Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Vorwort.

Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Vorwort.

Wenn in Zeiten des wieder erwachenden Glaubens die Schriften derer von Neuem an das Licht gezogen werden, die vor Jahrhunderten gezeugt haben vom Glauben, so ist dazu mehr denn ein Grund vorhanden. Es ist vor Allem erhebend für die lehrenden wie für die lernenden Glieder der Kirche des Herrn, Die vom Glauben reden zu hören, welche längst den Lauf vollendet und im Glauben ihren Trost im Leben und im Sterben gefunden und das Zeugniß der Bewährung für sich haben. Da tritt der Glaube, zu dem wir uns bekennen, mit seiner Segensmacht wie verkörpert uns vor die Seele : und weil es nicht abgehen kann ohne einige beugende Erinnerung an vergessene oder doch nicht werth genug geschätzte Güter des Heils, so wird der Glaube uns um so theurer und kostbarer und aus dem Munde der alten Zeugen ertönt an uns der Ruf: „Halt was du hast, daß Niemand deine Krone nehme!“ Off. Joh. 3, 11; und wiederum: „Rufe getrost, schone nicht, erhebe deine Stimme wie eine Posaune, und verkündige meinem Volke ihr Uebertreten, und dem Hause Jacob ihre Sünde!“ Jes. 58, 1. Da wächst die Lust am Glauben und der Muth zum Zeugniß von ihm.

Ist das nicht Grund genug, die alten Zeugen, deren Zeugniß durch mehrhundertjährige Erfahrung bestätigt ist, von Neuem reden zu lassen? Ist doch eben in Zeiten, da der Glaube wieder erwacht, dieser selbst dem Schmetterlinge zu vergleichen, welcher eben erst die Hülle der Verwandlung durchbrochen und das neue im Verborgenen ihm bereitete und geschenkte Leben im Lichte des Tages begonnen hat, aber mit zitternden Schwingen, die zum Aufschwunge und zur Kundgebung des in ihm ruhenden Lebens noch nicht taugen. Es bedarf der Glaube der Vorgänger, damit er könne nachfolgen. Er bedarf der Erhebung, damit er sich könne erheben. Er bedarf der Zeugen, damit er auch zum Zeugenamte Kraft und Macht erlange und sich sonne im Lichte Deß und aufschwinge zu Dem, der der Anfänger und Vollender des Glaubens ist Ebr. 12, 2, zu Jesu, dem Herrn der Kirche. „Es ist ein köstlich Ding, daß das Herz fest werde!“ Ebr. 13, 9. Und wie damit schon Segen uns verbürgt ist, wenn die alten Zeugen und Väter der Kirche von Neuem zu uns reden, so ist das uns auch neuer Grund, sie reden zu lassen, und neue Segensbürgschaft. Denn wie ihr Zeugniß erhebt, so fördert und gründet es auch in der Erkenntniß der Wahrheit. Es treibt hinein in die heilige Schrift, aus der es erwachsen ist, und erschließt die theuren Gnadenschätze, durch die der treue Gott uns reich macht in Christo Jesu, seinem Sohne, und unser Heil wirkt. - Das hat mich gedrungen, den heiligen Betrachtungen des lieben Johann Gerhard, die in verschiedenen Zeiten gesucht, mehr denn dreißig Mal im lateinischen Urtext aufgelegt, in fast alle europäischen Sprachen übersetzt und geliebt worden sind, in dieser unserer Zeit zur Erhebung des Glaubens und eben damit zur Förderung und Gründung in der Erkenntniß der Wahrheit, und so zum Segen aller, denen der Glaube keine müßige Frage ist in unserm Volke, deutschen Laut zu geben. Denn der Mann, von dem sie herrühren, und der einer der hervorragendsten und treuesten Gottesgelehrten unserer theuren evangelisch - lutherischen Kirche und in dem ersten Leidens- und Siegeslaufe der heiligen Reformation derselben in den Reihen ihrer Kämpfer gestanden ist, weiß was Glauben und im Glauben leben heißt zur Ehre des dreieinigen Gottes. Er ist ein rechter Glaubens - Lebens - Gottesgelehrter. Im Glauben weicht er nicht um ein Haar vom Worte Gottes, das allein selig macht; und des Glaubens Offenbarung fordert er im Leben. Er spricht: „Da ist ein elend und erbärmlich Leben, wo nicht der rechte Glaube ist an Gott; aber da ist auch wieder ein eitler Glaube, wo nicht das rechte leben ist. Der wahre Glaube ist da nicht im Herzen zu finden, wo er nach außen hin sich nicht in Thaten offenbaret. Die nicht im Lichte wandeln, die sind noch nicht Kinder des Lichts. Das sind keine Christen, die nicht leben wie es Christen ziemt.“ Aus dieser Glaubens - Lebens - Gottesgelehrtheit, die das Zeugniß der Aechtheit und die Verheißung des Segens hat durch den Herrn, der da spricht: „An der Frucht erkennet man den Baum.“ Matth. 12,33; und: „Es werden nicht alle, die zu mir sagen, Herr, Herr, in das Himmelreich kommen; sondern die den Willen thun meines Vaters im Himmel.“ Matth. 7,21, ist das Büchlein der heiligen Betrachtungen hervorgegangen, das dir hier geboten wird, andächtige Seele. Der theure Gottesmann sagt selbst über die Entstehung und Veröffentlichung desselben: „Dieß Büchlein heiliger Betrachtungen habe ich nach und nach in stillen Stunden verfaßt, um dem Leben in Gott, das beim dermaligen Todes schlafe der Welt fast ausgetilgt ist, ein Mittel zu neuem Erglühen, und den Trägen auf dem Wege des Herrn ein Mittel neuer Anregung zu geben, und mich selbst und Andere an unsere gemeinsame Lebensaufgabe zu erinnern.“ Was er im Büchlein sagt, ist nicht alles sein eigenstes Eigenthum, sondern manches aus Erinnerung frommer Aussprüche Gottseliger Menschen, wie Augustin's, Bernhard's, Anselm's, Tauler's und Anderer ihm in die Feder geflossen. Er hat deß nicht schweigen wollen, wenn er es auch an den betreffenden Stellen nicht anführt, aus Besorgniß die Andacht der Betrachter zu stören, und sagt darüber: „Ich halte dafür, daß es nichts frommt, ob etwas mit meinen oder der Väter Worten ausgedrückt ist, wenn nur, was gejagt ist, mit Fleiß beachtet wird. Beliebt's Einem, so mag er alles, was in diesem Büchlein geschickt und passend gesagt ist, den heiligen Vätern zuschreiben, mir aber nur das, was weniger geeignet angeführt ist: ich wehre es ihm nicht und wünsche nur, daß den Kindern der Kirche eine Frucht daraus erwachse; und der Erfüllung dieses Wunsch es würde ich mich dann schon theilhaftig erachten, wenn auch nur in einer Seele einmal irgend ein frommer und heiliger Gedanke aus dem Lesen dieses Büchleins aufstiege.“

Das Büchlein empfiehlt sich selbst jedem, der es braucht. Möchte aber Einer der Empfehlungen begehren, so stehen etliche hier: Michael Dilherr, ein lutherischer Gottesgelehrter, sagt von ihm: „Es ist nicht groß, aber gülden und werth, daß man es bis auf's Wort sich einpräge. Wer ist bei uns? aber was sage ich bei uns? wer ist selbst bei denen, die mit uns nicht eines Glaubens sind, der dieß Buch nicht empfehlen müßte, wenn er die Regungen des Neides überwindet? – Nicolaus Vedel, ein reformirter Theolog, sagt: „Die auf das thätige Christenthum gerichteten Betrachtungen des berühmtesten Gottesgelehrten, Johann Gerhard, die in unsern Kirchen so hoch geschätzt werden, geben Zeugniß von dessen Leben in Gott.“ – Christian Schwanmann, Bürgermeister von Buxtehude, hat das Buch in lateinischen Versen von folgendem Sinne gepriesen: „Kurz ist's in Worten, aber reich an Inhalt. Was es sagt, dem gibt's Gewicht durch's Wort, denn jedes Wort hat Gewicht. Was die Alten in vielen, faßt dieser Eine in wenigen Worten, ja alles umfaßt das preiswürdige Buch dieses Einen. Der Gegenstand eben so wohl als die Ausführung räth: Lies mit Andacht und glaube fest, was du liest, hat Gott mit seinem Finger geschrieben!“

Das genüge; Eines sei aber noch erwähnt, weil ich Seite 5 in der zweiten Betrachtung des Buchs auf's Vorwort verwiesen, nämlich daß der liebe Johann Gerhard ganz im Glauben gewesen, und wenn er dort sagt nach dem Urtext: „Gott leidet, Gott vergießt sein Blut,“ solches nicht sagt im Sinne des Irrthums derer, die da Veranlassung mit ihrer Irrlehre gegeben zu der Annahme, Gott, der Vater, habe in Jesu Person den Tod gelitten, sondern daß er solches sagt im Sinne der Schrift und der Bekenntnißschriften der lutherischen Kirche, nach denen die beiden Naturen, die göttliche und menschliche, in Jesu Christo so vereinigt gewesen sind, daß „Gott Mensch und Mensch Gott ist,“ ohne daß die Naturen und die Eigenschaften derselben mit einander vermischt worden sind, sondern jede Natur ihr Wesen und ihre Eigenschaften behalten hat.

Der Herr, der den treuen Mann, der dieses Buch verfaßt aus Liebe zu dem Heile der Seelen, in seinen Dienst genommen und darin vollendet und auch dieses Buch mit seinem Segen vielfach gekrönt hat, lasse dasselbe auch in dieser Uebertragung den Seelen, die seine Wahrheit suchen und lieb haben, lieb und förderlich werden in der Sorge für ihr Heil. Er thue das um seines hochgelobten und gebenedeieten Namens willen.

Magdeborg, den 8. März 1858.

Bernhard.

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