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Calvin, Jean – Hiob 10, 1-6.

Calvin, Jean – Hiob 10, 1-6.

1) Meine Seele ist abgeschnitten in meinem Leben, ich will meiner Klage über mich freien Lauf lassen, ich will reden in meiner Bitterkeit. 2) Ich will zu Gott sprechen: Verdamme mich nicht! Zeige mir an, warum du mir den Prozess machst! 3) Gefällt es dir, mir Unrecht zu tun oder das Werk deiner Hände zu verwerfen und den Rat der Gottlosen zu erleuchten? 4) Hast du denn Fleischesaugen? Siehest du, wie ein Mensch sieht? 5) Sind deine Tage wir der Menschen Tage? Sind deine Jahre wie die Zeit eines sterblichen Menschen, 6) dass du nach meiner Missetat fragen müsstest und forschen nach meiner Sünde?

Das ist ein gutes und heiliges Gebet vor Gott, und er wird es gutheißen. Hiob kommt sich vor, als wenn er längst gestorben wäre: Meine Seele ist abgeschnitten in meinem Leben. Mein Leben ist kein Leben; denn ich bin im Tode. Damit bekennt er seine Verzweiflung, die ihn überkommt, wenn er daran denkt, wie Gott ihn behandelt. Wohl steht seine Hoffnung auf Gott; aber um auf ihn trauen zu können, muss er aus sich selbst herausgehen. Betrachten wir unser gegenwärtiges Los, was können wir dann anders tun, als ganz und gar den Mut sinken lassen? Denn wenn es auch einem Menschen gut geht, so fehlt es ihm doch an der Beständigkeit, die ihn die Widerwärtigkeiten dieses Lebens ertragen lässt, und wenn er auf seine Gebrechlichkeit sieht, so sieht er sich vom Tode in hundertfacher Gestalt umgeben, und sein Leben ist nur noch ein Schatten. Wenn wir unter Gottes Schlägen einmal unsere Sünden und sodann die vollkommene und erhabene Gerechtigkeit Gottes betrachten, so können wir sicherlich keinerlei Hoffnung auf Heil mehr in uns hegen. Gleichwohl, wer einer solchen Anfechtung unterliegt, der muss ganz stumpf sein und von Gottes Gericht keine Ahnung haben. Denn wer sich wirklich am Leben getroffen fühlt, der kommt sich wie in der Hölle vor, wenn er an seine Sünden denkt, besonders aber, wenn Gott ihn vor seinen Richterstuhl fordert und ihn seine ganze Schuld fühlen lässt. Nicht ohne Grund also bekennt Hiob seine Verzweiflung, sofern er auf sich selber sieht; dabei aber hat er gleichwohl etwas von Gottes Barmherzigkeit geschmeckt, zu der er immer Zugang hatte. So hat er´s ausgehalten und die große Anfechtung überstanden. So müssen auch wir nach der beschämenden Betrachtung unserer Sünden auf die süße und liebliche Stimme hören, mit der Gott uns zu sich ruft. Denn nicht allein den Engeln und den Frommen verheißt er Heil und Leben; wäre es so, dann würde in dieser Welt jedermann vom Heil und Leben ausgeschlossen sein. Nein, Gott erklärt, er will den Sündern gnädig sein, die in sich selbst ganz niedergeschlagen sind, so dass sie nicht ein noch aus wissen. Macht uns also der Blick auf unsere Sünde traurig und unruhig, dass wir nur noch den Abgrund der Hölle vor uns offen sehen, so müssen wir unsern Trost anderswo suchen und unser Angesicht emporheben, womit er uns zum Heil rufen will, obwohl wir den Verdammten gleich sind.

Hiob aber will seiner Klage über sich freien Lauf lassen. Damit gibt er den Gedanken Ausdruck, die ihn quälen – es sind schlechte und verdammliche Gedanken, aber Hiob lässt uns die Last seiner Traurigkeit sehen, für die es kein Heilmittel mehr gibt, so dass er nur noch über seine Gebrechlichkeit klagen kann. Der Heilige Geist jedoch hat noch etwas anderes vor: Uns soll Hiob Prophet und Lehrer sein, um uns vor Augen zu stellen, wie es innerlich in uns aussieht. Denn wir müssen uns selbst kennen lernen in unserer Schwachheit, damit wir auf der Hut sind, uns im rechten Maß halten und uns nicht hemmungslos unserm Wehklagen überlassen. Hiob weiß wohl, dass er den Prozess mit Gott nicht gewinnen wird, wenn er mit Gott rechten will. Die Menschen meinen sich selbst zu entlasten, wenn sie gegen Gott murren und ungebärdig sind. Damit trösten sich die Gottlosen: hätten sie ihre Gotteslästerungen ausgespieen und ihre Ungeduld recht an den Tag gelegt, so wären sie ihre Bürde los; und doch haben sie damit nichts ausgerichtet, sondern haben ihre Sache nur schlimmer gemacht. Es ist wahr: Haben wir eine Last, die uns beschwert, und können wir sie auf die Erde werfen, so sind wir sie los; aber wenn ich eine Last oder Bürde auf meinen Schultern oder in meinen Armen trage und lege sie mit einem großen Schwung auf mein Haupt, so schlage ich mir den Schädel entzwei. Was hätte ich damit gewonnen? So ist es auch, wenn wir mit Gott rechten wollen; es ist, als würfen wie eine Bürde auf unser Haupt: ob wir wollen oder nicht, sie fällt auf uns zurück, und wir haben den Schaden davon.

Gewiss, Gott will, dass wir wie vertraute Freunde zu ihm kommen und unsere Bürde in seinen Schoß abladen; aber es gibt mancherlei Art, zu ihm zu kommen. In den Psalmen und anderes Schriftstellen heißt es: „Hoffet auf den Herrn allezeit, liebe Leute, schüttet euer Herz vor ihm aus!“ (Ps 62, 9). Gott wird in allen Dingen Rat geben, weil er der Weltregierer ist, weil er alle unsere Nöte heilen und lindern kann, wenn wir allzu sehr darunter seufzen. Alle unsere Nöte können wir in Gottes Schoß ausschütten, er wird sich selbst damit beladen, und wir werden frei davon, wenn wir mit Gebet und Flehen zu ihm kommen. Haben wir so unsern Gott gesucht, und hat er uns das Zeugnis gegeben, er wolle unsern Bitten nicht taub sein, so dürfen wir gewiss sein: er hat uns erhört. Das ist dann die rechte Art, die Bürde abzuladen. Dazu aber kommt uns unser Gott noch entgegen und nimmt unsere Last, die wir ihm bringen, von uns; wer sich aber in seinem Stolz verhärtet, wer sich nur noch von seiner Ungeduld erfüllen und hinreißen lässt, der macht sich an seinen Gott heran, wie wenn einer einen Pfeil gen Himmel schießt – er muss ihm wieder auf den Kopf fallen! Tragen wir Gott unsere Klagen vor, so muss das mit Demut geschehen; unser Vertrauen müssen wir auf die Vorsehung Gottes gründen und auf seine Liebe und väterliche Güte bauen, die er uns bewiesen hat; mit Gebet und Flehen müssen wir zu ihm kommen. Dann werden wir unserer Not entlastet, und Gott schafft Rat für alles, während wir mit Trotz und Bitterkeit unser Los nur verschlimmern. Fühlen wir, dass unser Fleisch die Trübsale, die Gott uns zuschickt, nicht tragen kann, so lasst uns unsere Zuflucht nehmen bei dem, der „den Geist der Stärke hat“ (Jes 11, 2), und zwar nicht für sich, sondern um ihn denen auszuteilen, die seiner bedürfen!

Hiob will zu Gott schreien: Verdamme mich nicht! Zeige mir an, warum du mir den Prozess machst! Hiob redet immer aus seiner Bekümmernis heraus; es ist sein heißer Wunsch, Gott möge mit ihm nicht nach seiner geheimen und verborgenen Gerechtigkeit handeln, sondern ihn prüfen nach seiner gewöhnlichen Weise. Gott hat uns in seinem Gesetz eine gewisse Regel gegeben, und wenn er mit uns handelt nach unserer Missetat, so bekommen wir die Gerechtigkeit Gottes zu sehen, die dort deutlich wird: dort ist unser Prozess schriftlich mitgeteilt, dort bekommen wir die Punkte zu sehen, die gegen uns erwiesen sind, und zwar so deutlich bewiesen, dass wir gänzlich überführt werden. Werden nun die Menschen wegen ihrer Sünden von Gott geplagt, so sehen sie im Gesetz nicht nur ihren Richterspruch, sondern ihren ganzen Prozess. Von Punkt zu Punkt ist dort alles aufgeführt, so dass wir den Kopf hängen lassen müssen. Aber soviel ist sicher: Gott hatte den Hiob nicht auf gewöhnliche Art geplagt, sondern ihn dem Satan übergeben, ihn zu quälen; darum spricht er: Verdamme mich nicht, du habest mir denn zuvor den Prozess gemacht! Das sagt er, weil die verborgene Gerechtigkeit Gottes uns ganz unbekannt und dem Verstande unerreichbar ist. Wir wollen ja immer die Ursache wissen, weshalb Gott so handelt; wir möchten ihn zur Rechenschaft ziehen. Wenn Gott uns betrübt und uns nicht sagt, weshalb, dann sind wir erstaunt, dann sind wir bekümmert: „Wie kann das sein? Gott ist doch gerecht! Muss dann nicht alles, was er tut, nach Recht und Billigkeit geschehen? Aber ich nehme doch nichts davon wahr, nur das Gegenteil!“ So fangen denn die stolzen Menschenkinder an, Gott den Prozess zu machen und in ihrem Kummer und Ärger lauter Vorwürfe gegen ihn zu erheben, gerade wie Hiob in diesem Spruch. Aber soviel ist sicher: Gott hätte ihn einfach davon überzeugen können, dass er seine Strafe mit seinen Sünden vollkommen verdiene. Warum streitet Hiob denn so mit ihm? Scheinbar meint er, er habe nichts zu fürchten, wenn Gott ihn züchtigen wolle nach der Regel seines Gesetzes. Aber nein! Er blickt vielmehr auf den Rat Gottes. Er weiß sich wohl als Sünder, aber er sieht soviel Gottlose in der Welt, die herrlich und in Freuden leben, während er leiden muss, und er ist doch immer bemüht gewesen, Gott mit allen Kräften zu dienen! Woher kommt es denn, dass er so betrübt wird? Das kann doch nur daher kommen, dass Gott in diesem Falle eine ganz besondere Handlungsweise walten lässt. Und deshalb geht Hiobs Begehren dahin, Gott möge ihn nach seiner gewöhnlichen Art behandeln und ihm seine Fehler zu erkennen geben.

Für uns enthält dies Wort Hiobs die heilsame Lehre, dass wir Gott bitten mögen, er wolle uns nicht einfach verdammen, sondern uns fühlen lassen, worin unsere Schuld besteht, er wolle uns erleuchten durch seinen Heiligen Geist, damit wir unser Gewissen erforschen und uns dann vor ihm schuldig bekennen, damit er sich unser erbarme. Auch wolle er uns mit seiner Strafe nicht ganz zu Boden schlagen, sondern uns Raum und Frist geben, an unsere Sünden zu denken. Käme Gott gleich zu Anfang mit einer so großen und stürmischen Gewalt über uns, dass es gleich von vornherein mit uns aus wäre, was würde daraus werden? So viel Verständnis haben wir nicht, dass wir dächten: Gott ist mein Richter, aber dabei hört er doch nicht auf, mein Vater zu sein. Aber wenn man einen verurteilten Verbrecher zum Galgen führt, so ist es wie gefühllos, wie ein Holzblock; wenn man ihm einen Trost darreicht, so ist er gar nicht fähig, ihn anzunehmen. So geht es auch uns: wenn Gott uns auf so furchtbare Weise zu verstehen gibt, dass er unser Widersacher ist, dann haben wir Angst vor dem ewigen Tod, und wir sind so verwirrt, dass uns lauter Finsternis umgibt und wir kein Fünklein Trost mehr haben, uns zu ihm zu wagen. Wir sind von einem derartigen Schrecken befallen, dass uns überhaupt nicht mehr der Gedanke kommt: Ach, mein Gott, du wirst doch der armen Kreatur, die vor dir steht, noch Raum zur Buße geben! Darum müssen wir nach Hiobs Exempel zu Gott zurückkehren und ihn bitten, er wolle uns vor unserer Verdammung den Prozess machen, also dergestalt mit uns umgehen, dass wir Zeit gewinnen, über uns selber nachzudenken. Daher auch die Bitte des Jeremia: „Züchtige mich, Herr, doch mit Maßen!“ (10, 24).

So müssen auch wir tun. Wir sehen heute Gottes Zuchtruten überall in der Welt aufmarschieren, und alles Übel kommt daher, dass man nicht bedenkt, warum Gott die Welt plagt und so furchtbar schlägt. Ja, die Menschen berauschen sich an einem leeren Dünkel, an der tollen Einbildung, dass sie meinen, sie könnten sich selbst vor Gott gerecht machen. Und weil diese Hoffart so tief in unsere Natur eingewurzelt ist, sollen wir umso mehr auf die Bitte bedacht sein, er wolle uns unsere Sünden so spüren lassen, dass wir uns gezwungen sehen, das Verdammungsurteil freiwillig über uns ergehen zu lassen und uns zu ihm zu bekehren. Doch soviel ist sicher: Wenn Gott den Menschen kundgibt, weshalb er mit ihnen rechtet, so gibt es keinen, dessen Prozess nicht in Ordnung verlaufen wäre. Ich meine die Allergerechtesten, ich denke an die Regel des Gesetzes. Gott braucht uns gar nicht zu der erhabenen Gerechtigkeit zu führen, die uns unbegreiflich ist; wir brauchen nur auf der einen Seite unser Leben anzuschauen, auf der andern Seite das Gebot des Gesetzes, und dann unser Werk mit dieser Regel Gottes zu vergleichen – dann stehen wir mit Schmach und Schande da. Und warum prahlen die Menschen so mit ihren Werken, ihren Tugenden und Verdiensten? Nur weil sie noch nicht erkannt haben, was es um Gottes Gericht ist! Nur eine Arznei haben wir: die Bitte an Gott, er wolle sich unser erbarmen, weil wir unsrerseits ihm nichts anderes als lauter Schmach und Schande bringen können.

Nunmehr fährt Hiob fort: Gefällt es dir, mir Unrecht zu tun oder das Werk deiner Hände zu verwerfen und den Rat der Gottlosen zu erleuchten? Hiob beruft sich, um eine Erfüllung seiner Bitte zu erlangen, auf das Wesen Gottes. Gott lässt uns wohl eine solche Sprache zu, wenn wir zu ihm kommen; wir dürfen ja ganz vertraut mit ihm reden, aber es muss mit Demut geschehen. Denn wenn Gott sich so freundlich zu uns herablässt, dass wir uns ihm gar nicht mehr fern fühlen, so geschieht das nicht, um uns frech und hochmütig zu machen, so dass wir ihm verächtlich und unehrerbietig begegnen dürften. Nein, es geschieht, damit uns nicht der Schmerz zu Boden drückt und wir nicht mehr atmen können und keine Hoffnung mehr haben, dass Gott uns ansehen werde. So wird der Glaube der Kinder Gottes fest, nicht in Stolz und Vermessenheit, aber in rechter Demut. Gefällt es dir, mir Unrecht zu tun? Gottes Gerechtigkeit hat ihre Bewährung darin, dass er sich nicht wie Menschen von Eigensucht treiben lässt. Wie kommt ein Mensch dazu, seinem Nächsten Gewalt oder Unrecht anzutun oder sonst wie durch Betrug oder Bosheit Schaden zuzufügen? Er tut es nur, weil er Nutzen davon hat. Warum lässt sich ein Richter bestechen? Warum unterdrückt er die Guten, um den Bösewichtern zu helfen? Warum fragt er nach Ansehen oder Gunst? Nur weil es ihm nützlich scheint, um eines andern Gunst zu gewinnen oder sich zu rächen. Aber das alles trifft bei Gott nicht zu. Darin liegt schon eine Bewährung seiner Gerechtigkeit. Denn wenn Gott die Menschen plagt, greift er dann seine Feinde an? Nein, sein Geschöpf greift er an; denn wir sind das Werk seiner Hände, er hat uns erschaffen und gemacht. Wird er denn seine eigenen Geschöpfe verderben? Nein, Gott kann keine Ungerechtigkeit oder Grausamkeit gegen uns üben. Er kann nicht ungerecht gegen uns handeln, weil er von den Menschen nichts fordert, was sie ihm nicht schuldig sind. Das wissen sie auch ganz gut; denn so böse und verkehrt sie auch sind, sie denken doch immer irgendwie an ihn. Gewiss, sie sind so mit Bosheit durchsetzt und dem Bösen ergeben, dass sie an Gott nicht denken; aber so viel natürliches Empfinden haben sie doch immer, dass sie, wenn sie sehen, es sei nicht gut oder nützlich für sie, ihrem Nächsten Gewalt und Unrecht zu tun, es auch nicht tun. So denn die Menschen, die doch arg sind, nur dann Böses tun, wenn sie Nutzen davon haben, sollte dann Gott, der Brunnquell aller Güte und die Richtschnur alles Rechten, uns Böses tun oder uns ungerechterweise plagen, ohne Nutzen davon zu haben? Schon das spricht für die Gerechtigkeit Gottes.

Zudem hat uns Gott in die Welt gesetzt als ein Zeugnis seiner Macht und Gerechtigkeit, Güte und Weisheit. Sollte er uns denn ohne Ursache verderben? Alle Augenblicke reizt uns der Satan zur Aufsässigkeit gegen Gott, als wäre er zu streng gegen uns und behandle uns ungerecht. Da müssen wir uns selber einen Zügel anlegen und sagen: Du elende Kreatur, gegen wen lehnst du dich auf? Es dünkt dich, dein Gott tue dir Unrecht – ist das möglich? Du bist voller Sünden, du bist voller Bosheit, Betrug und Arglist, und gleichwohl siehst du nur auf deinen Nutzen, wenn du jemandem Böses tust; und wenn du jemandem Schaden zufügst, so tust du es nur, um aus seinem Schaden Gewinn zu ziehen. Kann aber dein Gott etwas an dir gewinnen? Willst du ihn denn zum Gesellen deiner Ungerechtigkeit und Sünde machen? Wenn wir die Sache so ansehen, so müssen wir doch einen Abscheu davor haben, so über die Gerechtigkeit Gottes zu urteilen und uns so in einen Streit mit ihm einzulassen! Gott hat dich in die Welt gesetzt, er hat seine Gedanken über dich ausgegossen, die großen Schätze seiner Güte! Siehst du deinen Leib an, da hast du Grund genug zum Entzücken und Verwundern. Du müsstest ja von Sinnen, ja vom Teufel besessen sein, wolltest du dich unterfangen, deinem Gott irgendeine Grausamkeit zuzuschreiben, der sich so gütig und freundlich gegen dich erwiesen hat.

Noch mehr können wir uns das folgende Wort zunutze machen: Gefällt es dir, den Rat der Gottlosen zu erleuchten? Denn nichts ärgert uns so, wie wenn wir die Bösen und Gottesverächter frohlocken sehen, als ginge alles nach ihrem Willen; triumphierend spotten sie über Gott und sein Evangelium und uns, seine Bekenner. Gott sucht seine Kirche heim: das ist ein Triumph für die Gottlosen; nun meinen sie gewonnen zu haben, Gott steht ja auf ihrer Seite. Darnach kommt neues Unheil, es geht alles drunter und drüber; statt dass wir befestigt werden, die Zahl der Gläubigen wächst, und wir in allem Guten und im Glauben gestärkt werden, sehen wir viele heuchlerische Gläubige frech und ruchlos werden, viel mehr als die offenbaren Feinde. Noch anderes sehen wir – es besteht kaum Hoffnung auf ihre Besserung. Das bekümmert uns. Darum denken wir: Wie kommt es doch, dass Gott das zulässt? Es scheint, als wolle er die Gottlosen groß machen, als wolle er ihnen den Mund auftun, damit sie ihre Lästerungen gegen ihn ausspeien! Es hat den Anschein, als wäre er unser Widersacher, ja, als mache es ihm Vergnügen, uns zu plagen und uns alle Schmach anzutun. Will Gott so „den Rat der Gottlosen erleuchten?“ Will er sich auf ihre Seite stellen? Will er sich ihrer Verderbtheit und ihres Schmutzes teilhaftig machen? Auf solche törichten Gedanken könnten wir kommen. Umso mehr müssen wir gegen solche Anfechtungen gewappnet sein; das stellt uns Hiob hier vor Augen. Er gesteht, diese Versuchung sei auch über ihn gekommen, doch habe er ihr widerstanden. Denn er bezeugt, es sei unmöglich, dass Gott dem Bösen nicht zuwider sei; denn seiner Natur nach hasst er es, er müsste sonst sich selbst verleugnen. Als Richter der Welt muss Gott alles Unrecht hassen. Darum sollen wir wissen: Er wird den Rat der Gottlosen niemals zu Ehren bringen, ihn niemals gutheißen. Nein, er will uns nur in der Geduld üben, will uns gegen alle Ärgernisse wappnen; wenn wir die gottlosen Feinde der Wahrheit mit dem Hinweis auf all die Verwirrung in der Welt über Gott und uns spotten sehen, sollen wir denken: Deshalb steht Gott doch nicht auf ihrer Seite; denn am Ende müssen sie doch in ihrem Stolz zu Schanden werden. Wir müssen denken, wie es auch Christus ausspricht: „Dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis“ (Luk 22, 53). Wenn die Dinge in Dunkel und Verwirrung sind, so ist das das Reich der Finsternis; aber Gott wird die Finsternis vertreiben und uns am Ende die Sonne scheinen lassen – das ist uns ja ganz gewiss verheißen. Lasst uns warten in Sanftmut: Gott kann unmöglich dem Rat der Gottlosen zustimmen, sosehr er das scheinbar im geheimen tut. Wir müssen geduldig sein bis ans Ende; denn er wird uns zu rechter Zeit beweisen, dass wir mit unserm Warten nicht betrogen waren.

Hiob schließt: Hast du denn Fleischesaugen? Siehest du, wie ein Mensch sieht? Sind deine Tage wie die der Menschen? Deine Jahre wie die Zeit eines sterblichen Menschen? Gott hat es also nicht nötig, lange Untersuchungen gegen uns anzustellen: Herr, alle Dinge sind dir bewusst, ja, vor der Erschaffung der Welt waren sie dir schon gegenwärtig. Du brauchst es also nicht zu machen und die Verbrecher auf die Folter spannen. Das tun sie, weil sie nicht recht Bescheid wissen – du aber hast das nicht nötig. Warum gehst du denn so streng mit mir um? Hiob hat Gottes Wesen ganz richtig erkannt, aber er zieht einen falschen Schluss daraus; denn aus seinen Worten spricht eine maßlose innere Unruhe. Die Hauptsache ist, dass wir von dieser Lehre die rechte Anwendung auf uns machen. Während Hiob getröstet werden möchte, weil doch Gott nicht Augen habe wie ein sterblicher Mensch, wollen wir etwas anderes daraus lernen: Wenn Gott uns betrübt, so geschieht das nicht, weil er auf diese Weise erfahren will, was ihm unbekannt oder verborgen wäre, sondern weil er uns dadurch zur Selbsterkenntnis bringen will. Wie kommt es, dass Gott uns so lange schmachten lässt, während es uns doch schon im ersten Augenblick wegraffen könnte? Es geschieht nur, damit wir umso mehr über uns selber nachdenken. Hier widerspricht sich nun Hiob selbst. Zuerst sagte er: Verdamme mich nicht! Zeige mir an, weshalb du mir den Prozess machst! Und nun will´s ihm Gott anzeigen – aber Hiob erkennt es nicht; er spricht immer nur davon, der Druck laste zu schwer auf ihm; und seine Geduld war längst nicht so vollkommen, wie sie es hätte sein müssen. Es kann oftmals geschehen, dass wir von Gottes Hand geschlagen werden und, kaum dass wir einem Übel entronnen sind, bereits in ein anderes geraten und immer matter werden und kein Ende unserer Not sehen, und wenn wir den einen Fuß aus dem Schlamm ziehen wollen, der andere sich umso tiefer hineinsenkt – aber dann sollen wir wissen: Gott plagt uns nicht, weil es ihm Vergnügen machte oder weil er Gewinn oder Vorteil davon hätte, sondern sicherlich will er uns auf diesem Wege zu sich ziehen. Es soll uns also dazu dienen, dass wir die Trübsale süß und lieblich finden, weil wir merken, dass sie uns zum Besten dienen.

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