Calvin, Jean - Der zweite Brief des Apostels Petrus - Einleitung
Dass, wie Eusebius 1) berichtet, einst dieser Brief Zweifeln begegnete, darf uns nicht abhalten, ihn zu lesen. Denn was unbekannte Menschen über ihn gesagt haben, bedeutet keine Autorität. Auch fügt derselbe Schriftsteller hinzu, dass der Brief später allenthalben ohne Widerspruch angenommen wurde. Mehr Eindruck macht auf mich die Mitteilung des Hieronymus 2), dass manche wegen des eigenartigen Stils Petrus nicht als Verfasser hätten gelten lassen. Gewiss lässt sich manche Verwandtschaft zwischen den beiden Petrusbriefen zeigen; aber ich muss doch einen handgreiflichen Unterschied zugestehen, der auf verschiedene Schriftsteller schließen lässt. Auch andere Anzeichen machen es wahrscheinlich, dass ein anderer als Petrus die Feder geführt hat. Dabei herrscht doch Übereinstimmung darüber, dass der Brief nichts enthält, was eines Petrus unwürdig wäre, dass man vielmehr überall die Kraft und Anmut apostolischen Geistes spürt. Nimmt man ihn also als ein Stück der heiligen Schrift an, so muss man Petrus als Verfasser betrachten, dessen Name nicht bloß an der Spitze steht, sondern der auch selbst als einen Mann sich gibt, der mit Christus verkehrt hat. Denn sich als eine andere Person darzustellen, wäre eine eines Dieners Christi unwürdige Täuschung. Hält man also den Brief für glaubwürdig, so bin ich der Ansicht, dass er von Petrus stammt.
Er braucht ihn aber nicht selbst geschrieben zu haben. Vielmehr mag irgendeiner von seinen Schülern in seinem Auftrag zu schriftlichem Ausdruck gebracht haben, was die Not der Zeit erforderte an Belehrung und Ermahnung. Denn wahrscheinlich war Petrus damals hoch betagt. Sagt er doch, er sei dem Tode nahe. Und es ist möglich, dass er auf die Bitte von Gläubigen hin es zuließ, dass dieses seiner Gesinnung entsprechende Zeugnis gegen seinen Tod hin unter seinem Namen hinausging, weil es nach seinem Tode gute Dienste leisten konnte, die Guten zu stärken und die Gottlosen zu widerlegen. Da in allen Teilen des Briefes sich ohne Zweifel die Majestät des Geistes Christi beweist, trage ich Bedenken, ihn ganz zu verwerfen, wenn ich auch die echte Sprechweise des Petrus in ihm nicht zu erkennen vermag. Weil übrigens Gewissheit bezüglich des Schreibers nicht besteht, werde ich mir erlauben, ihn bald als Petrus, bald als einen Apostel zu bezeichnen.
Jetzt gebe ich in aller Kürze die Inhaltsübersicht. Der Zweck des Briefes ist, zu zeigen, wer einmal den rechten Glauben an Christus bekannt habe, solle sich bis ans Ende im Einklang mit seiner Berufung halten.
Nachdem der Apostel Gottes Gnade gepriesen hat, mahnt er die Leser zur Heiligung ihres Wandels, da Gott meist das trügerische Sichbrüsten mit seinem Namen an den Heuchlern durch schreckliche Verblendung strafe. Dagegen lasse er seine Gaben bei denen zunehmen, welche der Lehre der Frömmigkeit wahrhaft und von Herzen zugetan seien. Er mahnt also, seine Berufung durch einen gottesfürchtigen Wandel zu betätigen. Und um dieser Mahnung mehr Gewicht zu geben, weist Petrus auf sein nahes Abscheiden hin (1, 14). Zugleich entschuldigt er sich, dass er dasselbe öfter wiederhole. Er tue es, damit sie nach seinem Tode sich tiefer einprägten, was er bei Lebzeiten geschrieben hätte.
Da aber der Grund der ganzen Gottesfurcht die Untrüglichkeit des Evangeliums ist, so beweist er dessen allen Zweifeln entnommene Wahrhaftigkeit zunächst dadurch, dass er auf seine Augenzeugenschaft für den gesamten Inhalt des Evangeliums hinweist, vor allem darauf, dass er Christus aus dem Himmel habe „Sohn Gottes“ nennen hören (1, 17). Sodann erinnert er daran, dass diese Untrüglichkeit nach Gottes Willen durch die prophetischen Weissagungen bezeugt und bestätigt sei. Zugleich sagt er jedoch voraus (2, 1 ff.), dass einerseits von falschen Lehrern, die gottlose Wahngebilde verbreiteten, anderseits von Gottesverächtern, die alle Frömmigkeit verhöhnten, Gefahr drohe (3, 1 ff.). Dadurch sollen die Gläubigen zur Vorsicht gemahnt und gefestigt werden. Der Apostel scheint dies mit Absicht zu bemerken, damit man sich nicht ein ruhiges, gleichmäßiges, allem Kampf entnommenes Leben unter dem Zepter Christi erträume.
Die Gläubigen mahnt er ferner (3, 11 ff.) mit aufgehobenem und aufrichtigem Herzen der Ankunft Christi stets gewärtig zu sein. Nicht allein aber das: sie sollen sich jenen Tag als schon gegenwärtig vor Augen stellen. Bis dahin aber müssten sie sich unbefleckt für den Herrn erhalten. Dafür beruft sich Petrus auch auf das Zeugnis und die Übereinstimmung mit Paulus (3, 15). Um dessen Schriften vor der Beschimpfung der Gottlosen zu schützen, verurteilt er alle aufs strengste, welche sie verdrehen.