Gerhard, Johann - Tägliche Uebung der Gottseligkeit – Das neunte Capitel.
Beweis, daß alle Wohlthaten Gottes von der Schwere der Sünden zeugen.
Heiliger Gott, gerechter Richter, mit je mehr Wohlthaten du mich überhäuft hast, desto mehr schmerzte es mich, daß ich dich, einen so wohlthätigen Vater, so oft beleidigt habe! So viele Gaben du auf mich gehäuft hast, so viele Bande der Liebe hast du mir angelegt. Du wolltest mich dir verbinden; aber ich habe dein und deiner Güte vergessen, und eine Menge Sünden gehäuft. Vater, ich habe gesündigt in den Himmel und vor dir; ich bin nicht werth, daß ich dein Sohn heiße; mache mich als einen deiner Taglöhner! Ich mißfalle mir ganz; mache, daß ich dir ganz gefalle. Deine reiche Güte und wunderbare Langmuth hat mich lange zur Buße gerufen; aber ich habe mich bisher geweigert, zu kommen. Du hast mich öfter gerufen, gütigster Gott, durch die Predigt des Worts, durch die Mahnung der Creaturen, durch die Züchtigung des Kreuzes, durch innere Eingebung; aber ich habe die Ohren meines Herzens gegen diesen Ruf ganz verstopft! Alle Kräfte meiner Seele, alle Glieder meines Leibes sind dein Geschenk; mit allen Kräften meiner Seele, mit allen Gliedern meines Leibes hätte ich daher zum heiligen Dienst bereit seyn sollen, den ich dir schuldig bin. Aber, ach wehe! ich habe sie zu Waffen der Ungerechtigkeit und Sünde gemacht. Dein ist der Odem, den ich anziehe; dein die Luft, die ich einathme; dein ist die Sonne, deren Licht ich täglich sehe; alles, dies hätte mir Beihülfe und Werkzeug zu einem heiligen Leben seyn sollen. Aber, ach wehe! ich habe dies Alles zum Dienste der Sünde verkehrt. Die Geschöpfe sollte ich zum Ruhme des Schöpfers gebrauchen; aber ich habe sie auf die schlechteste Art zu seiner Schmach gemißbraucht. Beim Lichte der Sonne sollte ich die Waffen des Lichtes anziehen; aber ich habe in denselben die Werke der Finsterniß vollbracht. Was meinem Leben zugelegt wird, fließt mir aus deiner Güte zu. Mein ganzes Leben hätte daher dem dienen sollen, von dem es ganz und gar abhängt; aber auf deinen heiligen Dienst ist kaum der geringste Theil desselben gewandt worden. So viele gute Regungen ich merkte, so viele Dienerinnen deiner Gnade hast du an mich abgesendet, durch welche ich nach deiner großen Güte eingeladen wurde, daß ich durch wahre Buße zu dir zurück kehren sollte. Aber ach, wie oft habe ich mich, von ihrem liebreichsten Zureden beharrlich abgewendet! Nimm den auf, der nun endlich mit Seufzen und zerschlagenem Herzen zu dir zurückkehrt! Besprenge mich mit dem Blute deines Sohnes, daß ich, von allen Befleckungen des Fleisches und Geistes gereinigt, schneeweiß werde; und im himmlischen Jerusalem mit allen Auserwählten dich ewiglich preise! Amen.