Gerok, Karl von - Aus ernster Zeit - 4. Predigt am 4. Advent.

Gerok, Karl von - Aus ernster Zeit - 4. Predigt am 4. Advent.

(1868.)

Joh. 3,22-36.
Danach kam Jesus und seine Jünger in das jüdische Land und hatte daselbst sein Wesen mit ihnen und taufte. Johannes aber taufte auch noch zu Enon, nahe bei Salim, denn es war viel Wasser daselbst; und sie kamen dahin und ließen sich taufen. Denn Johannes war noch nicht ins Gefängnis gelegt. Da erhob sich eine Frage unter den Jüngern Johannis samt den Juden über der Reinigung, und kamen zu Johannes und sprachen zu ihm: Meister, der bei dir war jenseits dem Jordan, von dem du zeugtest, siehe, der tauft, und jedermann kommt zu ihm. Johannes antwortete und sprach: ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel. Ihr selbst seid meine Zeugen, dass ich gesagt habe: ich seh nicht Christus, sondern vor ihm her gesandt. Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam; der Freund aber des Bräutigams steht und hört ihm zu, und freut sich hoch über des Bräutigams Stimme. Dieselbige meine Freude ist nun erfüllt. Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen; der von oben her kommt, ist über alle. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde; der vom Himmel kommt, der ist über alle und zeugt was er gesehen und gehört hat; und sein Zeugnis nimmt niemand an; wer es aber annimmt, der versiegelts, dass Gott wahrhaftig sei. Denn welchen Gott gesandt hat, der redet Gottes Wort; denn Gott gibt den Geist nicht nach dem Maß. Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben. Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer dem Sohn nicht glaubt, der wird das ewige Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.

Als der scharfe Morgenhauch, der dem Sonnenaufgang vorangeht, als der brausende Märzsturm, der dem Frühlingsanfang Bahn macht, erscheint uns Johannes, der Vorläufer des Herrn, mit seiner gewaltigen Bußpredigt, wie wir sie andern Orts von ihm vernehmen. Heute sehen wir denselben Gottesmann von einer andern Seite und heute möchten wir ihn mit alten Kirchenlehrern und Kirchenliedern dem Morgenstern vergleichen; dem Morgenstern, der zuerst funkelnd den Tagesanbruch verkündiget, dann aber leise verblasst und stille verschwindet vor dem größeren Gestirn, vor der leuchtenden Sonne.

Manchen schönen Zug eines echten Gottesmenschen zeigt uns jener Prediger in der Wüste: gegen sich selbst eine schonungslose Strenge; gegen die Welt einen unerschrockenen Freimut; für sein Volk eine brennende Liebe; für seinen Gott einen glühenden Eifer; aber der schönste Zug in seinem Bild ist doch bei dem Allem seine ungeheuchelte Demut, jene Demut, die wir gerade an einer so gewaltigen Persönlichkeit, an einer so feurigen Natur doppelt bewundern müssen; jene Demut, womit er jede Ehre, die ihm nicht gebührt, entschieden ablehnt; die sich aufrichtig beugt vor dem Stärkeren, welcher nach ihm kommen soll und welchem er nicht wert ist, die Schuhriemen aufzulösen; mit der er neidlos sich freut als der Freund des Bräutigams über den der die Braut heimführt; ja, mit der er willig, nachdem er seine Lebensaufgabe vollendet, in den Schatten zurücktritt vor dem Größeren, von dem er bezeugt: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen. Ein schönes Wort, bei dem es sich wohl verlohnt, etwas länger zu verweilen. Lasst uns betrachten das schöne Johanneswort:

Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen, inwiefern wirs als Christen müssen nachsprechen lernen

  1. gegenüber von Menschen;
  2. gegenüber von unserem Herrn und Gott.

Hinab, mein Herz, hinab,
So wird Gott in dir wohnen!
Die Demut lohnet er
Mit goldnen Himmelskronen;
Im Demutstale liegt
Des Heiligen Geistes Gab;
O wohl dem, der sie sucht!
Darum mein Herz, hinab!

1)

Schon gegenüber von Menschen will es in gewissen Fällen gelernt sein das Wort: er muss wachsen, ich aber muss abnehmen; schon in unsrer irdischen Stellung sollen wir als Christen die Demut üben, die in nüchterner Selbsterkenntnis, in neidloser Bruderliebe, in frommer Gottergebung auch andere neben sich und über sich gelten lässt.

Allerdings keine leichte Aufgabe für den natürlichen Menschen, und am schwersten gerade für begabte Naturen, für kräftige Charaktere. Trägt doch jedes von uns in seiner Brust einen kleinen Monarchen, der sich gern als Mittelpunkt der Welt betrachtet und gebärdet, nämlich unser liebes Ich. Ja trägt doch jedes von uns in sich eine eigenartige, gottgewollte Persönlichkeit, eine Mischung von menschlichen Gaben und Kräften, die gerade so wie du sie hast, in der ganzen Welt nicht zum zweiten Mal vorkommt, und die, sofern sie eine gottgeschaffene, ebendarum auch eine wohlberechtigte ist. Und hat doch jedes von uns eine Lebensaufgabe von Gott empfangen und einen Platz angewiesen bekommen in der Welt, den zu behaupten und zu bewahren, auszufüllen und auszunützen wir nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sind als treue Haushalter unseres Herrn im Himmel.

Das Alles ist wahr. Es gibt ein natürliches, ja ein berechtigtes Selbstgefühl, ohne das nie etwas Großes in der Welt wäre ausgerichtet worden; es ist ein göttliches Gebot auch in diesem Sinn für den Christen: Halte was du hast, dass niemand deine Krone nehme. Und auch unser Johannes hat im berechtigten Gefühl seiner göttlichen Sendung von sich selber gesagt: Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Richtet den Weg des Herrn. Und doch hat derselbe Gottesknecht vor einem Größeren, der nach ihm kam, sich gebeugt mit dem Bekenntnis: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen. Und doch musst auch du, mein Christ, wenn du deinem Gott etwas nütze, wenn du deinem Nebenmenschen nicht zur Plage, wenn du dir selbst nicht zur Pein sein willst durch Hochmut und Missgunst, die herzliche Demut lernen, die auch andern neben sich den Plass in Gottes Welthaushalt, über sich den Rang nach Gottes Hausordnung gönnt. Das ist schon die Pflicht nüchterner Selbsterkenntnis. „Wer von der Erde ist, der ist von der Erde,“ damit deutet Johannes hin auf die Beschränktheit aller natürlichen Begabung, auf die Mangelhaftigkeit alles menschlichen Wirkens. Nicht Einer vermag Alles. Nur die unerfahrene Jugend, die sich selbst noch nicht kennt und die Welt noch nicht kennt, traut sich das Unmögliche zu; wer aber mit sich selber bekannt worden ist und sich umgesehen hat in der Welt, der lernt allmählig die Grenzen seiner Kraft kennen und weiß was er kann und was er nicht kann. Nun, mein lieber Christ, was du kannst, das leiste; was Gott in dich gelegt hat, das bilde aus und nütze aus zur Ehre Gottes und zum Nutzen der Welt; was du aber nicht kannst, da lasse getrost Anderen die Arbeit und den Lohn, das Verdienst und die Ehre. Nur so kannst du etwas Tüchtiges leisten, denn in der Beschränkung liegt die Meisterschaft, hat ein großer Weiser gesagt. Wer zu viel tut, wird am Ende nichts recht tun, wer aber treu haushält mit seinem anvertrauten Pfund und redlich wirkt in den ihm angewiesenen Schranken, dem gilt das Ehrenzeugnis jener demütigen Seele: Lasst sie mit Frieden, sie hat getan was sie konnte, und das Lob des redlichen Haushalters: Ei du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, ich will dich über viel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude!

Also demütige Selbsterkenntnis, mein lieber Christ, die sich ihrer Schranken bewusst bleibt! Und dabei herzliche Bruderliebe, die auch dem andern seine Ehre gönnt. „Meister, der bei dir war jenseits dem Jordan, von dem du zeugtest, siehe der tauft und jedermann kommt zu ihm.“ Er greift dir ins Amt, er nimmt dir deinen Zulauf, er stellt dich in Schatten! So lautet die Botschaft, welche die Johannesjünger eifersüchtig ihrem Meister hinterbringen. Aber wie neidlos und wie liebevoll, wie schön und wie groß lautet die Antwort des Meisters: „Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam, der Freund aber des Bräutigams steht und hört ihm zu und freut sich hoch über des Bräutigams Stimme: Dieselbe meine Freude ist nun erfüllt“. Wohl gesprochen, du edles Herz; gut gesagt, du große Seele! Ja, das sind die großen Seelen, die neidlos auch fremde Größe anerkennen, während die kleinen Geister engherzig nur von sich selber eingenommen sind. Ja das ist die rechte Bruderliebe, die dem Freunde die Braut gönnt und freut sich hoch über sein Glück; die uneigennützige Liebe, die harmlos sich freut mit den Fröhlichen; die selbstverleugnende Liebe, die nicht das Ihre sucht und sich nicht blähet und sich nicht erbittern lässt und freut sich nicht der Ungerechtigkeit, freut sich. aber der Wahrheit. Wenn du dich herabneigst zu dem der unter dir steht, in Güte, Mitleid und Erbarmen, so ist das schön. Wenn du Hand in Hand gehst mit deines Gleichen in Eintracht und Frieden, so ist das gut. Aber das Schönste und Beste, das Schwerste und das Größte, das Probestück und Meisterstück in der Liebe ist das, dass du den, der deines Gleichen war oder unter dir stand, auch neidlos kannst über dich steigen sehen; dass du auch dem Glücklicheren sein Glück, dem Größeren seine Ehre, dem Bevorzugten seinen Vorrang gönnst mit herzlicher Freude. Ein Königssohn Jonathan, der neidlos sein Haupt an seines David Busen lehnt, obwohl der Freund ihm einst seines Vaters Krone wegerben soll; eine Priestersfrau Elisabeth, die Mutter unseres Johannes, die herzlich und ehrerbietig sich ihrer Base Maria neigt, welche den Messias unter dem Herzen trägt, und sie seligpreist als die Gebenedeite unter den Weibern; ein Vorläufer Johannes, der, nachdem er dem Erlöser den Weg bereitet hat, willig hinter ihn in den Schatten zurücktritt mit dem Bekenntnis: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen das sind edle Gestalten, das sind liebliche Bilder echter Freundschaft, selbstverleugnender Liebe. Aber wie schwer wird es uns, solchen Vorbildern zu folgen! Wie selten bringen selbst bessere Naturen es über sich, fremdes Verdienst rückhaltlos gelten zu lassen! Wie verbittern wir einander das Leben und vergällen uns selbst unsere Tage durch Stolz und Eifersucht, durch Neid und Missgunst! Wie viel Brotneid unter Handwerksgenossen, von denen jeder den andern auszustechen sucht in der Gunst der Leute, und wie viel Künstlerneid unter Künstlern, die so selten es verstehen, wie unsere zwei großen deutschen Dichter, in neidloser Freundschaft einander anzuerkennen nach dem schönen Grundsatz, die einer von beiden ausgesprochen: Gegen fremde Größe gibts keine Waffen als Liebe und Bewunderung! - - Wie viel Eifersucht unter Blutsfreunden und Fachgenossen, die einander lieblos bemäkeln und verkleinern, während sie durch die Bande der Natur und durch die Fügung Gottes angewiesen wären auf Eintracht und Frieden, auf Schonung und Duldung! Wie viel Ränke in der Umgebung der Mächtigen, damit einer dem andern den Rang ablaufe auf der Stufe der Ehren! - Wie viel Rechthaberei in Ratssälen und Ständekammern, wo so mancher nur seine Ehre sucht, seine Stimme hört, seiner Partei dient, statt unbefangen auch eines Andern Wort zu würdigen und gewissenhaft die eigenen Interessen dem allgemeinen Besten unterzuordnen! Mit Einem Wort, meine Lieben, wie viel Selbstsucht und Hochmut in unsern sündigen Menschenherzen, dabei wir vergessen, was wir unsrem Nächsten schuldig sind in herzlicher Bruderliebe!

Und was wir unsrem Gott schuldig sind in frommem Gehorsam! „Ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel.“ So spricht Johannes als ein rechter Gottesknecht und begnügt sich mit der ihm von oben verliehenen Gabe, fügt sich in die ihm vom Herrn angewiesenen Schranken. Lasst‘s uns auch so machen, meine Lieben. Ein Mensch kann sich nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel. Von oben herab, vom Vater des Lichts kommt alle gute und alle vollkommene Gabe. Er hat keines auch unter uns vergessen, er hat jedem unter uns sein Pfund verliehen, lasset uns treulich damit haushalten. Von oben herab, vom Herrn über Leben und Tod, wird jedem unter uns sein Ziel gesteckt und seine Arbeitszeit zugemessen; lasset sie uns redlich nützen und wirken so lang es Tag ist. Wo aber meine Kraft nicht hinreicht, da will ich gern einen Stärkeren stehen sehen und will statt zu bemäkeln was nicht von mir kommt, vielmehr der Macht und Güte meines Gottes mich freuen, auch wo sie in Andern und Besseren, als ich bin, sich verherrlicht; und wenn meines Lebens Sonne sinkt und mein Tag sich neigt, dann will ich gern auf den Ruf meines Gottes mich zur Ruhe schicken und einer frischeren Kraft Plass machen, und statt mich für unersetzlich zu halten, will ich mich freuen, wenn ein Besserer nachkommt, und will ihm Gottes Segen wünschen aus treuem Herzen und will mirs einen Trost sein lassen, dass auch über meinem Grabe noch Gottes Sonne scheint und die Saaten des Guten grünen und gedeihen. Das, meine Lieben, ist Christensinn; aber freilich solcher Sinn muss, wie Alles Gute, von oben in uns gepflanzt werden, und darum wie über Menschen, so und noch viel mehr

2)

gegenüber von unsrem Herrn müssen wirs nachsprechen lernen: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen, indem wir seinem Geist Raum machen in unsrem Herzen, seinem Willen den Lauf lassen in der Welt und in seine Hände zuletzt gläubig unsern Geist befehlen.

„Der von oben her kommt, ist über Alle. Welchen Gott gesandt hat, der redet Gottes Wort. Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm Alles in seine Hand gegeben“. Mit solchen Zeugnissen deutet Johannes hin auf den, der nach ihm kommt, vor dessen göttlicher Person seine menschliche in den Schatten treten, vor dessen erhabener Sendung die seinige verschwinden müsse. Und wie es in dem äußern Leben des Gottesmannes seine Wahrheit hatte, so musste es auch in seinem Herzen sich erfüllen: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen. Sein menschliches Denken und Meinen, Wollen und Streben musste immer mehr zurücktreten vor Christi Person, Christi Wort, Christi Geist, Christi Reich. Im Kerker auf dem Felsenschloss Machärus, wo bald nachher seine Feuerseele in die Stille geführt ward, da musste alles, was noch von menschlicher Ungeduld, von fleischlichem Eifer, von Eigensinn und Eigenwillen in ihm war, je mehr und mehr abnehmen und Christi sanfter Sinn, Christi milder Geist, Christi himmlisches Wesen auch in seiner gewaltigen Seele erst recht wachsen und gedeihen. Ists aber diesem Heiligen Gottesmann nicht erspart worden, so kanns unser einem noch viel weniger erlassen werden in unsrem inneren Leben: der Herr muss wachsen, ich aber muss abnehmen; d. h. mein irdischer Sinn, meine angeborene Natur, meine Selbst- und Weltliebe, mein Eigensinn und Eigenwille, meine Hab- und Genusssucht, meine bösen Triebe und Leidenschaften, mein natürlicher Mensch, mein alter Adam, um mit der Kirche zu reden, das Alles muss abnehmen, muss gebändigt und unterjocht werden, damit Christus in mir wachse und zunehme, damit sein Geist in mir herrsche, sein Frieden in mir wohne, sein Leben in mir eine Gestalt gewinne. Wie die Schatten der Nacht vor der Sonne immer weiter zurückweichen, wenn ihr Licht zuerst die Spitzen der Berge vergoldet und dann allmählig herabsteigt in die verborgensten Täler und stillsten Gründe, so soll Christi Geist und Christi Wort allmählig mein ganzes Herz und Leben durchleuchten und alles Ungöttliche, alles Gemeine, alles Unreine in Gedanken, Worten und Werken, aus den verborgensten Winkeln meiner Seele vertreiben. Wie das Unkraut muss abnehmen und ausgejätet werden in einem Garten, damit die guten Pflanzen drin wachsen, die schönen Blumen gedeihen, die edlen Früchte gerat, so muss in meinem Herzensboden das Unkraut böser Gedanken, ungöttlicher Triebe, sündlicher Gewohnheiten abnehmen und aussterben, damit die schönen Saaten göttlicher Gedanken darin wachsen, damit die reinen Blüten himmlischen Sinnes darin aufgehen, damit die edlen Früchte gottgefälliger Werke darin reifen. Ja die ganze Arbeit meiner Heiligung, alle Bildung meines Geistes, alle Veredlung meines Herzens, alle Besserung meines Lebens läuft darauf hinaus, dass Christus in mir wachse, ich aber abnehme; das höchste Ziel eines Christenlebens ist das, mit dem Apostel sagen zu können: das Alte ist vergangen, siehe es ist Alles neu worden; nicht ich lebe, sondern Christus lebet in mir. Und nun, mein lieber Christ, sieh einmal dein Herz darauf an, sieh dein Leben darauf an, ob Christus darin eine Gestalt gewinnt, ob in deinem Fühlen und Denken, in deinem Reden und Handeln, in deinem Tun und Lassen es zur Wahrheit wird: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen, und lass das deine tägliche Arbeit sein an dir selber, dass du dem Herrn Raum machest in deinem Herzen. Dann wirst du auch seinem Willen den Lauf lassen in der Welt und in seine heiligen Wege dich finden, auch wo dir dunkel sind. So ists unsrem Johannes gegangen. Der Herr ist erschienen, den er angekündigt hatte unter dem Volk, aber anders als seine feurige Prophetenseele sich‘s gedacht. Das Reich Gottes ist gekommen, das er gepredigt, aber anders als er es gemeint. Er musste sich drein finden, er musste lernen zurücktreten mit seinen Wegen gegen Gottes Wege, mit seinen Gedanken gegen Gottes Gedanken. Wohl uns, wenn auch wir das lernen! Ja mein lieber Christ, wenn auch dir der Herr die strenge Wahrheit zu erfahren gibt: Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege; wenn dein Lebenspfad eine andere Wendung nimmt als du dir gewünscht, wenn die Weltgeschicke einen anderen Gang gehen als du dirs gedacht, wenn selbst im Reich Gottes so Manches nicht so sich gestaltet wie du es gehofft, dann lass dirs wiederum gesagt sein: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen. Beuge demütig deinen Willen unter des Herrn alleinheiligen, alleinweisen und alleingewaltigen Ratschluss und sprich: ich muss abnehmen; nicht was ich mir ersehe, sein Wille der geschehe! Richte aber auch deine Seele auf an dem Gedanken: Er muss wachsen; wie es auch geht und was auch geschieht: dass sein Name geheiligt werde, dass sein Reich komme, dass sein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden, darauf müssen alle seine Wege hinauslaufen, dazu muss der ganze Weltlauf dienen.

Und meine Lieben, wenn‘s einmal dahin mit uns kommt, dass wir ganz verschwinden aus dieser Welt, wie Johannes dort verlosch gleich einem Licht in seines Kerkers finstrer Nacht, auch in der Todesstunde solls unser Trost sein: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen. Demütig und vertrauensvoll wollen wir unser Leben zurückgeben in seine Hände mit dem Gedanken: ich muss abnehmen; meine Zeit ist vorbei, mein Lauf ist vollbracht, meine Arbeit ist getan. Er aber muss wachsen: sein Werk geht fort auch ohne mich hier auf Erden. Seine Macht und Gnade wird auch drüben an mir groß werden über mein Bitten und Verstehen, wenn ich erwache nach seinem Bild und verklärt werde in seine Klarheit. Die Stunde kommt uns Allen, wo es aus ist mit menschlicher Macht, menschlicher Hoffnung, menschlicher Weisheit. Er aber bleibt der Lebendige, der Selige und Alleingewaltige, in seine Hände befehl‘ ich meine unsterbliche Seele und meinen verweslichen Staub mit der Hoffnung: Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben, und mit dem Trost:

Liebe, dir ergeb ich mich,
Dein zu bleiben ewiglich.
Amen.

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