Nr. 98 (C. R. – 474)
Calvin, Jean - An die Pfarrer in Neuchatel.
Die beiden Pfarrer, Chaponneau (Capunculus) und Courtois (Cortesius), sein Schwiegersohn, hatten Farel und Calvin angegriffen, ihre Meinung über die Trinität und die Person Christi sei nicht korrekt orthodox.
Calvin verteidigt seine trinitarische und christologische Orthodoxie.
Es tut mir sehr leid, im Herrn geliebteste Brüder, dass mir Euer Brief nicht früher übergeben wurde. Hätte ich ihn zur rechten Zeit erhalten, so hätte ich, wenn auch nicht vollständig, so doch zum Teil Eurem Wunsch Folge geleistet. Es geschah also nicht durch meine Nachlässigkeit, dass ich nicht auf den festgesetzten Tag nach Neuchatel kam oder eine Antwort dazu schickte, sondern weil Jean Rogier, der Chirurg, mir Euren Brief mit den berühmten Thesen Courtois´ erst fünf Tage nach seiner Ankunft übergab. Da nun aber der festgesetzte Zeitpunkt bereits vorbei war, so glaubte ich mich nicht weiter beeilen zu müssen und eine Schreibgelegenheit abwarten zu können. Nun bot sich mir hier unser lieber Michel als geschickter Bote an, der Euch meine Antwort treulich bringen wird. Ich könnte mich nur wundern, was Chaponneau antriebe, die Kirche in Verwirrung zu bringen, wenn ich seine Art nicht schon längst kennte. Nur darüber kann ich meine Verwunderung noch nicht zurückhalten, weshalb und unter welchem Vorwand er gerade mit mir disputieren will. Täte er es, gereizt durch mich, so wäre sogar das noch keine genügende Entschuldigung. Denn wir sind nicht in unser Amt berufen, nur miteinander zu streiten, sondern um einmütig und nach gemeinsamem Feldzugsplan unter Christi Fahne zu kämpfen. Nun aber, da doch nie, soviel ich weiß, irgendwelche Eifersucht oder Streitigkeit unter uns war, da muss doch einer ganz ohne Verstand sein, der im tiefsten Frieden auf einmal so frech ins Horn bläst. Und welche Dummheit ists erst, dass einer, der nie die Grundbegriffe der Grammatik recht gelernt hat, in allen Gebieten der Wissenschaft groß tut! Freilich ists jetzt nicht das erste Mal, dass er sich in eitler Prahlerei so erfrecht. Ich besinne mich, dass, als Alciato einmal beiläufig die Theologaster von Löwen tadelte, weil sie gewagt hatten, sich der Gründung einer Schule der drei klassischen Sprachen in Löwen zu widersetzen, da hat dieser Chaponneau in lärmender Rede heftig gegen das Studium der Sprachen und des weltlichen Rechts deklamiert! Alciato, durch solche Maßlosigkeit beleidigt, hielt es freilich unter seiner Würde, sich in einen Streit mit ihm einzulassen; aber zeigte ihn der Obrigkeit an und forderte Bändigung seiner Frechheit. Es geschah das auch, nicht ohne Schande für Chaponneau. Jetzt sollte ihn freilich schon sein jetziger Wohnort und sein Amt vernünftiger machen. Weil er sich aber ohne Vernunft zu blindem, zügellosem Angriff fortreißen lässt, will ich nicht daran denken, was seine Frechheit eigentlich verdiente, sondern daran, was sich für mich schickt. Jedenfalls werde ich das nie zugeben, dass er sich rühmt, er sei von mir gereizt und in diesen Kampf hineingezogen worden. Würde er doch zur rechten Zeit ruhig und ließe auch andere in Ruhe! Tut ers nicht, so ists an Euch, kraft Eurer Autorität und mit gesetzmäßigem Urteil von Kirche und Obrigkeit seinen Übermut zu unterdrücken. Nicht ohne Grund schreibt Paulus, wer gelten wolle im Reich Christi, müsse eine neue Kreatur sein [Gal. 6. 15]. Und doch glaube ich nicht, dass es damals schon solche skandalsüchtige, aufdringliche Leute gegeben hat, die ohne Grund nicht nur zum Wortstreit, sondern zum Dreinschlagen bereit waren. O, wie bös ist unsere Zeit! Kann einer, wenn auch im entlegensten Winkel, doch noch in der Kirche bleiben, der sich auf offenem Mark großsprecherisch rühmt wie einer Heldentat, dass er mit seinem Kollegen fast handgemein wurde? der sich weigert, ohne Zwang durch die Obrigkeit dem Kollegium der Brüder zu gehorchen? der die Flammen des Aufruhrs in seinem Hause hegt und schürt? der getrennt von allen andern Beratungen abhält? von anderm, das nicht hierher gehört, ganz zu schweigen.
Übrigens weiß ich nicht, weshalb ihr meinet, die Thesen, die er nach Euerm Verdacht seinem Schwiegersohn Courtois eingeblasen hat, zielten zum größten Teil auf mich. Eine Stelle ists, in der er offen mich heran nimmt. Außerdem sehe ich nichts, was auf mich ginge. In dieser einen Stelle verkündet er wie ein Orakel, die seien Ketzer, die glaubten, Christus sei, nach seiner göttlichen Natur, absolut eignen Wesens. Die Antwort darauf ist leicht zu geben. Zuerst soll er mir antworten, ob Christus wahrer, vollkommener Gott ist? Will er Gottes Wesen nicht teilen, so muss er zugeben, dass er ganz in Christo ist. Auch sagt Paulus ausdrücklich: denn in ihm wohnet die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig [Kol. 2, 9]. Ich frage nochmals: Ist diese Fülle der Gottheit etwas Absolutes oder etwas Abhängiges? Aber, wird Courtois einwerfen, der Sohn hat sein Wesen doch vom Vater. Wer leugnet das? Das habe ich nicht nur stets gerne bekannt, sondern auch verkündet. Aber das ists, worüber sich diese Esel täuschen; sie bedenken nicht, dass das Wort Sohn nur von Christus als zweiter Person der Trinität gebraucht wird und deshalb ein relativer Begriff ist. Diese Beziehung auf die Trinität besteht nun aber nicht, wo man einfach von der Gottheit Christi redet. Darüber spricht Augustinus fein in der Erklärung zum 68. Psalm; auch unsere Gegner prahlen ja mit diesem Schriftsteller, obwohl sie von ihm wohl nie etwas gelesen haben als, ich weiß nicht welche Gesänge. Augustinus sagt: „Fragt einer, ob der Vater dasselbe sei wie der Sohn, so antworte: Nach dem Wesen sind sie gleich, nicht nach dem, was sich auf etwas anderes bezieht. Nämlich Christus heißt an sich Gott, nur in Beziehung auf den Vater heißt er Sohn. Wiederum der Vater heißt an sich Gott, nur in der Beziehung auf den Sohn Vater. Wo es in Beziehung auf den Sohn Vater heißt, da ist es natürlich nicht der Sohn, und wo es in Beziehung auf den Vater Sohn heißt, da nicht der Vater. Aber wo absolut Vater steht oder absolut Sohn, das ist Vater und Sohn derselbe Gott“. Soweit Augustin. Macht man dieser Unterscheidung [zwischen relativer und absoluter Sprachweise], bitte, was bleibt da weiter zweideutig? - - Wenn dadurch Chaponneaus Hartnäckigkeit noch nicht überwunden ist, so weigere ich mich nicht, von einer solchen Bestie Ketzer gescholten zu werden; habe ich doch Cyrill zum Genossen, der sogar dieselben Worte mehr als einmal braucht. Aber welche Tollheit ist es, eine Ansicht als Ketzerei zu verrufen, die sowohl aus der heiligen Schrift als aus den Schriften der alten Väter berühmte Zeugnisse für sich hat? Diesen Punkt ausgenommen, bemerke ich nicht, was sich gegen mich wenden wollte. Freilich geht auch das nicht mich allein an, sondern Euch alle, da Ihr zugleich mit uns, ein Bekenntnis anerkannt habt, dass Solches enthält. An Euch ists also, in Euer aller Namen, die Euch und der Wahrheit angetane Schmach zu rächen. Tut Ihr es nicht, so habe ich meinesteils mich entschlossen, nicht nachzugeben. Ich meine, wenn der, der sich als Verfertiger dieser Thesen bekennt, noch in Neuchatel ist.
Was soll ich mich und Euch zugleich umsonst ermüden, indem ich auch noch die andern [Thesen] behandle. Er predigt viel von Liebe und tadelt hart, dass sie nicht besser gewahrt werde. Aber ich möchte wissen, welche Liebe das ist, von der Kirche Leute trennen zu wollen, die im Sinne der Lehre ganz richtig mit allen Frommen übereinstimmen und nur ein paar Ausdrücke verschmähen? Was ist händelsüchtiger, schreibt Augustin an Pascentius im 124. Brief, als da, wo man in der Sache einig ist, über den Namen zu streiten. Wenn wir ihm nur verdächtig wären, so wollt´ ich es ihm noch verzeihen, aber in so bestimmtem, hartem Aburteilen kann ich den milden Sinn der Liebe gar nicht erkennen. Über das Wesen Gottes hätten die Väter vor Christi Geburt keine Anschauung gehabt, sagt er. Was für kindische Dummheiten sind das! Ich bitte Euch, mit welchen Augen wird denn jetzt Gottes Wesen von den Seelen der Abgeschiedenen geschaut? Glaubt er etwa, Gottes Herrlichkeit wird in ihrer ganzen Größe von ihnen erkannt. Er wird sagen, sie wird erkannt, nicht wie sie ist, sondern wie sie die Schwäche unseres Verständnisses erträgt. Also fasse ich es so auf, in seiner bestimmten Art wurde das Wesen Gottes auch vor der Ankunft Christi erkannt; jetzt wird es klarer erkannt; vollständig ist die Anschauung, wann wir ihm ähnlich sein werden. Aber, wirft er ein, der ganze Chor der Heiligen widerspreche dem. Wo hat er denn den Chor der Heiligen ein solches Lied singen hören? Er sagt, das sei nicht nötig gewesen. Warum nicht? Er rühmt sich, das sei ganz leicht zu beweisen. So soll er doch zeigen, wie leicht der Beweis ist.
Bis dahin hat es mir beliebt, mit ihm auf Torheiten einzugehen. Nun will ich ernstlich reden. Wohin zielen, ich beschwöre Euch, diese Spekulationen? Sind solche Sätze wie die folgenden nicht von der Art, die Paulus so sehr verabscheut? Dass der heilige Geist nicht so mit der Taube vereinigt gewesen sei, dass er eine Person gebildet habe, wie es in Christo wohl über dem Streit steht, glaube ich. Dass er Joseph und Nikodemus den vollkommenen Glauben abspricht, darin weiche ich nicht von ihm ab; nur soll er ihn dann keinem andern zuteilen. Dass der Geist der Prophetie nicht immer auf die Propheten beschränkt blieb, beweist Saul. Das gebe ich zu. Aber vielleicht versteht er das auch anders, so dass er meine Einwilligung nicht erhielte. Über Ananias und Saphira muss er erst zeigen, dass noch ein anderes Verbrechen außer ihrer Lüge an ihnen gestraft worden ist, wenn er will, dass man seiner Erfindung Glauben schenken soll. Dass er die Allegorie so mutig verteidigt, wundert mich nicht. Denn die Leute, die kein Körnlein Verständnis haben, wenn sie nicht mit kalten, geschmacklosen Allegorien spielen können, kämpfen mit Recht für die allegorische Auslegung nicht anders als für Haus und Herd. Aber ich bin schon weitläufiger geworden, als ich wollte. So will ich schließen. Lebt wohl, sehr geliebte Brüder im Herrn. Der Herr lasse Eure Weisheit und Stärke wachsen mehr und mehr, dass Ihr, wie Ihr angefangen, auch fortfahret in der Erbauung seiner Kirche. Amen.
Genf, 28. Mai 1543.
Euer
Johannes Calvin.