Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 12. Betrachtung
Der Apostel kann es nicht lassen, da er seines Amtes, das Wort Gottes zu verkündigen, erwähnt hat, erst ein Wort hinzuzufügen über die Herrlichkeit des Wortes Gottes und die Köstlichkeit des Amtes, das dies Wort verkündigt. Erst nachdem er dies getan, kommt er auf seine Leiden zurück. Es ist eine Abschweifung, dergleichen wir viele in den Briefen des Apostels finden. Wie die Biene nicht auf gradem Wege ihr Ziel verfolgt, sondern wo sie rechts oder links ein schönes Blümlein sieht, hinfliegt und den Honig aus dem Kelche saugt: also geht auch unser Bruder Paulus nicht immer in grader Richtung fort, sondern sammelt uns den Honig aus den Blümlein, die rechts und links an seinem Wege stehen. Hier steht er eine Blume, Wort Gottes genannt, und kann nicht vorbei kommen, sondern der Geist des Herrn treibt ihn, uns zu zeigen, welcher süße Honig in dem Kelch dieser Blume ist. Er nennt das Wort Gottes
Kap. 1, 26. 27: Das Geheimnis, das verborgen gewesen ist von der Welt her und von den Seiten her, nun aber offenbart ist seinen Heiligen, welchen Gott gewollt hat kundtun, welcher da sei der herrliche Reichtum seines Geheimnisses unter den Heiden, welcher ist Christus in euch, der da ist die Hoffnung der Herrlichkeit.
In diesen Worten lehrt er uns:
Wie wert und teuer uns das Wort Gottes sein muss, wenn wir es betrachten 1.) nach dem Licht seiner Offenbarung, 2.) nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, und 3.) nach der Bürgschaft seiner Erfüllung.
1.
Es hat eine geistliche Macht auf Erden gegeben, die den Kolossern noch in frischer Erinnerung lag, wo sie samt allen andern Völkern der Erde in Finsternis und Schatten des Todes saßen, bis der Tag anbrach und das teure Evangelium wie eine bisher verborgene Sonne über sie aufging. Der Apostel nennt das Evangelium das Geheimnis, das verborgen gewesen von der Welt und von den Zeiten her. Manches Zeitalter war vergangen, manches Menschengeschlecht untergegangen, von Anfang der Welt her bis auf Christum, ehe das liebliche Evangelium erscholl: „Euch ist heute der Heiland geboren.“ Das Wort von der Gnade Gottes in Christo, die allen Völkern widerfahren sollte, war bis dahin ein in Gott verschlossenes Geheimnis. Denn zu den Zeiten des Alten Testaments war die Lehre von Christo zwar den Juden offenbart, teils in Verheißungen, teils in Vorbildern, teils in Weissagungen der Propheten, zugleich aber in so viele Rätsel, Dunkel und Schatten Levitischer Gebräuche eingehüllt, dass die Zeiten vor Christo Zeiten der Unwissenheit heißen (Apg. 17.), und einer Nacht verglichen werden, auf die endlich ein schöner Tag folgte (Röm. 13,12.). „Nun ist das Geheimnis offenbar geworden seinen Heiligen,“ wie es ähnlich heißt Epheser 3: „Das Geheimnis Christi, welches nicht kund getan ist in den vorigen Zeiten den Menschengeschlechtern, als es nun offenbaret ist seinen heiligen Aposteln und Propheten durch den Geist, nämlich, dass die Heiden Miterben seien, und mit einverleibt, und Mitgenossen Seiner Verheißung in Christo. Die Offenbarung ist geschehen, nicht nur in Worten, sondern in großen Taten Gottes, als da sind Geburt, Leben, Tod, Auferstehung, Himmelfahrt des Herrn, dazu die Ausgießung des Heiligen Geistes, die Sendung der Apostel, beglaubigt durch mitfolgende Zeichen und Wunder, die Sammlung der Kirche, und in der Kirche die Austeilung von mancherlei Gaben. Das ist Enthüllung des großen Geheimnisses von der Erlösung aller Menschen und Völker aus den Banden der Sünde, des Todes und der Gewalt des Teufels, welche Enthüllung geschehen ist vor den Augen seiner Heiligen, das ist der aus Juden und Heiden zu Christi Reich berufenen Seelen, zunächst der Apostel, dann aber auch aller derer, die Gott durch sie berufen hat mit einem heiligen Ruf. Die Schatten der früheren Zeiten sind gewichen, und der Körper ist erschienen in Christo, der ganze Scharen der Evangelisten hat ausgehen lassen, das Evangelium zu verkündigen. - Woher dieses? Ist es geschehen um unserer Werke, um unsers Verdienstes willen? Nein! der Apostel führt das große Werk der Offenbarung zurück auf Gottes gnädigen Willen, indem er spricht: „welchen Gott gewollt hat kund tun,“ wie es ähnlich heißt Eph. 1,9: „Er hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Vaters nach seinem Wohlgefallen,“ und Christus selber preist die Gnade Gottes, dass er solches den Unmündigen offenbart hat: „Ja, Vater, denn es ist also wohlgefällig gewesen vor dir“ (Matth. 11.). Davon es zuvor hieß, es sei offenbar geworden, davon heißt es jetzt, Gott habe es seinen Heiligen kund getan. Das Kundtun greifet tiefer als das Offenbaren. Es drückt die innere Erfahrung aus von dem, was Gott durch große äußerliche Taten der Welt vor die Augen gestellt hat. Gott hat es dabei nicht bewenden lassen, dass er das Geheimnis äußerlich offenbart hat, sondern das vor den Augen der Welt angezündete Licht hat er auch angezündet in den Herzen seiner Heiligen, und hat den äußerlich erschienenen Christum werden lassen zu einem Christus in uns. Das sind die erleuchteten Augen des Verständnisses (Eph. 1.), das die Salbung, davon es heißt 1 Joh. 2: „Ihr habt die Salbung von dem, der heilig ist, und wisst alles.“ Wie einst Gott, da er die Welt schuf, sprach: Es werde Licht! so hat er bei der geistlichen Schöpfung durch Christum abermals gesprochen: Es werde Licht, Licht in der Welt und Licht in euren Herzen. Danken wir ihm doch herzlich für diese seine Gnade, deren wir nicht würdig sind, haben sie auch nicht verdient, dass er uns nicht in den dunkeln Zeiten des alten, sondern in den hellen Zeiten des neuen Testaments hat geboren werden lassen. Viele wissen noch immer nichts von Gott, das sage ich euch zur Schande. Wollt ihr bei so hellem Licht im Finstern sitzen und gleich den Blinden am Mittage umher tappen?
2.
Aber nicht nur nach dem Lichte seiner Offenbarung, sondern auch nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit lernen wir das Evangelium, dies teure Wort Gottes, kennen. Es ist eine Kundtuung, welches sei der herrliche Reichtum seines Geheimnisses unter den Heiden. Wir sehen im Lichte der Offenbarung, was die Welt früher nicht gesehen hat. Was denn? Paulus nennt es eine Herrlichkeit. Das ist auf Seiten. Gottes die Weisheit und Erkenntnis, die Gnade und Barmherzigkeit, die Geduld und Langmütigkeit, die uns in jener Offenbarung des Geheimnisses erschienen ist, eine Herrlichkeit, die Fleisch und Blut geworden ist in Christo, von dem die Apostel sagen, Joh. 1: „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Von Christo ist wiederum die Herrlichkeit übergegangen auf die Menschen; es ist auf ihrer Seite die Umwandlung zu einem neuen göttlichen Leben und zu einer lebendigen Hoffnung, die jene Offenbarung wirkt. In diesem doppelten Betrachte, welch ein Reichtum der Herrlichkeit! Das mit wir sie in ihrem vollsten, schönsten Lichte sehen, weist uns Paulus auf die Heiden hin. Unter den Heiden zeigt sich diese Herrlichkeit in ihrem herrlichsten Glanz. Die Kolosser kannten aus eigner Erfahrung den großen Unterschied zwischen Heidentum und Christentum. Sie, von Gott früher entfremdet, ein Volk, das in Finsternis und Schatten des Todes saß, beugten jetzt ihre Knie vor Christo und lobten Gott, der sie berufen hatte zu seinem wunderbaren Licht. Sie, früher Knechte des Teufels, das hingegeben in ihrer Herzen Gelüste, standen jetzt als verklärte Wesen da! Wer den Reichtum der Gnade recht schätzen lernen will, der muss blicken in seine frühere Finsternis und muss fragen: wer war ich früher? wer bin ich jetzt? Und wenn er ein wahrhaft bekehrter Mensch ist, so wird er auf seine Knie sinken und Gott danken für den Reichtum der Herrlichkeit, den er in sich trägt.
3.
Aber was dieser Herrlichkeit erst ihre Krone aufsetzt, ist dies, dass der Grund im Herzen, worauf sie ruht, der uns inwohnende lebendige Christus selber ist. Der Apostel, nachdem er des Reichtums der Herrlichkeit gedacht hat, welchen uns die Gnade Gottes gebracht hat, fährt fort: „welcher ist Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit.“ Als wollte er sagen: „was. ihr an schönen himmlischen Gütern in euch tragt, sei es die Erkenntnis Gottes oder die Gerechtigkeit oder der Friede oder die Hoffnung oder was es sei, das ist nicht etwas von der Person eures lieben Heilandes Getrenntes, sondern ihr habt es nur, sofern ihr Christum selber in euch habt. Er wohnt ja, wie ihr wisst, in euren Herzen, und ist nicht nur unter euch gepredigt, sondern lebt auch in euch, also dass ihr sagen könnet: „Er in uns und wir in ihm.“ Zwar ist Gott nicht ferne von einem jeglichen unter uns, denn in ihm leben, weben und sind wir (Apg. 17.), aber „ein anderes ist es, wenn Gott da ist, und ein anderes, wenn er dir da ist,“ spricht Luther. Es ist nichts im Himmel und auf Erden, da nicht Gott wäre, aber wie er in seinen Gläubigen ist, so ist er in keinem Dinge, auch in sonst keinem Menschen. Christus selbst redet von dieser Vereinigung Joh. 14.: „Ihr in mir und ich in euch,“ ebenso Joh. 17. Das ist's, warum Paulus spricht: „Ich lebe, doch nicht ich, sondern Christus lebt in mir,“ „und warum Petrus sagt, dass wir der göttlichen Natur teilhaftig worden sind (2 Petri 1,4.). „Was kann nun wohl“ fragt Luther „für größere Herrlichkeit genannt werden, denn dass wir armen elenden Leute sollen der göttlichen Majestät Wohnung, Lustgarten und Paradies sein?“ und anderswo: „Freilich ist dies eine große Herrlichkeit und Gnade der Menschen, dass sie wert geachtet werden, zu sein eine solche herrliche Wohnung, Schloss und Saal, da Gott auf Erden wohnt, welches doch sind solche arme schüchterne Herzen und Gewissen, die nichts an ihnen denn Sünde und Tod fühlen, und vor Gottes Zorn beben und zittern. Aber die sind's, denen solches verheißen ist und fröhlich sich des trösten mögen, dass sie sind das rechte Gotteshaus und Kirche, da Gott Lust hat zu ruhen und zu bleiben. Siehe nun, welch ein groß Ding der Mensch sei, der da ein wahrer Christ ist und sein Wort hält. Ein rechter Wundermensch auf Erden, der vor Gott mehr gilt, denn Himmel und Erden, ja ein Licht und Heiland der Welt, in dem Gott alles und alles ist, und er in Gott alles vermag und tut; aber vor der Welt gar tief verborgen und unbekannt, welche auch nicht wert ist, solche Leute zu erkennen, sondern muss sie halten für ihre Fußtücher, ja für einen Fluch und Fegopfer.“ Möchten denn nur die, in welchen Christus wohnt, nicht ihn nötigen, dass er wieder von ihnen weiche, was geschieht, wenn sie mutwillig sündigen; sondern ihr Herz ihm treu bewahren, damit sie gleich werden dem Hause Obed Edoms, das mit Segen erfüllt wurde, da es die Bundeslade herbergte (2 Sam. 6.). Nun fügt Paulus zu den Worten: „welcher ist Christus in euch“ noch hinzu: „der da ist die Hoffnung der Herrlichkeit, womit er sagen will: dieser lebendige Christus ist der Grund, worauf alle eure Hoffnung auf die zukünftige Herrlichkeit ruht. Nicht, als wenn nicht der ganze Reichtum der Herrlichkeit auf ihn sich gründete; denn wir können auch sagen: Christus unser Friede, Christus unser Leben, Christus unsere Freude, unsere Liebe, unser Trost usw. Aber Paulus hebt aus dem Reichtum der Herrlichkeit noch insonderheit die Hoffnung heraus, damit wir nicht etwa meinen, wir hätten die ganze Herrlichkeit schon hier. Denn zwar, wo Christus im Herzen wohnt, da ist schon das Reich Gottes und alle seine Herrlichkeit vorhanden. Aber hienieden keimt nur noch solche Herrlichkeit und muss viele Stürme äußerlicher Trübsal über sich hingehen lassen: ausgewachsen und völlig wird sie erst sein, wenn erschienen ist, was wir sein werden in jener Welt. Darauf weist uns die Hoffnung hin, die nicht für sich allein dasteht in unserm Herzen, sondern in Christo, der selber in uns lebt, ihre Bürgschaft und ihr Siegel hat.
Was sollen wir nun sagen von dem Evangelium, das solches Licht, solchen Reichtum, solche Bürgschaft uns bringt? Wahrlich! das muss heißen ein teures, wertes Wort, und wir müssen's mit Tränen des Dankes annehmen von Gott und treu bewahren in unsern Herzen.