Calvin, Jean - Psalm 111.
Inhaltsangabe: Die Überschrift diene uns als Inhaltsangabe. Um aber jedermann zum Lobe Gottes besser anzutreiben, geht der Dichter mit seinem eigenen Beispiel voran. Dann zählt er in Kürze die verschiedenen Wohltaten auf, die Gott einst den Gläubigen antat und mit denen er sie ständig geleitet. Der Psalm ist aber alphabetisch in der Weise angeordnet, dass auf jeden Vers zwei Buchstaben entfallen. Der erste Vers enthält also die Buchstaben A und B1), nur die beiden letzten Verse umfassen je drei Buchstaben. Dies Letztere ruht aber auf einem Missgriff der Abschreiber: eine genauere Betrachtung zeigt, dass die beiden letzten Verse sich nach dem Gedankengehalt besser in drei gruppieren würden.
1Hallelujah!
Ich danke dem Herrn von ganzem Herzen in der Versammlung der Frommen und in der Gemeine. 2Groß sind die Werke des Herrn, erschaut von allen, die ihrer begehren. 3Was er ordnet, das ist löblich und herrlich, und seine Gerechtigkeit bleibet ewiglich. 4Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder, der gnädige und barmherzige Herr.
V. 1. Ich danke dem Herrn usw. Indem der Prophet Gottes Lob singt, bietet er sich andern zum Führer an: denn dies ist die beste und wirksamste Art der Ermahnung. Der Satz aber hat zwei Glieder: erstlich will der Dichter aus ganzem und ehrlichem Herzen Gottes Lob singen, sodann will er dies öffentlich in der Gemeine der Frommen tun. Mit Recht beginnt er mit dem Herzen: denn es ist besser, Gott inwendig und ohne Zeugen zu loben, als heuchlerisch zu schreien und sein Lob mit voller Kehle ertönen zu lassen. Und wer in der Stille des Herzens dem Herrn dankt, wird alsbald auch in hörbare Worte ausbrechen: ohne sie würde ja Gott um die eine Hälfte seiner Ehre betrogen werden. Dass der Prophet dem Herrn „von ganzem Herzen“ danken will, besagt, dass es ohne Heuchelei, nicht mit kaltem und zwiespältigem Sinn geschehen soll. Dies wollen wir uns merken, damit niemand in Verzweiflung falle, wenn er nicht ein so vollkommenes Herz mitbringen kann, wie es zu wünschen wäre: wie mangelhaft unser Lobpreis ist, er wird doch dem Herrn gefallen, wenn wir nur ohne Heuchelei uns mühen, ihm diesen Dienst der Frömmigkeit zu leisten. Es folgt nun das andere Stück, in welchem der Dichter ausspricht, dass er Gottes Lob bei den Menschen verkündigen will. Statt der Versammlung der Frommen im Allgemeinen denken manche an einen heimlichen „Rat“ derselben: aber dies ist, obwohl nach dem hebräischen Wort möglich, doch vielleicht überfein. Von der Versammlung der Frommen ist die Rede, weil die heiligen Zusammenkünfte vornehmlich deshalb gehalten werden, damit dem Herrn seine Anbeter das Lobopfer darbringen, wie es heißt (Ps. 65, 1): „Gott, man lobet dich zu Zion.“
V. 2. Groß sind die Werke des Herrn. Jetzt erinnert der Dichter, dass Gottes Werke reichlichen Stoff zum Lobpreis bieten. Er spricht von ihnen zwar im Allgemeinen, beschränkt sie in der genaueren Erläuterung aber auf die Leitung der Gemeinde. Weil indessen nur wenige diese Größe der Werke Gottes erkennen und sie sich in der Regel vor den Augen der Sterblichen verbergen, schreibt es der Prophet der Sorglosigkeit und Undankbarkeit der Welt zu, dass man von ihnen nichts weiß: nur wenige geben sich Mühe, auf die große Weisheit, Güte, Gerechtigkeit und Kraft zu achten, die in Gottes Werken erstrahlt. Allerdings wird die zweite Vershälfte verschieden gedeutet. Manche übersetzen: denen, die sie erforschen, dienen sie zu ganzem Wohlgefallen2). Dem hebräischen Wortlaut dürfte unsere Übersetzung besser entsprechen: Erschaut oder verstanden von allen, die ihrer begehren. Der Sinn ist: weil wenige auf die Erwägung der Werke Gottes einen rechten Eifer verwenden, bleiben die meisten Menschen trotz alles Lichtes blind. Denn wenn die Herrlichkeit der Werke Gottes denen offenbar wird, die ihrer begehren, so können in Unwissenheit nur solche Leute bleiben, die absichtlich die Augen schließen, ja in böswilliger Verachtung das dargebotene Licht ersticken. Dennoch wollen wir uns den hier beschriebenen Weg der Erkenntnis wohl merken: denn solange die Gläubigen auf dieser Erde wallen, sind ihre Sinne zu stumpf und schwach, um in die verborgene Tiefe der Werke Gottes einzudringen. So unbegreiflich aber die ganze Unermesslichkeit der Weisheit, Billigkeit, Gerechtigkeit, Kraft und Barmherzigkeit in Gottes Werken ist, eine solche Erkenntnis, die zur Verherrlichung Gottes ausreicht, dürfen die Gläubigen doch schmecken. Nur müssen wir lernen, den Anfang mit Ehrfurcht zu machen, damit uns Gottes Werke, welche die Verworfenen in ihrer sündhaften Selbstgefälligkeit für nichts achten, schmackhaft werden.
V. 3. Was er ordnet, das ist löblich und herrlich. Buchstäblich: „Schönheit und Schmuck ist sein Werk.“ Der Sinn ist, dass alles, was Gott tut, von rühmenswerter Würde erfüllt ist. Im zweiten Satzglied wird deutlicher gesagt, dass sich darin Gottes Gerechtigkeit sehen lässt. Denn Gott will in seinen Werken nicht bloß einen Beweis seiner Macht und Herrschaft geben, wobei aller Herzen in Furcht vergehen müssten: er will uns seine Gerechtigkeit schauen lassen, die uns durch ihre Lieblichkeit anlockt. Diese rühmende Aussage wendet sich also wider die aufsässigen Schmähungen der Gottlosen, welche die Herrlichkeit der Werke Gottes, soviel an ihnen ist, verbrecherisch entstellen. Der nächste Vers hebt insbesondere die Wunder heraus, in welchen Gott seine Kraft vornehmlich bewiesen hat: Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder. Dies will besagen, dass er denkwürdige Dinge getan hat, deren Gedächtnis niemals vergehen soll. Wie wir aber soeben zur Betrachtung der Gerechtigkeit ermahnt wurden, so wird jetzt an den Wundern Gott vornehmlich als der gnädige und barmherzige Herr erkannt. Der Sinn ist doch beinahe der gleiche: denn aus dem Quell bramherziger Liebe fließt jene Gerechtigkeit, die Gott in der Bewahrung der Seinen kundtut.
5Er gibt Speise denen, so ihn fürchten; er gedenket ewiglich an seinen Bund. 6Er ließ verkündigen seine gewaltigen Taten seinem Volk, indem er ihnen gab das Erbe der Heiden. 7Die Werke seiner Hände sind Wahrheit und Recht; alle seine Gebote sind rechtschaffen. 8Sie werden erhalten immer und ewiglich, und wurden gegeben treulich und redlich.
V. 5. Er gibt Speise denen, so ihn fürchten. Da sich Gottes Gnade und Gerechtigkeit in seiner Gemeinde spiegelt, wendet der Prophet auf sie namentlich an, was er davon gesagt hat. Er wollte ja auch nicht von irgendwelcher Gerechtigkeit Gottes handeln, sondern von derjenigen, die er insbesondere gegen seine Auserwählten enthüllt. So fügt er hinzu, dass Gott für sein Volk sorgt und seiner Bedürfnisse sich annimmt. Das Wort, welches wir als „Speise“ übersetzen, bedeutet genauer den bestimmten Anteil an Beute oder Speise (vergl. Spr. 30, 8; 31, 15). Die Meinung ist, dass Gott seinem Volk alles gab, dessen es bedurfte, und dass er den Anteil freigebig zumaß. Wir wissen ja, dass das Volk Israel nicht durch seinen Fleiß, sondern durch Gottes Segen reich wurde, gleichwie ein Hausvater seinen Hausgenossen Jahresertrag und tägliche Speise austeilt. Das zweite Satzglied erinnert an den Grund dieser freigebigen Fürsorge: Gott wollte durch die Tat beweisen, dass sein Bund nicht inhaltsleer und vergeblich war. Dies wollen wir uns fleißig einprägen: wie der Herr einst im Blick auf seinen Gnadenbund so gütig mit dem Volk Israel handelte, so fließen auch seine Wohltaten gegen uns nur aus dem Quell der Gnade, in der er uns zu seinem Volk annahm. An diesen Bund gedenket er ewiglich: denn der Herr wird niemals müde, mit den Seinen freundlich zu fahren. Wie er aber von Tag zu Tag bis ans Ende immer neue Zeugnisse seiner Gnade gibt, so muss auch unser Glaube dieser Beständigkeit sich anpassen; er soll nicht verfließen, sondern soll Leben und Tod überdauern. Der nächste Vers wurde zur Erläuterung beigefügt: Gott ließ seine gewaltigen Taten seinem Volk dadurch verkündigen, dass er ihnen das Erbe der Heiden gab. Diese Verkündigung will als eine Tatpredigt verstanden sein: das heilige Land wurde nicht auf menschliche Weise erworben, sondern dem Volk durch himmlische Kraft und viele Wunder geschenkt; es war, als wollte Gott den Kindern Abrahams bezeugen, welch unvergleichliche Macht er besitzt. Damit gehört es auch zusammen, dass Israel vielen Heidenvölkern gegenübergestellt wird: denn sicherlich konnte es nur im Vertrauen auf himmlische Hilfe dieser Unzahl von Feinden Herr werden.
V. 7. Die Werke seiner Hände sind Wahrheit und Recht. Der erste Satz des Verses ruft aus, dass Gott in seinen Werken als treu und gerecht erkannt werde; sodann wird die gleiche Wahrheit und Gerechtigkeit in der Lehre des Gesetzes gepriesen. Die Meinung ist etwa, dass zwischen Gottes Worten und Taten der schönste Zusammenhang bestehe, weil er überall als wahrhaftig und gerecht erscheint. War nun auch die Erlösung des alttestamentlichen Volkes dafür ein denkwürdiger Beweis, so zweifle ich doch nicht, dass der Prophet unter den Werken des Herrn die fortgehende Regierung der Gottesgemeinde mit versteht: denn Gott beweist sich noch heute unablässig als gerecht und wahrhaftig und bleibt unentwegt in dieser Bahn. Unter den Menschen würde es nun mehr bedeuten, dass man jemand an seinen Taten als gerecht erkennen könnte, als an seiner Zunge. Weil nun aber die Lehre des Gesetzes das Leben und Heil des Volkes war, so ist es wohlbegründet, dass der Dichter bei diesem zweiten Stück mit ausführlicheren Worten verweilt und aussagt, dass alle Gebote rechtschaffen sind (V. 8), immer und ewiglich bleiben und aufs genaueste nach der Regel höchster Zuverlässigkeit und Rechtlichkeit entworfen sind: sie sie wurden gegeben treulich und redlich. Sicherlich wäre die Frucht der Erlösung eine spärliche, und jene gnädige Stiftung hätte alsbald verwelken müssen, wenn nicht Gott das Volk durch das heilige Band des Gesetzes ans sich gefesselt hätte. Wir wollen uns also merken, dass hier der Lehre die hervorragendste Stelle angewiesen wird, weil sie als das Zeugnis der ewigen Liebe Gottes Leben spendende Kraft besaß.
9Er sandte eine Erlösung seinem Volk; er hat verheißen, dass sein Bund ewiglich bleiben soll. Heilig und hehr ist sein Name. 10Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang; das ist eine feine Klugheit, wer darnach tut. Sein Lob bleibet ewiglich.
V. 9. Er sandte eine Erlösung seinem Volk. Das Gesagte wird mit andern Worten wiederholt. Weil die Erlösung der Anfang des Heils war, steht sie voran; dann folgt ihre Bestätigung im Gesetz, die es bewirkt, dass die Annahme zur Gotteskindschaft niemals ihren Bestand verliert. Hatte auch Gott schon früher seinen Bund mit Abraham geschlossen, auf welchen sich die Erlösung des Volkes gründete, so bezieht sich doch der vorliegende Lobpreis auf das Gesetz, welches den Bund bekräftigte und in seinem Bestande sicherte. Alles in allem: Gott bewies sich nicht nur einmal bei der Befreiung des Volks als der guttätige Vater, sondern festigte seine Gnade durch Erlass des Gesetzes, um der Hoffnung auf das ewige Leben eine bleibende Stätte in der Gemeinde zu bereiten. Weiter ist festzuhalten, was ich schon anderwärts erinnerte und zum 119. Psalm ausführlicher darlegen muss, dass man, wenn vom Gesetz die Rede ist, sich nicht immer auf die bloßen Gebote versteifen soll: denn der heilige Geist deutet vor allem auf die in Christus begründeten Verheißungen, durch welche Gott sein auserwähltes Volk gesammelt und zum ewigen Leben wiedergeboren hat.
V. 10. Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang. Nachdem der Prophet von den Wohltaten Gottes gehandelt und dem Gesetz das schuldige Lob gespendet hat, mahnt er die Gläubigen zur Ehrfurcht gegen diesen Gott und zum eifrigen Halten des Gesetzes. Indem er die Furcht Gottes als die Grundlage oder das Hauptstück der Weisheit bezeichnet, wirft es allen denen Unsinnigkeit vor, die sich dem Herrn nicht im Gehorsam ergeben. Wer sich nicht tief in die Furcht Gottes versenkt und sein Leben nicht nach seinem Gesetz richtet, ist stumpfsinnig und versteht nicht einmal die ersten Elemente der Weisheit. Dies wollen wir fleißig merken. Denn während jedermann allenthalben klug sein will, geht doch fast die ganze Welt, weil sie Gott verachtet, in sündhafter und selbstgefälliger Afterweisheit dahin. Die schlechtesten Menschen hält man oft vor anderen für klug, und sie selbst verstocken sich in diesem geschwollenen Selbstvertrauen gegen Gott: der Prophet dagegen erklärt alle Weisheit der Welt, die der Gottesfurcht ermangelt, für Rauch und hohlen Schein. Und sicherlich ist ein Mensch, der das Ziel des Lebens nicht im Auge behält, unverständig und des rechten Sinnes beraubt. Wir sind aber dazu geboren und ins Leben gestellt, damit wir uns in der Verehrung Gottes üben. Es ist also keine schlimmere Blindheit und kein tieferer Stumpfsinn denkbar, als dass ein Mensch Gott verachtet und sein Streben anderswohin wendet. Mögen weltliche Menschen noch so verschmitzt sein, die Hauptsache, wahre Frömmigkeit, fehlt ihnen. Eben darauf deutet das nächste Satzglied, dass diejenigen eine feine Klugheit besitzen, die Gottes Gebote halten. Dies wird mit großem Nachdruck gesagt: der Prophet wendet sich damit gegen den törichten Aberglauben, von dem wir sprachen, und erteilt der unzeitigen Klugheit eine versteckten Hieb. Er will etwa sagen: Ich gebe zu, dass im Allgemeinen die Leute für klug gelten, die gut für ihr Vermögen sorgen, öffentliche Ämter übernehmen, geschickt die Gunst der Welt zu bewahren wissen, vielleicht auch andere betrügen. Ich aber kann ihnen diesen Titel nicht zugestehen, denn ihre Klugheit ist unnütz und verkehrt; ein gesunder Sinn offenbart sich darin, dass man Gottes Gebote hält. Dieser Gehorsam tritt im zweiten Satzglied erklärend an die Stelle der Furcht des Herrn: denn wenn auch alle Menschen sich allenthalben ihrer Gottesfurcht rühmen, so ist doch die Verachtung des Gesetzes an der Tagesordnung. Wir werden also erinnert, dass die Furcht Gottes sich darin bewähren muss, dass man willig sein Joch auf sich nehme und sich von seinem Wort regieren lasse. Dass die Gottesfurcht als der Weisheit „Anfang“ bezeichnet wird, hat manche zu der Deutung verleitet, als hätten wir in ihr nur die elementaren Anfangsgründe und die Vorbereitung wahrer Frömmigkeit. Diese Flachheit kann aber schon darum nicht bestehen, weil die Furcht des Herrn anderswo (Hiob 28, 28) geradezu Weisheit heißt. Es ist also hier nicht wie bei Johannes (1. Joh. 4, 18) an den allerersten Ansatz der Frömmigkeit, sondern an die völlige und ganz umfassende Verehrung Gottes zu denken. Der Schluss des Psalms bedarf keiner Erläuterung: Sein Lob bleibet ewiglich. Damit soll den Gläubigen noch einmal eingeprägt werden, dass es für sie im ganzen Leben nichts Besseres gibt, als Gott zu rühmen.
Quelle: Müller, Karl / Menges I. - Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift - Psalter
1. Anbeten will ich den Herrn von ganzem Herzen
Bei der Versammlung der Frommen und in der Gemeinde.
2. Die Werke des Herrn sind groß,
Erschaut von allen, die ihn begehren usw.