Girgensohn, Thomas - Zur Erbauung - Zwei Früchte der Gerechtigkeit.
Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesum Christum, durch welchen wir auch einen Zugang haben im Glauben zu dieser Gnade; und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird.
(Röm. 5, 1. 2.)
Mit den Anfangsworten vorstehender Schriftstelle weist der Apostel auf die Gerechtigkeit hin, die in einer von Christus erworbenen und geschenkten, durch den Glauben angeeigneten Kindesstellung zu Gott ihr Wesen hat. Diese Gerechtigkeit aus Gnaden hat nun für unser Leben die weitgreifendsten folgen, sie bringt Früchte hervor; diese erwachsen einesteils so, dass wir als die Kinder neue Kräfte und Antriebe zur Heiligung erhalten, zu deren Gebrauch und Verwertung wir uns verpflichtet fühlen. Andererseits aber bestehen die Früchte der Gerechtigkeit auch darin, dass Gott uns als seinen Kindern Segnungen zuwendet, Vorzüge einräumt, die wir als die Gerechtfertigten ein Recht haben zu ergreifen und zu genießen. Das obige Bibelwort redet von zwei Gerechtigkeitsfrüchten der letzteren Art, „Friede mit Gott, Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit“ sind diese beiden Früchte, Gemeinschaft mit Gott auf Erden und im Himmel können die Gotteskinder in Anspruch nehmen. Auf das Recht, mit Gott in Gemeinschaft zu leben, weist uns zunächst das Wort Pauli hin: wir haben Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesum Christum, durch welchen wir auch einen Zugang haben im Glauben zu dieser Gnade. Das ist der Friede mit Gott, dass uns Christus einen Zugang zum Vater eröffnet hat und der Weg zu ihm für uns nun immerdar frei ist; alles Trennende ist aus dem Wege geräumt, alle Feindschaft aufgehoben, wir dürfen als die gerechtfertigten Kinder alles, was wir haben, mit dem Vater teilen. Wir dürfen aus der Unruhe des Lebens zu ihm flüchten und unter dem Schatten seiner Flügel jeden Tag eine Feierstunde genießen und jede Woche einen Feiertag; wir dürfen jederzeit im Gebet zu ihm mit unseren Sorgen und Schmerzen kommen und sie uns lindern oder heilen lassen. Drückt uns die Last einer Schuld, plagt uns die Hitze des Kampfes, der in uns oder um uns tobt, so ist's uns erlaubt, wenn wir Frieden haben mit Gott, zu ihm zu eilen, unser ganzes Herz vor ihm auszuschütten, um Vergebung zu empfangen und Stärkung zu siegreichem Kampfe. Wir haben ein Recht, alles, was uns teuer ist, was uns Freude bereitet, unsere Lieben, unseren irdischen Besitz zu dem Vater zu bringen, es ihm ans Herz zu legen und alles dieses neu geweiht als ein Pfand der Güte Gottes aus seiner Hand zurückzuempfangen; wir haben ein Recht, in dem Worte Gottes Licht und Rat für die Dunkelheiten und Rätsel des Lebens zu suchen und zu finden. Wir haben solch' ein Recht; nehmen wir es auch in Anspruch? empfinden wir es überhaupt in seinem unermesslichen Werte? Zur Gemeinschaft mit Gott aber gehört es auch, dass Gott der Herr uns Teil nehmen lässt, durch Jesum Christum an dem, was er hat; er selbst wird in Christo unser Schatz, aus dessen Fülle wir schöpfen Gnade um Gnade; er gibt den Gerechtfertigten nach 2. Petri 1 4 die Verheißung, dass sie teilhaftig werden sollen der göttlichen Natur und auf Grund solcher Gemeinschaft erhalten die Christen das Recht, sich zu rühmen der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird, der Herrlichkeit des himmlischen Lebens, da Gott wird sein Alles in allen. Wer sich aber rühmt, den erfüllt das, dessen er sich rühmt, mit stolzer Ruhe, Mut und Geringschätzung der Feinde, die ihm seinen Vorrang missgönnen und anfechten; so ist's mit dem eitlen Rühmen des fleischlichen Menschen; aber auch das Sich-rühmen der zukünftigen Herrlichkeit geschieht nicht bloß mit Worten, sondern prägt sich in Gebärden, Wandel und Haltung aus. Als die Gerechtfertigten dürfen wir ruhig und gelassen bleiben unter allen erregenden, aufreibenden, wechselnden Eindrücken des irdischen Lebens; wir haben ja Teil an Christo, dem ewigen Gottessohne, wir rühmen uns der zukünftigen Herrlichkeit, wir suchen ja unseren Schatz, unser Glück nicht in dem, was auf Erden ist, sondern in dem, was droben ist. Den Christen ist es erlaubt, mit festem, zuversichtlichem Schritt ihren Weg zu wandeln, immer wieder frischen Mut zu fassen, immer wieder aus der Verzagtheit und Erschlaffung mit neuer Munterkeit sich aufzurichten; sie sind ja der Erreichung des Zieles versichert, sie rühmen sich der zukünftigen Herrlichkeit, sie bekennen: ich laufe, aber nicht als aufs Ungewisse (1. Kor. 9, 26). Die Kinder Gottes haben ein Recht, mit Geringschätzung auf Gefahren, auf ihre Feinde, ja auf den letzten Feind, den Tod, zu blicken; Gott gebe uns nur die selige Gewissheit: nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, dann wird in dankerfülltem Herzen die Erkenntnis aufkeimen: nicht ein Sollen, ein dürfen, ein Recht ist es, dass ich mit meinem Gott alles teile und Er mit mir, und mehr und mehr werden wir dann auch dazu gelangen uns zu rühmen der zukünftigen Herrlichkeit und diesem Rühmen darin Ausdruck zu verleihen, dass wir in Not und Gefahr es mit unserem Verhalten aussprechen: Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?
R. K. 93. Nr. 37.