Goßner, Johannes - Evangelische Hauskanzel - Am 6. Fasten-Sonntage, Palmarum.
Evang. Luc. 22, 39 - 34.
Jesus am Oelberge.
Das heutige Evangelium ist schon am ersten Advent-Sonntage betrachtet worden und kann dort nachgelesen werden. Darum wollen wir heute ein anderes wählen, und zwar vom Oelbergsleiden Jesu, da wir vor der Marterwoche stehen, wo uns ja nichts Anderes beschäftigen soll, als das verdienstliche Leiden und Sterben unseres Heilandes Jesu Christi. Soll Er uns doch immer vor Augen stehen in dem schönen Bilde Seiner leidenden und sterbenden erlösenden Liebe; warum nicht besonders in dieser Seiner Passion gewidmeten, heiligen, stillen Woche? O daß Er sich selbst abmalte in unsern Herzen und unauslöschliche Eindrücke in uns machte:
Und Er ging hinaus nach Seiner Gewohnheit an den Oelberg. Es folgten Ihm aber auch Seine Jünger. Es war also Seine Gewohnheit, an den Oelberg zum Gebet zu gehen mit Seinen Jüngern - wahrscheinlich alle Abende, wenn Er unter Tags in Jerusalem Sein Wesen gehabt hatte. Er hat nicht nur den letzten“ Abend, sondern wer weiß wie viele Abende dort am Oelberge im heißen Gebete für uns zugebracht. Er hat unsere Noth immer auf dem Herzen getragen. Er hat sich oft und gewöhnlich Abends und Nachts da vorbereitet zu Seinem Leiden und Tode mit Beten und Kämpfen. O sieh also deinen Heiland dem Leidens-Berge entgegen gehen; für dich, für deine arme Seele geht Er hin, um Blut zu schwitzen - folge Ihm, Seine Jünger gingen Ihm nach - willst du nicht auch jeden Abend deinem Heiland folgen zum Gebete an den Oelberg, und Ihn da betrachten? Wie heilsam würde dir eine solche Gewohnheit seyn, wenn du es nicht bloß aus Gewohnheit thust, sondern wenn der Eifer, deinem Heilande nachzufolgen, und mit Ihm, deinem leidenden, liebenden Erlöser umzugehen, dich zu dieser Gewohnheit treibt, so daß es dir zum Bedürfniß wird, wie das Essen und Trinken, wie das Athemholen.
Und als Er an den Ort kam, wo Er gewöhnlich zu beten pflegte, sprach Er zu ihnen: Betet, auf daß ihr nicht in Anfechtung fallet. Wie lieb muß Ihm das gewohnte Plätzchen gewesen seyn, wo Er schon so oft mit Seinem Vater Umgang gepflegt hatte - und nun das letzte Mal auf Erden! - Aber auch da lagen Ihm Seine Jünger am Herzen, und Er dachte zuerst an sie, und ermahnte sie zum Gebet, damit sie nicht fallen, sondern der Versuchung widerstehen möchten. In der heißesten Noth, beim schwersten Leidensgang vergißt Er die Seinen nicht - ist um sie nur besorgt. Willst du zweifeln, kleinmüthige Seele, ob Er auch an dich denkt, jetzt da Ihn keine eigene Noth mehr drückt, da Er nicht mehr für sich, sondern nur für die Seinen beim Vater zu beten, und sie zu vertreten hat, was Er so theuer versprochen hat.
Wie nöthig diese Ermahnung: „betet, daß ihr nicht fallet,“ war, zeigt die Folge. Der Mensch kann nicht stehen in der geringsten Anfechtung, wenn er auf und in sich selber steht, wenn er nicht betet, und sich auf den Fels stellt, und in die Burg fliehet, die ihm in Christo aufgethan ist - wenn er nicht durch's Gebet die Waffenrüstung Gottes (Eph. 6.) anzieht. Wie haben die Jünger diesen Mangel erfahren! Darum, meine Lieben, lasset uns ja dem Heiland folgen, und vor jeder Versuchung - und da wir nicht wissen, wie unvermuthet eine unvorhergesehene Anfechtung kommen kann - Lasset uns allezeit wachen und beten, sonst werden wir, wie wir oft selbst erfahren haben, unfehlbar fallen.
Und Er riß sich (entfernte sich) von ihnen bei einem Steinwurf, und kniete nieder, und betete. Man will allein seyn, wenn man so im Gedränge ist, wenn das Herz so beschwert ist, um allein mit dem Vater zu reden, und sein Herz vor Ihm auszuschütten; dies Bedürfniß fühlte selbst der Heiland; Er hatte doch Alles mit uns gemein, nur die Sünde ausgenommen. Darum entfernte Er sich, und riß sich los, so weit man einen Stein werfen kann. Wie tief muß doch Sein Herz betrübt gewesen seyn, daß Er sogar Seine lieben Jünger, die Er sonst so gern um sich hatte, jetzt nicht zu nahe haben wollte, sondern nur das Angesicht und Ohr des Vaters suchte!
O Freund! reiß dich los von Allen, auch den liebsten und besten Freunden und Brüdern, wenn du so leidest, und dein Herz so beschwert ist; reiß dich los von Menschen, um mit dem alleinigen Gott und Jesus ganz allein zu seyn, und ungestört dein Herz Ihm ausschütten zu können, der dich allein trösten, dir allein helfen kann, der allein sieht, was in deinem Herzen ist, besser, als du es Ihm sagen kannst.
Er kniete und betete - Er, dein Gott und Herr! Ihn warf die Noth hin auf Seine Kniee, zur Erde. O sieh deinen Heiland auf Seinen Knieen für dich liegen und ringen, und bleib stehn und sitzen, wenn du kannst -! Wie: du wolltest deine Kniee nicht beugen, und dein Gott und Heiland betet für dich auf den Knieen! Dir ist nicht so viel an deinem Heil und an deiner Seele gelegen, daß du deine Kniee vor Gott beugest, so magst du wohl recht lau seyn, und in der größten Gefahr dich befinden, ewig verloren zu gehen. O wie schön, wie stärkend und tröstlich ist es, vor dem Angesichte Gottes im einsamen Kämmerlein oder Winkelchen auf seinen Knieen zu liegen, und mit dem Herrn ringen: ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!
Und sprach: Vater, willst Du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern Dein Wille geschehe! - Ein Gebet für Alle, die im Leiden sind. Man darf so beten, weil Er so betete: Vater, wenn Du willst, wenn's möglich ist, so nimm den Leidenskelch von mir. Das gepreßte Herz darf so reden mit dem Vater; aber es muß hinzusetzen; doch nicht mein, sondern Dein Wille geschehe! Es muß Ergebung bei der Bitte, seyn. So dürfen wir um Alles bitten.
Nun sieh aber in dieser Ergebung deines Erlösers Seine Liebe; die dich mehr, als sich selbst liebte. Warum wollte Er des Kelches überhoben seyn? Weil Er gar zu bitter war; weil Seine menschliche Natur sich davor entsetzte; weil Er also wirklich, wie ein andrer Mensch, alle Bitterkeit fühlte. Aber warum ergab Er sich? warum verläugnete Er Seinen Willen, und zog des Vaters Willen vor, bereit, das Bitterste zu leiden, und den Kelch auszutrinken bis auf die Hefe? Weil Er dich liebte, dich erlösen, von deinen Sünden befreien, dir Gnade und Erbarmen erwerben, und den Frieden bringen wollte. Da bete an, und danke für Seine Liebe, und für die Liebe des Vaters, der Seinen Sohn nicht erhörte, um dich zu erhören; Seinen Sohn nicht verschonte, um dich zu verschonen; Seinen Sohn den bittersten Kelch trinken, in Noth und Tod hineingehen ließ, um dich von Tod und Hölle zu erlösen, und dich den Kelch der ewigen Freude und Seligkeit trinken zu lassen, und dich trunken zu machen mit den reichen Gütern Seines Hauses.
Es erschien Ihm aber ein Engel vom Himmel, und stärkte Ihn. So hat Er sich erniedriget, daß Er, der Schöpfer aller Dinge, sich von einer Kreatur, die Er gemacht hat und erhält, stärken ließ in Seiner menschlichen Schwachheit! Wer ist so demüthig? Wer kann so demüthig seyn, und sich so erniedrigen, da Keiner so hoch ist, wie Er? - Wenn aber ein Engel kam zu Ihm in Seiner Schwachheit, Ihn zu stärken, sollte der Vater nicht auch uns solche dienstbare Geister senden in unserer noch viel größern, und des Trostes und der Stärkung viel bedürftigeren Schwachheit uns zu trösten und zu stärken? Ach ja, sie sind ja immer bereit, und dazu ausgesandt vom Himmel, Alle zu trösten und zu stärken, die nach der Seligkeit trachten, und sie ererben.
Sie lagern sich um alle Gottesfürchtigen her, und helfen ihnen aus, das versichert uns Gottes Wort.
Und es kam, daß Er mit dem Tode rang, und Er betete heftiger. Für wen? Für mich und dich, für alle Sünder! Das Leben ringt mit dem Tode; der Fürst des Lebens kämpft mit dem Stachel der Sünde aller Welt - So viele tausend und abermal tausend Schwerter und Pfeile, als es Sünden giebt in aller Welt, treffen Ihn, verwunden Ihn, drohen Ihm Tod und Verderben; und Er muß damit ringen. Auch deine Sünde verursachte Ihm diesen Todeskampf, aber auch deine Sünde hat Er durch diesen Todeskampf versöhnt, und dir das Leben und die Seligkeit errungen. Bete an und danke - glaub s und nimm s für dich, denn es ist dir geschenket, und für dich geschehen.
Je heftiger die Versuchung, die Angst und Noth, desto tiefer muß das Gebet in Gottes Herz eindringen. Wer da nachläßt, und weniger und schwächer betet, oder gar aufhört, den Muth und Glauben verliert, weil der Feind sich verstärkt und heftiger eindringt, weil er mit seinem Gebete nichts auszurichten scheint, der ist verloren, der kann nicht bestehen; er wird überwältigt und überwunden; er unterliegt. Wer aber anhält mit Gebet und Ringen, und nur um so stärker und dringender fleht, je mehr die Versuchung oder das Leiden zunimmt und wächst, der wird im Unterliegen siegen; wird, wenn Alles verloren zu seyn scheint, doch gewonnen haben, und das Feld behalten. Laß dir Alles rauben, nur nicht den Glauben - halte an von einer Morgenwache bis zur andern mit dem Drang-Gebet: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn! Lasset uns aufsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender unsers Glaubens, welcher für die Ihm vorgehaltene und gebührende Freude im Himmel, das Kreuz, die Schmach, die Todesangst erduldete, auf daß ihr nicht in eurem Muth matt werdet und ablasset. Denn ihr habt noch nicht bis auf s Blut widerstanden, wie Er, über dem Kämpfen wider die Sünde. Hebr. 12, 2. 3. 4. Seht
Es ward Sein Schweiß wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen. So hoch stieg die Angst Seines gepreßten Herzens, daß es zum Blutschwitzen kam, und doch hätte er nie einen Schatten der Sünde an sich^ der allein Heilige und Gerechte. Da kann man sehen, daß Er unsere Sünden trug, und auf sich, auf Seinem Herzen liegen hatte. Denn was konnte Ihm sonst Angst machen, als die Sünde? Wie hätte Er seinetwegen vor dem Tode zittern können, da der Tod kein Recht an Ihn hatte? Was hätte Ihm bange machen können? Was hätte Er zu fürchten gehabt, wenn Er nicht an unserer Statt gestanden, nicht unsere Missethat, als wäre sie die Seine, gebüßt hätte? Da sieh, was es Ihn gekostet hat, daß du erlöset bist, und deine Sünde getilgt ist! O daß die Blutstropfen Seines Angstschweißes nicht auf die Erde, sondern auf dein und mein Herz fielen, und uns erweichten, daß wir aufgelöst in Reue und Liebe, Ihm uns auch so hingeben möchten, wie Er sich für uns hingegeben hat.
Sein Blut, der edle Saft
Hat solche Stark und Kraft,
Daß auch ein Tröpflein kleine
Die ganze Welt kann reine,
Ja gar aus Teufels Rachen
Kann los und ledig machen.
Aber es muß recht aufgefaßt werden; es muß stets auf unser Herz tröpfeln; wir müssen den Blut schwitzenden Heiland nicht aus dem Auge und Herzen lassen. O was würde dann aus uns werden! Wie würde die Kraft Seines Blutes und Seiner Angst auf uns wirken, und uns mächtig machen, daß wir sagen könnten: Ich vermag Alles in dem, der mich mächtig macht - Christus.
Und Er stand auf vom Gebete, und kam zu Seinen Jüngern, und fand sie schlafen vor Traurigkeit. Er war nun gestärket, Er hat es sich errungen durch Gebet und blutigen Angstschweiß - ein solcher Kampf schwächt nicht, obwohl es so scheint, sondern stärkt - aber sie waren schwächer geworden. Traurigkeit, der sie nachgaben, entkräftete sie gänzlich, daß sie in tiefen Schlaf versanken. - Bist du traurig, so bete,“ heißt es. Man muß der Traurigkeit nicht nachgeben, sondern beten, und sich in Gott stärken, so wird sie in Freude und Muth verwandelt. Traurigkeit verzehrt alle Kraft, die uns ohnehin immer fehlt; sie macht schläfrig und immer untüchtiger zum Gebet und Kampf. O wie oft wird uns der Heiland schlafend finden, vor Traurigkeit oder Lauigkeit, falscher Sicherheit und Leichtsinn, weil wir die drohende Gefahr nicht sehen oder nicht glauben.
Und Er sprach zu ihnen: Was schlafet ihr? Stehet auf und betet, auf daß ihr nicht in Anfechtung fallet.
Wer wacht und betet, der kann die Schläfrigen wecken - Er ist der Hüter Israels, der nicht schläft noch schlummert, auch in der größten eignen Noth und Trübsal - Wie wird Er nun wachen über die Seinen, da Er überwunden hat, und in Seiner Herrlichkeit thront! - Aber deßungeachtet thut uns Seine Warnung und Erweckung immer noth. Wie oft bedürfen wir des Worts: „Was schlafet ihr? stehet auf und betet!“ - Wir können so sicher und schläfrig seyn bei der drohendsten Gefahr - Der Heiland hatte es den Jüngern vorausgesagt, was für Leiden kommen würden, wie nahe die Stunde der Versuchung sey - aber sie achteten es nicht, nahmen es nicht zu Herzen - wurden bloß traurig, wehrten aber der Traurigkeit nicht durch Gebet, wozu Er sie ermahnte, daher ihr Fall, ihre Verläugnung, ihre bitteren Thränen.
Das Gebet und Wachsamkeit, oder anhaltendes Gebet ist daher das beste und einzige Mittel in der Stunde der Gefahr und Versuchung. Der Heiland weiß kein besseres. Alles Andere hilft nicht. O möchte Sein Erweckungswort, vom Schlafe aufzustehn und zu beten, immer in unsern Ohren tönen, und unsere Herzen ergreifen, uns rütteln und wach machen und erhalten; denn wir schweben immer in Gefahr; Versuchungen umgeben uns bei allen Schritten unsers Lebens; der Versucher geht stets umher und sucht, wen er verschlinge. Wer nicht fest im wachsamen Glauben widersteht, wird verschlungen.
Da Er aber noch redete, siehe die Schaar, und einer von den Zwölfen, genannt Judas (der also nicht beim Gebet am Oelberge war) ging vor ihnen her, und nahete sich zu Ihm, Ihn zu küssen. Ware er Jesu nachgefolgt, und mit an den Oelberg gegangen, so wäre er nicht den Feinden Jesu vorangegangen - und wenn er auch wie die andern bei Jesu nur geschlafen hätte; es ist doch besser, bei Jesu schlafen, als Jesum verlassen, und an die Spitze Seiner Feinde sich stellen. Das Gebet Jesu für die in Seiner Nähe schlafenden Jünger hatte doch die Kraft und den Segen, daß sie nicht gar abfielen, wenn sie auch schwach wurden, und Ihn verließen und verläugneten. Wer sich von Jesu und Seinen Jüngern trennt, und sich zur Welt gesellt, ist immer schlechter daran, als selbst ein schläfriger Jünger, obwohl auch ein solcher Schaden genug leidet. Darum flieh die Welt, die Feinde Jesu, zieh dich zurück, bleib in deinem Kämmerlein, wenn du auch nicht so beten und wachen kannst, wie du solltest; der Herr wird dich doch vor dem größern und gänzlichen Abfall bewahren. Versäume keine Gelegenheit zu beten mit Andern oder allein. Sieh, wie weit es der Teufel selbst mit Jüngern Jesu bringt, wenn sie nicht wachen, und Ihm eine Thüre offen lassen; sieh den armen Judas, der sonst mit Jesu wandelte, wie die Andern; sieh ihn nun an der Spitze der Feinde Jesu, im Begriff, Jesu einen falschen, verrätherischen Kuß zu geben. Ist es nicht schrecklich? Soll uns das nicht warnen?
Jesus aber sprach zu ihm: Judas, verräthst du des Menschen Sohn mit einem Kuß? Welche Langmuth! welche Geduld und Liebe! - So weit ist es gekommen bei dem falschen Jünger, und doch warnt Er ihn noch, hält ihm freundlich vor sein Vergehen. - Und gewiß, hätte der Falsche es jetzt noch erkannt, bereut, und wäre er Ihm zu Füßen gefallen, und hätte es Ihm abgebeten, wer wäre bereitwilliger gewesen zu vergeben, den Verirrten wieder anzunehmen, als Jesus? Er wollte ihm ja offenbar nur die Größe seiner Sünde zu erkennen geben, ihn also zur Erkenntniß und Reue - und so zur Gnade führen. Sonst hätte Er ihn ja gleich niedergeschmettert, und mit dem Hauch Seines Mundes vernichtet, wie er es verdient hatte. Aber des Menschen Sohn ist nicht gekommen zu verderben, sondern selig zu machen - auch da noch - auch Judasse, wenn sie nur wollten. O Kleinmuth! wenn du auch glaubst, eine Judas-Sünde begangen zu haben, verzage nicht, des Heilands Arme stehn dir noch offen, Seine Liebe verwirft dich nicht, will dich retten, nicht verderben. Nur der Unglaube oder Kleinglaube verderbt dich, glaube, wirf dich Ihm in die Arme, Er kann nicht anders, Er muß sich dein erbarmen, seine Liebe ist zu brünstig.
Da aber sahen, die um Ihn waren, was da werden sollte, sprachen sie zu Ihm: Herr, sollen wir mit dem Schwerte drein schlagen? Und Einer aus ihnen - ohne die Antwort abzuwarten - schlug des Hohenpriesters Knecht, und hieb ihm sein rechtes Ohr ab. Das war ja nicht im Sinne Jesu, nicht nach Seiner Lehre. Jesus hatte gesagt: Wachet und betet - da schliefen sie - nun ziehen sie das Schwert, was Jesus nicht nöthig hatte, da Er sich ohne Schwert und Blutvergießen wohl besser hätte helfen können. Er hatte sich ja ergeben, und den Kelch aus des Vaters Hand genommen. Er hat es ihnen ja vorhergesagt: Des Menschen Sohn muß in die Hände der Sünder überantwortet und gekreuziget werden. Aber sie ergriffen lieber das Schwert, als das Gebet - da waren sie so fertig - ohne Befehl, und zum Gebet schläfrig nach allem Bitten und Ermahnen.
Jesus aber antwortete und sprach: Lasset's so weit seyn! es ist genug! ich habe nun schon Gelegenheit, meinen Feinden Gutes zu thun, und ihnen zu beweisen, daß ich mir selbst wohl helfen könnte, eben so leicht, als ich nun den Verwundeten heile. Und Er rührte sein Ohr an, und heilte es. Da hätten sie sehen sollen, wer der ist, den sie fangen, wie heilig, wie liebevoll, wie sanft, wie wohlthätig, wie mächtig, wie freiwillig Er in den Tod geht; hatten erkennen sollen, daß Seine Wunderkraft noch nicht von Ihm gewichen ist, nicht gebunden und gefangen ist, und mit Stricken und Banden nicht gehemmt werden kann. Aber sie sahen nicht, und erkannten nicht, was zu ihrem Frieden diente. - Wenn aber der Heiland selbst dem, der ihn fangen und binden und zum Tode liefern will, die Wunden heilt, ungebeten, soll Er deine Wunden nicht heilen, wenn du Ihn bittest? Auch sehen wir hier, wie der Herr so schön gut macht, was Seine Jünger verderben; wie Er Wunden heilt, die sie schlagen; wie Er sie oft nur fallen oder Streiche machen läßt, um Seine Macht und Liebe zu offenbaren durch Seine Abhülfe derselben.
Jesus aber sprach zu den Hohenpriestern und Hauptleuten und den Aeltesten, die über Ihn gekommen waren: Ihr seyd als zu einem Mörder mit Schwertern und Stangen ausgegangen. Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen, und ihr habt keine Hand an mich gelegt. Wie spricht der nun, der am Oelberg so klein, so bange war, Blut schwitzte und mit dem Tode rang, als wäre Er der Muthloseste und Schwächste! Und nun in der Gefahr tritt Er voll Kraft und Zuversicht auf, fürchtet Seine Feinde nicht, hält ihnen ihr Unrecht vor, und giebt sich hin. Das macht das Gebet, das Ringen, dabei ist man klein, und fühlt seine Ohnmacht und Schwachheit - aber eben dadurch, durch Beugung und Gebet, wird man angethan mit Kraft aus der Höhe, daß man weder Tod noch Teufel fürchtet; daß man fest auftreten kann. Der Heiland zeigt ihnen ihren Unsinn, daß sie mit solchen Waffen auf ein Lamm ausgingen, welches sich ihnen von selbst immer dargeboten hätte, und bestimmt war von Anbeginn, geschlachtet zu werden für das Heil der Welt. - Aber - setzt der Heiland hinzu, die merkwürdigen Worte: Aber das ist eure Stunde und die Macht der Finsterniß. Sieh die Feinde, die Finsterniß hat ihre Stunde, die ihr von Gott gelassen ist, den Gerechten, den Frommen zu prüfen, zu versuchen, zu quälen, und auch zu tödten - aber nur zum Heile, zur Seligkeit der Leidenden und Geprüften, und zur Ehre Gottes. Da hilft denn freilich nichts, kein Schwert, kein Wunder, womit man selbst den Feinden wohlthut; da hilft nichts, als Geduld und Ergebung, harren und Gott vertrauen, der doch Alles zum Siege hinausführen wird. Der Kelch muß getrunken werden bis auf die Hefe; man kann ihn nicht wegbeten, nicht wegschlagen. Wenn der Teufel und die Welt Gewalt über einen hat, so muß er sich Alles gefallen lassen, und nur auf Gott harren, der zu seiner Zeit schon helfen, die Macht der Finsterniß zu Schanden machen, und zeigen wird, daß es nur eine geliehene, auf eine Stunde zugestandene Macht der Finsterniß war - die, wenn sie ausgerichtet hat, wozu sie Gott brauchen wollte, wieder ein Ende hat. Die Macht und Gewalt des Teufels und der Welt währt nur eine Stunde - darnach, wenn's vollbracht ist, kommt Ruhe, Friede, Auferstehung und ewige Seligkeit.
Sie griffen Ihn aber, und führeten Ihn, und brachten Ihn in des Hohenpriesters Haus. Da haben sie Ihn nun, wo sie Ihn haben wollten. Aber Er wollte ja selbst dahin; sie müssen dennoch nur Seinen Willen und des Vaters Willen thun, wenn sie gleich meinen, sie thuen ihren Willen.
Sie griffen Ihn - um Ihn zu tödten - o hätten sie Ihn gegriffen, um Ihn anzubeten, um an Ihn zu glauben, und durch Ihn selig zu werden! So lasset uns dasselbe thun, lasset uns Ihn ergreifen, halten und nicht lassen; lasset uns Ihn in's Herz fassen. Sollte Er sich nicht von uns in dieser Absicht lieber fangen und ergreifen lassen, als von Seinen Todfeinden? Da sieh doch, verzagte Seele! die da immer sagt: „Ach, wo krieg ich Jesum her? wenn Er doch mein Heiland wär I“ - ergreife Ihn, fange Ihn am Oelberg, da läßt Er sich gern ergreifen; nimm Ihn vom Kreuz herab. - Er läßt sich gern in heilsbegierige Herzen hineinlegen. Zaudere nicht, Er wehrt sich nicht, wenn man Ihn zum Tode fängt und ergreift, wie sollte Er dir widerstehen, wenn du Ihn zum Leben und Lieben greifst und festhältst.
So, meine Lieben, lasset uns diese Woche die ganze Leidensgeschichte Jesu unsres Heilandes betrachten. Sie ist das Betrachtungswürdigste, das Tröstlichste und Schönste, was es giebt. Sie ist ganz für uns da, eine Trostquelle, ein Erweckungsmittel, eine Glaubensstärke, ein Liebeszunder, wie es keinen giebt.
O süße Seelenweide in Jesu Passion;
Es regt sich Scham und Freude, Du Gott's- und Menschensohn!
Wenn wir im Geist Dich sehen, für uns so williglich
An's Kreuz zum Tode gehen, und Jedes denkt: für mich!
Ach laß mich mit Dir gehen, und in Gethsemane
Dich zitternd trauern sehen für mich voll Angst und Weh!
Wie Dein Leib meinetwegen sich matt zur Erde senkt,
Und wie sich mir zum Segen Dem Schweiß mit Blut vermengt.
Da seh‘ ich, daß ich Armer des Fluches würdig bin -
Doch giebt sich mein Erbarmer zum Opfer für mich hin.
Ja Seine Angstschweiß-Tropfen, die Seele todtbetrübt,
Und Seines Herzens Klopfen sagt mir's, daß Er mich liebt.
Da fall ich vor Ihm nieder und bet‘ Ihn herzlich an,
Und immer schallt's mir wieder: Das ist für Dich gethan!
Das kann mein Herz entzünden, daß es vor Freude thränt,
Weil Er all meine Sünden gebüßt hat und versöhnt.
Welch Glück, Ihn anzusehen, des Leichnams mich zu freu'n,
Drauf blut'ge Tropfen stehen, die mir geflossen seyn!
O unerhörte Liebe, da kein Blutstropfen mehr,
Den Er gespart hätt', bliebe - wer liebt doch so wie Er?