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Calvin, Jean - Psalm 48.

Calvin, Jean - Psalm 48.

Inhaltsangabe :

In diesem Psalm wird eine denkwürdige Befreiung Jerusalems gerühmt, nachdem sich viele Könige zu ihrer Vernichtung zusammengeschlossen hatten. Dieser geschichtliche Vorgang, für den er Gott dankt, gibt dem Dichter, den wir nicht kennen, Gelegenheit, das Glück der Gottesstadt zu preisen, die in Gott den steten Hüter ihres Heils erblicken darf. Die Frommen sollen nicht bloß erkennen und anerkennen, dass Gottes Hand sie einmal errettet hat, sondern auch künftig darauf bauen, dass sie unter desselben Gottes Schutz geborgen sind, der sie als besonderes Eigentumsvolk erwählt hat. Deshalb legt der Dichter besonderes Gewicht darauf, dass das Heiligtum Gottes nicht vergeblich auf dem Berge Zion errichtet wurde, sondern dass der Herr seinen Namen daselbst anrufen lasse, um seine Kraft zum Heil seines Volkes zu offenbaren. – Der Psalm ist wahrscheinlich nach Davids Tod gedichtet. Freilich hat auch David etliche fremde Könige zu Feinden gehabt, denen es nicht gelungen ist, Jerusalem von Grund aus zu zerstören. Soweit uns aber bekannt ist, haben sie es nie bis zu einer Belagerung gebracht, welcher Gott durch ein wunderbares, kraftvolles Eingreifen hätte ein Ende machen müssen. Viel eher weist uns also der Psalm auf die Zeit des Königs Ahas, unter dessen Regierung eine Belagerung plötzlich aufgehoben wurde, als schon äußerste Verzweiflung herrschte. Vielleicht versetzt er uns auch in die Zeit Josaphats und Asaphs. Denn da ist, wie wir wissen, nur durch himmlische Hilfe Jerusalem wunderbarerweise vor der äußersten Niederlage errettet worden. Das steht jedenfalls fest, dass die Gläubigen an diesem göttlichen Machtbeweis erkennen sollten, wie freundlich und glücklich der Herr sie führe, weil er sich den Berg Zion zur Wohnung erwählt habe, von wo aus er ihnen zum Heil herrschte.

1 Ein Psalmlied der Kinder Korah. 2 Groß ist der Herr und hochberühmt in der Stadt unsers Gottes, auf seinem heiligen Berge. 3 Schön raget empor der Berg Zion, des sich die ganze Erde tröstet; an der Seite gegen Mitternacht liegt die Stadt des großen Königs. 4 Gott ist in ihren Palästen bekannt, dass er der Schutz sei.

V. 2. Groß ist der Herr usw. Noch eher der Prophet von dem besonderen Erweis göttlicher Gnade redet, weist er im Allgemeinen darauf hin, wie glücklich Jerusalem sei, weil Gott die Stadt seines besonderen Schutzes gewürdigt habe. So hebt sich Gottes Gemeinde von der ganzen übrigen Welt ab. Ist` s doch eine unschätzbare Freundlichkeit, dass Gott aus dem gesamten Menschengeschlecht eine kleine Schar auswählt und mit väterlicher Huld umgibt. In der Weltregierung leuchtet Gottes Weisheit, Güte und Gerechtigkeit hervor. Überall ertönt sein Lob, und nirgends fehlt der Anlass dazu. Aber doch rühmt hier der Dichter gerade die Herrlichkeit Gottes, wie sie sich in der Bewahrung seiner Gemeinde offenbart. Groß und hochberühmt sei er in der heiligen Stadt – nicht auch in der ganzen Welt? Sicherlich gibt es keinen Winkel, der so verborgen wäre, dass nicht auch dahin seine Weisheit, Gerechtigkeit, Güte und alle seine übrigen Kräfte drängen. Aber weil es sein Wille ist, dieselben insonderheit in seiner Gemeinde sichtbar werden zu lassen, so hält er uns mit gutem Grunde eben diesen Spiegel vor Augen, in welchem er sich als den Lebendigen zur Darstellung bringt. Der Hinweis auf den heiligen Berg will kurz daran erinnern, wodurch Jerusalem zur Gottesstadt geworden ist: denn auf göttlichen Befehl war dort die Bundeslade aufgestellt worden. Dies war ein Zeichen besonderer Gnade, und Israels Vorzug ruhte nicht auf eignem Verdienst.

V. 3. Schön raget empor usw. Zur Bestätigung des Letztgesagten werden die Gaben gepriesen, welche damals den Berg Zion auszeichneten, weil an ihnen die eben erwähnte Herrlichkeit Gottes sichtbar war. War nun auch die liebliche Lage der Stadt, die der Prophet an erster Stelle nennt, ein Vorzug natürlicher Art, so deutet doch schon dieser äußere Anblick darauf hin, dass der Stadt von allem Anbeginn mehrfache Zeichen göttlicher Huld aufgeprägt waren. Dadurch sollte sie sich schon äußerlich als eine von Gott besonders ausgezeichnete Stätte ausweisen, die einmal zu seinem besonderen Dienste geweiht werden würde. Trotzdem glaube ich, dass diese Stätte nicht nur wegen ihrer äußeren Erscheinung anziehend genannt wird. Denn es gab sicherlich in Judäa noch andere Städte, die an Fruchtbarkeit, lieblicher Lage und anderen Vorteilen nicht hinter Jerusalem zurückstanden. Vielmehr wird nach meiner Meinung mit ihrer Lager zugleich ihre künftige Würde verbunden, die auf dem Tempel beruht. Wenn wir also die Schönheit der Stadt loben hören, so müssen wir an jenen geistlichen Schmuck denken, der durch die Weissagung von dem dauerndem Aufenthalt der Bundeslade daselbst begründet wurde und nun zu der natürlichen Lage hinzukam. Als ein Stück dieser schönen Lage wird auch notiert, dass die Stadt an der Seite gegen Mitternacht , eben dort, wo der Berg Zion aufsteigt, sich besonders majestätisch darstellt. Im Hinblick darauf legt auch Jesaja (14, 14) dem Sanherib die Worte in den Mund: „Ich will über die hohen Wolken fahren und mich niederlassen auf dem Berg des Zeugnisses an der Seite gegen Mitternacht.“ Dass sich des Berges Zion die ganze Erde tröstet (wörtlich: dass er die „Wonne der ganzen Erde“ ist), wird nun aber nicht, wie jüdische Ausleger in ihrer Flachheit annehmen, in Rücksicht auf die gesunde Luft der Gegend oder ihre vorzüglichen Früchte gesagt, deren fremde Völker sich hätten erfreuen können, sondern weil von dort aus das Heil der ganzen Welt kommen sollte, wie ja auch alle Völker das Licht des Lebens und das Zeugnis der himmlischen Gnade von dort aus erhalten haben. Denn wenn die Menschen sich freuen ohne Gott, so ist das Ende unheilvoll, und ihr Lachen wandelt sich in Zähneknirschen. Christus aber erschien von Zion aus mit seinem Evangelium, um die Welt mit echter Freude und ewigem Glück zu erfüllen. Obgleich in der Zeit des Verfassers die Kenntnis des Evangeliums noch nicht über die Grenzen Israels gedrungen war, so nennt er den Zionsberg doch mit Recht die „Wonne der ganzen Erde“, damit die Juden wissen sollten, dass einzig und allein in dem Gnadenbund Gottes, der in jenem Heiligtum dargestellt war, Glückseligkeit zu finden sei. Dabei deutet der Ausdruck im Voraus an, was endlich in der letzten Zeit durch Christi Ankunft erfüllt wurde. Wir aber wollen aus dieser Stelle lernen, dass die Huld Gottes vollständig ausreicht, damit ein Mensch sich trösten könne oder Wonne erfahre: wo man ihr aber keinen Anlass gewährt, da müssen alle Sterblichen von jammervoller Unruhe und Traurigkeit gepeinigt werden. – Was wir darauf von der „Stadt des großen Königs “ lesen, soll andeuten, dass der Berg Zion nicht bloß heilig, sondern auch mit so großem Vorrecht ausgestattet war, dass er die ganze Stadt heiligte: denn auf ihm hatte Gott seinen Wohnsitz genommen, um das ganze Volk zu beherrschen.

V. 4. Gott ist in ihren Palästen bekannt usw. Diese Aussage weist wieder darauf hin, dass Jerusalems Würde allein von Gottes Schutz abhängt, wie auch Ps. 46, 6 sagte: „Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie fest bleiben.“ Von „Palästen“ redet der Dichter aber ausdrücklich, um den Juden zu zeigen, dass die heilige Stadt nur durch Gottes Hilfe sicher sei trotz ihrer starken Türme und glänzenden Häuser und Bollwerke. Ferner geben diese Worte den Gläubigen eine Mahnung: selbst wenn wir etwa in Burgen und Palästen wohnten, sollen wir uns doch ernstlich hüten, dass Glanz und Erhabenheit nicht Gottes Macht verdunkle, wie die große Welt infolge ihrer irdischen Mittel Gottes Schutz für nichts achtet. Da wir nach unserer angeborenen verderbten Art unsere Augen nur zu leicht durch irdischen Reichtum blenden lassen und darüber Gottes vergessen, so müssen wir mit gespanntester Aufmerksamkeit darauf achten, dass nicht die Erkenntnis der Kraft und Gnade Gottes durch das verdunkelt werde, was an unserem Eigentum wertvoll scheint. Vielmehr soll bei allen Gaben, mit denen wir beschenkt werden, stets deutlich Gottes Herrlichkeit hervorleuchten, sodass unumstößlich feststeht: nur in Gott können wir glücklich sein.

5 Denn siehe, Könige waren versammelt und sind miteinander herüber gegangen. 6 Sie haben sich verwundert, da sie solches sahen; sie haben sich entsetzet und sind davon gestürzt. 7 Zittern ist sie daselbst ankommen, Angst wie eine Gebärerin. 8 Du zerbrichst Schiffe im Meer durch den Ostwind.

V. 5. Denn siehe, Könige usw. Dies nimmt Bezug auf die besondere Errettung, von der wir in der Inhaltsangabe sprachen. Der Dichter berichtet, als die Könige sich zusammengeschlossen hätten zur Vernichtung Jerusalems, sei ihr Angriff erfolglos vorübergegangen, gleichwie der Nebel verfliegt. Sogar schon der bloße Anblick hätte sie vernichtet, wie wenn eine Mutter bei der Geburt plötzlich vom Schmerz ergriffen wird. Wenn wir auch das Ereignis, das der Verfasser im Sinne hat, nicht genau bestimmen können, so passen die vorliegenden Andeutungen doch sehr gut auf die Zeit des Ahas oder Hiskia oder auch des Asa. Als die beiden mächtigen Könige von Syrien und Israel mit gewaltigen Heeresmassen Jerusalem so in Furcht jagten, dass König und Volk fast den Atem verloren, da war es eine wunderbare Gottestat, dass ihre Macht plötzlich zerbrochen und ihre zuversichtliche Hoffnung auf die Eroberung der Stadt zu Schanden wurde. Jesaja (7, 4) spottet im Blick auf dieses Ereignis über die beiden rauchenden Löschbrände: denn sie waren wie brennende Fackeln gewesen, die Judäa durch Brand verzehren wollten. Und nicht weniger staunenswert ist jene Vernichtung der Macht Sanheribs, die nachts ohne menschliches Zutun durch einen Engel geschah (2. Kön. 19, 35). Auch früher schon, als ein äthiopischer König mit all seiner Heeresmacht angerückt kam zur Erstürmung Jerusalems, zeigte Gott seine wunderbare Macht in der Zerstreuung dieses so gewaltigen Machtaufgebots (2. Chron. 14, 9 ff., 16, 8). Mag aber das Ereignis gewesen sein, welches es will – jedenfalls haben die Juden einen klaren Beweis dafür bekommen, dass Gott der Hort der heiligen Stadt gewesen war, indem er sich der Macht eines noch nie besiegten Feindes entgegenstellte. Darum redet der Dichter auch von Königen, die „versammelt “ waren, womit er zum Ausdruck bringt, dass dieser Bund zur Vernichtung der Gemeinde geschlossen war. Dass die Könige miteinander über Israels Grenze gingen, deutet auf ein einheitlich geschlossenes Heer der Verbündeten. Denn dass sie „vorüberzogen“ d. h. vernichtet wurden, ist schwerlich eine annehmbare Deutung. Davon reden erst die folgenden Sätze (V. 6 f.): Sie haben sich verwundert usw. Sobald sie die Stadt sahen, ergriff sie Schrecken. Das Wort Cäsars: „Ich kam, ich sah, ich siegte.“, womit er die Leichtigkeit seines Sieges in Ägypten bezeichnete, ist bekannt. Unser Dichter sagt dagegen, die Gottlosen seien schon durch den bloßen Anblick einer Stadt bestürzt gewesen, als wenn Gott durch den Glanz seiner Herrlichkeit ihre Augen geblendet hätte. Die Wörtchen „solches “ (V. 6) und „daselbst “ (V. 7) wollen wie mit einem Finger auf dies Ereignis hinweisen. Der Vergleich mit einer gebärenden Frau soll den raschen Wechsel zum Ausdruck bringen. Es lässt Gottes gnädige Hilfe im hellsten Licht erscheinen, dass die Feinde von unvermuteter Angst befallen wurden und in wahnsinniger Flucht von dannen eilten: so wurden sie jählings von der Höhe ihrer stolzen und sicheren Verachtung herabgestürzt. Wir werden also daran erinnert, dass nichts Neues heute geschieht, wenn die Gemeinde mit machtvollen Mitteln angegriffen wird und furchtbare Stöße aushalten muss. Denn Gott pflegte von Anfang an die Seinigen auf solche Weise zu demütigen, um dadurch seine staunenswerte Macht mehr zur Geltung zu bringen. Indessen merken wir auch, dass schon ein Wink Gottes zu unserer Errettung genügt, und dass es allemal, wenn die Feinde uns rings mit Vernichtung bedrohen, seine Absicht ist – wenn es ihm gefällt – deren Mut zu erschüttern, so dass sie mitten in ihren feindlichen Bewegungen plötzlich ihre Macht verlieren. Und dieser Gedanke möge uns warnen, nicht da und dort nach menschlichen Hilfsmitteln Ausschau zu halten.

V. 8. Du zerbrichst Schiffe im Meer usw. Die machen sich hier verschiedene Gedanken. Aber der Sinn wird einfach der sein, dass über die Feinde des Gottesvolks die Vernichtung so plötzlich kam, wie wenn der Herr mit einem unerwartet ausbrechenden Sturm „Schiffe im Meer“ d. h. die größten Seeschiffe in die Tiefe versenkt. Es wird damit auf Gottes Macht aufmerksam gemacht, die er oft in große, heftige Stürme legt, als sollte gesagt werden: es ist kein Wunder, wenn Gott, der starke Schiffe durch Windstöße zerbricht, auch seine Feinde niederwirft, die voll Vertrauen auf ihre eigne Macht sind.

9 Wie wir gehört haben, so sehen wir's an der Stadt des Herrn Zebaoth, an der Stadt unsers Gottes; Gott erhält dieselbige ewiglich. (Sela.) 10 Gott, wir warteten auf deine Güte in deinem Tempel. 11 Gott, wie dein Name, so ist auch dein Ruhm bis an der Welt Enden; deine Rechte ist voll Gerechtigkeit.

V. 9. Wie wir gehört haben usw. Das lässt sich auf zweierlei Weise erklären. Entweder: im Namen der gläubigen Gemeinde spricht der Dichter aus, dass Gott dieselbe Macht, die er einst bei der Befreiung der Väter bewiesen, jetzt auch den Enkeln und Urenkeln erzeigt habe. Die Gläubigen hatten aus dem Munde der Väter vernommen und aus der heiligen Geschichte gelernt, wie milde und väterlich Gott die Gemeinde geleitet hatte. Jetzt aber können sie als Augenzeugen rühmen, dass auch sie das gleiche Erbarmen tatsächlich erfahren durften. Kurz gesagt: die Gläubigen haben nicht nur in der Geschichte Beweise der Güte und Macht Gottes, sondern sie erfahren sie selbst tagtäglich und sehen geradezu mit Augen, was sie früher nur vom Hörensagen und aus dem Bericht ihrer Väter gekannt hatten. Gott bleibt sich also immer treu: die alten Beweise seiner Gnade bekräftigt er immer wieder durch neue Erweisungen. Die zweite Auslegung ist etwas schwieriger, doch ebenfalls wohl passend: Gott habe nunmehr mit der Tat bewiesen, was er seinem Volke versprochen. So würden die Gläubigen sagen, dass nun vor ihren Augen erfüllt sei, was sie bis dahin nur mit den Ohren vernommen hatten. Denn so lange nur die nackten Verheißungen vorliegen, ruht die Gnade und das Heil Gottes noch auf Hoffnung und ist verborgen: mit der Erfüllung gewinnen sie sichtbare Gestalt. Nimmt man diese Auslegung an, so ergibt sich eine fruchtbare Lehre: Gott lässt die in seinem Worte gegebenen Verheißungen nicht unerfüllt; er verspricht auch nicht mehr, als er erfüllt. „An der Stadt “ Jerusalem – nicht etwa: „in“ derselben – sieht man, dass Gott von Anfang an ein treuer Hüter seiner Stadt war und es also auch bleiben wird. Als Stadt des Herrn wird Jerusalem ausdrücklich bezeichnet, weil Gott sein Heil nicht allen Völkern in demselben Maße verheißt, wie seinem erwählten Volke, das er sich zum Eigentum erkoren hat. „Stadt unsers Gottes “ sagen aber die Gläubigen, weil sie von ihm angenommen sind, so dass sie es wagen dürfen, auf ihn zu hoffen und im Vertrauen zu ihm ihre Zuflucht zu nehmen. Dass der Herr seine Stadt ewiglich erhält , unterscheidet sie von allen anderen Städten der Welt, welche allen möglichen wechselvollen Schicksalen unterworfen sind und darum nur eine Zeitlang blühen. Jerusalem aber bleibt fest trotz aller Welterschütterung, weil ihr Grund von Gott gelegt ist. Es ist also kein Wunder, wenn Gott seine erkorene Stadt immerdar schützt, in der sein Name stets angerufen werden soll. Dem steht durchaus nicht entgegen, dass die Stadt anlässlich des Exils einmal zerstört worden ist: denn Jeremia (27, 22) hatte schon vorher ihre Wiederherstellung angezeigt. So hat Gott gerade durch dies Beispiel bewiesen, wie unzerstörbar sein Werk ist. Jetzt, nachdem Christus durch seine Ankunft die Welt erneuert hat, dürfen wir alles, was einst von jener Stadt gesagt worden ist, auf das geistliche Jerusalem beziehen, das über alle Welt zerstreut ist. Und das muss uns in allen Wechselfällen immer wieder zur Aufrichtung dienen: das Heil der Gemeinde, die Gott gegründet hat, kann zwar schwere Erschütterungen erfahren, aber nie so getroffen werden, dass es zusammenbricht.

V. 10. Wir warteten auf deine Güte . Damit ist gesagt, dass die Gläubigen von oben her bewahrt worden seien, weil sie in der größten Bestürzung geduldig gewartet hatten1), bis Gottes Erbarmen ihnen endlich half. In der größten Bedrängnis ließen sie sich doch nicht aus der rechten Bahn werfen, sondern vertrauten auf Gottes Hilfe: durch solch geduldiges Hoffen öffneten sie seiner Gnade die Tür. Denn wer auf Gott harret, den lässt er nicht zu Schanden werden. Das gibt uns eine gute Lehre: die Hilfe des Herrn erreicht uns nicht, wenn wir seiner Verheißung nicht trauen und vor lauter Aufregung den Gnadenstrom nicht bis an uns heran dringen lassen, der für stille Seelen fließt. Was soll aber das „in deinem Tempel “? Konnten die Gläubigen etwa nur dort ihrer Hoffnung Nahrung geben? Und wenn sie wieder nach Hause kamen, mussten sie dann ihre Hoffnung fahren lassen? Ganz gewiss haben sie im Gegenteil die im Tempel errungene Hoffnung mit in ihr Heim genommen, um sie da zu bewahren. Aber weil Gott verheißen hatte, dass der Ort seiner Anrufung auch die Heimstätte und der Sitz seiner Kraft und Gnade sein sollte, so sprechen die Gläubigen jetzt aus, sie hätten im Vertrauen auf diese Zusage nicht gezweifelt, dass der Gott, der solch gewisses Unterpfand seiner Gegenwart gegeben, sich barmherzig und gnädig erweisen werde. Wir dürfen uns ja nicht unseren eignen Einbildungen darüber hingeben, dass Gott uns helfen werde: denn darüber können wir nur insoweit Gewissheit gewinnen, als Gott selbst sich uns in freier Gnade zur Verfügung stellt. Wenn aber schon jene schattenhafte Gegenwart Gottes im Gesetz den Gläubigen das Leben mitten im Tode verbürgen musste, wie vielmehr haben wir jetzt Ursache, ruhig zu sein in allem Auf und Ab des Weltgetriebes, nachdem Christus zu uns vom Himmel gekommen, um uns weit völliger mit seinem Vater zu verbinden. Nur müssen wir alles daransetzen, dass der Dienst Gottes bei uns rein und unbefleckt erhalten bleibe, wenn anders sein „Tempel“ in unserer Mitte glänzend dastehen soll.

V. 11. Wie dein Name, so ist auch dein Ruhm usw. Dieser Vers hängt nach der Ansicht mancher mit dem vorigen zusammen. Sein Sinn wäre dann: Herr, du willst nicht ohne Ursache deinen Namen verherrlicht haben. Du reichst ja Grund genug zum Lobe dar. Der Name Gottes würde also in seinen Wirkungen gepriesen. Seine Kraft steht hinter den Verheißungen. So bestätigt Gott in seinen Werken, dass die Juden ihn nicht grundlos als den einzigen und wahren Gott verehren. Erwäge ich aber das Folgende: bis an der Welt Ende – so glaube ich, dass der Dichter damit sagen will: wohin immer der Ruf Gottes dringt, wird man erkennen, dass er das höchste Lob verdient. So liegt in den Worten ein verborgener Gegensatz. Damals wurden, wie wir wissen, die Götzennamen durch die ganze Welt hindurch getragen. Aber so weit die falschen Götter verehrt wurden, entbehrten sie doch des wahren Ruhmes, da sie ihre Gottheit nicht durch Zeichen besiegelten. Dem gegenüber betont der Dichter: Herr, wo man deinen Namen vernimmt, da hört man auch zugleich begründetes Lob, oder der Grund zu loben folgt unmittelbar, denn die ganze Welt sieht, wie herrlich du dich an deinem erwählten Volke erzeigest. Denselben Sinn hat das Folgende: Deine Rechte ist voll Gerechtigkeit , nämlich, sie zeigt ihre Gerechtigkeit öffentlich dadurch, dass die Deinigen Hilfe erfahren wie durch eine Hand. Und nicht bloß den einen oder anderen Beweis seiner Gerechtigkeit gibt der Herr, sondern unzählige. Wir wollen auch noch einmal erinnern, dass unter der „Gerechtigkeit“ Gottes seine Treue zu verstehen ist, die er in der Führung der Seinigen erzeigt. Daraus ergibt sich für uns der unschätzbare Trost, dass er in der Fürsorge für unser Heil als gerecht erkannt werden will. Fassen wir noch einmal zusammen: Der falschen Götter Namen sind wohl im Munde der Menschen lebendig, entbehren aber der Bewährung durch Erfolge, und darum des wahren Lobes. Anders stand es bei Israels Gott: wohin sein Name drang, da erkannte man allgemein in ihm den Befreier seines Volkes, der die Hoffnung und Bitten der Seinigen erfüllt und sie auch nicht im entscheidenden Moment im Stiche lässt.

12 Es freue sich der Berg Zion, und die Töchter Judas seien fröhlich um deiner Gerichte willen. 13 Machet euch um Zion und umfanget sie; zählet ihre Türme; 14 achtet mit Fleiß auf ihre Mauern, durchwandelt ihre Paläste, auf dass ihr davon verkündiget den Nachkommen, 15 dass dieser Gott sei unser Gott immer und ewiglich, Er führet uns wie die Jugend.

V. 12. Es freue sich der Berg Zion usw. Jetzt beglückwünscht der Dichter Jerusalem und die anderen jüdischen Städte, weil sie Gelegenheit haben werden, Gottes Gerechtigkeit zu erfahren, den sie ja schon als Anwalt ihres Heils erkannt haben. Auf Gottes „Gerichte “ wird hingewiesen, um anzudeuten, dass der Herr die Sache seiner Gemeinde verficht und ihre Bedrücker als seine Feinde ansieht, deren Wut er unterdrücken will. Dann weist der Verfasser wieder auf die günstige und schöne Lage Jerusalems hin: die Stadt sei wohl befestigt und unbezwingbar. Der Segen Gottes tat sich zum Teil ja auch in diesen äußerlichen Merkmalen kund. Gleichwohl darf man nicht vergessen, was schon V. 4 gesagt ist, dass Gott sich in ihren Palästen als Schutzwehr erzeigt. Denn mit der Erwähnung von Türmen und Mauern will der heilige Sänger die Aufmerksamkeit der Frommen nicht auf diese lenken, sondern ihnen darin ein Abbild der Macht Gottes zeigen. Machet euch um Zion , sagt er, d. h. schauet aufmerksam umher, zählet die Türme und betrachtet mit allem Fleiß die Stadtmauern, schätzet ihre Paläste nach ihrem Werte ein, dann werdet ihr leicht zu der Erkenntnis kommen, dass die Stadt von Gott erwählt ist: denn sie überragt bei weitem alle andern. An alledem zeigt es sich, wozu Gott Jerusalem gemacht hat: für sich zum Heiligtum, für sein Volk zur Wohnung. Übrigens scheint der Verfasser durch die Bemerkung (V. 14): „auf dass ihr davon verkündiget den Nachkommen “ – auf eine Zeit hinweisen zu wollen, in der man das alles nicht mehr sehen könne. Denn wozu soll dann diese Erzählung dienen, wenn der Gegenstand derselben klar und deutlich vor jedermanns Auge steht? Obwohl es kurz vorher hieß, jene Stadt werde ewig bleiben, verbessert er dies jetzt durch den Hinweis, ihre Dauer sei abhängig von der Wiederherstellung der Gemeinde. Wir sind die Nachkommenschaft, für die jener Bericht gilt. Denn alle Wohltaten Gottes, die er dem Volke des alten Bundes zukommen ließ, sind auch unser, - nicht als ob jener äußere Glanz, durch welchen der Herr sein Jerusalem auszeichnete, heute unter uns erstrahlte, sondern weil seine Gemeinde nach Christi Menschwerdung nicht minder glänzend mit geistigen Gaben ausgestattet wurde, wie Jerusalem unter dem Schatten des Gesetzes mit Türmen und Mauern versehen war.

V. 15. Dass dieser Gott sei unser Gott . Daraus ergibt sich noch deutlicher, dass der Dichter die Frommen nicht zum Anschauen der Paläste Jerusalems, sondern der Herrlichkeit Gottes veranlassen wollte. Denn allüberall – so wollte es Gott – sollte man die Zeichen seiner Huld eingegraben schauen, ja seine eigene Gegenwart erkennen. Daraus lernen wir: was uns an Ehrwürdigem und Herrlichem in der Gemeinde entgegentritt, das müssen wir als eine Begegnung mit Gott auffassen und ihn in seinen Gaben preisen. Auch hier wird auf den einigen Gott hingewiesen im Gegensatz zu den vielen falschen Göttern. Wie sehr die Ungläubigen mit kühnem Griffe den Gottesnamen gebrauchen und von Religion schwatzen, so wird man doch bei näherem Zusehen finden, dass sie nichts Sicheres und Gewisses haben. Ja, wer nicht in der Wahrheit gegründet ist, muss an seinen eigenen Gebilden zu Schanden werden. Das ist also dem wahren Glauben eigen, dass er eine klare Erkenntnis von Gott hat, die kein Schwanken zulässt. Der Unglaube dagegen stellt vielerlei unsichere und eingebildete Göttergestalten auf. Der ganze Satz will so nachdrücklich auf den einen Gott hinweisen, wie es auch einmal der Prophet Jesaja (25, 9) tut: „Siehe, das ist unser Gott, auf den wir harren, und er wird uns helfen; das ist der Herr, auf den wir harren.“ Für Gläubige ist eben das Dasein Gottes kein verschwommener Gedanke, sondern eine klare, bestimmte Wahrheit. Sie rühmen, Gott sei beständig an der Arbeit, seine Gemeinde zu erhalten, sie zu ermahnen und zu befestigen im Wachstum und in der Vertiefung des Glaubens.

Der Schluss: „Er führt uns wie die Jugend “ ist nicht mit Sicherheit zu erklären. Bleibt man bei dieser Übersetzung, so ist der Sinn: wie Gott seine Gemeinde von Anfang an mit seiner Huld geleitet hat, dem Vater gleich, der sein Kind erzieht, so tut er es auch weiter. Vielleicht sind die Worte aber zu übersetzen: „bis an den Tod.“ So würden die Gläubigen erwarten, dass Gott sie ewig führen und leiten werde, - wie es denn seine Sache ist, für die bis ans Ende zu sorgen, die sich auf ihn stützen.

1)
Calvins Auslegung ruht auf einer Verwechslung. Richtig ist zu übersetzen: „Wir gedenken deiner Güte in deinem Tempel.“ Damit auf die Erstattung des Danks nach der Hilfe gedeutet.
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