Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Epheser in 34 Predigten - Neunte Predigt.
Es ist ein Irrtum, wenn man meint, die uns zu Teil gewordene Offenbarung sei bloß eine Mitteilung gewisser Wahrheiten. Die christliche Offenbarung ist ebenso wohl Tat als Wort. Sie fängt mit Taten an, die in der Schrift „die großen Taten Gottes“ heißen, und das hinterher folgende Wort ist nichts als die Auslegung dieser Taten. Welchen Glaubens-Artikel haben wir, der nicht an eine Gottestat sich anlehnte? „Wir glauben an Gott den Vater“ ja, aber nur um der großen Tat willen, dass Gott offenbart im Fleisch. Hier zeigt sich uns Gott in dem Abbild seines Wesens, in dem eingebornen Sohn, ohne den Niemand zum Vater kommt. „Wir glauben an eine Freiheit der Kinder Gottes“ - ja, aber auch hier hat Gott dem Wort die Tat vorangehen lassen, hat den heiligen Geist gegeben in die Herzen der Menschen, hat eine Gemeinde von Brüdern geschaffen, die nicht mehr gebunden waren mit Stricken der Sünde, des Todes, der Welt, sondern als Kinder Gottes sich frei wussten, und den Willen ihres Vaters im Himmel gern und mit Freuden taten. Das war die christliche Freiheit in der Tat, und nun folgte das Wort hinterher, das dieser Tat den Namen gab und sie beschrieb und pries. Fürwahr, es hilft auch weder dir noch sonst irgendeinem Menschen das bloße Wort zur Freiheit; sondern erst wenn der Heilige Geist die Bande der Knechtschaft in unserem Herzen zerrissen und uns zu gehorsamen Kindern Gottes gemacht hat, wissen wir und können davon reden, was Freiheit ist. „Wir glauben an eine Auferstehung, an ein ewiges Leben.“ Ist das eine bloße Lehre, gestützt auf menschliche Weisheit? Nein, auch hier liegt eine große Tat Gottes zu Grunde, ohne welche das Wort ein Brunnen ohne Wasser wäre und eine Wolke ohne Regen. Diese Tat ist die Auferstehung Christi von den Toten und seine Erhöhung in den Himmel. Daher sollen am Osterfeste den Gemeinden keine Lehren vorgetragen werden, sondern auf Christum soll man weisen, auf Christum, den Auferstandenen, den zu Gott in den Himmel Erhöhten, und das Wort soll eine Auslegung dieser Gottestat sein. Ach, dass man nie das Gotteswort von der Gottestat geschieden hätte! Ein Christentum ohne Christum predigen wollen, ist als wollte man eine Himmelskunde lehren ohne Himmel und ohne Sterne. Auf die große Tat der Allmacht, dass Gott Christum auferweckt und über Alles erhöht hat, werden wir heute von dem Apostel hingewiesen.
Epheser 1 Vers 20 bis 23: Welche Macht Gott gewirkt hat in Christo, da er ihn von den Toten auferweckt hat und gesetzt zu seiner Rechten im Himmel, über alle Fürstentümer, Gewalt, Macht, Herrschaft und Alles, was genannt werden mag, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Und hat alle Dinge unter seine Füße getan, und hat ihn gesetzt zum Haupt der Gemeine über Alles, welche da ist sein Leib, nämlich die Fülle des, der Alles in Allem erfüllt.
Der Apostel hat zuvor geredet von der herrlichen Macht, die Gott an uns Christen beweist. Aber seine Predigt von der Allmacht Gottes gründet sich nun aber auf die unter uns Christen wohlbekannte Tat, dass Gott Christum auferweckt hat von den Toten und ihn gesetzt zu seiner Rechten. Lasst uns denn unter deinem Geleit, Heiliger Geist, der du unsere Herzen öffnen wollest für das Verständnis des apostolischen Worts! lasst uns erwägen:
Welchen Trost uns die Macht darbietet, die Gott bewiesen hat in der Erhöhung Christi, nämlich
1. dass er ihn auferweckt hat von den Toten,
2. ihn gesetzt hat zu seiner Rechten im Himmel,
3. ihn erhoben hat über die Engel,
4. Alles unter seine Füße gelegt, und
5. ihn gegeben hat als Haupt der Gemeine.
1.
Der Apostel führt uns heute nicht nach Gethsemane, noch nach Golgatha. Der Kelch des Leidens ist getrunken, und die Erniedrigung unsers Herrn hat ihre letzte und tiefste Stufe erreicht. Der Fürst des Lebens hat sein Haupt geneigt, ist gestorben und begraben. Aber liegt er nun und schläft einen Schlaf, von dem es kein Erwachen gibt? Nein! ihr wisst schon, was mit ihm vorgegangen ist. Das große Osterthema lautet: Christus ist auferweckt von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters. Fürwahr, wir müssen dem Apostel darin Recht geben, dass diese Auferweckung ein Zeugnis ist der großen, herrlichen Macht Gottes. Nicht als fehlte es uns an sonstigen Beweisen dieser Macht. Es steht ja vor uns der Himmel mit seinem prächtigen Sternenheer, ein Werk dessen, welcher sprach: Es werde! und es ward. Und was uns viel näher steht: unser Leben mit seinen oft so wunderbar gefügten Schicksalen, ist es nicht eine lange Kette von Werken der Allmacht Gottes? Ja, achte nur auf das, was dir begegnet ist von deiner Wiege an bis auf die Gegenwart, so wirst du finden, dass Gottes Hand Großes an dir getan hat und noch immer tut. Aber solches alles konnte die Jünger des Herrn nicht aufrichten, als sie ihren Herrn und Meister verloren hatten. Erst als es hieß: Wir haben den Herrn gesehen! der Herr ist auferstanden von den Toten! da kam Trost, Mut, Leben, Freude in ihr Herz. Es gab für sie kein Werk der Allmacht, das so gewaltig auf ihr Herz und ihr ganzes Wesen wirkte, als eben die Auferweckung Christi von den Toten. Und ist es nicht ebenso mit uns? Wenn du einst auf deinem Totenbette liegst, so kann es dich nicht trösten, wenn man das Fenster deiner Kammer öffnet und dir den gestirnten Himmel zeigt; noch auch dich trösten, wenn man zu dir sagen wollte: Danke Gott, dass er dir bis hierher geholfen hat! Nein, unser Herz mit Mut, Freude und Trost zu erfüllen im Leben und im Sterben, dazu gehört ein anderer Griff. Schaue auf das, was dir Paulus zeigt. Er weist hin auf Christum, den Gott von den Toten auferweckt hat, weil unter allen Taten der Allmacht Gottes keine ist, die mehr mit unserem Herzen, unserem Glauben, unserer Hoffnung in Verbindung steht, als gerade diese Tat! Denn Christus ist ja unser Eins und Alles, und was Gott an Ihm tut, das tut er durch Ihn auch an uns. So wenig man den Weinstock von den Reben trennen kann, so wenig kann man Christum, den Sieger über Grab und Tod, von uns trennen, die wir wie Reben an diesem Weinstock hängen.
Ebendarum weist der Apostel uns auf Christum, den Auferstandenen, hin, dass wir inne werden, wie Gott dieselbe Macht, die er an ihm bewiesen hat, auch an uns beweist. Wie Christus auferweckt ist von den Toten, also wandeln ja wir nun in einem neuen Leben (Röm. 4). Dass der alte Mensch mit seinem Unglauben, Zweifel, Sorge und Angst gestorben und begraben ist und dagegen ein neuer Mensch in uns auferstanden, der gekleidet ist in Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist; der von keinem Tode mehr weiß, sondern in Christo sein Leben für Zeit und Ewigkeit gefunden hat diese große Veränderung wirst du doch wohl ein Werk der Allmacht nennen! Was ist größer: dass der Herr Lazarum lebendig macht mit dem Wort: Lazarus, komm heraus! oder dass er sein mächtiges Wort in dich, den geistlich Toten, dringen lässt, und Alles in und an dir so verändert, dass man sagen muss: das Alte ist vergangen, es ist Alles neu geworden? Sind wir diese neue Menschen, so kann ja von einem Tode gar nicht mehr die Rede sein. Wir hangen mit unserem Glauben und mit unsern Herzen so an Christo, dass Tod und Grab bereits hinter uns liegen, und unser ewiges Leben in Christo angegangen ist, wie denn auch die Schrift so davon redet (Kol. 3): „Ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christo in Gott.“ So ist denn die eine Hälfte schon geschehen, ja weit über die Hälfte, nämlich dass wir geistlich schon auferstanden sind, nach dem besten Stück an uns, also die Seele ihr Teil hinweg hat, und mit Christo im Himmel ist, und nur noch die Hülse und Schale hienieden bleibt, aber um des Hauptstücks willen auch hinnach fahren muss. „Denn weil die Seele durch den Glauben bereits im neuen himmlischen Leben ist, und nicht sterben noch begraben werden kann, so haben wir nicht mehr zu warten, denn dass diese arme Hülle auch neu werde, weil das Beste droben ist, und das Andere nicht hinter sich lassen kann“1).
2.
Der Apostel lässt es aber dabei nicht bewenden, dass er uns Christum zeigt, wie er, auferstanden von den Toten, sich uns wieder zeigt und nun vierzig Tage noch auf Erden sich blicken lässt. Er führt uns in die Höhe und spricht: Gott hat ihn gesetzt zu seiner Rechten im Himmel. Was ist das Sitzen zur Rechten Gottes? Die Apostel Jakobus und Johannes baten einst den Herrn (Mark. 10): Gib uns, dass wir sitzen, einer zu deiner Rechten, und einer zu deiner Linken, in deiner Herrlichkeit. Was wollten sie? Teilnehmen wollten sie an seiner Herrschaft, wenn er, wie sie hofften, sich ein herrliches Reich auf Erden gegründet hätte. Also Teilnahme an der Macht und Herrschaft, die Gott über Himmel und Erde übt, das ist Christi Sitzen zur Rechten Gottes. Nun hat zwar unser Heiland solche göttliche Macht schon gehabt, ehe der Welt Grund gelegt war; aber das ist die herrliche Tat der Allmacht Gottes, dass er Jesum Christum auch nach seiner menschlichen Natur verklärt und seine Macht zu einer Macht über Himmel und Erde erweitert hat. Spuren dieser Macht hat er schon während seines Wandels auf Erden blicken lassen. Denkt an das Wort (Matth. 11): Die Blinden sehen, und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein, und die Tauben hören, die Toten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt. Doch das Alles, worin er seine Macht bewiesen hat an der Welt und an ihren Elementen, an den Menschen und an ihren Herzen, war nur die Morgendämmerung der Herrlichkeit, dass nun alle irdische Schranke, alle menschliche Schwachheit von ihm abgetan, und ihm eine Macht gegeben ist, womit er ohne alle Einschränkung über Alles herrscht.
Bedenkt nun, welcher Trost darin für uns liegt. Es hängt ja unsere Macht ganz an der Macht Christi. Ohne mich könnt ihr nichts tun, spricht er (Joh. 15). Hätte nun Gott Christi Gewalt mit ihm zu Grabe gehen lassen, was wären dann wir, die Zurückgelassenen? Reben an einem ausgestorbenen Weinstock. Wohin dann fliehen in unsern Kämpfen? Woher dann Kraft nehmen in unserer Schwachheit und Trost in unserer Trübsal? Worauf dann hoffen, da wir auf Erden nur Fremdlinge sind? Es wäre nichts mit unserem Glauben, nichts mit unserer Kirche, nichts mit unserem Heil. Aber Gott hat unsern Erlöser gesetzt zu seiner Rechten im Himmel. Warum hat er ihn nicht hier gelassen und ihn zu einem sichtbaren Oberhaupte über die Christenheit gemacht? Ach, dann wäre ja sein Reich ein Reich von dieser Welt geworden, und wäre kein Glaube in der Welt. Dann würden sich die Menschen an ihn drängen ohne Erneuerung ihres Herzens und Sinnes, und würden begehren, äußerlich an seiner Herrlichkeit teilzunehmen. Nicht sehen und doch glauben macht erst wahre Christen. Darum hat Gott ihn vor unsern Leibesaugen weggenommen, dass wir ihn nicht irgendwo an einem besonderen Ort äußerlich suchen sollen, wie die Sonne und den Mond. Aber wo wir ihn mit unserem Glaubensauge suchen sollen, das wissen wir, nämlich zur rechten Hand Gottes, welches die allmächtige Gewalt bedeutet, die allenthalben unsichtbar waltet, so dass Christus nun bei uns ist allezeit und allenthalben. Es bedarf keiner Wallfahrt nach Jerusalem, noch nach Rom, noch nach sonst irgendeinem Ort, sondern wo du gehst und stehst, ob in deinem Hause oder auf deinem Acker, ja wenn du wärest im Feuer oder mitten auf dem Meere, so ist Christus bei dir. Es heißt zwar in unserem Text: er ist im Himmel, aber das bedeutet, dass wir von Christi Herrschaft nicht irdische, weltliche Gedanken haben sollen. Sein Regiment ist erhaben über alles irdische Regiment, ist geistlich, göttlich, ohne Mangel und Maß, und obgleich seine Herrschaft am herrlichsten dort ist, wo Gottes Wille vollkommen geschieht, so waltet er doch mit gleicher Liebe und Weisheit auch hienieden. Der Himmel ist sein Thron, die Erde sein Schemel.
3.
Wer ist wie der Herr, der sich so hoch gesetzt hat? fragt David (Psalm 113). Herrscht er im Himmel, so herrscht er auch über jegliche Obrigkeit und Gewalt und Macht und Herrschaft, wie Paulus sagt. Mit diesen Namen benennt er alle Ordnungen der Engel, die im Himmel sind. Er will uns einen recht hohen Begriff von der Herrschaft unsers Erlösers machen. Wir wissen ja aus der Schrift, dass über uns viele selige Geister sind, ohne Übertretung und Sünde, in deren Wesen die Herrlichkeit Gottes strahlt. Sie sind nicht alle gleich, sondern verschieden nach Macht und Würde. Das geben euch jene vier Namen des Apostels zu erkennen, doch wissen wir nicht, ob er mit solchen Namen auf der Leiter der Würde von unten nach oben oder von oben nach unten steigt, oder ob er bloß den Namen „Engel“ ausmalen will, wie wenn wir statt „Erde“ sagen: Berge und Täler, Äcker und Wiesen, Land und Meer. Ist nun etwa unser Erlöser geworden wie der Engel einer? Nein! spricht Paulus, wenn du mit deinen Gedanken durch den ganzen Raum des Himmels gehst und durch alle Stufen und Ordnungen der Engel, so findest du keinen, der nicht unter dem erhöhten Christus wäre, wie denn auch durch ihn zu Anfang Alles geschaffen ist, das im Himmel und auf Erden ist. Noch mehr: wenn gleich das Reich des Himmels sich erweiterte und größer würde, und zu den vielen Wohnungen im Vaterhause noch andere hinzugetan würden mit noch mächtigeren Geistern, als die schon geschaffen sind, so sollst du wissen, dass Christi Macht geht über alles Geschaffene in alle Ewigkeit. Das wollen die Worte sagen: er ist gesetzt über jeglichen Namen, der genannt wird oder existiert, nicht allein in dieser Zeit, sondern auch in der zukünftigen.
Nun bedenke, mein Christ, welcher Trost in dieser Wahrheit liegt: Zum Ersten siehst du, dass die Gemeinde des Herrn sich weit über unsere Erde erstreckt. Durch die Sünde war eine Kluft entstanden zwischen Himmel und Erde und zwischen denen, die im Himmel und auf Erden sind. Das Band der Liebe, des Friedens und der Seligkeit, das uns an die Engel knüpfte, war zerrissen. Aber wir, die wir versöhnt sind durch Christum, wohnen nun wieder zusammen in Einem Reiche unter dem, der zur Rechten Gottes sitzt, wie der Apostel oben sagte (Kap. 1, V. 10): auf dass alle Dinge zusammen unter Ein Haupt verfasst würden in Christo, beides das im Himmel und auf Erden ist; und anderswo (Hebr. 12, 22): Ihr seid gekommen zu dem Berge Zion, und zu der Stadt des lebendigen Gottes, zu dem himmlischen Jerusalem, und zu der Menge vieler tausend Engel. So ist denn nun der Himmel offen und wir haben die Hoffnung, die nicht trügt, dass wir nach unserer irdischen Pilgerreise teilnehmen werden an der Herrlichkeit der seligen Engel Gottes. Sodann sollst du fest glauben, dass die Herrschaft deines Erlösers, wie sie bisher gedauert hat, auch künftig dauern und kein Ende nehmen werde. Ist er über jeglichen Namen im Himmel gesetzt, so ist er vollends über jeglichen Namen auf Erden gesetzt, jetzt und künftig. Es ist außer Christo schon Mancher auf Erden gewesen, der eine Religion gestiftet und großen und mächtigen Anhang gefunden hat. Aber Aller Herrschaft war vergänglich, ob sie auch tausend Jahre und darüber währte. Eben jetzt neigt sich die Macht Muhameds zu ihrem Ende, die einmal die ganze Christenheit bedrohte. Sollte denn wohl eine Zeit kommen, wo auch des Christentums letzte Stunde schlüge? Nein! es geht wohl die Zeit schwanger mit großen Dingen, aber keinen Namen wird sie ans Licht bringen, der Christi Namen verdunkelte. Setze dich hin in dein Kämmerlein und sinne acht Tage darüber nach, ob dir Jemand eine Wahrheit, eine Tugend, einen Frieden, eine Hoffnung bringen könne, die größer und besser wäre, als die Christus dir gebracht, so wirst du dir nichts ausdenken können, das über Christum ginge und sein herrliches Reich.
4.
Aber sollte Christus wirklich solche große und ewige Macht haben, wie der Apostel sie uns in unserem Texte beschreibt? Wenn nicht im Himmel, sind doch nicht auf Erden Mächte, die ihm siegreichen Widerstand tun? Paulus antwortet: Nein! Alles hat Gott unter seine Füße gelegt. Alles? Aber ist doch nicht die Sünde noch mächtig auf Erden?
Ist nicht noch mächtig der Tod und also auch der Fürst dieser Welt, der durch Beide über die Menschen herrscht? Ist denn Christi Reich so herrlich anzusehen, dass wir frohlockend und triumphierend rufen könnten: Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? Hat nicht vielmehr sein Reich ganz die Gestalt, die er selber hatte, da er noch als der verachtete Zimmermanns Sohn auf Erden wandelte? So könntest du denken und fragen, mein Christ. Aber das Osterfest gibt dir die Antwort. Mit Sünde und Tod ist Christus ins Grab gegangen, mit Vergebung und Leben ist er wieder aus dem Grabe hervorgekommen. Siehe, als Stillfreitag2) war, da sahen wir das Lamm, das der Welt Sünde trug: aber heute, was sehen wir heute? Den, auf dessen Versöhnung Gott sein Siegel gesetzt hat durch die Auferweckung von den Toten. Freitag sahen wir den, der unter seinem Kreuze niedersank und am Kreuze sein Haupt neigte und starb: heute aber, wen sehen wir heute? Den, der durch Gottes herrliche Macht den Tod überwunden bat. Nun ist das teure Evangelium von dem Gekreuzigten und Auferstandenen in die Welt gegangen, und wo es gekommen und geglaubt ist, da hat es allenthalben über Sünde, Tod und Teufel gesiegt. Ach, ärgert euch doch nicht an der äußerlichen Gestalt des Himmelreichs, sondern blickt die tausend mal tausend Gläubigen an, die es mit Herz, Mund und Tat bezeugen, dass Gott Alles unter Christi Füße getan.
Und das eben will uns der Apostel zu unserem Troste sagen, dass wir einen siegreichen Herrn und Heiland haben, durch den auch wir, wenn wir an ihn glauben, mehr und mehr den Sieg über alle unsere Feinde gewinnen werden. Zu Anfang sprach Gott: Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer, und über die Vögel unter dem Himmel, und über das Vieh, und über die ganze Erde. Aber von dieser Höhe der Macht sank der Mensch tief hinab in die Knechtschaft. Der Teufel gewann Macht über ihn, die Sünde stieß ihn aus dem Paradies, der Tod riss ihn ins Grab. War denn nun Gottes Wort zu Boden gegangen? Nein, es sollte dennoch in Erfüllung gehen.
Von dem durch Sünde und Tod so tief erniedrigten Menschen ward geweissagt (Psalm 8): Du, Herr, wirst ihn lassen eine kleine Zeit verlassen sein. Aber mit Ehre und Schmuck wirst du ihn krönen, du wirst ihn zum Herrn machen über deiner Hände Werk, Alles hast du unter seine Füße getan. Auf diese Weissagung beruft sich der Apostel in unserem Text. Hat denn Gott wirklich den verlassenen Menschen wieder erhöht? Ja, in Christo hat er das getan. In ihm, dem Auferstandenen, haben wir wiedergefunden, was wir verloren hatten. In ihm, dem Erhöhten, werden auch wir erhöht über Sünde, Tod und Grab zum ewigen Leben. Hast du zu klagen, lieber Christ, dass du noch immer unter der Herrschaft der Sünde und der Welt und des Todes stehst? Ich meine doch, dass ein Christenmensch ein Herr aller Dinge sei. Bist und lebst du in Christo: wer verklagt dich, wer verdammt dich, ja wer kann dir auch nur Schaden tun? Alle Dinge müssen dir zum Besten dienen. Es ist Alles euer, spricht Paulus es sei das Leben oder der Tod, es sei das Gegenwärtige oder das Zukünftige, Alles ist euer, ihr aber seid Christi (1 Kor. 3). Darum fürchtet euch nur nicht. Kämpft einen guten Kampf des Glaubens, so legt Gott die ganze Welt zu euren Füßen. Was von Christo gilt, das muss auch gelten von denen, die in Christo sind, daher wir sprechen wollen mit Luther:
Und wenn die Welt voll Teufel wär',
Und wollt'n uns gar verschlingen:
So fürchten wir uns nicht so sehr,
Es soll uns doch gelingen.
5.
Es soll und muss. Denn sagt doch, knüpft uns nicht das engste Band der Gemeinschaft an unsern verherrlichten Erlöser? Ja, das hebt Paulus endlich, fünftens, noch zu unserem Troste hervor. Er sagt: Gott hat ihn gegeben zum Haupt über Alles für die Gemeinde, als welche sein Leib ist, die Fülle oder Erfülltheit dessen, der Alles in Allem erfüllt. Es könnte Jemand denken: was hilft es uns, dass Gott Alles unter seine Füße getan: ist's damit auch schon unter unsern Füßen? Aber hier hörest du die Antwort. Gott hat ja Christum damit nicht von uns weggenommen und getrennt, dass er ihn erhöht hat in den Himmel. Sondern was ein Wegnehmen zu sein scheint, das ist in Wahrheit ein Geben, und was ein Trennen zu sein scheint, das ist eine Vereinigung. Wann waren mit dem Herrn die Seinigen enger und inniger und unzertrennlicher verbunden: vor oder nach seiner Auferstehung von den Toten? Vor oder nach seinem Hingang zum Väter? Christus bei uns, Christus in uns! so hieß es ja immer von der Zeit an, da er in ihnen verklärt worden war. Womit soll man die Gemeinschaft vergleichen, worin die Gemeinde und in der Gemeinde jeder einzelne Christ mit dem Erlöser steht? Ist sie wie die Gemeinschaft zwischen Fürst und Untertanen? Nein, das Band ist lange nicht herrlich genug! Oder wie die Gemeinschaft zwischen Mann und Weib? Ja, eine geistliche Ehe nennt die Schrift das Band zwischen uns und unserem Herrn. In unserem Texte aber wird gesagt: wie mit dem Leibe das Haupt, so eng ist Christus verbunden mit der Gemeinde. Ein Haupt über Alles ist er uns, das heißt, unser höchstes Haupt; es ist nichts, das ihm nicht unterworfen sei. Unser Leben und unser Schicksal, unser Gehen und unser Stehen, unser Tun und unser Lassen, unser Reden und unser Denken, unser Wollen und unser Empfinden, unsere Gegenwart und unsere Zukunft, Alles, Alles steht in seiner Hand und unter seiner Leitung. Das Haupt steht ja in dem unmittelbarsten Zusammenhange mit dem Leibe: so Christus mit uns; wir haben Alle allenthalben und zu aller Zeit freien, fröhlichen Zutritt zu ihm und durch ihn zum Vater. Das Haupt lenkt und leitet alle Bewegungen des Leibes: so lenkt und leitet der Herr Alles in und unter uns; wir tun und unternehmen ja Nichts ohne ihn. Vom Haupte dringt Leben und Empfindung durch alle Glieder: und was haben wir an geistlichem Leben, an Liebe, Kraft, Trost, Freude, das nicht alles von Christo käme?
Welch ein Trost ist das für uns, liebe Christen! Sind wir so innig mit ihm vereint, so nehmen wir ja auch Teil an der ganzen Lebensfülle unsers himmlischen Hauptes. Es ist wahr, wir sind nicht die einzigen Geschöpfe auf Erden, die sich der Mitteilung des Lebens durch ihn zu erfreuen haben. Er erfüllt ja Alles in Allem, wie der Apostel spricht. Lebt irgendetwas auf Erden oder im Himmel, das sein Leben nicht von Gott durch den Sohn empfangen hätte? Es sei eine Blume in der Wiese, oder ein Baum im Walde, oder ein Vogel in der Luft, oder ein Fisch im Meer, oder was es sei, so hat's Leben und Bewegung in ihm, durch welchen alle Dinge geschaffen sind, und der sie alle trägt mit seinem kräftigen Wort; ja, auch die Himmel sind allenthalben seiner Ehre voll. Aber kann sich irgendeine Kreatur mit uns messen, wenn wir daran denken, welcher Strom des Segens an himmlischen Gütern von ihm sich in die Gemeinde ergießt? Nehmen wir nicht aus seiner Fülle Gnade um Gnade? Sind wir nicht seine Behausung und sein Tempel, worin er wohnt und wandelt? Das Licht der Erkenntnis, das uns erleuchtet, die Kraft im Kampfe, die uns stärkt, der Friede im Gewissen, der uns erquickt, der Trost in der Trübsal, der uns aufrichtet, die Liebe zu den Brüdern, die uns verknüpft, die Aussicht in die Ewigkeit, die uns erhebt, die Freudigkeit im Sterben, die uns den legten Kampf erleichtert: kommt nicht das Alles von ihm? Kann der Frühling eine so schöne Lebensfülle in die Natur bringen, wie Christus in seine Gemeinde bringt?
Nun seht, das ist der reiche Trost, den wir aus der Erhöhung unsers Erlösers schöpfen. O dankt Gott für seine Wundermacht, die er an Christo bewiesen hat, dass er ihn auferweckt hat von den Toten, ihn gesetzt zu seiner Rechten, ihn erhoben über die Engel, Alles unter seine Füße gelegt und ihn gegeben hat als Haupt für die Gemeinde.