Nr. 356 (C. R. – 1701)
Calvin, Jean - An John Cheke in England.
John Cheke war der Erzieher Eduards VI. von England. Calvin war von England aus aufgefordert worden, auch an ihn einmal ein Schreiben zu richten.
Ausdruck herzlichen Wohlwollens.
Ich habe dir, hochberühmter Mann, bisher nie geschrieben, damit es nicht den Anschein habe, ich wolle etwas anderes, als was ich mir erlauben darf. Denn da die Freundschaften der Welt so falsch sind, da überall Ehrgeiz und Eitelkeit herrscht, und nur sehr wenige aufrichten Sinn hegen, so muss uns fast jeder verdächtig sein, dessen Ehrlichkeit wir nicht ganz genau kennen. Schließlich fiel mir aber ein, ich hätte mehr als genügenden Grund, dir zu schreiben, da es mir, der ichs mehrmals wagte, an den König selbst zu schreiben, doch durchaus nicht anstünde, dir nie einen Brief zu senden, durch dessen Wirken nächst Gottes Gnade es doch dazu gekommen ist, dass ich und andere Knechte Christi beim König Zutritt haben. Für die Vergangenheit kann ich mich ja leicht damit entschuldigen, dass ich anfangs fürchtete, die Leute, auf deren Zureden ich schrieb, könnten es als geringes Zutrauen übel nehmen, wenn ich zur Übergabe der Briefe andere Hilfe als die ihre in Anspruch nähme, und dass ich dir, den ich ja noch gar nicht näher kannte, nicht lästig fallen wollte. Lag darin ein Fehler, so musst du es eher der Zaghaftigkeit, als einer Nachlässigkeit zuschreiben. Denn wenn ich dich auch schon früher nach Gebühr achtete, veranlasst durch den Ruf deiner großen Frömmigkeit und hervorragenden Gelehrsamkeit, so hat doch das vor allem dir die Zueignung aller Guten gewonnen, dass England diesen nicht nur sehr begabten, sondern an Tüchtigkeit über sein Alter reifen, durch deine Wirksamkeit ausgebildeten König hat, der in diesen elenden Zeitläufen der leidenden, ja ganz darnieder liegenden Kirche hilfreiche Hand bietet. Sicherlich, der Herr hat, da er dich dieser Ehre würdigte, dir nicht nur die verpflichtet, die unmittelbaren Nutzen davon haben, sondern alle, die die Wiederherstellung der Kirche Gottes, oder doch wenigstens die Sammlung ihrer Überreste wünschen. Nun bin ich überzeugt, es werde dir kein unangenehmes Tun sein, wenn ich dir die warme Liebe kundtue, die ich längst im Stillen für dich hegte. Übrigens wiewohl du im Glanz deines Glückes die persönlichen Dienste von meinesgleichen nicht bedarfst und ich, mit meiner bescheidenen Stellung zufrieden, dir nicht um meinetwillen zur Last sein will, so wollen wir doch in diesem hinfälligen Leben unser gegenseitiges Wohlwollen pflegen, bis wir es einst im Himmel sicher genießen. Unterdessen wollen wir uns einträchtig bemühen, so viel an uns ist, das Reich Christi zu zieren, zu fördern und zu schützen. Denn wir sehen, wie viele seine erklärten Feinde sind, und wie ihre Wut von Tag zu Tag mehr wächst und brennt, und andrerseits, wie wenige aus der Zahl derer, die Evangelische heißen, in guten Treuen dafür arbeiten, dass die Ehre des Sohnes Gottes gewahrt werde; wie groß die Kälte bei vielen Vornehmen ist, oder vielmehr wie groß die Feigheit, und schließlich, wie träg alle Welt ist. Freilich halte ich dich für so willig dazu, dass du fremden Antriebs nicht bedarfst; aber ich denke, du werdest es in deiner Freundlichkeit gut aufnehmen, wenn ich dir in vertraulicher Weise das sage, was einem jeden von uns beständig zugeflüstert werden sollte. Namentlich möchte ich dich darum bitten, du möchtest, wenn du etwa meinst, der allergnädigste König könne durch ein Mahnschreiben von mir aufgemuntert werden, es nicht verschmähen, mir davon Mitteilung zu machen und mir je nach Lage die nötigen Ratschläge zu geben. Lebwohl, trefflichster, von Herzen verehrter Mann. Der Herr halte dich in seiner Hut und fahre fort, dich mit seinem Geist zu leiten und dein frommes Wirken zu segnen.
Genf, 13. Februar 1553.