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Calvin, Jean - Psalm 124.

Calvin, Jean - Psalm 124.

Inhaltsangabe:

Nach einer wunderbaren Errettung aus größter Gefahr erinnert David die gläubige Gemeinde an ihre Dankesschuld und gibt ihr aus Anlass dieser merkwürdigen Erfahrung zu bedenken, wie ihr Heil ganz allein in Gottes Gnade und Macht ruht.

Ein Stufenpsalm Davids.

1 Wenn der Herr nicht mit uns gewesen wäre, so sage Israel; 2 wenn der Herr nicht mit uns gewesen wäre, als die Menschen sich wider uns setzten; 3 dann hätten sie uns lebendig verschlungen, als ihr Zorn wider uns ergrimmte; 4 dann hätten uns Wasser ersäuft, Ströme wären über unsere Seele gegangen; 5 dann wären über unsere Seele gegangen stolze Wasser.

V. 1. Wenn der Herr nicht mit uns gewesen wäre usw. Die Schilderung von dem überaus trostlosen Daniederliegen der Gemeinde passt an und für sich ebenso wohl auf die Zeit, wo der Rest des Volks nach Babylon weggeführt wurde, wie auf die Verfolgungen, welche die Gemeinde unter der Gewaltherrschaft des Antiochius erlitt. Aber die Entstehung des Psalms in diese Zeit zu setzen, sind wir nicht berechtigt, weil er den Namen Davids trägt und in einfach geschichtlicher Weise eine wunderbare Errettung des Volks aus sehr großer Gefahr erwähnt. Ihn aber als Weissagung eines späteren Ereignisses aufzufassen, geht nicht an: die Propheten reden von zukünftigen Dingen in anderer Weise. Es ist deshalb anzunehmen, dass David einen bekannten Vorgang im Auge hat und die Gläubigen ermahnt, die tatsächlich schon erfahrene Hilfe Gottes bei sich zu bedenken. Aber die Bedeutung des Psalms geht über Davids Zeit hinaus. Wenigstens ist es mehr als einmal geschehen, dass heidnische Völker mit ungeheurer Übermacht die Kinder Israel bekriegt haben und wie eine Sintflut über sie gekommen sind. Weil nun aber hier keine besondere Beziehung angedeutet ist, so denke ich, David will nicht bloß eine bestimmte Art von Errettung, sondern alle und jede Hilfe, die Gott jemals seinem Volk hat angedeihen lassen, mit dieser Danksagung verherrlichen. Und da können wir an die verschiedensten Zeiten denken. Wie oft haben sich die Völker der Welt gegen die Gemeinde Gottes erhoben mit solchem Aufgebot an Macht, dass kaum noch ein Schritt war zwischen ihr und dem Tode! Also die bedenkliche Lage der Gemeinde, wie sie von Anfang an gewesen ist, hält David uns wie in einem Spiegel vor Augen, damit die Gläubigen es einsehen, dass sie nicht durch eigene Kraft, sondern durch die wunderbare Gnade Gottes erhalten worden ist, und damit sie sich daran gewöhnen, in Gefahren Gott anzurufen.

V. 2. Wenn der Herr nicht mit uns gewesen wäre usw. Zweimal schlägt die Rede auf denselben Nagel. Das ist nicht ohne Grund. Solange wir uns nämlich in der Gefahr befinden, kennt unsere Furcht kein Maß; ist sie glücklich überstanden, so stellen wir das Übel als geringfügig hin. Darin steckt eine List Satans, der uns die Gnade Gottes zu verdunkeln sucht. Deshalb also, weil wir gemeiniglich nach einer wunderbaren Errettung uns allerlei Vorstellungen bilden, welche die Erinnerung an die Gnade Gottes bei uns in Vergessenheit bringen können, hebt David geflissentlich die Größe der Gefahr hervor und verweilt bei der Schilderung derselben, um das Volk aus seiner Betäubung aufzurütteln. So wird durch diese Worte unserem Geist gleichsam ein Zaum angelegt, damit wir bei dem Nachsinnen über die bestandenen Gefahren stehen bleiben und uns die Empfindung von der Gnade Gottes nicht verloren gehe. In dem vorliegenden Fall soll ein Zwiefaches beachtet werden: erstens, dass der Herr auf dem Plan gewesen ist, um seinen Knechten zu helfen und auf ihrer Seite gestanden hat; zweitens, dass für sie, die schon Verlorenen, sonst keine Möglichkeit bestanden hat, mit dem Leben davon zu kommen. Hieraus sollen wir lernen, wie die Menschen erst dann für ihre Errettung Gott die Ehre geben, wenn sie fest überzeugt sind, dass er ihnen gnädig sei und sie beschützen und erhalten wolle.

Das zweite Versglied lässt die unermessliche Größe der Kraft Gottes, von der er in der Befreiung des Volks eine herrliche Probe gegeben hatte, recht hervortreten. Wir sollen wissen, dass eine solche Errettung nicht im Bereiche menschlicher Möglichkeit gelegen hat. „Als die Menschen sich wider uns setzten,“heißt es. Mit dem Sammelbegriff Menschen scheint David eine ungeheure Menge von Feinden zu bezeichnen, wie wenn er sagte: das Volk Gottes hätte nicht bloß eine Hand voll Menschen, nicht bloß eine einzige Nation, sondern sozusagen die ganze Menschheit gegen sich gehabt; wie es denn bekannt ist, dass den Juden alle Welt Feind gewesen ist. Die Worte: „sie hätten uns lebendig verschlungen“– schildern nicht bloß ihre grimmige Wut, sondern auch die Ungleichheit der Kräfte, also wie stürmisch auf der einen Seite der Angriff und wie gering auf der andern Seite die Widerstandskraft war: der Schwerter hätte es nicht einmal bedurft, um sie niederzumachen, sondern ohne Kampf hätten jene wilden Bestien die wehrlose Herde verschlingen können.

V. 4. Dann hätten uns Wasser ersäuft.Mit fein gewähltem, bildlichem Ausdruck malt der Psalmist jenen grausigen Ansturm der Feinde. Er vergleicht ihn mit einer Wasserflut, die alles verschlingt, was ihr in den Weg kommt; und man merkt ihm noch sein Entsetzen an. Er spricht von „Wassern“, dann von Strömen und noch einmal von wilden oder stolzen Wassern; er sagt: über uns, über unsre Seele,als wollte er den Schrecken des Geschauten und Erlebten noch einmal empfinden lassen. Und sicher zielt die hochpoetische Rede eben darauf ab, dass die Gläubigen sich dessen recht bewusst werden sollen, aus welchem tiefen Abgrund sie durch Gottes Gnade herausgerissen sind. Denn nur derjenige schreibt seine Errettung dem Herrn zu, der es anerkennt, dass er verloren war. Das Wörtchen „dann“ wirkt wie ein Hinweis mit dem Finger, oder es steht, was auch sein kann, für „damals“.

6 Gelobet sei der Herr, der uns nicht zum Raub gab in ihre Zähne! 7 Unsre Seele ist entronnen wie ein Vogel dem Strick des Voglers; der Strick ist zerrissen und wir sind los. 8 Unsre Hilfe stehet im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

V. 6. Gelobet sei der Herr.Nun geht der Dichter dazu über, die Frommen zur Danksagung zu ermuntern. Er spricht ihnen die Worte sozusagen vor und macht es dabei noch durch ein zweites Bild anschaulich, dass es um sie geschehen gewesen wäre, wenn Gott nicht geholfen hätte. Mit ihrer Errettung nämlich habe es sich nicht anders verhalten, als wenn man einem wilden Raubtiere den Raub aus den Zähnen risse. Auf eben dasselbe kommt auch das dritten Bild hinaus: sie seien um und um in Netze verstrickt und in Schlingen der Feinde verwickelt gewesen, eben wie der im Netze gefangene Vogel in des Vogelstellers Gewalt ist; und es sei mit ihrer Errettung nicht anders zugegangen, als wenn man gefangenen Vögeln die Freiheit schenkt. Der Rede Sinn ist dieser: das Volk Gottes, des Streits unkundig, von Rat und von Kräften entblößt, habe nicht allein mit schrecklichen, grimmigen Bestien zu tun gehabt, sondern sei noch dazu von Ränken und Intrigen umgarnt gewesen, habe sich also seinen Feinden gegenüber in jeder Hinsicht weit im Nachteil befunden und so dem Tode in vielfacher Gestalt ins Auge gesehen. Der Schluss, dass seine Errettung ein Wunder war, liegt auf der Hand.

V. 8. Unsre Hilfe stehet im Namen des Herrn. Die frühere Erfahrung der Gläubigen wird zu einer Lehre für alle Zeiten. So verstehe ich diesen Vers also nicht bloß als einen Dank für die einmalige Wohltat, sondern als ein Bekenntnis, dass die Gemeinde auf keine andere Weise erhalten bleiben könne, als sofern sie von der Hand Gottes beschirmt und beschützt wird. Das wird den Kindern Gottes zum Trost gesagt; sie sollen nicht zweifeln, dass sie unter seiner Obhut für ihr Leben nichts zu fürchten haben. Die göttliche Hilfe steht im Gegensatz zu andern Mitteln, auf welche die Welt ihr Vertrauen setzt, wie wir im 20. Psalm (V. 8) hörten: „Jene verlassen sich auf Wagen und Rosse, wir aber denken an den Namen des Herrn, unsres Gottes.“ Rein und frei von allem falschen Vertrauen sollen sich die Gläubigen lediglich unter Gottes Schutz stellen und, darauf trotzend, alles verachten, was der Satan und die ganze Welt gegen sie anstellen. Der „Name“ Gottes ist nichts anderes als Gott selbst; aber der Ausdruck erinnert daran, dass wir, weil Gott uns seine Gnade im Wort geoffenbart hat, einen offenen und leichten Zugang zu ihm haben und ihn nicht erst auf weiten Umwegen suchen müssen. Es hat auch seinen guten Grund, dass Gott wieder als der Schöpfer bezeichnet wird, der Himmel und Erde gemacht hat.Von welchen Sorgen wird oft unser Herz bestürmt, bis wir es lernen, die Macht Gottes so hoch einzuschätzen, wie es sich gebührt! Und das ist erst dann der Fall, wenn wir die feste Überzeugung gewinnen, dass Gott allein mächtig ist und die ganze Welt unter seiner Herrschaft steht. Denn nicht das eine Mal bloß, bei der Schöpfung, hat Gott für einen Augenblick seine Macht gezeigt, um sie dann zu verbergen, sondern dieselbe Macht zeigt er fort und fort in der Regierung der Welt. Übrigens wenn auch alle es zugeben, dass Gott der Schöpfer Himmels und der Erde ist, und selbst gottlose Leute sich schämen würden, ihm diesen Titel zu versagen, - braucht doch nur einmal irgendetwas Schreckhaftes daherzukommen, so stellt sich alsbald unser Unglaube klar heraus, weil Gottes Hilfe uns so gut wie nichts gilt.

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