Calvin, Jean – Hiob 28, 28
28) Gott fürchten, das ist Weisheit, und meiden das Böse, das ist Verstand.
Scheinbar fasst Hiob die menschliche Weisheit zu eng, wenn er sie völlig in die Furcht einschließt; denn Gott lehrt doch auch noch andere Dinge in seinem Wort. Nun besteht aber unsere Weisheit darin, dass wir Gott zuhören, wenn er redet, und uns nicht mutwillig taub machen, sondern Augen und Ohren offen halten, wenn er uns seinen Willen zeigt und zu uns spricht, wie es Deut 4, 6 heißt: „Das wird eure Weisheit und Verstand sein bei allen Völkern, wenn sie hören werden alle diese Gebote, dass sie müssen sagen: Ei, welch weise und verständige Leute sind das und ein herrliches Volk!“ Man müsste also vielmehr sagen: Der Menschen Weisheit besteht nicht darin, alles zu erforschen, was ihnen gut dünkt, sondern zu dem Wort zu kommen, bei dem Gott sie festhalten will, und sich dem völlig zu unterwerfen, ohne seine Grenzen zu überschreiten. Das drückt Hiob so aus: Gott fürchten, das ist Weisheit. Damit will er uns nicht etwa vom Glauben und dem, was damit zusammenhängt, abziehen, nämlich von dem Wissen um unseres Gottes unbegrenzte Güte, auf die wir uns stützen in der Gewissheit, dass er uns gnädig ist, indem er uns unsere Sünden im Namen unseres Herrn Jesus Christus vergibt, ja, dass er uns zu seinen Kindern angenommen hat und uns als seine Kinder lieb haben will, um bis ans Ende für unser Heil zu sorgen. Wenn Hiob hier von der „Furcht“ Gottes redet, so schließt er damit den Glauben nicht aus, sondern er will nur in Kürze sagen: Weise sein heißt nicht grübeln! So viele quälen sich damit und wollen dies und das wissen und wissen doch nicht warum und kommen zu nichts Festem. Sie haben keinen Nutzen davon und werden auch nicht besser davon. Es genügt nicht, dass man sich mit Wind und törichter Begierde speist; davon wird man nur aufgeblasen, wie Paulus sagt (1. Kor 8, 1): „Das Wissen bläst auf.“ So sieht die Eitelkeit der Menschen aus!
Demgegenüber sagt Hiob: Wenn wir weise sind im Sinne unseres Herrn, so werden wir im guten Sinne erbaut, um in der Furcht Gottes zu wandeln. Darum heißt auch Sprüche 1, 7 und 9, 10 die Furcht Gottes „der Weisheit Anfang“ und „der Anfang der Erkenntnis“. Einige verstehen das im Sinne eines ABC, weil man damit anfangen muss, wie man denn ein Kind nicht gleich auf den ersten Anhieb in die höchsten und tiefsten Wissenschaften einführt, sondern ihm erst die Anfangsgründe beibringen muss. Wer das Wort Salomos so versteht, gründet sich dabei auf das, was wir 1. Joh. 4, 18 hören: „Die völlige Liebe treibt die Furcht aus.“ Aber Johannes redet hier von der Furcht der Ungläubigen, wenn sie vor Gott fliehen und vor seiner Majestät erzittern, weil sie nicht wissen, wo sie hin sollen. Alle, die nichts davon wissen, dass sich Gott mit uns in unserm Herrn Jesus Christus hat versöhnen wollen und dass an seiner immerwährenden Liebe gegen seine Kinder nicht zu zweifeln ist, alle, die davon nichts geschmeckt haben, sie alle erschrecken und entsetzen sich, wenn man mit ihnen von Gott spricht; sie machen es wie ein armer Verbrecher, der die Flucht ergreift und am liebsten die Gerechtigkeit ganz aufgehoben wüsste. Sind wir aber von der Barmherzigkeit Gottes überzeugt, so zieht uns ihre Süßigkeit in seine Gemeinschaft hinein, und wir kommen mit aufgehobenen Haupt. Nicht als wären wir immer voll Ehrerbietung und Demut, aber wir sind doch gewiss, Gott angenehm zu sein, wissen also nichts mehr von dem Zweifel und der Unruhe, womit die Ungläubigen sich quälen. Diese Furcht meint Johannes. Wenn aber in den Sprüchen die Furcht Gottes der Anfang der Weisheit ist, so soll das heißen, die Furcht Gottes sei das Hauptstück der Weisheit. Das stimmt mit dem Sinn des Hiobwortes überein. So meint es auch Salomo Spr. 24, 27: „Die Furcht des Herrn ist eine Quelle des Lebens, dass man meide die Stricke des Todes.“ Er würde sie so nicht nennen, wenn wir uns nicht ganz und gar daran halten müssten und wenn sie nicht unsere vollkommene Glückseligkeit wäre.
Wir müssen also allen unsern Fleiß anwenden und unsern Sinn richten auf das, was in der Heiligen Schrift enthalten ist, weil nichts darin steht, was uns nicht von Nutzen wäre. Es ist unmöglich, dass wir Gott fürchten und uns seinem Dienst ergeben, wenn wir nicht seine Güte erkannt haben. So heißt es Ps. 130, 7: „Herr, bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte.“ Auf die Furcht Gottes können wir uns nicht gründen, ehe wir genug von seiner Barmherzigkeit kennen, um freimütig zu ihm zu kommen und ihn zu suchen. Solange wir vor Gott fliehen, gehen wir ihm scheu aus dem Wege und lehnen uns infolgedessen gegen ihn auf. Einen rechten Geschmack von dieser Güte aber bekommen die Menschen nicht eher, als bis sie sich durch die Schrift haben unterweisen lassen. Da aber ist auch diese Furcht. Darunter versteht die Schrift nicht einen Knechtsdienst, den die Menschen gleichsam unter Zwang Gott leisten; sondern diese Furcht bringt es mit sich, dass wir uns der Leitung der Hand Gottes völlig ergeben, dass wir vor allem seine Güte und Barmherzigkeit kennen und ihm eine Ehrerbietung zollen, die uns wahrhaftig mit ihm verbindet. Wenn er von der Ehre redet, die ihm gebührt, so spricht er nicht allein von seiner Majestät, er nennt sich nicht allein unsern Meister und Herrn, sondern er nennt sich zugleich auch unseren Vater. Denn durch seinen Propheten Maleachi ruft er aus: „Bin ich nun Vater, wo ist meine Ehre? Bin ich Herr, wo fürchtet man mich?“ (Mal 1, 6). Weil wir ihn als Vater und Herrn kennen sollen, darum sollen wir ihn lieben, doch mit Ehrerbietung, so dass wir in unserm ganzen Leben kein anderes Verlangen haben und nach nichts anderem trachten, als ihm zu gehorchen.
Jetzt sehen wir es also: Hiob ist weit davon entfernt, hier den Glauben verwerfen zu wollen, er führt uns vielmehr zu ihm hin. Denn an diesem Ende haben auch wir anzufangen, wenn wir in der Furcht Gottes wandeln wollen. Darum macht es auch Paulus, als er von der Weisheit redet, zum Gegenstand seines Gebets: „Der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, gebe euch erleuchtete Augen eures Verständnisses, dass ihr erkennen möget, welche da sei die Hoffnung eurer Berufung und welcher sei der Reichtum seines herrlichen Erbes bei seinen Heiligen, und welche da sei die überschwängliche Kraft an uns, die wir glauben nach der Wirkung seiner mächtigen Stärke, welche er gewirkt hat in Christus, da er ihn von den Toten auferweckt hat“ (Eph 1, 17-20). Und ähnlich sagt er (Eph 3, 18.19): „Auf dass ihr begreifen möget mit allen Heiligen, welches da sei die Breite und die Länge und die Tiefe und die Höhe; auch erkennen die Liebe Christi, die doch alle Erkenntnis übertrifft, auf dass ihr erfüllet werdet mit allerlei Gottesfülle.“ Als wollte er sagen: Wir mögen uns nach allen Seiten ausrecken, wir mögen steigen, so hoch wir wollen, höher können wir doch niemals kommen als zum Verständnis der Liebe unseres Herrn Jesus Christus; wir mögen in die Tiefe steigen, so tief wir wollen, so geht doch all unser Wissen darin auf, dass wir verstehen, wie Gott sich unsern Vater und Heiland nennt, wie er uns in der Person seines Sohnes angenommen hat und dass er uns hat wollen teilhaftig machen seiner Güte und Barmherzigkeit, in der unser Heil besteht. Um also Gott fürchten zu können, müssen wir seiner Güte gewiss sein. Hier aber will Hiob mit einem Wort all die törichten Spitzfindigkeiten verurteilen, zu denen die Menschen kommen, wenn sie keine Neigung und keinen Eifer haben, sich auf die Furcht Gottes zu gründen.
Wir müssen aber die Heilige Schrift nicht nur benutzen, sondern ihr auch die Ehre geben, die ihr zukommt. Es gibt heute Schwärmer genug, die das Wort Gottes verachten, weil sie meinen, es enthalte nur einfältige Dinge für das gemeine Volk und wenn sie selbst sich mit der Schrift abgäben, so vermissten sie in ihr den genügenden Scharfsinn. Nun, unser Herr bezahlt sie, wie sie´s verdienen; denn wenn man einmal untersucht, was an ihnen selber ist, so findet man: sie sind doppelt blind, und unser Herr beraubt sie des allgemeinen Menschenverstandes, so dass sie dümmer sind als die ungelehrtesten und ungebildetsten Leute in der Welt. Das ist der Lohn des Stolzes bei allen, die nach dem Worte Gotte nichts fragen. Gewiss, auf den ersten Blick sehen wir da eine große Einfalt; denn unser Herr redet nicht in hochtrabenden Worten, er passt sich vielmehr den Großen und den Kleinen an, aber gleichwohl tut das der Majestät der Heiligen Schrift keinen Abbruch. Soll denn Gottes Güte seine Herrlichkeit verdunkeln? Soll sie uns daran hindern, demütig gegen ihn zu sein und ihm die Ehre zu geben, die ihm gebührt? Im Gegenteil! Denn weshalb redet unser Herr so einfältig in der Schrift? Nur aus unendlicher Güte: er sieht, dass wir einen schwerfälligen Geist haben; darum stammelt er, wenn er mit uns redet. Wir finden also in der Schrift eine grobe Sprache, aber gerade darin zeigt sich Gottes Majestät; da bedarf es keiner fleischlichen und irdischen Mittel, um Gott besonderen Glanz zu verleihen, sondern wir sind überzeugt, dass es Gott ist, der da seinen Arm ausreckt; das müssen wir fühlen und aussprechen. Es kann gar nicht in Frage kommen, dass diese Einfalt der Heiligen Schrift zu ihrer Verachtung führen müsste, wie es denn wirkliche Leute von so stinkender Hoffart gibt, dass sie sich nichts aus ihr machen. Nein, sie soll uns gewiss machen, dass Gott nicht anderswoher hat Hilfe entlehnen wollen und dass sich gerade darin seine Kraft augenscheinlich zeigt, damit wir uns umso mehr bewogen fühlen, ihm unsere Huldigung darzubieten und uns ihm ganz und gar zu unterwerfen.
Wie aber Gold und Silber im Schmelzofen oder am Probierstein geprüft werden, so gibt es auch dafür, ob wir von der Heiligen Schrift wirklich Gewinn haben, einen Beweis: er besteht darin, ob wir auf die Furcht Gottes gegründet sind. Gewiss, wir gehen zur Predigt, wir lesen auch, wenn wir Gelegenheit dazu haben, die Heilige Schrift. Das ist eine heilige und gute Gewohnheit, und wollte Gott, wir täten darin noch unvergleichlich viel mehr, als wir tun; daneben aber müssen wir auch wissen, ob wir unsere Zeit wirklich richtig angewandt haben oder nicht. Das aber ist nicht der Fall, wenn wir gut über die Schrift plaudern können und auf jede Frage gleich die allerschönste Antwort haben, wenn wir alle Einwände geschickt widerlegen können und wenn wir uns auf eine richtige Auslegung der Schriftstellen verstehen. Gewiss, das sind alles notwendige Dinge, aber das ist noch nicht alles. Gewinn haben wir nur dann von der Predigt und von dem Worte Gottes gehabt, wenn unser Leben davon Zeugnis gibt, dass wir Gott fürchten. Das ist ein Beweis dafür, dass wir in seiner Schule recht gelernt haben, dass er uns ein guter und treuer Lehrmeister gewesen ist und wir unsrerseits unsere Zeit nicht vergeudet haben. Kurz, wenn die Schrift uns ein gutes und deutliches Merkzeichen geben will, um die Gläubigen von den Verächtern Gottes zu unterscheiden, so spricht sie: „Rühmet den Herrn, die ihr ihn fürchtet!“ (Ps 22, 24); „Die den Herrn fürchten, hoffen auf den Herrn“ (Ps 115, 11); „Es sagen nun, die den Herrn fürchten: Seine Güte wäret ewiglich“ (Ps 118, 4). Das ist der Unterschied zwischen der Herde Gottes und den wilden Tieren, die keine Schranken kennen!
Kommen wir also zur Predigt oder nehmen die Bibel in die Hand, so will uns Gott nicht aufblasen mit eitlem Wahn, er will uns auch nicht die Ohren krauen, wenn sie uns jucken, kurz, er will nicht unsere Neugier stillen, sondern er will damit einen Grund legen, worauf wir ihn fürchten, ehren und ihm dienen sollen. Sind wir erst dazu gelangt, so fahren wir auch nicht länger in der Schrift hin und her. Denn woher kommt der Fehler, dass sich die Menschen nicht dazu bequemen können, zu lernen, was ihnen nützlich ist, sondern dass jeder sich irgendetwas Besonderes ausheckt? Woher kommen soviel Irrlehren und Ketzereien, so viele falsche und verrückte Meinungen? Das kommt daher, dass wir nicht erkennen, wohin uns Gott durch sein Wort leiten will; es kommt auch daher, dass man die Furcht Gottes hinter sich wirft und meint, die Heilige Schrift sei zu einem ganz andern Zweck gegeben. Nur ein Mittel gibt es, wodurch Gott uns zu sich ziehen will: seine Furcht und seine Liebe. Gewiss, es gibt genug flatterhafte Menschen, die von der Gnade unseres Herrn Jesus Christus und von der Gerechtigkeit, die uns in ihm geschenkt ist, genug zu reden wissen, sie können auch über den Glauben schwatzen; aber sie haben noch keine Ahnung davon, was das heißt, ihn von Gott zu haben, es sei denn, dass sie einmal von Gott gepackt werden und so wirklich zu ihm kommen, und zwar mit der Furcht, von der hier die Rede ist. Gott hat uns doch so teuer erkauft – wie kann man es da noch verantworten, nur sich selbst und seinen Lüsten zu leben? Er hat uns doch zu seinem Eigentum erworben – ist das nicht Grund genug für einen jeden, sich ihm zu ergeben als sein wahres Besitztum und Erbe? Er sammelt uns als seine Hausgenossen – sollten wir ihm da nicht gehorsam sein?
Auch soll die Furcht Gottes uns lehren, das Böse zu meiden. Wer sich Gott unterwerfen und sein Leben nach seinem Willen einrichten will, der muss gegen das Böse kämpfen; wir sind ja alle von Natur dazu geneigt und wissen uns von viel Versuchungen umgeben, dazu von manchem andern, was uns von Gott abwenden will, so dass wir wohl vonnöten haben, den Anfechtungen unseres Fleisches zu widerstehen. In der Furcht Gottes zunehmen aber können wir erst dann, wenn wir uns selber absagen. Denn was ist unsere Natur anders als ein Meer und Abgrund alles Bösen? Darum müssen wir in der Furcht Gottes wandeln und je länger je mehr zunehmen in seiner Schule, so dass er uns als seine Schüler anerkennen kann und wir den Beweis liefern, dass wir ihm dienen wollen, damit er uns für seine Kinder erklären und sich uns als Vater erzeigen kann.