Calvin, Jean - An einen uns unbekannten Freund.

Nr. 84 (C. R. – 384)

Calvin, Jean - An einen uns unbekannten Freund.

Die erwähnten Genfer Kollegen sind Jacques Bernard, Aime Champereau und Henri de la Mare. Der dritte dankte bald ab. Calvins und Farels eigentliche Nachfolger Marcourt und Morand hatten es schon vor seiner Rückkehr getan. Calvin arbeitete an der dritten lateinischen Ausgabe seines Hauptwerks Institutio religionis christianae.

Die neue Genfer Kirchenzucht.

Um dir von meinem Ergehen etwas zu berichten, dass du nicht nur vom Hörensagen von mir weißt, so habe ich viel Mühe, teils das Zusammengebrochene wiederherzustellen, teils das Bestehende irgendwie zu erhalten. Während mich der Reichstag aufhielt, hatten die Berner den Unsern Viret sozusagen leihweise abgetreten, bis zu meiner Ankunft. Er hat mir viel erleichtert, aber doch nicht erreicht, dass nicht auch jetzt noch alles recht schwierig ist. Als man ihn zurückverlangte, habe ichs durchgesetzt, dass mir sein Urlaub um ein halbes Jahr verlängert wurde. Unterstützt durch seine Mitarbeit, seinen Rat, seine Treue und seinen Eifer, habe ich allenthalben in bessere Form gebracht, was ganz umgestürzt oder doch zerbrochen, verstümmelt und verzettelt war. Zuerst musste man den Anfang damit machen, ein Kirchengesetz abzufassen. Es wurden uns sechs Ratsmitglieder beigeordnet zu seiner Abfassung. In zwanzig Tagen haben wir eine Gesetzesvorlage aufgestellt, die zwar durchaus nicht vollständig genug, aber doch im Verhältnis zur Kraftlosigkeit unserer Zeit recht erträglich ist. In der Volksabstimmung wurde sie angenommen. Dann wurde ein Gericht zur Ausübung der Sittenzucht und zur Wahrung der Kirchenordnung eingesetzt. Denn ich wollte, wie es billig ist, die geistliche Gewalt von der bürgerlichen Gerichtsbarkeit unterschieden wissen. So ist auch die Ausschließung vom Abendmahl wieder in Gebrauch getreten. Als in Deutschland teils die Pest, teils der Krieg wütete, bewirkte ich, dass ein außerordentlicher Bettag beschlossen wurde. Die dabei zu brauchenden Gebete habe ich geschrieben. Dazu habe ich neue [liturgische] Formeln gefügt, um bei der Verwaltung der Sakramente eine längere und deutlichere Erklärung zu haben. Schließlich kam ich zum Katechismus, bei dessen Abfassung mir der Herr, wie ich glaube, beigestanden hat. Das sind ja freilich Arbeiten von wenigen Tagen gewesen, aber bei so vielen Abhaltungen, die mich bald hierhin, bald dorthin rufen, ist jede Arbeit schwierig. Denn ich besinne mich nicht, dass seit ich hier bin, mir nur einmal zwei Stunden vergönnt gewesen wären, in denen man mich nicht in Anspruch nahm. Rechne dazu, dass ich noch die lateinische Institutio fertig bringen musste, die mich, wie du bei ihrem Erscheinen merken wirst, nicht wenig Schweiß gekostet hat. Aber das alles wäre mir leicht zu ertragen, im Vergleich mit einem andern Übelstand, der mich wunderlich quält. Wir haben nämlich Kollegen, die uns recht wenig passen. Zwei von ihnen sind damals, als wir vertrieben wurden, in unsere Stellung eingedrungen; ein andrer ist seither, ich weiß nicht wie, eingeschlichen. Denn zwei von denen, die gleich anfangs die vakant gewordenen Stellen besetzt hatten, haben es selbst besser gefunden, sich davon zu machen. Der dritte hat mich auch bereits um einen Teil der Last erleichtert und um Entlassung gebeten, die er ohne Schwierigkeit erhielt. Bleiben noch zwei, die mir sehr viel zu tun geben werden, wenn sie nicht zur Vernunft kommen. Der eine von wilder, besser grimmiger Gemütsart, gehorcht keinem guten Rat. Der andere aber, schlau und verschlagen, ist ganz aus Lüge und List zusammengesetzt. Beide sind daneben ungelehrt und hochmütig. Zur Unwissenheit kommt noch sorglose Fahrlässigkeit, da sie nie auch nur im Traum daran gedacht haben, was es heißt, einer Gemeinde vorzustehen. Unter solchen Dornen muss ich leben. Du fragst, warum ich denn das müsse. Ich wills dir in ein paar Worten auseinander setzen. Du weißt, im Fass bleibt eine Hefe zurück, die man nicht ausschöpfen kann, ohne dass der klare, reine Wein verdirbt. So ists mir hier gegangen. Als ich hierher kam, hätte ich sie, wenn ich gewollt hätte, mit einem Wörtlein wegbekommen können; aber ich erwog, was die damalige Zeitlage ertrug. Es war damals in der Gemeinde zu Neuchatel der entsetzliche Lärm losgebrochen, den zu dämpfen ich auf meiner Reise dorthin abbog. Ich erreichte freilich nichts, als dass die Gemüter sich allmählich beruhigten und es möglich wurde, an Heilung zu denken; wobei ich freilich sah, wie schwierig sie noch sein werde. Hier war mir niemand zur Hand, den ich hätte einsetzen können, wenn ich jemand hätte beseitigen lassen. So wäre die Gemeinde verwaist geblieben, wenn ich etwas derart unternommen hätte. Ein drittes Hindernis lag darin, dass wir die Ordnung der Kirchenzucht noch nicht festgestellt hatten, mit der ich sie hätte angreifen können. Durch eine gewaltsame Art der Vertreibung aber wollte ich kein böses Beispiel geben, weder für damals gerade, noch für die Zukunft. Auch das hielt mich in gewisser Weise zurück, dass die Gefahr bestand, man könnte mich verdächtigen, ich verfahre mehr aus persönlicher Rachsucht als aus wahrem Eifer so leidenschaftlich in dieser Sache. Freilich hätte das allein mich nicht zögern lassen, wenn die übrigen Umstände günstig gewesen wären. So beschloss ich bei mir, sie in jeder Weise zu ertragen, da keine Möglichkeit war, sie wegzubringen. Es war mir dabei nicht verborgen, welch harten Zwang ich mir damit auflegte. Denn es ist nicht genug, wenn man einen Kollegen neben sich behält; man muss auch zugleich Frieden mit ihm halten. Und ich wusste wohl, dass Friede nicht bestehen könne, wenn ich ihn nicht mit großer Mäßigung und Toleranz erkaufe. Aber, fragst du, ist denn das so hart? Gewiss, wie du mich kennst, kannst du leicht beurteilen, dass es mir nicht leicht fällt. So tue ich meiner Eigenart Gewalt an und halte durch meine Mäßigung ihren bösen Willen so im Zaum, dass er nicht offen ausbrechen kann. Sie leugnen es auch selbst gar nicht, dass sie von mir viel freundlicher beurteilt worden sind und heute noch behandelt werden, als sie es je zu hoffen wagten. Auch habe ich nicht nur gegen sie, sondern auch gegen die andern Überbleibsel der Partei [unsrer Gegner] diese Mäßigung angewendet, so dass sie, sie mögen wollen oder nicht, gezwungen sind, es anzuerkennen und zu loben. Denn wenn du wüsstest, wie leicht ich den Beifall des Volkes hätte finden können, wenn ich mit vollen Segeln auf sie eingefahren wäre, so wundertest du dich, dass ich diese Gelegenheit habe vorbeigehen lassen. Als ich damals im Rat redete, habe ich die Ehre meiner Amtsstellung so verteidigt, dass ich die Gegner durchaus schonte. Was nützte es, das wirst du auch sagen, über tote Hunde zu triumphieren? und doch fändest du ganz gewiss viele, die sich kaum Zügel angelegt hätten. Als ich zum ersten Mal wieder in der Predigt vors Volk trat, da war jeder gespannt und in großer Erwartung. Ich ließ aber die Erwähnung der Dinge, die alle bestimmt erwartet hatten, ganz weg und sagte ein paar Worte über Art und Weise unserer Amtsführung und hob dann mäßig und mit Takt unsere lautere Treue hervor. Nach dieser Einteilung nahm ich die Bibelstelle zur Erklärung vor, bei der ich seinerzeit stehen geblieben war; ich wollte damit zeigen, dass ich mein Lehramt nur auf eine gewisse Zeit unterbrochen, nicht aber aufgegeben habe. Im Betreff unserer Reinigung von den Verleumdungen, die jene Frevler über uns ausgestreut hatten, war mir das Volk schon zuvorgekommen. Denn in dem Volksbeschluss, der über meine Rückberufung gefasst worden war, hatten sie mich ihren treuen Hirten genannt. Ein zweiter Volksbeschluss war darauf gefolgt, in dem Rat und Volk bekannte, es sei uns schweres Unrecht geschehen und Gott um Verzeihung für diese Schuld bat. Nach meiner Rückkehr habe ich erreicht, dass eine Gesandtschaft an meinen Kollegen Guillaume [Farel] gesandt wurde, mit der Bitte, er solle seine frühere Herde auch wieder einmal besuchen; dann auch noch eine in die Stadt, wo der andere [Couraut] begraben liegt, um für den Toten in jener Gemeinde Zeugnis abzulegen. Da hast du nun einen Teil von dem, was ich erlebt habe. Du, lieber Bruder, bitte nun Gott, dass er das alles zu gutem Ende leite und mir Rat, Mut und Kraft verleihe, sein Werk treu und klug zu vollführen. Denn je weiter ich komme, umso besser spüre ichs, welch arbeitsreiche und schwierige Aufgabe über übernommen habe. Wenn du einmal hierher zu uns kommen kannst, so weißt du, welche Freude es mir wäre, dich zu sehen. Ich hoffe die nächsten Herbstferien werden dir dazu passen. Leb wohl, liebster Bruder.

Genf. [Ende Januar 1542].

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