Christoffel, Raget - Die Waldenser und ihre Brüder – 7. Die betrübende Nachricht und Pasqualis Mahn-, Trost- und Dankschreiben an die Brüder zu San Xisto und Guardia.

Christoffel, Raget - Die Waldenser und ihre Brüder – 7. Die betrübende Nachricht und Pasqualis Mahn-, Trost- und Dankschreiben an die Brüder zu San Xisto und Guardia.

Denn ich schreibe euch in großer Trübsal und Angst des Herzens, mit vielen Tränen; nicht dass ihr solltet betrübt werden, sondern auf dass ihr die Liebe erkennt, welche ich habe sonderlich zu euch.
(2. Kor. 2, 4.)

Während die treuen Hirten hier im Gefängnisse schmachteten, sollten ihre Herden durch eine arge List zum Abfalle vom Glauben der Väter verleitet werden. Der Vorsteher des Inquisitionstribunals in Rom, jener furchtbare Ghislieri, der später als Pius V. den päpstlichen Stuhl bestieg und der ganz Italien von den rhätischen Alpen bis Sizilien durch seine grausame Härte gegen jede evangelische Regung mit Schrecken erfüllte, hatte auch die Bekehrung oder den Untergang der waldensischen Kolonie in Calabrien beschlossen. Zunächst versuchten zwei Mönche, die zu dem Ende nach San Xisto gesandt worden, die Waldenser daselbst durch allerlei Versprechungen zum Besuche der Messe zu bewegen; aber sie erreichten ihren Zweck nicht. Hierauf gingen die Mönche in die Kirche und ließen die Glocken zum Gottesdienste läuten; die Waldenser aber verließen in großen Scharen das Dorf und zogen sich in die Wälder zurück. In Guardia ließen die Mönche sodann nach ihrem Eintritte in die Stadt die Tore schließen und hierauf logen sie den Bürgern vor, die Bewohner von San Xisto seien sämtlich zur Messe gegangen und haben ihrem Glauben entsagt. Durch diese Lüge getäuscht, ließen sich die Bürger von Guardia bewegen, die Messe zu besuchen. Als sie aber erfuhren, dass sie getäuscht worden seien, ergriffen sie in ihrer Entrüstung die Waffen zum Schutze des väterlichen Glaubens und gaben dadurch Veranlassung zu kriegerischen Maßnahmen, die ihnen höchst verderblich wurden. So ward die Herde mit den Hirten gequält und dem Untergange geweiht. Als Pasquali von diesen Vorgängen Kunde erhielt, ward er sehr betrübt und entsandte aus dem Gefängnisse den Brüdern zu San Xisto und Guardia folgendes Mahn- und Trostschreiben: „Ihr habt wohl alle Ursache zu trauern über den erbärmlichen Zustand, der sich bei Euch und bei einigen Eurer Nachbaren bei meiner Ankunft gezeigt hat. Es scheint, als ob der Herr mich um keiner andern Ursache willen zu Euch gesandt hätte als damit vieler Leute Heuchelei und gerechte Verdammnis offenbar würde. Bei meiner Ankunft beklagten sie sich über Marchetto, damit sie selbst ungestraft bleiben und sich unbelästigt in ihrer Abgötterei und in ihrem Unflat wälzen können; ja sie haben mit allem Fleiße dahin gewirkt, dass die weltliche Obrigkeit jeden zur Abgötterei zwinge. Um solches zu erhalten, haben sie eine Meuterei und einen Krieg wider Gottes Gebot angefangen. Dieses betrübt mich sehr und erfüllt mich mit unaussprechlichen Schmerzen. Ihr könnet versichert sein, dass Gott durch solche Undankbarkeit zum Zorne gereizt wird. Darum ist es auch nicht zu verwundern, dass Gott nach seinem gerechten Gerichte diejenigen zu Werkzeugen ihrer Trübsal gebraucht, die ihnen zum Troste gesandt waren. Denn es ist nur billig, dass diejenigen, welche den Segen Gottes von sich weisen, von seinem Fluche betroffen werden. Sie haben auch keinen Grund, sich darüber zu beklagen, indem von mir ihnen beides nach dem 5. Buche Moses vorgelegt worden ist. Wenn ich gewusst hätte, was die Brüder von Guardia sich unterstanden, so würde ich ihnen geraten haben, das 20. Kapitel der christlichen Unterweisung von Calvin zu lesen und zu beherzigen. Alsdann würden sie meines Erachtens nicht so gehandelt haben. Betrachte ich die Sache, wie sie mir erzählt worden, so kann ich nichts Anderes erkennen, als ein gerechtes Gericht Gottes, der guten Rat hinwegnimmt, und die Weisen zu Narren macht, wenn er über sie Strafe verhängen will.“

- Die erste Lehre, die Christus seinen Jüngern erteilt, lautet: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst; und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.“ Der Apostel Paulus aber schreibt: „Alle, die gottselig Leben wollen, müssen Verfolgungen leiden.“ Und „durch viele Trübsale müssen wir eingehen in das Reich Gottes.“ Es fällt dem Fleische wohl schwer, die Heimat zu verlassen, seine Habe und seine Güter zu verlieren und sein Leben tausenden Gefahren auszusetzen. Aber dagegen weiß ich auch, dass es noch viel schädlicher ist für Leib und Seele, wenn man den Herrn Jesum Christum verleugnet. Ich bin überzeugt, dass von den Hunderten, welche mit mir im finsteren Gefängnisse schmachten, nicht einer ist, der nicht mit Freuden all sein Gut dahingeben würde, um nicht sein Leben lang in diesem Elende stecken zu müssen. Wenn wir, nun um zeitlichen Leiden zu entgehen, gerne all unser Gut opferten, wie viel mehr sollen wir dieses tun, um uns vor dem ewigen Gefängnisse der Hölle zu bewahren, welches nach dem Urteile Christi allen denen wartet, die ihre Güter, ja Vater, Mutter, Kinder und ihr eigenes Leben mehr lieben als ihn. Ich weiß wohl, dass Viele sagen werden, sie fühlen sich nicht stark genug, um Christi willen zu sterben. Diesen rate ich, dass sie, weil sie befürchten im Kampfe zu unterliegen, doch in der Flucht den Sieg zu erhalten suchen sollten, denn die Flucht ist wohl erlaubt, aber die Knie vor Baal zu beugen, ist bei Strafe der ewigen Verdammnis verboten. Ich kenne Viele in Genf, woher ich gekommen bin, die, nachdem sie ihre Güter und ihre Heimat um des Glaubens willen verlassen, bei Brot und Wasser sich glücklicher fühlen, als früher im Besitze ihres Goldes und im Genusse des Wohllebens. Wenn Ihr nun für Eure Seelen Ruhe schaffen wollt, so begebt euch dahin, wo sie durch das Evangelium erquickt werden können. Auf diese Weise werdet Ihr Eure Gewissen unverletzt bewahren und Eure Seelen speisen. Dabei werdet Ihr zufrieden sein indem ihr den Herrn Jesum Christum bekennet. Ihr werdet die Gemeinde erbauen und Euch Eures ewigen Heils je länger je mehr versichern.

„Ich bitte Euch allerliebste Brüder, dass Ihr, die Trübsal, die Euch der Herr jetzt zusendet, mit Geduld ertragen wollt und die Bitterkeit des Kreuzes mit der Lieblichkeit der Verheißung, welche das Evangelium uns vorhält, versüßt, indem es diejenigen selig preist, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgungen leiden.“

„Ich sehe bereits, wie der Satan Euch überreden wollte, an Eurer Seligkeit zu zweifeln, nachdem Ihr durch Gottes Zulassen seiner Diener und also auch der Predigt seines Wortes, welches die alleinige rechte Speise ist für unsere Seelen, beraubt worden seid… Wenn aber Vater und Mutter ihren Kindern den Brotschrank verschließen, so tun sie es nicht in der Absicht, ihre Kinder Hungers sterben zu lassen, da sie ja lieber ihnen das Herz aus dem Leibe geben würden, als sie einer solchen Gefahr auszusetzen. Hegen aber schon die Menschen, die doch arg sind, solche Liebe und solches Wohlwollen gegen ihre Kinder, so wird noch viel weniger der Vater der Barmherzigkeit, der auch seines eigenen vorgeliebten Sohnes nicht verschont hat, sondern ihn vom Himmel herab auf die Erde gesandt, damit er in Ewigkeit uns zum Brote des Lebens werde, sein väterliches Herz gegen uns verschließen. Aber ihr möchtet dagegen einwenden, der Brotschrank bleibt uns dennoch verschlossen, dieweil wir seines Wortes beraubt sind. Darauf antworte ich, dass solches zu Eurem Heile geschehen. Zuerst ist es um unserer Stumpfheit willen nötig, damit wir ihn in der Not anrufen und, nachdem wir das Erbetene erlangt, ihm auch dafür danken. Dieweil Euch Gott diese Gnade erzeigt hat, dass Ihr von christlichen Eltern geboren worden seid, so dürfet Ihr auch versichert sein, dass Ihr ihren Segen ererben werdet, da ja Gott Euren Vätern verheißen hat, dass er ihr und ihres Samens Gott sein wolle bis ins tausendste Glied. Indem Euch Gott, Euer Vater, dieser geistlichen Speise beraubt hat, will er Euch nicht Hungers sterben lassen, sondern nur das Verlangen danach in Euch reizen, damit diese Speise Euch eine um so heilsamere Nahrung werde. Was aber dies Aufschließen des Brotschrankes betrifft, so wisst Ihr, dass ein Kind nichts mehr tun darf, als das Brot vom Vater erbitten, sintemal seine Stimme einem frommen und mitleidigen Vater durchs Herz geht. Daher tut Euch nichts Anderes not, als dass Ihr wie fromme und gehorsame Kinder das Brot vom Vater erbittet, wie Christus Euer Bruder Euch gelehrt hat, und dass Ihr dabei fest auf seine Güte und väterliche Liebe vertraut. . . .“

„Ihr wisst wohl, welche harte Schläge Eure Brüder in Piemont und in der Provinz wegen der Predigt des Evangeliums unter ihnen erduldet haben, und wie standhaft sie dabei gewesen. Sie haben das Band der Liebe und Einigkeit unter einander unverletzt bewahrt, da sie Satan aufs Äußerste verfolgte und sie zu Grunde richten wollte. Ihr seid nun des gleichen Geschlechtes und habet die nämliche Verheißung, daher kommt der Unterschied zwischen Euch und Ihnen, da Ihr nun für die göttliche Wahrheit zu streiten und zu leiden berufen seid, nur von Euren fetten Küchen her. Aber Gott ist getreu und will seine Verheißung erfüllen und will sein Werk nicht unvollendet liegen lassen, noch zugeben, dass der Satan diejenigen raube, die er zu seinen Kindern angenommen und dem Herrn Jesu gegeben hat. Darum sollt Ihr daran genügen lassen, dass Eure Seligkeit in der Hand dieses starken Obersten, Jesu Christi ruht, der noch nie einen Soldaten verloren hat, obgleich er sie täglich zum Kampfe und zur Übung auffordert. . . . Wir haben hier keine bleibende Statt, sondern wir suchen die zukünftige. Nachdem Abraham die Verheißung der Kindschaft empfangen, hat er auch gleich den Befehl erhalten, aus seines Vaters Hause und aus seinem Vaterlande und von seinen Freunden wegzuziehen. Folgt ihr seinem Glauben nach und bleibt ihr gehorsam, wie er es gewesen, so werdet Ihr auch seine Mitgenossen sein. Ihr werdet nicht allein einst das Himmelreich ererben, sondern es schon hier auf dieser Erde besitzen, wenn Ihr gleich nur Pilger auf Erden sein müsst. Weil ferner die Christen einander nicht Alle gleich sind und der Herr seine Gaben nach seinem Wohlgefallen ungleich verteilt hat, so ermahne ich diejenigen, welche sich furchtsam fühlen, bei Zeiten noch ohne Rücksicht auf Ihre Familien, Güter und Verbindungen sich nach einem sicheren Orte zu begeben. Nicht dass ich von ihnen verlangte, ihre natürliche Liebe und Sorge für die Ihrigen zu verleugnen, sondern ich wünschte nur, dass sie um der Ehre Gottes willen dem Beispiele vieler frommer Christen in Frankreich nachfolgten, welche, wenn sie in ähnlicher Lage sich befinden, sich dahin begeben, wo die wahre Kirche Gottes ist, und da bleiben, bis sie in der wahren Religion recht erstarkt sind. Unterdes zeigt ihnen der Herr einen Weg, wieder mit unverletztem Gewissen in ihr Vaterland zu den Ihrigen zurückzukehren, wo sie denn nicht allein ihren Hausgenossen, sondern der ganzen Gemeinde zum Segen gereichen. Bleibt Ihr dagegen jetzt bei einander in einem tiefen Abgrunde verschlossen, so werdet Ihr eines Tages mit den Eurigen zu Grunde gehen müssen.“

„Mit mir steht es so, dass ich in meinem Herzen immer größere Freude und Wonne empfinde, je näher für mich die Stunde heranrückt, in der ich meinem Herrn Jesu Christo geopfert werden solle. Nichtsdestoweniger bitte ich Euch, Unserer in Eurem Gebete stets eingedenk zu sein, wie wir auch Eurer niemals vergessen. Ordnet Eure Angelegenheiten und lebt so, dass wir uns im Himmel einander bald wiedersehen mögen. Ich zweifle nicht, dass der Herr zu dem Ende meinen Prozess und meine Trübsal verlängert, dass der Ausgang desto mehr zu seinem Preise, zu meiner wahren Wohlfahrt und zur Erbauung seiner Kirche gereiche. Was nun mich betrifft, so fühle ich in meinem Herzen eine solche freudige Zuversicht, dass ich darob schamrot werde und mich zu gering schätze der Güte und besonderen Gnade, die Gott mir erzeigt. Indem ich mich je länger, je mehr seiner gnädigen Vorsehung ergebe, erfahre ich auch die Erfüllung seiner gnädigen Verheißung. Wenn mich auch der Herr niemals verlassen hat, so muss ich doch der Wahrheit gemäß bekennen, dass ich vor meiner Gefangennahme nicht geglaubt, dass ich solchen Trost in meinem Herzen fühlen könnte, wiewohl ihn Andere schon empfunden, wie ich es im Märtyrerbuche gelesen habe. Darob habe ich mich oft gegrämt und bin kleinmütig geworden. Als aber die rechte Zeit gekommen, hat mir Gott nicht daran fehlen lassen, sondern aus Gnade mir verliehen, was ich begehrt und zwar so überschwänglich, dass ich es gar nicht aussprechen kann. Je schmerzlicher für mich in den ersten Tagen die Beschwerde der Gefangenschaft war, desto reicher ist nun der Trost, der mir durch Gott verliehen worden.“

„Ich danke Euch auch herzlich für die Teilnahme, die Ihr mir in meiner Gefangenschaft zeigt: indem ich versichert bin, dass dieselbe aus wahrer christlicher Liebe gegen mich kommt. Ich bin auch überzeugt, dass jeder von Euch in Guardia und San Xisto mich gerne mit seinem eigenen Blute aus der Gefangenschaft erlösen würde, wenn dieses der Wille Gottes wäre. … Es könnte uns aber keine größere Ehre widerfahren, als wenn Gott unseren verweslichen und hinfälligen Leib zum Mittel benutzen wollte, seine Wahrheit vor den Menschen zu bezeugen. Was könnte mir auch für eine freudigere Botschaft werden, als wenn mir angezeigt wird, dass ich aus diesem Elende scheiden und zum Herrn Jesu Christo in die ewige Herrlichkeit eingehen dürfte? Da ist kein Schmerz, kein Weinen, kein Tod mehr. Wisst Ihr nicht, dass der Tod seiner Heiligen teuer geachtet wird vor dem Angesichte Gottes? Und dass diejenigen selig sind, die in dem Herrn sterben? Gönnt mir daher die herannahende Seligkeit! Folgt mir nur auf dem Wege zum Himmel nach. Gott der Herr wolle Euch, liebe Brüder und Schwestern, all das Gute vergelten, das Ihr mir in meiner Gefangenschaft erwiesen habt. Ich bitte Euch nochmals, unserer in Eurem Gebete vor dem Herrn stets zu gedenken. Hiermit nehme ich von Euch für immer Abschied, indem ich Euch dem Schutze und Schirm Gottes befehle. Auf baldiges Wiedersehen bei Jesu Christo im Himmel!“

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autoren/c/christoffel/christoffel-waldenser/christoffel_-_waldenser_-_7.txt · Zuletzt geändert: von aj
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