Gräber, Franz Friedrich - Die Wunder des Geistes.
Pfingstpredigt über Apostelgeschichte 4, 31-33.
von Dr. F. F. Gräber, Assessor der Rheinischen Provinzial-Synode, Pfarrer in Barmen.
Die Gnade unsers Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns Allen. Amen.
Text: Apostelgesch. 4, 31-33.
„Und da sie gebetet hatten, bewegte sich die Statte, da sie versammelt waren; und wurden Alle des heiligen Geistes voll, und redeten das Wort Gottes mit Freudigkeit, Der Menge aber der Gläubigen war Ein Herz und Eine Seele, auch Keiner sagte von seinen Gütern, daß sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemein. Und mit großer Kraft gaben die Apostel Zeugniß von der Auferstehung des Herrn Jesu; und es war große Gnade bei ihnen Allen.“
Nicht genug ist es, meine Brüder, daß einmal an einem bestimmten Tage zu Jerusalem die Pfingstwunder geschehen sind, und darnach zur dankbaren Erinnerung an dieselben alljährlich ein Fest in der ganzen Christenheit gefeiert wird. Die Wunder des Geistes sollen sich, wie der Segen des Erndtefestes, zum Preise Gottes und zum Heil der Menschen, immer wiederholen, und durch immer neue Ausgießung des heiligen Geistes soll das Werk des Herrn fortgehen. Das erste erfreuliche Beispiel hiervon haben wir in unserm Texte. Die Gelegenheit war folgende: Bald nach dem ersten christlichen Pfingstfeste gingen Petrus und Johannes in den Tempel, zu beten. Ein Mann, der von Geburt an lahm gewesen war, lag an der Tempelpforte und bettelte. Petrus sprach zu ihm: Gold und Silber habe ich nicht, was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth stehe auf und wandle! Und der Lahme sprang auf, konnte gehen und stehen, und ging mit ihnen in den Tempel, wandelte und sprang und lobte Gott. Das gab Aufsehen; alles Volk lief zusammen, und Petrus nahm Veranlassung, allem Volk und den Obersten Jesum Christum den Gekreuzigten, den Auferstandenen, den Fürsten des Lebens, den sie verleugnet und getödtet hatten, mit aller Freimüthigkeit zu verkündigen. Darüber wurden die Apostel eingesperrt und mußten die Nacht im Gefängniß zubringen. Aber am andern Tage, da man sie vor Gericht zog, verantworteten sie sich mit derselben Freimüthigkeit, und bezeugten, daß in dem Namen Jesu Christi von Nazareth der Kranke gesund dastehe vor ihren Augen, und sprachen: das ist der Stein, von euch Bauleuten verworfen, der zum Eckstein geworden ist. Und ist in keinem Andern Heil, ist auch kein andrer Name den Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden. Das hätten die Feinde des Evangeliums gern bestritten, aber sie vermochten es nicht, und sahen sich endlich genöthigt, unter vielen Bedräuungen und mit großem Unwillen die Apostel gehen zu lassen. Diese kamen nun zurück zu den Ihrigen, und Alle, die mit ihnen versammelt waren, erhoben ihre Stimme einmüthig zu Gott zum Lobe seines heiligen Namens. Da gab der Herr ein neues Zeichen seine? gnadenvollen Gegenwart, und es offenbarten sich aufs Neue die Wunder des heiligen Geistes nicht allein in den Aposteln des Herrn, sondern auch in der ganzen Gemeine der Gläubigen. Lasset uns dieses zum Preise Gottes näher erwägen, indem wir die Andacht richten auf die Wunder des Geistes;
- wie sich dieselben an den Aposteln erwiesen;
- wie sie offenbar wurden in der ganzen Gemeine der Gläubigen. -
l.
Die Gnadenwirkungen des heiligen Geistes sind keinesweges aus der eigenen Natur des Menschen zu erklären, als wären sie Erzeugnisse aufgeregter menschlicher Kräfte und einer dadurch erhöhten Geistesthätigkeit. Vielmehr sind sie ihrem hökern Ursprung nach als übernatürliche göttliche Offenbarungen zu betrachten, in welchen Gott selbst seine Weisheit, seine Kraft, und seine Liebe unter den Menschen verherrlicht. Sie stehen aber nicht da als abgerissene, vereinzelte Thatsachen in der Geschichte, sondern offenbaren sich als ein Lebendiges und Ganzes in einem solchen Zusammenhange und in solcher Einheit, daß sie alles menschliche Denken, Fühlen und Empfinden, Wollen und Handeln nicht außer sich stehen lassen, sondern es überwältigen, in sich aufnehmen, umwandeln, und dadurch eine neue Geburt und ein neues Leben schaffen und wirken. Diese Gnadenwirkungen des heiligen Geistes stehen insbesondre mit dem Gebet um den heiligen Geist in genauer Verbindung, und das thut dem Glauben an ihre höhere göttliche Natur keinesweges Eintrag, sondern das Gebet bezeuget vielmehr diesen Glauben, indem es ja selbst eine anfängliche Wirkung des Geistes ist, und die Thüre des Herzens nach Oben öffnet, um den verheißenen Tröster, den heiligen Geist, vom Himmel herab zu empfangen und aufzunehmen. Also geschah es am ersten Pfingstfeste. Sie waren alle stets bei einander einmüthig mit Beten und Flehen. Sie warteten auf die Verheißung des Vaters, welche ihnen der Herr gegeben hatte. Sie beteten im Glauben, und nachdem ihr Glaube durch die erste herrliche Ausgießung des heiligen Geistes gestärkt worden war, beharreten sie in dem Bekenntniß der Wahrheit und in der Gemeinschaft, und im Brodbrechen und in dem Gebete. Das kleine Häuflein, welches in den Tagen nach der Himmelfahrt des Herrn nur aus hundert zwanzig Personen bestand, hatte sich in den herrlichen Pfingsttagen sehr vermehrt. Es war die erste Liebe, die sie oft zusammenführte, und die sie jetzt insbesondere zahlreich zusammengeführt hatte, um wegen des Gnadenbeistandes, den die Apostel Petrus und Johannes bei der ersten Verfolgung erfahren hatten, und über den glücklichen Ausgang dieser Begebenheit, Gott den Allerhöchsten einmüthig zu loben und zu preisen.
Auf das Gebet der Apostel und der mit ihnen vereinigten Gemeine der Gläubigen bewegte sich die Stätte, da sie versammelt waren. Sehet in dieser Bewegung den Zusammenhang innerer Gnadenwirkungen mit äußern Ereignissen. Wenn Gott seine Kraft und Herrlichkeit offenbaren will, so müssen Zeichen am Himmel geschehen, und Erdbeben seinen Fußtritt kund thun, und Feuer, Hagel, Schnee und Dampf und Sturmwinde sein Wort ausrichten. Der Geist ist der große Beweger. Wo seine Wirkungen offenbar werden, da erwacht die Natur aus ihrem Schlummer. Er schwebet über dem Wasser, und aus dem Wüste und Leer dieser Welt gehen Gestalt und Ordnung hervor, Leben und Fruchtbarkeit. Und wo er sein Feuer anzündet, und sein Brausen daher gehen läßt, da entstehen Bewegungen unter den Völkern. Die Sünder schlagen an ihre Brust und schreien um Gnade; der Felsen des Herzens zerspringt, der Stolz wird gedemüthigt; die Spötter weinen und beten. Wo der Geist, der große Beweger, sein Werk beginnt in dem Herzen der Menschen, da höret ihr Anklagen des Gewissens, da vernehmet ihr Sündenbekenntnisse, da werden Gelübde gethan, da beginnt ein Ringen, Kämpfen, Laufen, Trachten, um in das Himmelreich einzugehen, und dort beginnet ein Loben und Danken, Frohlocken und Triumphiren in Glauben und Hoffnung, in Liebe und Freude. Dagegen erhebt sich die Macht der Finsterniß, es tobet die Welt, es empören sich die Heiden, und die Völker nehmen vor, was umsonst ist. Es erheben sich Trübsal und Verfolgung um des Worts willen; es erregen sich die Feindseligen Kräfte, dem Einen ist das Evangelium ein Geruch des Lebens zum Leben, dem Andern ein Geruch des Todes zum Tode. Die Feinde möchten gern Einhalt thun, aber sie vermögen es nicht, denn es muß sich wohl alles beugen vor der heiligen, göttlichen Macht, es muss wohl alles dem hohen Geiste dienen; es muß wohl aller Stolz gedemüthigt, und dem die Ehre gegeben werden, der Himmel, Erde und Meer, und was darinnen ist, gemacht hat, der Glauben hält ewiglich, und der da gesagt hat: Noch einmal will ich bewegen nicht allein die Erde, sondern auch den Himmel.
Mitten in solcher großen Bewegung standen die Apostel unsers Herrn und mit ihnen die wahren Gläubigen, und das ist die Gnade des heiligen Geistes, die an ihnen offenbar wurde, daß sie nicht als durch eine fremde Macht fortgerissen wurden wider ihren Willen, sondern wie sie durch den Geist getragen wurden, nun auch selbst die Träger waren dieser großen Begebenheit. Sie wurden Alle voll des heiligen Geistes. Sie wurden mit einem überschwänglichen Maaß seiner Gaben und Kräfte auf's Neue überströmt und innerlich gesegnet. In ihrem Verstande leuchtete ein himmlisches Licht; in ihrem Herzen brannte ein heiliges Feuer; in ihrem Willen wirkte die göttliche Kraft, und es offenbarte sich eine Fülle des göttlichen Lebens in allen ihren Gedanken und Empfindungen, Vorsätzen und Entschließungen, Worten und Handlungen zur Ehre des Herrn und zum Lobe seiner herrlichen Gnade. Wessen das Herz voll war, dessen ging der Mund über. Der Geist hatte Christum in ihren Herzen verkläret. Das Leben hatte den Tod überwunden. An der Spitze jener großen Bewegung, erfüllt mit dem heiligen Geiste stehen die Apostel des Herrn und reden das Wort Gottes mit Freudigkeit.
Das Wort Gottes selbst, und die Predigt des Worts, welche den Lippen der Apostel entströmt, ist ein lebendiges Zeugniß, worin sich die Wunder des Geistes an ihnen erwiesen. Es ist das Wort von Christo dem Sohne Gottes, welches sie reden; es ist das Zeugniß von dem Gekreuzigten und Auferstandenen, der durch die Rechte Gottes erhöhet ist und empfangen hat die Verheißung des heiligen Geistes vom Vater, der auf dem Stuhl der Herrlichkeit sitzet und von bannen wiederkommen wird, zu richten die Lebendigen und die Todten. Der Hauptinhalt ihrer Rede ist das Zeugniß von der Auferstehung des Herrn Jesu. Sie treten auf vor allem Volk und den Obersten und predigen laut: den Fürsten des Lebens habt ihr getödtet; den bat Gott auferwecket von den Todten, deß sind wir Zeugen. Das war allerdings die Hauptsache. Durch dieses Zeugniß wurde der ganze Rath Gottes in ein Helles Licht gestellt. Die Auferstehung des Herrn war der deutlichste Beweis, daß Jesus Christus der Sohn des lebendigen Gottes sei, daß er in seinem Tode am Kreuz ein Opfer von ewiger Gültigkeit dargebracht und eine vollkommne Versöhnung gestiftet habe, daß er nun auch müsse den Himmel einnehmen, um alles zur Vollendung zubringen, was Gott geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten von der Welt an. Dieses Zeugniß war am Meisten geeignet, das Volk, welches den einigen Heiland verworfen und den Herrn der Herrlichkeit an das Kreuz gebracht hatte, noch zur Buße zu bewegen, den Unwissenden das Licht der Erkenntniß anzuzünden, den Blinden die Augen zu öffnen, die Verirrten auf den. rechten Weg zu leiten, dem Geiste des Herrn Bahn zu machen und den Gehorsam des Glaubens aufzurichten. Es ist das Fundament alles wahren Glaubens und der Felsen einer lebendigen, ewigen Hoffnung. - Dieses Wort reden sie mit großer Kraft und Freudigkeit. Hätten sie es nur gewagt mit zweifelndem Herzen, scheu und befangen, vor den Ohren derer, die Jesum erwürgten, diese Lehre zu verkündigen; hätten sie sich nur nicht abhalten lassen, ein Zeugniß der Wahrheit abzulegen, wenn sie gefragt und aufgefordert wurden, ihren Glauben zu bekennen; hätten sie nur den Freunden und Bekannten, den Guten und Frommen im Lande, den Bekümmerten und Trostbedürftigen, den Mühseligen und Beladenen diesen Sünderheiland angepriesen und in seinem Namen die Buße und die Vergebung der Sünden gepredigt: es wäre schon Viel gewesen, und wir hätten Ursache gefunden, ihren Glauben, ihre Liebe, ihre Treue, ihre Ergebenheit zu erkennen und zu rühmen. Sie thun mehr. Sie reden das Wort mit Freudigkeit. Sie geben mit großer Kraft Zeugniß von der Auferstehung des Herrn Jesu. Sie haben von diesem Zeugniß keine Ehre, keinen Dank, keinen Gewinn oder Genuß zu erwarten. Ihrer warten Spott und Verachtung, Marter und Bande, Schmach und Tod. So eben kommen sie aus dem Gefängniß zurück, wo sie gesessen haben um des Namens Jesu willen. Man gebietet ihnen zu schweigen, man schilt und droht. Ihre Feinde sind zahlreich und mächtig, der Grimm ihrer Verfolger ist groß. Ihr Leben stellt in Gefahr. Aber sie reden mit Freudigkeit und geben Zeugniß mit großer Kraft. Das wissen sie wohl, daß sie einen schweren Kampf zu bestehen und unsägliche Drangsale zu leiden haben werden. Das haben sie wohl gehört, daß der Jünger es nicht besser haben soll als der Meister, daß ihnen Verfolgungen beschieden sind, und daß sie ihrem Heilande das Kreuz sollen nachtragen. Ihre ruhigen, harmlosen Tage sind vorüber, ihre Freiheit und Unabhängigkeit ist dahin; sie sind von nun an die Elendesten und Geplagtesten unter den Menschen, jeder Gefahr bloßgestellt zu Wasser und auf dem Lande, in den Städten und m der Wüste, unter dem rohen Volk und unter den falschen Brüdern. Sie sind nun Tag und Nacht in Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße. Sie werden geschlagen, gesteinigt, wilden Thieren vorgeworfen und tragen die Maalzeichen des Todes Jesu allezeit an ihrem sterblichen Leibe. Aber jetzt und immerdar reden sie das Wort Gottes mit Freudigkeit und geben mit großer Kraft Zeugniß von der Auferstehung des Herrn Jesu. Sie fahren fort und beweisen in ihren Zeugnissen, beweisen unter allen Aufopferungen, Leiden und Verfolgungen einen unerschütterlichen Muth, eine heitere Ruhe, eine kindliche Gelassenheit, eine männliche Standhaftigkeit, eine felsenfeste und unwandelbare Treue, bis sie das Schwerdt frißt und die Flamme verzehrt, bis sie mit ihrem Blute die Wahrheit versiegelt haben und Gott preisen im Märtyrertode! Was dünket euch, war dieses das Werk der Natur? Haben sie es gethan in eigener Kraft? diese Männer aus Galiläa? diese Schwachen? sonst so furchtsamen? in Vorurtheilen befangenen? die sich in Absicht auf eigne, natürliche Vorzüge, Fähigkeiten und Kräfte gern die Geringsten nennen? Haben sie es nicht vielmehr gethan in der Kraft Gottes und erfüllet mit dem Heiligen Geiste, dessen Wunderwirkungen an ihnen offenbar geworden sind und sich in ihrem Leben und in ihrem Tode zum ewigen Ruhm der göttlichen Gnade verherrlicht haben?
Wir beten um diesen Freudengeist und um diesen Geist der Kraft, daß wir auch Freude und Wonne haben mögen in der Verkündigung des Evangeliums, daß wir auch Muth haben zu leiden, und Trost in der Trübsal, daß wir nicht verzagen, wenn uns auch bange wird, und nicht umkommen, wenn wir auch unterdrückt werden. Der Geist erhebe uns über alle Dunkelheit und Anfechtung! Der Geist verleihe uns, daß das Herz fest, und der Glaube stark, und die Liebe völlig werde in unserm Herzen, daß wir gewisse sichere Tritte thun auf unserm Wege, daß wir durchbrechen mit unserm großen Durchbrecher, und triumphiren mit unserm großen Ueberwinder und siegreich über Sünde und Welt, Tod und Teufel eindringen mögen in das ewige Leben und in die ewige Freude! -
II.
Wir würden nie zu einem solchen Leben in himmlischer Freude hindurchdringen, wenn die Wunder des Geistes lediglich auf die Apostel und andere Zeugen der Wahrheit eingeschränkt gewesen wären; aber Gottlob! sie haben sich in gnadenvollen Wirkungen und herrlichen Früchten in der ganzen Gemeine der Gläubigen geoffenbaret. Mit Bewunderung und Andacht blicken wir hin auf das liebliche Bild, welches uns von der Gesinnung und dem Leben der ersten Gemeine des Herrn vor Augen gehalten wird; und je länger wir in sinniger Betrachtung dabei verweilen, desto mehr muß es uns in die Augen leuchten, dieses Gemälde sei kein Abriß unsres verderbten und erstorbenen Naturzustandes, sondern hier sei alles Geist und Leben und jeder Zug ein Zeugniß göttlicher Gnadenwunder. Wie lieblich, wie herrlich lautet das Zeugniß, welches der Geist Gottes selbst hier in dem Worte hat niedergelegt: Der Menge der Gläubigen war Ein Herz und Eine Seele; auch Keiner sagte von seinen Gütern, daß sie sein wären, sondern es war ihnen Alles gemein. Wer wäre so blind, daß er hier nicht auf den ersten Blick die Wunder des Geistes erkennen sollte?
Von den Gläubigen wird hier geredet. Es sind die Jünger und Jüngerinnen Jesu, die Bekenner und Verehrer des Herrn, die theils aus dem eigenen Munde des Herrn die Worte des ewigen Lebens gehört und angenommen haben, größtentheils aber durch die Predigt der Apostel am ersten Pfingsttage und in den darauf folgenden Tagen an den Herrn gläubig geworden sind. Das wesentliche Kennzeichen, wodurch sie sich von andern Menschen unterscheiden, ist der Glaube, ein wahrer, lebendiger, fruchtbringender Glaube, dessen geistliche Natur und göttliches Wesen wir nicht verkennen können: Dieser Glaube ist eine Wirkung des heiligen Geistes durch das Wort der Wahrheit. Er ist ein Licht in dem Herzen, welches durch das Evangelium wird angezündet. Er ist nicht die Frucht des eignen vernünftigen Nachdenkens, sondern ein Vertrauen des Herzens zu einer göttlichen Offenbarung und göttlichen Verheißung. Es kann freilich nichts vernünftiger sein, als dem wahrhaftigen Gott glauben und auf sein Wort vertrauen. Aber wer vermag es ohne den Geist des Glaubens? und wer kann Jesum einen Herrn heißen ohne den heiligen Geist? Wir haben die Wahrheit nicht, sie werde uns denn von Gott geoffenbaret; und wir können sie nicht erkennen noch annehmen, es sei denn, daß der Geist uns die Augen erleuchte, das Verständniß öffne, und unser Herz auf die Wahrheit lenke. Die Gegenstände des Glaubens sind den Juden ein Aergerniß und den Griechen eine Thorheit, denen aber, die von Gott erleuchtet sind, göttliche Weisheit und göttliche Kraft. Daß Jesus von Nazareth, der in armer Knechtsgestalt umherging, der Sohn des lebendigen Gottes sei, das konnte Niemand glauben aus eigenem Vermögen; und da es Petrus erkannte und. bezeugte, sprach Jesus zu ihm: selig bist du, Simon, denn das hat dir nicht Fleisch und Blut geoffenbaret, sondern mein Vater im Himmel. Da Jesus zu dem Wolke redete von seinem Fleisch und Blut, welches er geben werde für das Leben der Welt, da gingen viele hinter sich und wandelten hinfort nicht mehr mit ihm. Und der Mund der Wahrheit bezeuget es selbst: Niemand kann zu mir kommen, es werde ihm denn von meinem Vater gegeben. Wundert euch nicht, daß das Häuflein so klein war. Wir lesen ja: der heilige. Geist war noch nicht da, denn Jesus war noch nicht verkläret. Nun aber war Jesus gestorben, und der Gegenstand des Glaubens ist ein Gekreuzigter und sein Blutvergießen zur Vergebung der Sünden. Wer kann das fassen? Und die sollen es glauben, daß er Christus der Herr, ein vollkommner und allgenugsamer Heiland ist, die ihn selber gekreuzigt und zum Tode gebracht haben. Wie soll das zugehen? Wenn irgendwo, so muß es hier heißen: bei den Menschen ist's unmöglich, aber bei Gott sind alle Dinge möglich. Hier werden die Wunder Gottes offenbar. Der heilige Geist wird ausgegossen; die Apostel predigen, und die Juden, die Feinde des Herrn, die ihn gekreuziget haben, glauben an ihn und lassen sich taufen auf den Namen des Herrn Jesu zur Vergebung der Sünden. Das ist ein Wunder vor unsern Augen!
Der Gläubigen ist eine Menge. So lange der Herr noch auf Erden wandelte, waren ihrer nur wenige. Da führte er die Klage, ich strecke meine Hände aus den ganzen Tag zu einem Volk, das sich nicht sagen läßt, sondern widerspricht. Ich habe deine Kinder, Jerusalem, versammeln wollen, wie eine Henne versammelt die Küchlein unter ihre Flügel, aber ihr habt nicht gewollt. Nun aber geht die Verheißung in Erfüllung: ich will ihm große Menge zur Beute geben, und er soll die Starken zum Raube haben. Wie geht das zu, meine Brüder? Das Wort des Herrn, der gewaltiglich redete, und nicht wie die Schriftgelehrten, haben sie nicht angenommen. Den göttlichen Wunderwerken des Herrn, worin der Vater im Himmel seinem Sohne Zeugniß gab vor aller Welt, haben sie nicht geglaubt. Nun redet ein armer Jünger, Einer ihres Gleichen, ein geringer Galiläer, und siehe: es werden an einem Tage hinzugethan bei dreitausend Seelen. Wir lesen weiter: (Cap. 4, 4.) Viele, die dem Worte zuhöreten, wurden gläubig, und ward die Zahl der Männer bei fünf Tausend. Wir lesen weiter: (Cap. 5, 14.) es wurden aber je mehr zugethan, die da glaubten an den Herrn, eine Menge der Männer und der Weiber. Was werden wir dazu sagen, Geliebte? Was bleibt übrig als staunend und lobpreisend zu bekennen: das sind die Wunder des Geistes der nicht allein über die Apostel ausgegossen ist, sondern auch seine herrlichen Gnadenwirkungen offenbaret in der ganzen Gemeine der Gläubigen.
O, daß wir Aehnliches erleben möchten, wie in jener gesegneten Zeit! O daß der Geist Gottes, der große Beweger, bald offenbar werden, und dem Herrn ein großes Volk, nicht allein aus Juden und Heiden, sondern auch aus der lauen und erstorbenen Christenheit zugeführt werden möchte! Daß doch die Erde voll wäre der Erkenntniß des Herrn, und die Zahl Israels wäre, wie der Sand am Meer! Wir fragen: Herr, wie lange? und wir wissen die göttliche Antwort: bis daß über uns ausgegossen werde der Geist aus der Höhe! –
Doch wir haben nicht bloß zu klagen, sondern auch zu rühmen. Wir haben herrliche Dinge erlebt in unsern Tagen. Wir haben Kunde vernommen von der Ausbreitung des Reiches Gottes in allen Theilen der Welt. Wir würden jauchzen und frohlocken, wenn wir die Schaaren versammelt sähen, die schon gerettet sind aus der Obrigkeit der Finsterniß, und ihre Kniee beugen in dem Namen des Herrn Jesu. Und nicht bloß die Zahl, sondern vielmehr die Beschaffenheit dieser Gottesgemeine, ihr Glanz, ihre Pracht und Herrlichkeit würde uns ausrufen lassen: Herr Gott, du bist groß, und dein Name ist groß, und du kannst es mit der That beweisen.
Was könnte uns wohl mehr zum Preise Gottes ermuntern, als wenn wir die Gemeine des Herrn nach der Beschaffenheit und innern Herrlichkeit betrachten, worin wir sie dort zu Jerusalem vor unsern Augen erblicken! Was man auf Menschenwort nicht würde glauben können, das bezeuget der heilige Geist und spricht: Der Menge aber der Gläubigen war Ein Herz und Eine Seele. Auch keiner sagte von seinen Gütern, daß sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemein. Das ist ja offenbar nicht das Werk der Natur, sondern das Werk des heiligen Geistes. Der Mensch, wie er ist von Natur, ist aus der Einheit gefallen und aus der Gemeinschaft mit Gott. Die heiligen Bande sind zerrissen. Mit der Ichheit ist die Selbstsucht und der Eigennutz in unser Leben eingetreten. Der Haß und die Zwietracht haben Wurzel gefaßt, und in der fleischlichen Gesinnung herrschet die Feindschaft wider Gott, und reißet auch die Nächstenliebe in den Grund. Da erscheinet uns nun mitten in einer argen Welt ein himmlisches Bild, eine Gemeine, die da herrlich ist, die nicht hat Flecken oder Runzel; die unsträflich ist in der Liebe, abgewaschen, gereinigt und gerecht gemacht durch den Namen des Herrn Jesu und durch den Geist unsres Gottes. Sie sind vollkommen in Ihm, der unsere Gerechtigkeit ist, und sind zugleich auch neue Creaturen in Christo Jesu. Sie sind mit Einem Male durch ein offenbares Wunder des Geistes ganz andre Menschen geworden. Christus hat in ihnen eine Gestalt gewonnen. Sie sind als Glieder an ihm dem Haupte zu einem Leibe vereinigt, und zusammengefügt durch alle Gelenke, dadurch Eins dem Andern Handreichung thut. Sie dienen einander, ein Jeder mit der Gabe, die er von dem Herrn empfangen hat. Sie leben Einer in dem Andern und Einer für den Andern, und leben Alle in dem Einen Herzen, das am Kreuze gebrochen ist und in dem Einen Blute, das vergossen ist für Viele zur Vergebung der Sünden, und wachsen alle an dein Einem Haupte, das erstand den ist aus dem Grabe und erhöhet ist zur Rechten der Majestät im Himmel. Sie Alle haben Ein Gefühl, das ist ihr Elendsgefühl, ihr Sündenschmerz, ihr Gnadenbedürfniß. Sie haben Einen Sinn, den Sinn Christi. Sie haben Einen Willen, nicht ihren eigenen - der eigne Wille wird in den Tod gegeben - sondern seinen heiligen Willen, dem sie sich unterwerfen in Demuth und Selbstverleugnung. Sie wandeln Einen Weg, den schmalen, der zum Leben führt, und haben Ein Ziel immer im Auge, das Ziel ihrer himmlischen Berufung, an welchem die Krone des ewigen Lebens schimmert. Sie sind allesammt Eins im Genießen und Entbehren, im Dulden und Hoffen, in Freude und Leid, in Wahrheit und Gerechtigkeit, in Liebe und Treue. Sie sind von einem wahren Gemeinsinn beseelt und von herzlicher, brüderlicher Liebe unter einander. Wenn Ein Glied leidet, so leiden die andern Glieder mit: und wenn ein Glied wird herrlich gehalten, so freuen sich die andern Glieder mit. Die Ehre des Herrn achten sie höher als irdisches Gut. Sein Reich und seine Sache gilt ihnen mehr als zeitlich Leben. Was ihnen aber an zeitlichen Gaben und Gütern zufällt, das betrachten sie in der Liebe Christi als ein Gemeingut. Jeder weiß, daß es dem Herrn angehört. Jeder ist bereit, sobald der Herr es fordert, es ihm dahin zu geben. Jeden dringet die Liebe Christi, den eigenen Vorrath darzubringen, um das Bedürfniß der Andern zu befriedigen. Es findet das Bedenken nicht Statt, welches eine solche Freigebigkeit mit Recht beschränken möchte, ob denn nicht großer Mißbrauch davon gemacht werden möchte, und große Gefahr vorhanden sei, daß die Arbeitscheuen, die Trägen und die Habsüchtigen sich heuchlerischer Weise zu der Gemeinde des Herrn gesellen möchten. Freilich wird uns das abhalten, nachdem die Gemeinen so sehr gemischt und verunreiniget sind, eine Gemeinschaft der Güter unter uns einzuführen. Aber im Anfange ist es nicht also gewesen. Das erste hier vor Augen gestellte Bild der Gemeine der Gläubigen war noch eben so frei von der Befleckung des Eigennutzes als der Heuchelei. O, meine Brüder, es ist ein wunderschönes, ein himmlisches Bild. Es ist das Bild der Braut unsers Herrn, die er geliebet hat, eine Königstochter mit goldenen Stücken gekleidet. Sie ist von hohem Adel. Sie ist göttlichen Geschlechts. Es ist ein Wunder Gottes, daß sie es ist, da sie doch von Natur so elend und jämmerlich, blind und bloß war; es ist vor Erde und Himmel, vor Menschen und Engel ein großes, ein offenbares, ein hellleuchtendes Werk des heiligen Geistes.
Ach wir möchten unsre Augen niederschlagen und unsre Angesichter vor tiefer Schaam verbergen, wenn wir von solchem Bilde der Herrlichkeit Gottes in der Gemeine unsern Blick wieder auf uns selbst wenden und auf den gegenwärtigen Zustand unsrer Gemeinen. Wo ist der wahre Gemeinsinn? wo die Einigkeit des Glaubens und die herzliche Verbindung in der Liebe? Wo die innige Theilnahme, der demüthige Sinn, die Selbstverleugnung, da man nicht sieht auf das Seine, sondern auf das, was des Andern ist? Ach, die Herzen sind in der Regel so kalt; und der Feind hat so vielen Saamen des Unkrauts ausgestreut. Die Welt ist in die Kirche eingedrungen, und die Gemeinde des Herrn ist befleckt und besudelt von allen Seiten. Es geht ein verderblicher Geist der Zwietracht umher, und selbst befreundete Kinder Gottes werden einander entfremdet. Lasset es nicht so sein unter uns, Geliebte in dem Herrn! Lasset uns lernen von der ersten Gemeine, und üben durch die Gnade des heiligen Geistes, was Gott wohlgefällig ist.
Lasset uns von Herzen einander lieben, und mit Freuden auf Einem Sinne bleiben und beten: Herr Jesu, erbarme dich über uns! - Das ist es, was uns angenehm macht bei Gott und den Menschen.
Das führt zu jenem seligen und herrlichen Gnadenstand, worin die erste Gemeine blühte und prangte, von der geschrieben steht: und es war große Gnade bei ihnen Allen. Sie waren froh und stark in dem Herrn. Sie lebten in Jesu Gemeinschaft, verachtet zwar von der Welt, aber selig in Glauben, Liebe und Hoffnung. Sie wandelten in dem Lichte des Herrn. Und wenn auch ihre innere Herrlichkeit verborgen war, so war doch schon ihr äußeres Betragen Achtung gebietend. Der Verfolgungsgeist hatte sich gelegt. Es wurde ihnen auch die Gunst derjenigen zu Theil, die nicht zu ihnen gehörten und den Geist, der sie regierte, nicht empfangen hatten. Was aber auch ihr Loos und ihr Stand unter den Menschen sein mochte: sie waren des Vaters Wohlgefallen, des Sohnes Augenweide, der Engel Lust und Freude, und auf ihnen ruhete, in ihnen wohnete und in ihnen wirkte der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit ist, der das Herz in den Himmel erhebt, und den Himmel ins Herz bringt.
Hieher denn, wer den Namen Jesu Christi nennt, und Antheil begehrt an seinen Gütern! Werdet, wie die erste Gemeine des Herrn! Betet und flehet um den heiligen Geist, daß ihr verkläret werden möget in dasselbige Bild von einer Klarheit zu der andern. Und wenn noch eine Ermahnung in Christo etwas gilt, wenn noch ein Wort der Liebe um der Barmherzigkeit Gottes willen Eingang findet, so erfüllet meine Freude, daß ihr Alle Eines Sinnes seid, gleiche Liebe habet, einmüthig und einhellig seid. Nichts thut durch Zank oder eitle Ehre, sondern durch Demuth achtet euch unter einander Einer den Andern höher, denn sich selbst. Ueber alles aber ziehet an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Amen.