Hofacker, Wilhelm - Am Gründonnerstag. (Erste Predigt. Vorbereitungspredigt.)

Hofacker, Wilhelm - Am Gründonnerstag. (Erste Predigt. Vorbereitungspredigt.)

Text: Lucä 22, 13-23.
Sie giengen hin, und fanden, wie Er ihnen gesagt hatte, und bereiteten das Osterlamm. Und da die Stunde kam, setzte Er sich nieder, und die zwölf Apostel mit Ihm. Und Er sprach zu ihnen: Mich hat herzlich verlanget, dieß Osterlamm mit euch zu essen, ehe denn ich leide; denn ich sage euch, daß ich hinfort nicht mehr davon essen werde, bis daß erfüllet werde im Reich Gottes. Und Er nahm den Kelch, dankete, und sprach: Nehmet denselbigen, und theilet ihn unter euch; denn ich sage euch: ich werde nicht trinken von dem Gewächs des Weinstocks, bis das Reich Gottes komme. Und Er nahm das Brod, dankte, und brach es, und gab es ihnen, und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das thut zu meinem Gedächtniß. Desselbigen gleichen auch den Kelch nach dem Abendmahl, und sprach: Das ist der Kelch, das neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird. Doch siehe, die Hand meines Verräthers ist mit mir über Tische. Und zwar des Menschen Sohn gehet hin, wie es beschlossen ist. Doch wehe demselbigen Menschen, durch welchen er verrathen wird. Und sie fingen an zu fragen unter sich selbst, welcher es doch wäre unter ihnen, der das thun würde.

Im Kleinen groß, im Geringfügigen erhaben zu sein, ist Gottes Art und Weise. Auch im Evangelium, dem Ausdruck seines Willens und Wesens, begegnet uns dieses eigenthümliche Gepräge. Wie der Sohn Gottes arm und niedrig auf Erden wandelte und doch dabei der Herr der Herrlichkeit blieb, wie Er selber den Schatz Seiner ewigen Gottheit in dem unscheinbaren Gefäß der niedrigen Knechtsgestalt barg, so ist es auch mit all seinen Worten und Anordnungen, so namentlich auch mit dem heiligen Mahle, das Er in jener denkwürdigen Leidensnacht gestiftet hat, und in dem Er sich selbst gegenwärtig darstellen und wesentlich sich uns mittheilen will. Mit bloß natürlichen Augen die Sache betrachtet, kann es wohl nichts Geringfügigeres geben, als ein wenig Brod zu essen und etliche Tropfen Wein zu trinken; - des Alltäglichste, was ein Mensch nur thun kann. Und doch knüpft der Mund der göttlichen Wahrheit an diesen Genuß Verheißungen und Versicherungen, die das Höchste und Innerlichste in unserm geistigen Leben betreffen und durch ihre Tiefe und Höhe uns wahrhaft in Erstaunen setzen müssen. Der Heiland sagt ja: „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das ist mein Blut, das für euch vergossen wird;“ und anderswo setzt Er hinzu: „Wenn ihr nicht esset das Fleisch des Menschensohnes und trinket Sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der bleibet in mir und ich in ihm.“ Wem würde es einfallen, so erhabene und herrliche Dinge hinter der an und für sich betrachtet so unbedeutsamen Handlung des Essens und Trinkens vom Brod und Kelch des Altars zu suchen, wenn es uns nicht der Mund des wahrhaftigen Zeugen selbst, auf dessen Lippen noch nie ein Betrug erfunden worden ist, besiegelt und bekräftigt hätte? Er bleibt auch hier bei dem in Seinem Reiche tausendfältig erprobten Grundsatze, an das Kleine das Größte, an das Unbedeutende das Bedeutungsvollste und Ehrwürdigste anzuknüpfen.

Freilich auch von unserer Seite darf es nicht an dem Sinne aufgeschlossener Empfänglichkeit fehlen, wenn das heil. Abendmahl seine wunderbare Kraft und seine überschwängliche Segensfülle an uns erproben soll. Wenn Christus uns, den Sündern, die ernste Weisung gibt, wir sollen das Heiligthum nicht den Hunden geben und die Perlen nicht vor die Schweine werfen, wie viel weniger wird Er selbst. Er der Heilige und Herzenskündiger, das Heiligthum Seines Hauses an rohe und ungöttliche Herzen verschleudern und die Perlen Seines Reiches zum Zertreten denjenigen vor die Füße werfen, die, ferne von heiliger Scheu und schuldiger Ehrfurcht, ohne Buße und Reue, ohne Glauben und ohne Heiligung, Seinem Tische sich nahen und die dargebotene Gnade auf Muthwillen ziehen. Nein, das, was der Herr vom heil. Geist gesagt hat: „Die Welt kann ihn nicht empfahen, den Geist der Wahrheit, denn sie stehet ihn nicht und kennet ihn nicht,“ das gilt auch vom heil. Abendmahl; die Welt, die unbußfertige, die in Sünden todte Welt, kann den Segen desselben nicht empfahen, es sei denn zu ihrem eigenen Fluch und Gericht, indem sie schuldig wird an dem Leib und Blut des Herrn und isset und trinket sich selber das Gericht.

Es liegt deswegen hier für jeden nachdenkenden Abendmahlsgenossen eine ernste Aufforderung, mit wohlbedächtigem Sinne dem Altar zu nahen und der apostolischen Weisung gemäß sich gründlich zu prüfen, ob er würdig erfunden werde, zu erscheinen vor dem Angesichte dessen, der Herzen und Nieren erforscht, vor dem der Sünder nicht bestehen kann, der aber gegen die Demüthigen und Leidtragenden den Scepter Seiner Barmherzigkeit huldreich zu neigen versprochen hat. Zur Vervollständigung unserer Vorbereitung wollen wir deshalb uns die Frage zu beantworten suchen:

Wohin stellt uns das heilige Mahl des Herrn? Wir antworten unserm heutigen Texte gemäß:

  1. Vor das prüfende Auge des Herzenskündigers;
  2. An einen Tisch, reich besetzt mit kostbaren Himmelsgütern;
  3. Mitten hinein unter die Schaar einer mit uns gleich bedürftigen Jüngerschaft;
  4. In ein Heiligthum, von dem aus uns Blicke vergönnt sind in das Allerheiligste der unsichtbaren Welt.

I.

Die Apostel mußten in jener denkwürdigen Abendstunde, in der der Herr Sein Segensmahl stiftete, Alle ohne Ausnahme vor das prüfende Auge des Herzenskündigers sich stellen; auch ihnen konnte eine ernste und genaue Durchsuchung ihres Innern nicht erlassen werden. „Die Hand meines Verräthers ist mit mir über Tische; wahrlich Einer von Euch wird mich verrathen:“ - dieses Wort aus dem Munde Christi war für sie Alle eine so erschütternde Kunde, daß sie traurig wurden, und einer nach dem andern sich ins Gericht vor den Herrn stellte mit der Frage auf den Lippen: Herr, bin ich's, bin ich's? Sie durchforschten alle Winkel ihres Herzens, sie ließen das Auge des großen Menschenkenners bis in die innersten Falten desselben dringen und wurden nicht eher ruhig, bis sie ihm das Gelübde ihrer unwandelbaren Anhänglichkeit wiederholt und durch den getrosten Sinn, mit dem sie ihm ins Angesicht schauen konnten, im Geist das Bekenntniß abgelegt hatten: „Herr: Du weißest alle Dinge, Du weißest, daß wir Dich lieb haben.“

Sehet da im Bilde, wohin auch wir uns vor allen Dingen zu stellen haben, wenn das Mahl des Herrn ein Mahl des Segens und Lebens für uns werden soll. Wir sind Alle zu diesem hohen Himmelsgute berufen und Keiner ist ausgeschlossen, der sich selbst zu prüfen vermag; aber wisset, wie dort der König hineintritt in jenem Gleichniß, um seine Gäste zu besehen, so pflegt Derjenige durch die Reihen seiner Abendmahlsgenossen zu wandeln, der den Schlüssel zu den innersten Gemächern unseres Herzens hat, und vor dem auch der verborgenste Rath der Seelen offenbar ist. Was wird wohl das Ergebniß seyn von dieser seiner prüfenden Umschau unter uns? Er wird Leute unter uns finden, die nicht nur lange Seinem Gnadentische ferne geblieben, sondern auch Ihm, dem treuen Freund ihrer Seelen, verdeckter oder offenbarer aus dem Wege gegangen sind; Er wird sie etwa fragen: wie lange her ist's, daß wir uns nicht mehr gesehen haben? Ich habe dich gesucht, und du ließest dich nicht finden, ich habe dich gelockt und du ließest dich nicht ziehen, ich habe dich gerufen, du wolltest nicht hören: werden sie nicht bei solchen Fragen ihre Augen niederschlagen und mit Schaam und Reue ihre Schuld eingestehen müssen? Er wird andere Gäste finden, die da kommen nach hergebrachter Sitte und Gewohnheit, einmal des Jahres oder zweimal, Familien, die durch die Rücksicht auf den guten Ton herzugeführt werden, Männer', denen die Frauen keine Ruhe mehr ließen; sie kommen mehr aus äusserem Zwang, als mit fröhlichem und freiwilligem Geiste. Der Herzensfündiger muß sie fragen: Freund, wie bist du hereingekommen und hast doch das hochzeitliche Gewand der Heilsbegierde, der Bußfertigkeit, der Armuth im Geiste nicht angelegt? wie kannst du hoffen, vor meinen Augen zu bestehen, da ich das Herz anschaue und jede, auch die blendendste Heuchellarve verabscheue? Wieder Andere wird Er finden, die da nahen, um Ihm äusserlich ihre Achtung zu bezeugen und es durch die That zu beweisen, daß sie vor Ihm und allen seinen Anstalten schuldige Ehrfurcht empfinden; es beschäftigt sie gerade eine Angelegenheit, bei der sie ohne besondern Beistand von oben nicht auszureichen hoffen; nun wollen sie Ihm den Gefallen thun, in öffentlicher Gemeinde ihn zu ehren und zu bekennen, damit auch Er ihnen den Gefallen thue und mit Rath und Hülfe ihnen beistehen möge. Wird Er ihnen nicht das richtende Wort entgegen rufen müssen: Dieß Volk naht sich mir mit seinen Lippen, aber ihr Herz ist ferne von mir? Noch andere Abendmahlsgäste wird Er finden, solche, die sich's zum Verdienst und zur Gerechtigkeit anschreiben, bei seinem Tische zu erscheinen, die vielleicht mit pharisäischem Eigendünkel auf Andere neben sich herabsehen; sie zwingen sich etwa, ein paar Tage lang ernsthafter zu seyn, sie unterlassen ihre Lieblingszerstreuungen, werden eingezogen und stiller, durchblättern ihr Communionbuch, dann aber glauben sie ihre Schuldigkeit gethan, alle Gerechtigkeit erfüllt zu haben; sie gleichen jenem Manne, der sein leibliches Angesicht beschauet, aber nachdem er sich beschauet hat, von Stund an davon geht und vergißt, wie er gestaltet war! Der Herr aber muß sie fragen: wo bleibt das Wichtigste im Gesetz und das rechte Opfer, das dargebracht werden soll? Warum begebt ihr nicht eure eigenen Leiber und Herzen zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst?

Wähnet nicht, daß ich zu hart hier rede, und Gesinnungen und Verkehrtheiten in euch voraussetze, die nirgends sich finden. Ich weiß gewiß, daß gegen Manchen unter euch sein Gewissen zeugen und die Wahrheit meiner Worte bestätigen wird; darum demüthiget euch und gebet Raum dem Geist der Zucht und der Selbsterkenntniß, und thut rechtschaffene Früchte der Buße, damit eure Sattheit in geistlichen Hunger, euer vermeintlicher Reichthum in geistliche Armuth verwandelt werde, und auch ihr noch den Herrn von Angesicht zu Angesicht zu sehen bekommt, und eure Seele genese zum ewigen Leben.

Es gibt freilich auf der andern Seite auch noch andere Abendmahlgäste, auf die sich das Wort anwenden läßt: „der Herr kennet die Seinen.“ Sie kommen gehoben vom frohen Gefühl ihres Gnadenstandes, oder gebeugt über ihre mancherlei Versäumnisse; trauernd über ihr fühlbares Zurückbleiben auf dem Wege der Gottseligkeit oder im Verlangen nach geistlicher Stärkung; oder sie sind im Zweifel, ob sie auch würdig und tüchtig seyen, daß der Herr sakramentlich sich mit ihnen verbinde, ob die rechte Andacht und festliche Stimmung ihre Herzen erfülle; früher haben sie das heil. Mahl mit tiefer Bewegung und Beugung ihres Gemüths, mit glühender Inbrunst und Heilsbegierde empfangen, jetzt aber finden sie nichts in ihrem Innern vor, als peinliche Leere und Dürre und es schmerzt sie, daß sie dem Herrn nichts darbringen können, als ein vertrocknetes Gemüth, ein erstorbenes und matt gewordenes Herz. Was wird der Herzenskündiger wohl zu diesen sagen? Wird Er sie wegscheuchen, mit der Geißel seines richtenden Wortes sie hinausweisen aus dem Heiligthum? Wird Er zu ihnen sprechen: Weichet, ihr Uebelthäter, ich habe euch noch nie erkannt? O nein, denn es steht von Ihm geschrieben: Das zerstoßene Rohr wird Er nicht zerbrechen, das glimmende Docht wird Er nicht auslöschen. Wer zu mir kommt, hat Er verheißen, den will ich nicht hinausstoßen; denn ich sehe an den Elenden und der zerbrochenen Geistes ist und der sich fürchtet vor meinem Wort.

Drum, ach Jesu, Du alleine
Sollst mein Ein und Alles seyn;
Prüf, erfahre, wie ich's meine,
Tilge allen Heuchelschein.
Sieh, ob ich auf bösem, betrüglichem Stege,
Und leite mich, Heiland, auf ewigem Wege!
Gib, daß ich nichts achte, nicht Leben, noch Tod,
Und Dich nur gewinne: dies Eine ist Noth!

II.

Vor das prüfende Auge des Herzenskündigers werden die Abendmahlsgäste zuerst gestellt. Wer aber diesem forschenden Blicke nicht ausweicht und dem Lichte der göttlichen Wahrheit stille hält, der ist festlich geladen, getrost und freudig heranzutreten zu einem reich besetzten Gnadentisch.

Sehr einfach waren die Gaben, welche die Jünger auf dem Abendmahlstische vorfanden. Ein ungesäuertes Brod, das der Herr brach, ein Kelch mit Wein, den Er herumbot, das war Alles, was das irdische Auge erblicken konnte. Und doch welch' eine reiche Gnadenfülle bot Er an in, mit und unter dem Brod und Wein! Das ist mein Leib, sprach Er, welcher für euch gegeben wird; das ist mein Blut, setzte Er hinzu, das Blut des neuen Testaments, vergossen zur Vergebung der Sünden. Der ganze Reichthum neutestamentlicher Gnade und Wahrheit schloß sich damit den Aposteln auf. Hier sahen sie den Mittler des ewigen Friedensbundes, der nicht bloß leidend und sterbend sie erkaufen und erlösen, sondern auch sich selbst und Sein wahrhaftiges Leben ihnen mittheilen wollte; hier sahen sie das Siegel des neuen Bundes, das Blut der Besprengung, das vergossen werden sollte zum Heil der Welt, um unser Gewissen zu reinigen von den todten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott; hier sahen sie die seligste und edelste Frucht, die aus dem reinen und heiligen Opfer Christi sprossen und allen reumüthigen Sündern umsonst und unverdient zu Theil werden sollte, nämlich Vergebung der Sünden und mit ihr Leben und Seligkeit. All das wurde ihnen unter den sichtbaren Zeichen des Brodes und Weines von dem Geber aller wahrhaftigen Gaben nicht nur feierlich zugesichert, sondern auch wesentlich und wahrhaftig mitgetheilt. Sie waren zur Tafel des großen Königs des Himmelreichs geladen; darum sollten sie auch königliche Gaben und unbezahlbare Güter aus Seiner milden Hand in Empfang nehmen. Heil uns! auch uns gilt die nämliche Verheißung des Herrn, denn Er ist gestern und heute und derselbe in Ewigkeit. Zwar nur irdisches Brod und nur Gewächs vom irdischen Weinstock stellt sich unserem leiblichen Auge auf dem Altare dar; der Glaube aber sieht in höherem Licht, wie der HErr. der Herrlichkeit in wirksamer Allgegenwart inmitten Seiner Gemeinde thront und als der reiche Spender unvergänglichen Lebens alle Hungernden und Dürstenden speisen und tränken läßt mit den Gütern Seines Hauses; er sieht den preiswürdigen Tilger unsrer Sündenschuld, der sein Leben nicht lieb hatte bis in den Tod und, nachdem Er es nun wieder an sich genommen, als der allmächtige Geber aller vollkommenen Gaben im heiligen Abendmahl zu uns das Wort redet: „Ich lebe und ihr sollet auch leben;“ ja er sieht den Himmel offen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes sitzen, von dem herab Er in unbegreiflicher Herablassung zu den Sündern sich neiget, um, wie Er sie vertritt vor dem himmlischen Vater im ewigen Heiligthum, so zugleich in ihnen zu wohnen und zu leben und zu Einem Geist mit ihnen zusammenzufließen. Aus der durchgrabenen Hand dieses ewigen Mittlers aber nimmt der Glaube Alles das dahin, was Seine Liebe ihm zugedacht, das Brod des Lebens und das Blut der Versöhnung, als Unterpfand Seiner unwandelbaren Erlöserstreue, als Siegel des Gnadenbundes, der auf Golgatha errichtet ewiglich dauert, als Gewährschaft einer unauflöslichen Gemeinschaft mit Christo, unserem himmlischen Haupte. Was anders aber erlangt dadurch die heilsbegierige Seele, als die Gewißheit, daß die Sünde ihr vergeben, ihre Missethat bedecket ist, und jene neue Kraft, mit der sie wandeln kann, ohne müde zu werden, und jenen neuen Frieden, der, höher als alle Vernunft, den suchen den Geist zur wahren Ruhe bringt, und jenen neuen Muth, der unter der Last des Kreuzes doch nicht verzagt, und jene siegende Hoffnung, die weder durch Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder durch Tod noch Leben sich scheiden läßt von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm HErrn.

So reich ist der Gnadentisch besetzt, zu dem wir berufen sind, und an alle Hungernden und Dürstenden ergeht die Ladung: Kommet zum Abendmahl des großen und seligen Gottes, es ist alles bereit! Der Herr selber will sich aufschürzen und euch dienen; ihr sollt essen und satt werden, und euer Herz soll sich freuen und eure Freude soll Niemand von euch nehmen!

Gewiß mein Freund gibt solche edle Gaben,
Die alle Welt mir nicht gewähren kann.
Schau an die Welt, schau ihren Reichthum an!
Sie kann ja nicht die müden Seelen laben!
Mein Jesus kann's, Er thut's im Ueberfluß,
Wenn alle Welt zurücke stehen muß.

III.

Nicht alleine jedoch und in getrennter Vereinzelung sollen wir dem Gnadentisch uns nahen, sondern in der Gemeinschaft einer mit uns gleichbedürftigen Jüngerschaar.

Christus, das lebendige Haupt der Seinigen, der mit ihnen eins seyn und immer mehr eins werden will durch den Glauben, will, daß auch wir, die Glieder Seines Leibes, immer mehr unter einander eins werden durch das Band der Vollkommenheit, durch das Band des Friedens und der Liebe. Auch hiezu soll das heilige Abendmahl dienen.

Die Jünger des Herrn waren ihrer natürlichen Beschaffenheit nach von verschiedener Eigenthümlichkeit und ungleichem Charaktergepräge; da war ein feuriger, schnell auswallender Petrus, bei dem das schwellende Herz, die vorlaute Zunge oft über das Maaß ruhiger Besonnenheit hinausgriff, hier dagegen ein bedächtlicher, zum Trübsinn geneigter Thomas, der, wenn er auch gerne glauben wollte, nur langsam und zögernd glauben konnte; da war eine innige, zart gefiederte Johannes-Seele, die am liebsten im inwendigen Heiligthum des verborgenen Lebens mit Christo in Gott sich ansiedelte, dort dagegen ein kräftiger und nervigter Jakobus-Geist, der den Glauben in's äußere Leben einzuführen und ihn mit dem Werk zu bethätigen für die erste und wichtigste Aufgabe hielt; da war ein aufrichtiger, argloser Nathanael, in dem schon vor seiner Bekehrung kein Falsch sich fand, dort ein im Zollgewerbe herangereifter Matthäus, der wohl nicht ohne Narben im Gewissen dem Dienst des ungerechten Mammons sich entschlug; - kurz, Verschiedenheiten aller Art drückten einem Jeden ein verschiedenes Gepräge auf. Zudem hatte ja noch selbst beim Abendessen die Sucht des unseligen Großwerdens und der vergiftete Trieb eitler Selbstgefälligkeit allerhand Reibungen unter den Jüngern hervorgerufen und ihre Gemüther mehr oder minder entzweit und einander entfremdet. Ueber jetzt sollten sie zusammenfließen in Einem Geist unter Christo, dem Einen Haupte, in Liebe und Frieden sich zusammen fassen lassen als Glieder Eines Leibes. Hierauf wies sie schon das eine Brod hin, das der HErr brach, und der eine Kelche, den Er kreisen ließ; „denn zu gleicher Weise,“ sagt eine alte Abendmahls-Vermahnung, „wie aus viel Beeren zusammengekeltert Ein Wein und Ein Trank fleußt und sich in einander mengt, und aus vielen Körnern Ein Mehl gemahlen, Ein Brod bereitet wird: also sollen wir Alle, so durch den Glauben Christo einverleibet sind, durch brüderliche Liebe um Christi willen Alle wie Ein Leib, Trank und Brod werden, und solches nicht mit leeren Worten, sondern mit der That und Wahrheit, ohne allen Betrug, treulich gegen einander beweisen.“ Das heilige Abendmahl begründet eine Familien-Genossenschaft unter allen denen, die es im Geist und in der Wahrheit genießen. Da gilt kein äußerlicher Unterschied; reich oder arm, vornehm oder gering, gelehrt oder ungelehrt, alt oder jung, Herr oder Knecht, - sie Alle sind nur Einer in Christo, und Er Aller einziger HErr, reich über Alle, die Ihn anrufen. Ebenso wenig aber gelten hier auch die innern Unterschiede des geistlichen Alters und der geistlichen Vollkommenheit; ob du ein neugebornes Kind erst bist, dich nährend an der lautern Milch des Evangeliums, oder ein Mann in Christo, tauglich, die Kriege des HErrn zu führen und das Bekenntniß Seines Namens an der Stirne zu tragen; ob du noch zu den Unmündigen gehörst und zu den Säuglingen, durch deren Mund sich der HErr ein Lob zurichtet, oder zu den Vätern im Rath, bei denen Weisheit ist und besonnener Verstand; ob du zu den Stillen im Lande gehörst, die nur der kennt, der in's verborgene Kämmerlein schaut, oder aber zu den Bürgern der offenkundigen Stadt, die, auf dem Berge liegend, von weitem schon gesehen wird; -all' das fällt nicht in die Wagschale; hier sind sie Alle Einer in Christo; keiner hat einen Vorrang; sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollten; sie sind Schuldner und können nicht bezahlen, und brauchen allesamt Gnade und Vergebung, die einem jeden so nahe ist wie dem andern, dieweil sie eine freie Gabe und ein unverdientes Geschenk dessen bleibt, vor dem kein Ansehen der Person gilt. Nur Ein Gefühl soll deßwegen hier Alle durchdringen, das gemeinsame Bewußtseyn:

Er das Haupt, wir Seine Glieder,
Er das Licht und wir der Schein,
Er der Meister, wir die Brüder,
Er ist unser, wir sind Sein.

Hinweg also mit aller Scheelsucht und allem Neid, hinweg mit aller Bitterkeit und allem Haß, hinweg auch mit den leichteren Anflügen von Verstimmung und Gespanntheit! Unter dem Kreuze Christi biete jeder dem andern die Bruderhand! Hat ja doch der ewige Hohepriester in der Stunde des Abschieds keine dringendere Bitte vor den Thron des Vaters niedergelegt, als die: „daß sie Alle Eines seyen, gleich wie Du, Vater, in mir und ich in Dir, daß auch sie in uns Eines seyen, auf daß die Welt glaube, Du habest mich gesandt.“

Drum, Du holder Freund, vereine
Deine Dir geweihte Schaar,
Daß sie sich so herzlich meine,
Wie's Dein letzter Wille war!
Ja, verbinde in der Wahrheit, Die Du selbst im Wesen bist,
Alles, was von Deiner Klarheit In der That erleuchtet ist.

IV.

Jedoch wir müssen noch um eine Stufe höher hinan. Beim heiligen Abendmahl nämlich geht unserem Auge eine noch höhere Glaubens-Anschauung auf; wir treten hinein in ein Heiligthum, von dem aus uns Blicke vergönnt sind in das Inwendige des Vorhangs, in das Allerheiligste des himmlischen Tempels, wo der Herr mit Seinen Erlösten auf's Neue das Brod des Lebens bricht in Seines Vaters Reich.

Dorthin war auch der Hoffnungsblick des Heilands selbst gerichtet, als Er mit Seinen Jüngern zum letzten Mahle, sich niederließ. Er wußte, daß Seine Stunde gekommen sei, daß Schrecken und Finsterniß auf Ihn fallen, nächtliches Todesgrauen Ihn bedecken werde; aber Er wußte auch, daß dieß der ihm vom Vater verordnete Weg sei, auf dem nicht bloß Er selbst zur Verklärung gelangen, sondern auch der gefallenen Menschheit die verschlossene Pforte des Paradieses wieder geöffnet, die Früchte vom Baum des Lebens den Erlösten zugänglich gemacht, und das große Vaterhaus mit seligen Gästen, die zum Abendmahl des Lammes berufen sind, gefüllt werden würde. Auf diesen herrlichen Preis und Lohn Seiner schweren Leidensarbeit schaute Er hinauf, da Ihm bange wurde vor der Taufe, die an Ihm vollendet werden sollte; dieses große Ziel im Auge, lief Er die Bahn des Kampfes, der Ihm verordnet war, wie ein Held, und vertröstete auch Seine Jünger auf eine Zeit, da sie den Kelch des unvergänglichen Lebens mit Ihm neu trinken würden in des Vaters Reich.

„Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts andres denn Gottes Haus; hier ist die Pforte des Himmels;“ - so müssen deßwegen auch wir, wie Jakob einst in Bethel, am Altare Christi ausrufen, wenn uns das Auge des Glaubens' in's Unsichtbare hinein hell und wacker wird. Auch wir gewahren hier in der That und Wahrheit eine Himmelsleiter, auf der der HErr der Herrlichkeit nicht bloß zu uns herniedersteigt, nein, auf der wir selbst zu Seiner Herrlichkeit erhoben werden. Denn sind wir hienieden schon Seines Leibes und Blutes theilhaftig geworden, so haben wir eben damit Pfand und Siegel dafür, daß uns der ganze Reichthum Seines herrlichen Erbes als Miterben einst zu Theil werden, und wir mit Ihm leben und herrschen werden in Ewigkeit. Ja, das Mahl des HErrn, das wir hienieden im irdischen Schwachheitsstande zu feiern gewürdigt worden sind als Glieder der streitenden Kirche, bleibt uns Bürgschaft und Angeld für die selige Hoffnung, daß wir es in ganz anderer, vergeistigter und verherrlichter Gestalt droben einst wieder feiern dürfen mit den Schaaren der vollkommenen Gerechten im himmlischen Vollendungssaal. Dann erst werden wir das geheimnißvoll tiefe Wort aus dem Munde Christi verstehen: „wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am jüngsten Tage.“ Auch unsere sterblichen Leiber werden lebendig gemacht um deßwillen, daß Sein Geist in uns gewohnet, unser Mund sein Fleisch gegessen und sein Blut getrunken hat. Der Tod wird verschlungen seyn in den Sieg, und die Leiden dieser Zeit nicht werth erscheinen der Herrlichkeit, die dann an uns geoffenbaret wird.'

Großes Abendmahl der Frommen,
Tag des Heils, wann wirst du kommen,
Daß wir mit der Engel Chören,
HErr, Dich schau'n und ewig ehren?

Hallelujah! welche Freuden
Sind die Früchte Deiner Leiden!
Hilf, daß wir Dir leben, sterben,
Deine Herrlichkeit miterben

Amen!

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