Christoffel, Raget - Erweise der Bruderliebe gegen die Proselytencolonie Neu-Bärenthal in Württemberg.

Christoffel, Raget - Erweise der Bruderliebe gegen die Proselytencolonie Neu-Bärenthal in Württemberg.

Durch eine Bestimmung des westfälischen Friedens ward den Protestanten in den katholischen Staaten, in welchen sie im Normaljahre 1624 noch keine freie Religionsübung genossen hatten, die unverkümmerte Abhaltung des Hausgottesdienstes oder auch die freie Auswanderung (das sogenannte „flebile jus oder beneficium emigrandi“) zugesichert. Die Gesandten der protestantischen Mächte bildeten seit 1663 auf dem permanenten Reichstage zu Regensburg unter dem Namen des „corpus evangelicorum“ die Behörde, welche über die Aufrechthaltung dieser Rechte wachte. Aber wie wenig sich die unter dem Einflusse der Jesuiten stehenden katholischen Landesherren an diese feierlich zugesicherten Friedensbedingungen banden, und wie machtlos das „corpus evangelicorum“ auch bei gutem Willen in der Beschützung der in ihren Rechten beeinträchtigten Protestanten sich erwies, beweist auch die Geschichte der Verfolgung, welche über die Evangelischen im hohenzollern-sigmaringschen Bärenthale erging, und die als Seitenstück zu der Geschichte der Verfolgung der evangelischen Salzburger unter Erzbischof Firmian weiter bekannt zu werden verdient.

Zwei studierende Jünglinge aus dem hohenzollern-sigmaringischen Bärenthale wurden ungefähr um die gleiche Zeit vom Lichte der evangelischen Wahrheit erleuchtet, so daß sie in Zürich von der Proselytenkammer förmlich zur evangelisch-reformirten Kirche übertraten. Der eine dieser Jünglinge, Johannes Beck kam, nachdem er mehrere Schulen Deutschlands zu seiner Ausbildung besucht hatte, nach Luzern in die dortige Jesuitenschule. Hier dictierte der Jesuit Pater Bernhardus Jost ihm und seinen Mitschülern die Behauptung in die Feder: „wenn der Papst gebieten würde, am Mittage zu glauben, es sei Mitternacht, so wäre man im Gewissen verbunden, solches zu glauben.“ Diese kühne Forderung des jesuitischen Lehrers veranlaßte den Studenten aus dem Bärenthale, näher über die Machtvollkommenheit des Papstes, sowie über die Unfehlbarkeit seiner Aussprüche nachzudenken. Als er in die Heimath zurückehrte, fand er im väterlichen Hause eine zu Köln gedruckte Bibel, die sein Vater von einem Bürger von Friedingen an Bezahlung einer Schuldforderung hatte annehmen müssen. Mit großer Begierde las er dieselbe und prüfte im Lichte der göttlichen Offenbarung seine bisherigen Religionsansichten. Dazu ward er weiter veranlaßt durch Unterredungen, die er mit evangelischen Einwohnern vom benachbarten württembergischen Städtchen Elbingen häufig zu haben pflegte. Zu gleicher Zeit wurde er mit einem Tractate bekannt, der von einem evangelischen Salzburger verfaßt war und in der Form eines Gespräches zwischen einem Römisch-Neukatholiken und einem evangelischen Altkatholischen1) die Irrthümer der päpstlichen Lehre im Lichte der göttlichen Offenbarung beleuchtete. Auf diese Weise hatte sich Johannes Beck nebst seiner Schwester Veronica mit der evangelischen Wahrheit bekannt gemacht, der diese Geschwister auch immer mehr ihre Herzen im Glauben zuwandten. Als der Decan Augustin Uriker von Beuren, zu welcher Kirchgemeinde das Bärenthal gehörte, von den neugewonnenen evangelischen Ansichten der Geschwister Beck Kunde erhielt, äußerte er sich: „Es wäre besser, dieselben hätten nie einen Buchstaben kennen gelernt, so wären sie in der Einfalt des Glaubens geblieben und nicht in solche Irrthümer gerathen“.

Zu dieser Zeit kam auch ein anderer Student aus dem Bärenthale in die Heimath zurück, Christoph Braun, der während seiner Studienzeit von der evangelischen Wahrheit erleuchtet, in Zürich schon förmlich zur reformirten Kirche übergetreten war. Dieser brachte eine in Zürich gedruckte Bibel, sowie einen von Professor Fries daselbst verfaßten Tractat, „die verwelkte Meßblume“ mit nach der Heimath. Die beiden Studenten fanden sich bald zu einander und theilten einander ihre neugewonnenen Ansichten mit, sowie auch die Bücher, aus welchen sie dieselben geschöpft hatten. Die beiden Bibeln, die katholische und die reformirte2) Uebersetzung, wurden fleißig mit einander verglichen. Daraus erkannten sie namentlich auch, wie falsch die Behauptung der Katholiken sei, die Reformirten hätten die Bibel verfälscht. Das neue Licht, das ihnen aufgegangen war, verbargen die beiden evangelischen Studenten nicht unter den Scheffel, sondern ließen es auch ihren Nachbarn und Freunden leuchten, indem sie denselben die oben genannten Tractate, sowie die heilige Schrift vorlasen und sie so mit der evangelischen Lehre bekannt machten. Ihre desfallsige Wirksamkeit ward mit solchem Erfolge gekrönt, daß man bald allgemein im Bärenthale sich über die wichtigsten Wahrheiten der christlichen Religion im evangelischen Sinne besprach. Als die Mönche von Beuren davon Kunde erhielten, beschieden sie den Studiosus Beck auf das Fest des heiligen Augustin zu sich, um ihn in Gegenwart des damaligen Pfarrverwesers vom Bärenthal, Karl Vogel, ernstlich zu verweisen, daß er die Leute vom wahren Glauben abwendig mache. Der Student ließ sich aber dadurch nicht einschüchtern, sondern legte ein muthiges und entschiedenes Bekenntniß seines evangelischen Glaubens ab, worüber die Mönche sich so entrüstet zeigten, daß sie ausriefen: „er sei nicht werth, bei ihnen zu sitzen, daher solle er sofort das Kloster verlassen“. Beck gehorchte, schrieb aber zu Hause seine Einwendungen gegen die römische Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes, von der Anrufung der Heiligen, sowie gegen das Verbot, die heilige Schrift zu lesen, nieder und sandte diese Schrift den Mönchen von Beuren zu mit der Bitte, sie sollten mit deutlichen Aussprüchen der heiligen Schrift seine Einwürfe widerlegen und ihn darüber eines Bessern belehren. Die Mönche aber sandten diese Schrift samt einem Berichte über die religiöse Bewegung im Bärenthale an den Bischof von Constanz ein. Dieser traf sofort Anstalten zu einer gewaltsamen Dämpfung dieser evangelischen Erweckung. Vierzehn Tage nach Einsendung dieses Berichtes ließ nämlich, auf Gesuch der Curie von Constanz, der Obervogt von Speichingen mitten in der Nacht den Studiosus Beck durch vierzig Bewaffnete gefangen nehmen und ihn gefesselt dem Bischofe einliefern. Als der Gefangene in einem Walde einen Versuch zur Flucht wagte, ward er zu Boden geschlagen und so gemißhandelt, daß seine Kleider den andern Tag noch ganz mit Blut bespritzt waren. In Constanz wurde er ins Gefängniß geworfen und erst nach vierzehn Tagen zum ersten Male verhört. In diesem Verhöre entschuldigt sich Beck wegen Zusendung seiner Bedenken damit, daß er die Mönche nur auf die Probe habe stellen wollen, inwiefern sie dieselben zu widerlegen im Stande seien. - Auf sein Versprechen hin, daß er die römische Kirche nicht verlassen und sogleich bei den Jesuiten eine Generalbeichte ablegen wolle, wurde er nach einer vierwöchentlichen Gefangenschaft wieder nach Hause entlassen, mit dem Bedeuten jedoch, daß er künftig nicht mehr wider die römische Kirche reden und disputieren, und wenn er etwas mehr wisse, als andere Leute, solches für sich behalten und nicht davon dem gemeinen Manne sagen solle. Werde er dieser Weisung nachkommen, so wolle man ihm zur Erlangung einer weltlichen oder geistlichen Stelle behülflich sein.

Nach Hause zurückgekehrt, fuhr jedoch Beck, wiewohl möglichst geheim, fort, die evangelischen Freunde zu unterweisen und zu erbauen. Da man bei seiner Gefangennehmung die Bibel und die anderen evangelischen Bücher außer einer „verwelkten Meßblume“ die man nicht gefunden, weggenommen hatte, kaufte er sich auf dem Jahrmarkte in Tuttlingen eine andere Bibel, aus der er nun in ihren Versammlungen zu großer Erbauung vorlas. So erstarkte die kleine Gemeinde immer mehr an der kräftigen Speise des göttlichen Wortes und breitete sich im Stillen immer weiter.

Dieses blieb dem Pfarrverweser Vogel nicht verborgen, der von Beuren aus zur Besorgung des Gottesdienstes nach dem Bärenthale kam. „Wenn Einer schon hinten und vorn“, äußerte er sich in einer Predigt, „mit Bibeln behangen wäre, so würde er doch schnurstracks in die Hölle fahren, wenn er nicht ein römischkatholischer Christ sei. Man sage wohl, man müsse nur an Gott und Christum glauben, allein das sei nicht genug; denn einen solchen Glauben könnten auch die Teufel haben. Die Lästerer der Bibel seien oft die besten römisch-katholischen Christen“. Solche rohe Ausfälle waren mehr geeignet, die kleine stille Gemeinde in ihrer Ueberzeugung zu befestigen, als sie darin wankend zu machen. Matthias Danneffel, ein eifriges Mitglied derselben, hatte sich sogar vorgenommen, eine „verwelkte Meßblume“ den Mönchen zu Beuren mit der Aufforderung zu übersenden, sie sollten dieselbe widerlegen, wenn sie es im Stande wären. Dieses unterblieb jedoch auf Anrathen seiner Freunde. Indessen beschlossen die evangelisch gesinnten Bärenthaler, daß Johannes Beck nach Zürich reisen und dort Neue Testamente und evangelische Schriften, namentlich ein paar „verwelkte Meßblumen“ zu ihrer weiteren Belehrung und Erbauung anschaffen sollte. Hier langte derselbe den 12. August 1716 an und wandte sich mit seinem Gesuche an die Proselytenkammer, welche ihm, nachdem sie sich von der Aufrichtigkeit seiner Gesinnung und Absicht überzeugt, zwei „Neue Testamente“, zwei „verwelkte Meßblumen“ und vier „Glaubenswagen“ nebst vier Gulden Reisegeld und einem Paar neue Schuhe verabreichen ließ. In der Folge ließ die erwähnte Proselytenkammer, nachdem sie sich bei einem angesehenen württembergischem Geistlichen des Nähern über die evangelischen Bärenthaler erkundigt und sich versichert, daß hier keinerlei Täuschung obwalte, denselben noch mancherlei Unterstützung an Bibeln, evangelischen Tractaten und nach Bedürfniß auch an Geld und Kleidern zukommen.

Die Lage der kleinen Gemeinde wurde indessen immer bedenklicher, da die Anzeichen einer nahen Verfolgung derselben sich immer deutlicher bemerkbar machten. Unter diesen Umständen wandten sie sich wieder nach Zürich um Rath und Hülfe. Der Rath von Zürich beschloß darauf, diese evangelischen Glaubensbrüder auf's kräftigste zu unterstützen, und verwendete sich auch sofort für sie bei Sr. Majestät dem König Friedrich Wilhelm I. von Preußen, sowie bei Sr. hochfürstlichen Durchlaucht dem Herzog von Württemberg, damit diese protestantischen Fürsten die nur „Gott und ihr Heil suchenden evangelischen Bärenthaler“ in ihren Schutz nehmen und sie kraft der Bestimmungen des westfälischen Friedens bei der Ausübung eines evangelischen Hausgottesdienstes beschützen möchten. König Friedrich Wilhelm I. ließ sogleich antworten, daß er an Se. Durchlaucht den Fürsten von Sigmaringen schreiben und ihn vor einem „päpstlich-pfäffischen Verfolgungseifer“ warnen werde, indem er diese Leute in seinen Schutz nehme. Auch der Herzog von Württemberg sicherte ihnen seinen Schutz zu mit dem weiteren Anerbieten, daß sie, sofern sie zur Auswanderung gezwungen würden, in seinem Lande Aufnahme finden sollten. Indessen ereignete sich ein Vorfall, der uns zeigt, wie wenig die Römisch-Katholischen sich schämten, auch durch die gemeinsten Beweggründe zur Verfolgung der Evangelischen sich antreiben zu lassen. Ein römisch-katholischer Bierbrauer von Beuren stahl nämlich dem evangelisch gesinnten Nagelschmied Caspar Braun von Bärenthal einen Blasbalg und wurde dafür bestraft. Aus Rache verklagte nun der Dieb den Kaspar Braun wegen Abfalls vom römisch-katholischen Glauben. Sogleich erhielt hierauf der Untervogt vom Bärenthale von seiner Obrigkeit den Befehl, den andern Tag mit zwei von den Leuten, die vom römisch-katholischen Glauben abgefallen seien, nach Sigmaringen auf's Schloß zu kommen. Die Römisch-katholischen frohlockten und verkündigten laut, daß die Vorbeschiedenen nicht wieder zurückehren würden; dagegen waren die Evangelischen über diesen Befehl sehr erschrocken. Da Johannes Beck damals gerade in Zürich sich befand, so wollte aus Furcht, es möchte die Drohung der Katholischen in Erfüllung gehen, Niemand mit dem Untervogt nach Sigmaringen. Am Abend kam indessen der Zimmermann Johannes Danneffel nach Hause, und als dieser von der Vorladung hörte, sprach er seinen Glaubensgenossen Muth zu und erbot sich, allein auf's Schloß mit dem Untervogt zu gehen, wenn es ihm auch das Leben kosten sollte. Die Nacht darauf brachten die Evangelischen im Gebete zu und mit Lesen der heiligen Schrift, indem sie namentlich aus dem 10. Capitel des Evangeliums Matthäi und zumal aus den Versen 18-20 und 28-33 Trost und Stärkung schöpften. Des Morgens darauf empfahl sich Danneffel dem Schutze Gottes und ging dann, begleitet vom Gebete seiner evangelischen Glaubensbrüder, mit dem Untervogt nach Sigmaringen. Hier wurde er gleich vom Oberjägermeister, der auch sonst die Amtsgeschäfte zu besorgen pflegte, ins Verhör genommen.

„Wie seid ihr und eure Gesellen,“ redete dieser den Zimmermann an, „auf den Gedanken gekommen, als wäret ihr bei der römisch-katholischen Religion nicht recht daran?“ Danneffel: „Durch Lesen der heiligen Schrift“. Oberjägermeister: „Wie dürfet ihr die heil. Schrift lesen, da solches ja den Laien verboten ist? Auch kann ein Laie dieselbe nicht verstehen, ohne daß die Kirche sie erkläre und auslege“. Danneffel: „In der heiligen Schrift finden sich allerdings große Geheimnisse, die weder ich noch sonst ein gemeiner ungelehrter Mann zu begreifen vermag. Indessen ist das, was das Wesen des Glaubens betrifft, darin so klar und deutlich, daß ich es bisher leicht verstanden habe, ja daß es auch jedes Kind verstehen kann. Deswegen heißt es auch von Timotheus, daß er die heilige Schrift von Kind auf kenne. (2. Timoth. 3,15)“. Oberjägermeister: „Was habt ihr denn für eine Bibel?“ Danneffel: „Sie ist in Zürich gedruckt“. Hier fiel der Secretär, der das Protokoll führte, ein: „So verwundere ich mich nicht, daß ihr zu solchen Ansichten gekommen seid; die Züricher Bibel ist verfälscht und keine rechte Bibel; sie ist von der katholischen Bibel so verschieden, wie Tag von Nacht“. Danneffel: „Ich habe, bevor ich eine Züricher Bibel erhalten konnte, auch die katholische Bibel gelesen, und habe keinen großen Unterschied zwischen derselben und der Züricher gefunden, außer daß die katholische bei der Stelle Röm. 3,28 das Wörtlein „allein“ eingeschlossen hat“. Oberjägermeister: „Warum wollt ihr aber von unserer Religion abfallen, da doch so viele vornehme Leute, Kaiser und Könige sich zu ihr bekennen?“ „Ich richte mich in meinem Glauben nach keinem Menschen, sondern folge einfältig Gott, wie er mich in seinem Worte führt. Da finde ich nun 1. Corinth. 1,26.27, daß nicht viele Weise nach dem Fleische, nicht viele Gewaltige, nicht viele Edle berufen sind, sondern was thöricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, daß er zu Schanden mache, was stark ist“.

Hiermit endete das Verhör und Danneffel wurde entlassen. Als derselbe die Amtsstube verließ, sagte der Secretär zum Oberjägermeister: „das ist ein rechter Spitzkopf, den wird man kaum auf andere Gedanken bringen“.

Die evangelischen Bärenthaler waren sehr erfreut, daß das Gewitter, welches ihnen gedroht, so leicht sich zu verziehen schien, und der Studiosus Beck und Andere, welche sich in Zürich befanden, fühlten sich durch diesen Ausgang ermuthigt, wieder nach der Heimath zurückzukehren. Bald hatten sie aber Ursache, diesen Schritt schmerzlich zu bereuen; denn auf die Kunde von ihrer Rückkehr ließ der kaiserlich österreichische Obervogt zu Speichingen, Baron von Aerzt, in der Nacht vom 19. Februar 1719 die Häuser der evangelischen Bärenthaler mit hundert Bewaffneten umstellen und fünf von ihnen, nämlich den Studiosus Beck, den Zimmermann Danneffel, Georg Beck, den Weber Caspar Braun, den Nagelschmied Johannes Schalleiter, den Gypser, gefangen nehmen und gefesselt nach dem vier Stunden entfernten österreichischen Speichingen abführen. Bei der Gefangennehmung wurden den Evangelischen mehr als 200 Bücher weggenommen oder zerrissen, ihr Hausgeräth zertrümmert und sie selbst gröblich gemißhandelt.

Die durch diese Gewaltthat schmerzlich berührten evangelischen Bärenthaler wandten sich sogleich mit Bittschriften an den König von Preußen, an den Herzog von Württemberg und an die evangelischen Stände der Schweiz, daß dieselben ihnen Schutz gewähren und die Freilassung der Gefangenen auswirken möchten. Zürich legte sogleich Namens der evangelischen Cantone der Schweiz unter dem 9. März 1719 eine kräftige Fürsprache für diese evangelischen Glaubensbrüder beim Fürsten von Hechingen ein und forderte ihn auf, kraft der Bestimmungen des westphälischen Friedens dieselben ihren Hausgottesdienst frei halten zu lassen und die Gefangenen in Freiheit zu setzen. Der Fürst antwortete unter dem 28. März dem Rath von Zürich: „Das Bärenthal stehe unter kaiserlich hoher Justiz und die Gefangennehmung sei also vom kaiserlich österreichischen Obervogt von Speichingen kraft hoher obrigkeitlicher Gewalt verhängt worden, wider welche er sich im vormundschaftlichen Namen nicht movieren könne. Er zweifle aber nicht, daß ihnen nicht ein Mehreres, als was den Reichconstitutionen gemäß, geschehen werde“. - Ungefähr um die gleiche Zeit schrieb auch Friedrich Wilhelm I. an den Rath von Zürich: „er wünsche, bevor er etwas Weiteres in dieser Sache vornehme, gern etwas näher informiert zu sein, unter was für einem Vorwand die Leute arrestiert worden und was für ein Verbrechen ihnen zur Last gelegt werde, auch unter wessen Jurisdiction das Bärenthal, woselbst die Captur geschehen, eigentlich gehöre?“ Der Rath von Zürich antwortete, die Gefangennehmung sei allein wegen Bekenntniß der evangelisch-reformirten Religion geschehen; in Betreff der anderen Frage ward ihro Majestät das Schreiben des Fürsten von Hechingen abschriftlich mitgetheilt.

Inzwischen wurden die Gefangenen zu Speichingen sehr hart gehalten, öfters selbst unter Folterung verhört. Die Verhörscommission bestand aber aus fünf Mitgliedern, nämlich aus dem Baron von Aerzt, dem Jesuiten Pater superior von Rothweil, dem Decan von Frauenstätten, dem Pfarrer Keller und Ammann von Speichingen. Den weltlichen Mitgliedern dieser Behörde wird nachgerühmt, daß sie sich weit milder und schonender benommen haben als ihre geistlichen Amtsgenossen. Ueber Letztere äußerte sich später der Jurist Heinzelmann, der als Secretär des Barons von Aerzt das Verhörsprotokoll führte: „sie seien wie andere Spitzbuben mit diesen armen Leuten mit lauter Betrug umgegangen“. Um die Gefangenen zu erschrecken und sie zur Verleugnung ihres evangelischen Glaubens zu bewegen, wurde ihnen mehrmals das Todesurtheil förmlich verkündet. Oefters wurden falsche Zeugen gegen sie vorgeführt, und dabei ergossen sich die geistlichen Herren, namentlich der Jesuit von Rothweil, in den ärgsten Schmähungen gegen die seligen Reformatoren, sowie auch gegen die Gefangenen selbst.

Sehr ungehalten zeigten sich die Herren Patres darüber, daß die Gefangenen sich auf den ihnen vom König von Preußen zugesicherten Schutz beriefen. „Sie sollten nicht meinen, daß dieser Fürst ihnen zum Gefallen einen Krieg anfangen und seine Völker so weit aussenden werde; übrigens befänden sie sich unter kaiserlicher Jurisdiction und gingen dem Könige von Preußen nichts an. Würde man sie gewähren lassen, so müsse man befürchten, sie verleiteten die ganze Gegend zum Abfall vom wahren Glauben; denn ihre verderbliche Lehre habe sich schon an vielen Orten eingeschlichen. Doch wolle man ihnen nichts zu Leide thun und sie gleich in Freiheit setzen, wenn sie wieder in den Schoß der römisch-katholischen Kirche zurückkehren wollten. Dabei wolle man ihnen übrigens keinen Zwang anthun“. Die Gefangenen antworteten: ob das kein Zwang sei, wenn man sie nur um ihres Glaubens willen, den sie doch aus der heiligen Schrift geschöpft hätten, gefangen nehme, in Fesseln schlage und in's Gefängniß werfe und dabei verlange, daß sie zur päpstlichen Kirche und Lehre zurückkehren sollten? - Nun fuhren die Geistlichen sie an und schrieen: „ Wir wissen wohl, daß der Studiosus Beck Euch alle verführt hat mit seiner verderblichen Irrlehre: bekennt es nur!“ Die Gefangenen: „Es hat uns kein Mensch verführt, auch haben wir unsern Glauben nicht aus Menschenlehre, sondern aus Gottes Wort allein geschöpft. Seit einigen Jahren lesen wir die heilige Schrift und zwar haben wir drei Ausgaben derselben gehabt, eine zu Köln gedruckte katholische, eine lutherische und eine Zürcherische reformirte Uebersetzung, und haben dieselben verglichen und gefunden, daß sie, außer in wenigen Worten mit einander übereinstimmen und daß kein wesentlicher Unterschied zwischen denselben stattfinde. Aus der heiligen Schrift haben wir auch Manches als Sünde anzusehen gelernt, was wir früher nicht als Sünde gehalten, und meiden es nun. Daher erachten wir, daß die römisch-katholische Kirche mit Unrecht den Christen die heilige Schrift zu lesen verbietet, und haben so immer mehr Lust zum Evangelio bekommen“. Die Patres: „ Eben recht wenn ihr beim Evangelio bleiben wollet, so müsset ihr zur römisch-katholischen Kirche zurückkehren, denn diese besitzt allein das reine Evangelium“. Die Gefangenen: „Das Evangelium weiß aber nichts von einem Fegfeuer, eben so wenig von der Verehrung der Bilder und der Anrufung der Heiligen, noch vom Verdienste der guten Werke“. Die Patres: „Daß man für die Todten beten und opfern solle und daß es somit ein Fegfeuer gebe, lernen wir aus 2. Maccab. 12,43-46. Die Bilder beten die römisch-katholischen Christen nicht an; gute Werke aber müssen beim Glauben sein, wenn er recht ist“. Die Gefangenen: „Die Bücher der Maccabäer sind nicht kanonisch und enthalten nicht göttliche Offenbarung. Die Bilder werden allerdings von den Römisch-Katholischen angebetet, wie wir deren Viele nennen können, die Bilder von Holz und Stein angebetet haben. Gute Werke müssen allerdings beim Glauben sein, ja, sie sind eine Frucht desselben, aber sie haben keine Verdienste vor Gott, denn aus Gnade, nicht aus Verdienst der Werke werden wir selig“. Die Patres: „Daß die protestantische Kirche die Bücher der Maccabäer nicht für kanonisch hält, ist eines der deutlichsten Zeichen, daß sie nicht recht daran ist. Die katholische Kirche lehrt nicht, daß man die Bilder anbeten solle. Haltet ihr denn nichts auf die guten Werke, daß ihr sagt, sie haben vor Gott keine Verdienste?“ Die Gefangenen: „Wir halten uns allein an die Worte des Heilandes, wie sie uns in den Evangelien aufbewahrt sind, sowie an die Lehre, die der Gotterleuchtete Apostel Paulus lehrt, daß wir nicht aus Verdienst der Werke, sondern allein aus Gnade selig werden“. Die Patres: „Ihr sollt auch wissen, was Petrus von den Schriften Pauli redet, daß nämlich etliche Dinge darin zu schwer zu verstehen seien“. Die Gefangenen: „Wir haben genug an der Bibel und verstehen hinlänglich, was darin zu unserm Heile gelehrt wird“.

Die Verhöre und Quälereien beschränkten sich aber nicht allein auf die fünf Gefangenen, sondern wurden auf die meisten Glieder der stillen evangelischen Gemeinde im Bärenthal ausgedehnt. Mehrere Männer, Weiber und sogar Kinder wurden nach Speichingen abgeführt und zum Theil durch Drohungen und Mißhandlungen zur augenblicklichen Verleugnung ihres evangelischen Glaubens verleitet. So wurde ein gewisser Leonz Beck in das abscheulichste Diebsgefängniß in Speichingen geworfen, wo es ihm so Angst wurde, daß er laut schrie und bat, man solle ihn nur um Gotteswillen wieder herauslassen, er wolle gern reden und thun, was man nur von ihm verlange. Als man ihn herausließ, sagte er, er möchte um ganz Speichingen nicht eine Stunde mehr in diesem Gefängniß sein, und so versprach er, wenigstens äußerlich, zur römisch-katholischen Kirche zurückzutreten. - Die Frau des Wirths vom Bärenthale hatte sich, um der Gefangenschaft und den Mißhandlungen zu entgehen, nach dem Württembergischen geflüchtet, ließ sich aber durch ihren Mann bewegen, wieder zu ihrer Familie zurückzukehren, nachdem der Baron von Aerzt demselben auf Ehrenwort versprochen, man wolle sie wegen ihrer Religion ungekränkt lassen. Kaum zu den Ihrigen zurückgekehrt, wurde sie aber gefangen genommen, nach Speichingen abgeführt und dort für acht Tage in ein finsteres Gefängniß geworfen. Im Verhöre wurde sie geschlagen und gemißhandelt, so daß sie vom Stuhle zu Boden fiel. Auch sie versprach, um weiteren Mißhandlungen zu entgehen, wieder zur römisch-katholischen Kirche zurückzukehren, flüchtete sich aber, sobald sie freigelassen wurde, mit einem Kinde nach dem Württembergischen, wo sie wieder ihren evangelischen Glauben offen bekannte und Gott dankte, daß sie dem Antichrist entronnen sei. Im Bärenthale selbst ließ der Baron von Aerzt im Namen des Kaisers öffentlich kund thun, „daß Niemand von ihnen bei Strafe von 100 Thalern weder nach Stuttgart, noch nach Tuttlingen, noch nach Zürich reisen solle. Auch sollen sie bei Verluste Habe und Gutes, Leibes und Lebens weder Bibeln noch Neue Testamente, noch andere ketzerische Bücher weder sich verschaffen noch behalten“. Den Gefangenen setzte man durch Drohungen und Mißhandlungen so lange und so hart zu, daß drei von ihnen, um den Quälereien zu entgehen, ebenfalls versprachen, wenn man sie loslasse, so wollten sie, wo sie irren sollten, sich eines Bessern belehren lassen. So wurden auch diese aus der Gefangenschaft entlassen, indem man ihnen sagte, ein Jesuit werde die nächsten Tage nach dem Bärenthale kommen und sie und ihre Gesinnungsgenossen besser belehren und sodann sie alle wieder in den Schoß der römisch-katholischen Kirche zurückführen. Der Studiosus Beck und der Zimmermann Johannes Danneffel, die standhaft bei dem Bekenntniß des evangelischen Glaubens verharrten, wurden dagegen noch ferner im Gefängniß zurückbehalten.

Die evangelischen Bärenthaler benutzten zum größten Theile ihre Freiheit, um bei Nacht und Nebel mit Hinterlassung ihres Vermögens auszuwandern. Die Meisten von ihnen begaben sich zunächst nach Zürich, um sich, nachdem sie genügende Proben von ihrem evangelischen Glauben und von der Lauterkeit ihrer Gesinnung abgelegt, förmlich durch die Proselytenkammer3) in den Schoß der reformirten Kirche aufnehmen zu lassen. Hierauf kehrten sie nach dem Württembergischen zurück, wo ihnen im Kronberger Amte, in der Gegend von Wurmberg, vom Herzog unentgeltlich Land angewiesen wurde. Hier gründeten sie, nachdem sich über dreißig Personen zusammen gefunden, eine neue Gemeinde, die sie in Erinnerung an ihre alte Heimath Neu-Bärenthal nannten. Die Kirche von Zürich versah diese kleine reformirte Gemeinde mit einem Prediger ihrer Confession.4)

Die beiden Gefangenen, Beck und Danneffel, wurden, nach dem sie zwanzig Wochen im Gefängniß von Speichingen geschmachtet, in der Nacht vom 9. Juli 1719 bei starkem Regen, an Händen und Füßen gefesselt, unter einer Bedeckung von vier Bewaffneten nach Innsbruck abgeführt. Die rohe Art und Weise, wie sie von ihren bewaffneten Begleitern auf dem Wege behandelt wurden, sowie die schweren Fesseln, die sie an Händen und Füßen trugen, erweckten überall die Meinung, daß sie gefährliche Straßenräuber sein müßten. Man war daher nicht wenig erstaunt, als man auf nähere Erkundigung vernahm, daß sie allein ihres evangelischen Glaubens willen diese Fesseln trügen und diese Behandlung erführen. Viele Menschen, die sie sahen, bezeugten daher ihr Mitleid und ihre Theilnahme für sie. Unter den schweren Fesseln schwollen ihre Füße dermaßen an, daß sie, wenn sie von den Pferden stiegen, sich nicht mehr aufrecht halten konnten, sondern zu Boden fielen. Ihre Nachtherberge wurde ihnen in den schmutzigsten Gefängnissen angewiesen, wo sie gewöhnlich auf bloßer Erde liegen mußten. In Bregenz äußerte ein Barbier und Wirth aus Innsbruck besondere Theilnahme für die armen Gefangenen. Da Niemand ihm die nähere Ursache ihrer Gefangenschaft angeben konnte, machte er sich den andern Tag, da er ohnehin auf der Heimreise nach Innsbruck sich befand, mit den Gefangenen auf den Weg, um von ihnen selbst die gewünschte Auskunft zu erhalten. Allein die Gefangenen antworteten auf seine diesfallsige Frage, es sei ihnen bei Strafe von Stockschlägen verboten, näheren Aufschluß über den Grund ihrer Gefangenschaft zu ertheilen. Hierauf redete er sie in lateinischer Sprache an und fragte sie, ob sie dieselbe verständen. Beck antwortete ihm in gleicher Sprache, und so entspann sich zwischen ihnen ein lateinisches Gespräch, dessen Inhalt die Wache nicht verstand. Der Eindruck dieser Unterredung war auf den Barbier so groß, daß er, sobald er vernahm, Beck sei wieder nach Neu-Bärenthal zurückgekehrt, auch sich dahin begab und hierauf in Zürich förmlich zur evangelisch-reformirten Kirche übertrat.

In Innsbruck langten sie an einem Sonntage Mittags an und da wurden die armen an Händen und Füßen Gefesselten gezwungen, in der größten Sonnenhitze zwei Stunden lang auf offenem Platze zu stehen und den Leuten zum traurigen Schauspiele zu dienen. Die Meisten überschütteten sie mit Schmähungen und Verwünschungen, Andere aber zeigten auch Mitleid mit ihnen und ließen ihnen Speise und Trank zur Erquickung, ja auch Geld zukommen. Nachdem sie zehn Tage hier im Gefängniß zugebracht, fuhr man mit ihnen auf dem Wasser nach Wien hinunter, wo sie am 1. August anlangten. Hier wurden sie von einander getrennt, indem Beck in das gemeine Zuchthaus, Danneffel in das sogenannte Rumorhaus gebracht wurden. Uebrigens wurden auch beide hier sehr hart gehalten, indem man ihnen nur Wasser und Brod zukommen ließ und sie zwang, in ihren schweren Fesseln auf bloßer Erde zu liegen. Als Vorwand für eine solche Behandlung erklärte man, daß sie nicht wegen ihres evangelischen Glaubens, sondern als Störer des öffentlichen Friedens und der öffentlichen Ordnung und als Sectenstifter gefangen seien.

Die Jesuiten trieben namentlich ein schändliches, falsches Spiel mit diesen armen Männern. Um sie zu bewegen, in den Schoß der römischen Kirche zurückzukehren, erklärten sie, daß, wenn die Gefangenen um Befreiung aus ihren Fesseln einkämen, sie dieses Gesuch kräftig unterstützen wollten, während sie die Behörde stets aufreizten, diese verstockten Ketzer nur recht hart zu halten, damit sie mürbe würden. Indessen quälten sie dieselben immerfort mit ihren zudringlichen Zumuthungen, daß sie zur römischen Kirche zurückehren sollten. Da Beck in einer Disputation mit ihnen die Anbetung der Heiligen und die Bilderverehrung mit Aussprüchen der heiligen Schrift siegreich bekämpfte, erklärten sie ihm, wenn er sich nur äußerlich zur römisch-katholischen Kirche bekennen wolle, so solle er weder verbunden sein, die Heiligen anzurufen, noch die Bilder zu verehren. Beck aber sagte: er finde auch sonst noch viel Schriftwidriges in der katholischen Kirche, namentlich die Lehre von der Brod- und Weinverwandlung im heiligen Nachtmahle, sowie daß man die Hostie und den Kelch wie den lebendigen Gott anbeten solle. Darauf fuhren ihn die Jesuiten zornig an: meine, er sei groß und verstehe die Schrift, weil er einige Sprüche und Texte aus derselben anführen könne, aber er verstehe sie doch nicht. Es wäre besser, er hätte die Bibel nie gesehen, so wäre er nicht in so verderbliche Irrthümer gerathen„. Beck: „Das ist wohl unbesonnen geredet; denn so müßte Gott, der allweise Herr, ein Wort den Menschen verliehen haben, das sie eher zum Irrthum als zur Wahrheit führte, was ja schon schrecklich nur zu denken wäre. Wie würden Sie aufbrausen, wenn man solches von den Decreten des Papstes behaupten würde und doch sei derselbe nur ein Mensch und nicht ein Gott. Der Apostel Paulus urtheilt anders von der Schrift (2. Timoth. 3,16): „Alle Schrift von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit, daß ein Mensch Gottes sei vollkommen, zu allem guten Werk geschickt“. Die Jesuiten: „Dennoch ist die Schrift allein nicht genug, sondern man muß daneben auch die traditiones haben, wie man auch nicht sagen kann: alle Speise ist genug zur Nahrung, weil man doch auch ein Tränklein daneben haben muß“. Beck: „Dieses Gleichniß paßt nicht hieher, ich halte mich an die Worte des Apostels Pauli, der, getrieben vom heiligen Geiste, ausdrücklich schreibt: „Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze, daß ein Mensch sei vollkommen“. Hierauf forderten ihn die Jesuiten auf, daß er seine Einwendungen und Zweifel gegen die katholische Lehre schriftlich ihnen einreichen solle, damit sie dieselben widerlegen könnten, worauf Beck in gedrängter Kürze und mit steter Begründung durch Sprüche der heiligen Schrift nachwies, daß man Gott allein anbeten solle und daß Christus der einige Mittler zwischen Gott und den Menschen sei, und von diesem Standpunkte aus die Anrufung der Heiligen, sowie die Bilderverehrung siegreich bekämpfte, die Lehre von der Transsubstantiation nach der reformirten Auffassung des heiligen Nachtmahls beleuchtete und seine Beleuchtung mit Stellen der heiligen Schrift begründete.

Nachdem die Jesuiten gesehen, daß sie auf diesem Wege nicht zu ihrem Ziele kamen, versuchten sie ein anderes Mittel. Sie erklärten dem Studiosus Beck, daß die Bärenthaler, welche früher wie er gesinnt gewesen und sich nach Württemberg geflüchtet gehabt, nun sämtlich ihren Irrthum bereut und demselben entsagt hätten und in ihre Heimath und in den Schoß der römisch-katholischen Kirche zurückgekehrt seien. Auch sein Kamerad Danneffel habe im Rumorhause seinen Abfall von dem wahren Glauben beweint und bereits sich reuevoll zur römischen Kirche bekannt. Darauf erwiderte Beck: er habe die evangelisch-reformirte Religion nicht aus fleischlichen Rücksichten oder darum angenommen, weil dieser oder jener gute Freund und Bekannte auch sich zu derselben bekenne, sondern er habe diesen Schritt einzig auf Antrieb seines Gewissens gethan, weil er in der heiligen Schrift geforscht und durch die Gnade Gottes und die Erleuchtung seines heiligen Geistes die köstliche Perle, das Kleinod der evangelischen Wahrheit, darin gefunden habe. Auch sei er in seinem Gewissen überzeugt, daß dieses der alte wahre, von Gott geoffenbarte, selig machende Glaube sei, bei dem er leben und sterben wolle. Und darum werde er denselben nie verleugnen, noch wieder aufgeben, wenn schon der Eine oder der Andere aus Furcht oder aus anderen fleischlichen Ursachen davon wieder abweichen sollte, es wäre denn, daß man ihn aus Gottes Wort eines Besseren belehren und ihn in seinem Gewissen so sicher, ruhig und getrost, wie er es jetzt sei, setzen und machen könne.

Das gleiche schändliche Spiel versuchten sie mit Danneffel, indem sie ihm sagten, sein Kamerad Beck habe wieder umgesattelt, seinem Irrthum entsagt und vor vielen Zeugen erklärt, daß er wieder zur römisch-katholischen Kirche zurückkehren wolle. Auch Danneffel aber antwortete: „er habe seiner Seele Heil und Seligkeit und seinen Glauben an keinen Menschen gebunden, und darum könne und wolle er auch nicht die einmal durch Gottes Gnade erkannte evangelische Wahrheit um eines Menschen oder um zeitlicher Vortheile willen wieder verleugnen, sintemal ihm der Spruch des Richters aller Welt und des einigen Heilandes aller Auserwählten niemals aus dem Sinne komme, sondern immer vor der Seele schwebe, nämlich Matth. 16,26: „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Oder was kann der Mensch geben, damit er seine Seele wieder löse?“

Indessen erfuhren die Gefangenen in ihrer großen Drangsal auch trostvolle Beweise der Güte und Treue ihres Gottes, auf den sie ihr Vertrauen setzten. So hatte Danneffel die Freude, gleich in den ersten Tagen seiner Gefangenschaft eine kleine Bibel in Duodez um 1 Thaler von einem schwedischen Officier, der im gleichen Gefängnisse wegen Schulden saß, kaufen zu können. Er bewahrte dieselbe in seinem Rocke, der an der Wand hing, so gut, daß sie von den Wächtern, welche das ganze Gefängniß mit aller Sorgfalt durchsuchten, nicht bemerkt wurde. Wie tröstlich und erquickend war es für ihn, daß er nun in den einsamen Stunden seiner Gefangenschaft das theure Wort Gottes lesen und sich daraus erbauen und stärken konnte! Auch gab den Gefangenen Gottes Güte Mittel und Gelegenheit an die Hand, daß sie ihre Leiden den am kaiserlichen Hof befindlichen Gesandten der hohen protestantischen Mächte Englands, Hollands, Preußens und Württembergs in einem Schreiben kund thun und dieselben um gütige Verwendung für sie anflehen konnten. Durch Vermittlung derselben wurden ihnen Kleider, bessere Speise und Geld zu Theil, sowie es denselben auch trotz den Umtrieben der Jesuiten mit der Zeit gelang, die Befreiung von den schweren eisernen Fesseln auszuwirken. Auch die Proselytenkammer in Zürich konnten sie durch die gleiche Vermittlung von ihren Leiden sowohl als von ihrer Glaubenstreue in Kenntniß setzen. Herr Pfarrer Ulrich am Frauenmünster sandte ihnen darauf ein herrliches Trostschreiben zu, durch welches sie nicht wenig gestärkt und erquickt wurden. Indessen verwandten sich die Gesandten der oben genannten protestantischen Mächte unablässig unter steter Berufung auf die Bestimmungen des westfälischen Friedens beim kaiserlichen Hofe um völlige Freilassung der gefangenen Glaubensgenossen.

Endlich schlug zwar nur für Beck die Stunde der Erlösung. Nachdem er sich zum einfachen Versprechen verstanden, „künftig Niemanden mehr vom römisch-katholischen Glauben abwendig zu machen und selbst die kaiserlichen Staaten meiden zu wollen“, ward er den 6. April 1720 aus seiner Wiener Gefangenschaft, die 36 Wochen lang gedauert hatte, entlassen und über die Stadtgrenzen hinausgeführt. Vier Wochen später wurde auch Danneffel, nachdem er ein gleiches Versprechen abgelegt, freigelassen. Beide schlugen ihren Weg nach der Heimath über Regensburg ein, wo sie beim „corpus evangelicorum“ Klage führten über die widerrechtlichen Mißhandlungen, die sie erfahren. Nachdem sie kurze Zeit in der Heimath hei den Ihrigen verweilt, begaben sich die beiden Märtyrer zu einem Besuche bei ihren Glaubensbrüdern nach der Schweiz. In Zürich, in Dießenhofen und in Stein wurden ihnen bei diesem Anlasse sehr ansehnliche Geldgeschenke zu Theil als Ersatz für die ausgestandenen Leiden und für die erlittenen Verluste.

Allein ihr Leidensmuth und ihre Glaubenstreue sollte bald auf eine neue Probe gestellt werden. Nachdem sich Beck verheirathet und in der neuen Heimath sich niedergelassen, wollte er und sein Leidensgefährte Danneffel mit ihren Eheweibern auf den St. Galli-Markt nach dem Städtlein Ebingen, um von dem in der Schweiz erhaltenen Gelde die nöthigen Einkäufe zu besorgen. Weil sie ihren Weg durch das Hohenzollern'sche nehmen mußten, ohne jedoch das Oesterreichische zu betreten, fragten sie bei dem württembergischen Beamten an, ob sie dieses ohne Gefahr thun könnten. Dieser versicherte sie, daß sie sich dabei nicht der geringsten Gefahr aussetzen würden. Sie waren anständig gekleidet und trugen etliche hundert Gulden bei sich. Zu Ebingen trafen sie einige Bekannte aus dem Bärenthale, welche sich bitter über den Gewissenszwang, der ihnen angethan werde und über die vielen Hohn- und Stichelreden, die sie hören müßten, beklagten. Auf der Heimreise wurden sie bei dem Zollstege in fürstlich hechingen'schen hohen und niederen Gerichten durch oberhohenbergische Unterthanen und gemiethete hechingen'sche Jäger plötzlich meuchlerisch überfallen und all' ihres Geldes beraubt. Die Weiber wurden hierauf heimgelassen, beide Männer hingegen unter vielen Schmähworten, Streichen und Würgen gefangen fortgeschleppt. Vergebens beriefen sie sich auf ihren württembergischen Paß, den sie vorwiesen; umsonst war ihr Hülferuf gegen diesen unberechtigten meuchlerischen Ueberfall. Auf kaiserlichen Befehl, wie man ihnen vorgab, wurden sie von Bewaffneten aus dem Hechingen'schen nach dem österreichischen Speichingen gefesselt abgeführt und dort auf's Neue verhört. Namentlich beschuldigte man sie, daß sie zuwider ihrem in Wien abgelegten Versprechen das österreichische Gebiet betreten hätten, was aber keineswegs der Fall war. Beck wurde in ein finsteres, stinkendes Gefängniß tief unter der Erde geworfen, wo er in eine sehr gefährliche Krankheit verfiel. Hier mußte er zwei und zwanzig Wochen lang schmachten. Zwar verschafften seine Glaubensgenossen in Zürich, Dießenhofen und Stein Mittel, aus welchen eine ehrbare, fromme Matrone ihm eine bessere Nahrung zukommen lassen konnte, sonst würde er wohl der Krankheit erlegen sein. Des Weiteren verwandte sich Zürich bei dem englischen Gesandten am kaiserlichen Hofe, General von St. Saphorin, für die Gefangenen, der auch ein kräftiges Memorial über diese Gewaltthat dem Kaiser einreichte und zunächst auswirkte, daß dieselben in einem besseren Lokal im Rathhause von Speichingen untergebracht wurden. Fünf Wochen darauf verlangte man von ihnen, daß sie schriftlich bezeugen sollten, das besagte Memorial des englischen Gesandten enthalte viel Unwahres und Falsches. Als man dieses nicht von ihnen erlangen konnte, soll der Obervogt, Baron von Aerzt sich geäußert haben, er wollte, er wüßte nichts von ihnen; am liebsten wäre es ihm, sie machten sich auf und davon. Wirklich ward ihnen in einer Nacht Gelegenheit geboten, die Flucht zu ergreifen, indem ein Theil ihrer Wächter sich entfernt, die andern aber sich berauscht hatten. Aus Furcht, sie möchten sonst wieder nach Innsbruck abgeführt werden, benutzten die Gefangenen diesen Anlaß, sich zu befreien, nachdem ihre Gefangenschaft neuerdings fünf und vierzig Wochen gedauert hatte.

Auch von dieser Gewalt ward das „corpus evangelicorum“ in Kenntniß gesetzt, und dasselbe fand sich bewogen, über die früheren, sowie über diese Gewaltthat unter Nro. XXX. und XXXI, Beschwerde über Verletzung der Reichsconstitutionen in Religionsangelegenheiten an Ihro kaiserliche Majestät einzureichen. Allein, den Worten der Gesandten in Regensburg wurden, nach Hase's zutreffendem Ausdrucke, „auch in diesem Falle wieder Worte vom kaiserlichen Hofe entgegengesetzt“. Thatsächliche Genugthuung für die erlittenen Mißhandlungen ward nicht erlangt.5)

So bietet auch diese Geschichte einen traurigen Beleg, wie schlimm es in einem Lande nicht allein um die Glaubens- und Gewissensfreiheit, sondern auch um die Sicherheit der Person und des Eigenthums steht, wo der Landesherr unter dem Einfluß der Jesuiten, nach Friedrich Wilhelm's I. Ausdrucke, sich zu „einem päpstlich-pfäffischen Verfolgungseifer“ hinreißen läßt.

Das Licht der evangelischen Erkenntnisse, das damals in jener Gegend so gewaltsam unterdrückt wurde, geht in unsren Tagen mit neuem Glanze auf. In Folge einer erfreulichen Erweckung hat sich dort eine neue evangelische Gemeinde gebildet, welcher der Gustav-Adolph-Verein dieses Jahr (1865) in seiner Versammlung zu Dresden die erste Gabe zuwenden konnte.

„Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen; aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln“ Jes. 54, 7.

1. Beilage zu X. Die Proselytenkammer in Zürich.

6)

Da in obiger Darstellung oft der „Proselytenkammer in Zürich“ gedacht wird, so halten wie es für angemessen, dieses eigenthümliche Institut hier nachträglich näher zu beleuchten. Die Proselytenkammer bestand aus zwei Rathsgliedern, einem Professor der Theologie und zweien Geistlichen des Stadtministeriums. Diese hatten die Aufgabe, die Umstände und Absichten derjenigen Personen, die ihnen als Proselyten vorgestellt wurden, näher zu untersuchen. Wenn dieselben sich nun als unverdächtig erwiesen, so wurde der Proselyt oder die Proselyten einem beisitzenden Geistlichen zum Unterrichte zugewiesen und im Falle der Dürftigkeit wurden sie auf öffentliche Kosten erhalten. Fand man ihre Gesinnung verdächtig, so wurden sie abgewiesen.

Nach empfangenem Unterrichte wurden die Proselyten vor der Commission über ihre Religionserkenntniß und über ihre Entschlüsse geprüft, und dabei ausdrücklich ermahnt, sich selbst ernstlich zu prüfen, ob sie auch den vorhabenden Schritt mit aller Aufrichtigkeit und Lauterkeit der Gesinnung zu thun entschlossen seien. Nach abgehaltener Prüfung vollzieht ein geistlicher Beisitzer die feierliche Handlung der Aufnahme der Proselyten in den Schoß unserer nach Gottes Wort reformirten Kirche auf folgende Weise7):

„Im Namen Gottes. Amen.“

„Unsere Hülfe stehet in der Kraft des Herrn, der den Himmel und die Erde erschaffen hat. Lasset uns beten: Unser Vater u. s. w.

„Da Ihr uns unlängst versichert, daß Ihr durch Gottes besondere Gnade und durch das Licht seines Geistes überzeugt worden, daß die römisch-katholische Religion, in der Ihr geboren und auferzogen worden, nicht nur nicht in der heiligen Schrift gegründet sei, sondern auch durch viele gefährliche Irrthümer und abergläubische Gottesdienste von der Einfalt und Lauterkeit des Glaubens abweiche; deßwegen ihr den Vorsatz gefaßt, diesen Irrthümern unter Anrufung göttlicher Hülfe gänzlich zu entsagen, den abergläubischen Dienst der römischen Kirche zu verlassen, hingegen die nach Gottes Wort reformirte Religion hinfort zu bekennen und Euren Gottesdienst und Wandel nach der Vorschrift des göttlichen Wortes ein: zurichten: Da Ihr nun auf diesen von euch gemachten Antrag hin eine Zeit lang noch näher in den Grundwahrheiten unserer allerheiligsten und wahren Religion getreulich unterwiesen worden, so gebet nun auf dasjenige, was Euch jetzt wird vorgelesen werden, wohl Acht und saget uns vor dem Angesichte des allwissenden Gottes, in Aufrichtigkeit Eures Herzens noch einmal, ob ihr wünscht, in den Schoß der wahren Kirche an - und aufgenommen zu werden.

Wenn es Euch mit diesem Begehren ein wahrer, heiliger Ernst ist, so antwortet uns aufrichtig und gewissenhaft auf folgende Fragen:

Glaubt Ihr, daß in keinem anderen das Heil, und daß kein anderer Name unter den Himmeln den Menschen gegeben sei, darin sie selig werden können, als allein der Name Jesu Christi; daß also Niemand, als Gott allein, in dem Namen Jesu Christi angerufen, verehrt und angebetet werden müsse?

Glaubet Ihr, daß die heilige Schrift die einige, die wahre und ungezweifelte Regel und Richtschnur sowohl unseres Glaubens als unseres Lebens sei, und daß man außer und neben ihr, auch über und wider dieselbe, nichts weder annehmen, noch glauben dürfe und solle?

Glaubet Ihr, daß wir vor Gott gerecht gesprochen werden einzig und allein durch den Glauben, und nicht durch die Werke, maßen uns nur allein durch den Glauben die allervollkommenste Gerechtigkeit Jesu Christi zugerechnet und geschenkt wird?

Glaubt Ihr, daß das Opfer unsers Herrn Jesu Christi am Kreuze der einige Grund unserer Seligkeit sei, durch welches uns eine vollkommene Vergebung aller unserer Sünden zuwegengebracht worden, sodaß wir kein ander Opfer im geringsten nicht nöthig haben, folglich der Papisten Meßopfer nichts anders sei, als eine wirkliche Verleugnung des wahren und einigen Opfers Jesu Christi?

Wollet Ihr Euch an diesem göttlichen und allgenugsamen Opfer des Herrn Jesu Christi einzig und allein halten im Leben, im Leiden und im Sterben?

Wir glauben nach Anleitung des untrüglichen Wortes Gottes, daß, obgleich die guten Werke nichts um Gott verdienen, ein wahrer Christ dennoch verbunden sei, seinen Glauben zu beweisen durch eine wahre und ungeheuchelte Gottseligkeit. Saget: Wollet Ihr dieses auch thun? Wollet Ihr ein frommes, ein christliches und dem Evangelio des Herrn Jesu gemäßes Leben führen, und hiezu Gottes gnädigen Beistand in dem Namen des Herrn Jesu Christi herzlich erflehen?

Glaubet Ihr, daß der römische Papst, der sich lügenhafter Weise für den Statthalter des Herrn Jesu ausgibt, in der That Christo und seinem Reiche entgegen sei?

Saget Ihr deshalb allen Irrthümern der römischen Kirche von Herzen ab?

Erkennet Ihr mit demüthigem Danke, daß die Gnade Gottes Euch aus der Finsterniß des Papstthums herausgeholfen und zum seligmachenden Licht des Evangeliums gebracht hat?

Habet Ihr die Wichtigkeit dieser großen Sache, da Ihr nun von derjenigen Religion, die Ihr von Jugend auf bekannt habet, zu unserer übergehet, ich frage, habet Ihr die Wichtigkeit dieser großen Sache wohl vor Gott und Eurem Gewissen überlegt?

Ist unter diesem Vorhaben nichts Fleischliches verborgen?

Lieget nicht etwa darunter eine sündliche, irdische, weltliche Absicht verdeckt?

Wir fragen Euch nochmals alles Ernstes, und zwar so, daß wir Euch alle Verantwortung deswegen vor Gottes Richterstuhl überlassen: Meinet Ihr's aufrichtig, da Ihr von einer solchen Kirche ausgehen wollet, welche in der Welt reich, geehrt und mächtig ist; wollet Ihr hingegen aufrichtig und beständig nachfolgen unserm Herrn Jesu Christo, welcher zu seinen Jüngern und zu allen wahren Gliedern seiner auserwählten Kirche gesprochen hat: „Wenn Jemand mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach?“

Nach Beantwortung dieser Fragen von Seiten der Proselyten fährt dann der Geistliche fort:

„Nun wohlan, auf diese Eure Bekenntnisse und ernstliche Bezeugung hin nehmen wir Euch auf in den Schoß der wahren Kirche, wir erkennen und erklären Euch im Namen Gottes, und Kraft der von Gott uns mitgetheilten Gewalt zu einem Mitgliede der evangelisch-reformirten Kirche. Der Herr, der groß ist an Barmherzigkeit, wolle das gute Werk, welches er in Euch angefangen hat, nach dem Reichthum seiner Liebe an Euch vollenden und Euch seinen heiligen Geist verleihen, ihm getreu zu verbleiben bis in den Tod!“

„Diese Gnade aber von ihm durch Christum zu erlangen, wollen wir ihn jetzt demüthig im Geiste und in der Wahrheit anrufen:

„Liebreicher Gott und Vater in Christo Jesu! Wie groß ist deine Barmherzigkeit und Liebe gegen die Menschen, da du nicht nur nicht den Tod des Sünders willst, sondern vielmehr aus liebevoller Neigung wünschest, daß er sich bekehre und lebe; ja daß alle Menschen zur Erkenntniß der Wahrheit kommen und selig werden mögen. Es hat dir wohlgefallen, den Reichthum dieser deiner Liebe auch an mir zu erweisen, da du mich durch deinen Geist von dem Irrthume meines Weges bekehret, aus der Finsterniß des geistlichen Babels herausgerissen und zu dem heilsamen Lichte der evangelischen Wahrheit gebracht hast. Ich danke dir, Herr! aus dem innersten Grunde meines Herzens für diese so große und unaussprechliche Gnade, die du mir hierin hast widerfahren lassen, und bitte sich demüthigst in dem Namen deines lieben Sohnes, meines einigen Herrn und Heilandes Jesu Christi, daß du ferner deine Güte an mir groß machen und mich mit Gnade und Erbarmung ansehen wollest, daß ich mich fortan nur allein an dir und an deinem heiligen Worte halte, und nur allein höre, was du redest.

„Und da ich durch deine Erleuchtung den Irrthümern der römischen Kirche entflohen bin, so bewahre mich gnädig, daß ich nicht wiederum in dieselben verflochten und weder durch Verheißungen noch Drohungen überwunden werde, damit nicht mein Legtes ärger sei als das Erste, sondern ich bei der angenommenen Wahrheit und der Erkenntniß derselben beständig verharre, und dir also treu verbleibe bis in den Tod, und mich durch nichts von deiner Liebe und von der Wahrheit scheiden lasse.

„Ach, Herr Jesu! reinige mich mit deinem Blute! Leit' und führe mich durch deinen Geist allezeit auf der Bahn der Gerechtigkeit um deines Namens willen. Zeige mir nach deiner Weisheit und Güte Wege, Weise und Mittel, mich ehrlich durchbringen zu können. Herr! du bist ja ein getreuer und liebreicher Vater aller deiner Kinder, du erfüllest eines jeden Nothdurft nach deinem Wohlgefallen in Christo Jesu, du verlässest die Deinigen niemals, so wirst du auch mich nicht verlassen. Herr! deine Güte sei allezeit ob mir, wie ich auf dich hoffe.

Heiliger Gott! heilige mich in deiner Wahrheit. Bereite mich selber völlig in allem guten Werke, deinen Willen zu thun, und schaffe in mir, was dir wohlgefällig ist durch Jesum Christum, welchem sei Ehre in die Ewigkeit der Ewigkeiten. Amen!

„Der Herr segne und behüte Euch! Der Herr Lasse sein Angesicht über Euch leuchten und sei Euch gnädig! Der Herr erhebe sein Angesicht auf Euch und gebe Euch den zeitlichen und ewigen Frieden! Amen.“

Nach vollendetem Gebet gelobet der Aufgenommene den Committierten in die Hand, dieser Aufnahme getreu zu verbleiben. Hierauf wird er gewöhnlich mit einem größeren oder kleineren Geschenke nach Bedürfniß seiner Umstände, und mit einem schriftlichen Zeugnisse seiner Aufnahme entlassen.

2. Beilage zu X. Salomon Morf von Zürich. Der erste Pfarrer von Neu-Bärenthal.

Zum ersten Pfarrer von Neu-Bärenthal wurde auf Vorschlag der Proselytenkammer von Zürich durch die Abgeordneten der evangelischen Stände der Schweiz Salomon Morf von Zürich, damals Catechet in Leimbach, gewählt. Die Regierung von Württemberg wollte jedoch diese Wahl nicht bestätigen, bis er auch den Gottesdienst in der französisch redenden Waldenser Gemeinde in Wurmberg versehen könne. Aus Rücksicht für die evangelischen Cantone der Schweiz, von welchen diese Wahl geschehen, gestattete man dem Herrn Morf, den Pfarrdienst in Neu-Bärenthal zu versehen, ohne in dieses Amt förmlich eingeführt worden zu sein. Seine erste Predigt hielt er über 1. Corinth. 5,6-8. Die eigenthümlichen Verhältnisse dieser neugebildeten Gemeinde erschwerten im hohen Grade die Besorgung dieses Pfarrdienstes. Da noch kein Pfarrhaus da war, so mußte Herr Morf bei einem Bürger der Gemeinde wohnen und die Kost nehmen. Ihm lag es auch ob, die Correspondenz mit der Proselytenkammer zu führen, welche die Unterstützung der Gemeinde vermittelte, und darüber Rechnung zu stellen. Dabei erfüllte er die Pflichten eines Pfarrers und Seelsorgers mit großem Eifer und mit gewissenhafter Treue. Bei Tagesanbruch versammelte er täglich die Gemeinde zu einer gemeinschaftlichen Betstunde, in welcher er gewöhnlich einen Psalm erklärte und denselben dann in erbaulicher Weise auf die Verhältnisse der Gemeinde und der Mitglieder derselben anwendete. Montag Mittags hielt er eine Kinderlehre; Freitags die Wochenpredigt und Samstag Abends eine Catechisation für die erwachsenen Männer und Weiber. Jeden Sonn- und Festtag hielt er Vormittags eine Predigt und Nachmittags eine Kinderlehre. Da die Gemeinde nur aus Proselyten bestand, so mußte der Herr Pfarrer sie auch zum Kirchengesang anleiten und beim Gottesdienst zugleich den Vorsängerdienst versehen, bis es ihm gelang, einen Jüngling zum Lehrer und Vorsänger heranzubilden. Im Winter versammelte er Abends nach dem Nachtessen die Gemeindeglieder in seiner Wohnung und las mit ihnen die heilige Schrift, besprach sich über die wichtigen Religionswahrheiten und gab ihnen Anweisung, wie sie auch aus dem Herzen beten können und sollen. Nachdem Herr Morf bereits ein Jahr den Pfarrdienst in Neu-Bärenthal mit vielem Segen versehen hatte, wagte er es, auf dringende Bitten der Waldenser Gemeinde in Wurmberg eine Predigt in französischer Sprache daselbst zu halten. Diese fand solchen Beifall, daß die Waldensergemeinde Wurmberg ihn sofort zum Pfarrer wählte. So ward endlich Herr Morf von der Regierung von Württemberg zum Pfarrer der beiden evangelischen Gemeinden Wurmberg und Neu-Bärenthal bestätigt. Seine Antrittspredigt in Wurmberg hielt er den 19. August 1725 über Psalm 77,11.12: „Aber ich sprach: Das ist meine Schwachheit; die Aenderungen stehen in der Rechten des Allerhöchsten. Ich will die Werke des Herrn rühmen; ja ich will gedenken deiner Wunder von Alters her.“

Sein Verhältniß zu dieser neuen Gemeinde war ein sehr freundliches, obgleich seine Amtsgeschäfte durch den Pfarrdienst in Wurmberg mehr als verdoppelt wurden. So mußte er nun jeden Sonn- und Festtag Vormittags in Wurmberg in französischer und Nachmittags in Neu-Bärenthal in deutscher Sprache predigen. Montag Mittags hielt er zu Neu-Bärenthal eine Catechisation und Donnerstags eine Predigt. Zu Wurmberg mußte er aber Mittwochs und Samstags Betstunden halten und Freitags eine Catechisation. Daneben mußte er noch oft benachbarten Pfarrern mit Predigen aushelfen.

Auch machte ihm die Ordnung der äußeren kirchlichen Verhältnisse dieser Gemeindespiele Mühe, indem er beim Antritte seiner Stelle darin die größte Verwirrung vorfand. Die Armenkasse enthielt keinen Heller zur Unterstützung der Armen und Kranken. Ebenso fehlte jede Rechnung über frühere Verwendung des Armengutes. Geburts-, Tauf-, Ehe- und Todtenregister fanden sich ebenfalls keine vor. Die Gemeinde besaß auch weder ein Pfarrhaus, noch eine Kirche. Daher mußte Herr Morf durch Bittschreiben an die Glaubensgenossen in der Schweiz und in Deutschland erst die Mittel herbeischaffen, um diese nothwendigen Bauten ausführen lassen zu können. Wirklich gelang es ihm, in den Jahren 1726 und 27 die nöthigen Mittel zusammenzubringen, so daß bis zum Jahre 1728 Pfarrhaus und Kirche erbaut und letztere auch eingeweiht werden konnte. So wirkte Herr Morf mit großem Segen in Neu-Bärenthal und Wurmberg bis zum 4. December 1733, da er zum Pfarrer der reformirten Gemeinde in Stuttgart gewählt wurde. Den 4. April 1734 nahm er dann von Neu-Bärenthal und Wurmberg Abschied und ging nach Stuttgart. Hier wurden ihm vom lutherischen Consistorium, wie später von Seiten seiner reformirten Amtsbrüder mancherlei Schwierigkeiten für seine Amtsführung bereitet. Indessen wirkte er doch mit vielem Segen und Erfolge auch in dieser Stelle. Zur Erweiterung und Renovation der Kirche mußte er in der Schweiz durch Vermittlung der Kirchenbehörden von Zürich einige hundert Franken collectieren lassen, was ihm auch vollkommen gelang. Gegen Ende des Jahres 1739 wurde dann Herr Pfarrer Morf von der verwitweten Fürstin von Nassau-Siegen zu ihrem Hofprediger berufen. Er folgte diesem Rufe im Märzen 1740. Im Jahre 1747 ward er dann zum Hofprediger auf das fürstliche Schloß zu Dillenburg berufen. Nachdem er kaum ein Jahr diese Stelle versehen hatte, ward er zum Oberconsistorial-Rathe und endlich zum kirchlichen Inspector des ganzen Fürstenthums Dillenburg ernannt. Er starb nach segensvoller Wirksamkeit im Mai 1756.

1)
Die evangelisch-reformirte Kirche hat bis Ende des vorigen Jahrhunderts in ihren öffentlichen Schriften sich stets die altkatholische oder wahrhaft katholische oder die evangelisch-katholische Kirche genannt.
2)
Nämlich eine Zürcher Bibel, wie sie zuerst auf Anregung Zwingli's durch Leo Judä besorgt wurde.
3)
Siehe 1. Nachtrag zu dieser Darstellung.
4)
Siehe den 2. Nachtrag zu dieser Darstellung.
5)
Das Material zu obiger Darstellung haben wir entnommen der Relation von der Erleuchtung etlicher ehrlichen Leuthen in dem Bärenthale, und ihnen wegen Annahme der reformirten-evangelischen Religion zugefügten Drangsalen von Heinrich Ulrich, Pfarrer in Zürich.“ Zürich 1720.
6)
Aus Joh. Jacob Wirz historischer Darstellung der urkundlichen Verordnungen, welche die Geschichte des Kirchen- und Schulwesens in Zürich betreffen. Zürich 1794.
7)
Der Verfasser dieses Formulars, das in deutscher, lateinischer, französischer und italienischer Sprache gedruckt wurde, ist Heinrich Ulrich, Pfarrer am Frauenmünster in Zürich.
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