dass er als ein begnadigter Sünder im Glauben an das Verdienst JEsu freudig und getrost sterben konnte. -
Diese Geschichte zeigt auch, wie das heilige Wesen GOttes uns ohne JEsum zum Schrecken, durch Ihn aber zur Seligkeit wird. So wollen wir trachten, im Sohn den Vater und so das ewige Leben zu haben, ja durch den Sohn dem Vater ähnlich, mit Ihm Eins zu werden. Darum rufen wir:
HErr, komm', in mir wohne, Lass mein' Geist auf Eiden
Dir ein Heiligtum noch werden. Komm', Du nahes Wesen,
Dich in mir verkläre, Dass ich stets Dich lieb' und ehre.
Wo ich geh', Sitz' und steh',
Lass mich Dich erblicken Und vor Dir mich bücken.
Amen.