Wir sind in dieser Welt beständig den Beleidigungen von Andern ausgesetzt. Viele derselben ziehen wir uns selbst zu, viele dagegen mögen wir nicht verdient haben. Ist unser Eigentum uns genommen, unser Charakter verunglimpft oder unsere Ruhe gestört worden: so sind wir sofort bereit, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, und zwar nicht allein dann, wenn man ein schweres Unrecht an uns verübt, sondern auch wenn es sich um geringfügige Dinge des tagtäglichen Lebens handelt. Ein rasches Wort, ja ein einziger Blick sind schon hinreichend, um gewisse Leute in den Harnisch zu jagen. Ein verdrießlicher Zuspruch oder eine hochmütige Gebärde finden sogleich ihre Erwiderung. Wir sind alsbald zum Zorn gegen unsere Nächsten geneigt, denken von unsern Feinden das Schlechteste und sind träge und langsam zum Vergeben. Völlig verschieden davon war das Benehmen unseres Heilandes. Von den Menschen ward Er sein ganzes Leben hindurch verachtet und verworfen, und dennoch ging Er umher und tat nur Gutes. Er beleidigte Niemanden, und doch war Er stets das Opfer des Hasses und der Beschimpfung. Wie seine Feinde nicht müde wurden, Ihn zu beleidigen und zu verfolgen bis in den Tod, so ward Er nicht müde, sie zu retten und selig zu machen. Ja, noch am Kreuze betete Er für seine Mörder: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.

In dieser Hinsicht ist uns sein Benehmen so klar und nachdrücklich zur Nachahmung aufgestellt. Wenn ihr um Wohltun willen leidet und erduldet, das ist Gnade bei Gott. Denn dazu seid ihr berufen. „Sintemal auch Christus gelitten hat und uns ein Vorbild gelassen, dass ihr nachfolgen sollt seinen Fußstapfen, welcher nicht wiederschalt, da Er gescholten ward, nicht drohte, da Er litt.“ Diesen Geist prägt Er ein allen seinen Nachfolgern. Selig sind die Sanftmütigen! Selig sind die Friedfertigen! Liebt eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen.“ In demselbigen Sinne ermahnten auch seine Apostel: „Ziehet an als die Auserwählten Gottes, Heilige und Geliebte, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld, und vertrage Einer den Andern und vergebet euch untereinander, so Jemand Klage hat wider den Andern, gleichwie Christus euch vergeben hat, also auch ihr.“ Und: „Vergeltet nicht Böses mit Bösem, oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern dagegen segnet.“ Ferner: Rächt euch selbst nicht, meine Liebsten, sondern „gebt Raum dem Zorn, denn es steht geschrieben: Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr. So nun deinem Feind hungert, so speise ihn; dürstet ihn, so tränke ihn.“

Es gilt für eine besondere und herrliche Auszeichnung der Nachfolger Christi, dass sie Andern keine Beleidigungen antun dass sie dieselben nicht betrügen, nicht übervorteilen, nicht schimpfen und sie nicht verleumden. Allein wie oft vergessen wir, dass wir Christo nachfolgen sollen in der Ertragung von Beleidigungen! Wenn ein Christ einem heftigen oder unversöhnlichem Sinne Raum gibt; wenn er über eine Kleinigkeit böse wird und nicht die kleinste Beleidigung einstecken kann; wenn er auf der Stelle zur Rache bereit, aber langsam zum Vergeben ist, wie betrübt muss dann Christi Geist, wie geschmäht die eigene Seele werden, und wie müssen Alle, die Zeugen davon sind, sich von einer Religion, die auf eine so jämmerliche Weise von ihren Bekennern vertreten wird eher abgestoßen, als angezogen fühlen!

Sanftmütiger, huldreicher Jesu! hilf mir, dass ich folge deinem Beispiel, damit ich mich nicht allein fern halte von Allem, was Andere beleidigen kann, sondern auch Anderer Beleidigungen geduldig über mich ergehen lasse, und dass ich lieber Unrecht leide, als tue. Gib, dass ich langsam bin zum Zorn und schnell zum Vergeben, Gutes tue für das Böse, und allen Menschen dadurch zeige, dass ich Dir nachfolge in der Tat und in der Wahrheit!

1 Petr. 2,20.21.23. Matth. 5,5.9.44. Röm. 8,17-21. 1 Kor. 13. Gal. 5,14-26. Ephes. 4,31.32. Kol. 3,12-14.