Bunyan, John - Pilgerreise - Viertes Kapitel.

Bunyan, John - Pilgerreise - Viertes Kapitel.

Pilger in der Schule Auslegers.

Christ ging, nun weiter, bis er zum Hause Auslegers kam. Hier klopfte er einmal über das andere an. Endlich kam Jemand an die Thüre und fragte, wer da sei?

Chr. Ich bin ein Reisender, der dem gütigen Herrn dieses Hauses von einem Bekannten empfohlen worden ist; ich wünschte den Herrn deßwegen zu sprechen.

Der Angeredete ging darauf und rief den Hausherrn; dieser kam auch alsbald und fragte Christ, was er für ein Anliegen habe.

Chr. Herr, ich bin ein Mann, der aus der Stadt Verderben kommt und will nach dem Berge Zion. Es ist mir aber von dem Manne, welcher an der Pforte, am Anfang dieses Weges, steht, gesagt worden, ihr würdet mir, wenn ich hier vorspräche, herrliche Dinge zeigen, die mir für meine Reise sehr heilsam waren.

Ausleg. Nun gut, komm herein. Ich will dir zeigen, was nützlich für dich sein wird. Hierauf befahl er seinem Diener, ein Licht anzuzünden und ersuchte Christ, ihm zu folgen. Zuerst führte er ihn in ein Wohnzimmer, und hieß seinen Diener eine Thür aufmachen. Als dies geschehen war, sah Christ das Bild eines ehrwürdigen Mannes an der Wand hängen. Derselbe hatte folgendes Aussehen: Seine Augen waren gen Himmel gerichtet, in seiner Hand hatte er das Buch aller Bücher, das Gesetz der Wahrheit war auf seinen Lippen, und der Welt hatte er den Rücken zugewandt; er stand da wie Einer, der eifrig mahnt und bittet, und über seinem Haupte hing eine goldene Krone.

Alsbald fragte Christ: Wen soll dieses Bild vorstellen?

Ausl. Einen von den Tausenden1), der mit den Worten des Apostels sagen kann: Ob ihr gleich zehntausend Zuchtmeister hättet in Christo, so habt ihr doch nicht viele Väter, denn ich habe euch gezeuget in Christo Jesu, durch das Evangelium.2) Meine lieben Kinder, welche ich abermal mit Ängsten gebäre, bis daß Christus in euch Gestalt gewinne.3) Daß er aber die Augen gen Himmel gerichtet, das beste aller Bücher in der Hand und das Gesetz der Wahrheit auf seinen Lippen hat, soll dir anzeigen, daß es sein Beruf ist, dunkle Dinge zu erkennen und sie den Sündern klar zu machen; eben deßwegen steht er auch da, als ränge er mit den Menschen, sie ermahnend und bittend. Wenn du aber endlich bemerkst, wie er der Welt den Rücken gewandt und eine goldene Krone über seinem Haupte hängt, so sollst du daraus sehen, wie er um seiner Liebe zum Herrn die Güter dieser Welt gering schätzt und verachtet, aber auch schon in dieser Welt des Lohnes der Herrlichkeit, die bald an ihm offenbar werden soll, gewiß ist. 4) — Ich habe dir aber dieses Bild darum zuerst gezeigt, weil der Mann, welchen es vorstellt, der einzige ist, welchem der Herr des Ortes, wohin du gehst, die Macht gegeben hat, dein Führer an all den schwierigen Stellen zu sein, an welche du auf deinem Wege kommen kannst. Deßwegen halte Alles wohl in Acht, was ich dir gezeigt habe und bewahre in treuem Andenken, was du gesehen hast, damit du dich auf deiner Reise nicht mit Leuten einlassest, die zwar auch vorgeben, daß sie dich den rechten Weg führen könnten, deren Weg aber in den Tod hinabführt.

Hierauf nahm ihn Ausleger an der Hand und führte ihn in einen großen Saal, welcher mehr im Innern des Hauses lag und voller Staub war, weil man ihn niemals ausgekehrt hatte. Nachdem Christ sich hier einige Augenblicke umgesehen, ließ Ausleger einen Diener kommen und befahl ihm den Saal auszukehren. Kaum hatte dieser damit begonnen, als der Staub so schrecklich aufflog, daß Christ bald erstickt wäre. Hierauf sagte Ausleger zu einer Jungfrau, welche dabeistand: „Hole etwas Wasser und besprenge damit das Zimmer.„ Als sie das gethan hack, ließ sich aber das Zimmer so gut auskehren und reinigen, daß es eine Lust anzusehen war.5)

Da fragte Christ: Was hat das für eine Bedeutung?

Ausleger sagte: Dieser Saal stellt das Herz eines Menschen vor, welches niemals durch die süße Gnade des Evangeliums geheiligt worden Der Staub ist die Erbsünde und das inwendige Verderben, welches den ganzen Menschen verunreinigt. Der Mann, welcher zuerst anfing zu kehren, ist das Gesetz, die Jungfrau aber, welche das Wasser brachte und sprengte, ist das Evangelium. Wenn Du nun sahst, daß, als der Erste zu kehren anfing, es so staubte, daß er das Zimmer unmöglich reinigen konnte, du aber beinahe erstickt wärest: so sollst du daraus lernen, daß das Gesetz, statt das Herz durch seine Werke von der Sünde zu reinigen, dieselbe vielmehr lebendig macht, ihr Kraft gibt und bewirkt, daß sie mächtiger werde in dem Herzen, darum, weil es sie offenbart und verbietet, dagegen aber keine Kraft gibt, sie zu überwinden.6) Indem du aber die Jungfrau sahst, welche das Zimmer mit Wasser besprengte, wodurch es fein gesäubert ward, sollst du daran erkennen, daß, wenn das Evangelium mit seinen süßen und köstlichen Wirkungen in das Herz kommt, die Sünde überwunden und unterdrückt, die Seele aber durch den Glauben gereinigt und somit zubereitet wird, daß der König der Herrlichkeit Wohnung darin machen kann.7)

Weiter sah ich in meinem Traume, daß Ausleger ihn bei der Hand nahm und in ein kleines Zimmer führte, wo zwei kleine Mädchen waren, von, denen jedes auf einem Stuhle saß. Die älteste hieß Weltlüstel und die andere Wartestill. Weltlüstel sah sehr mißvergnügt aus, Wartestill dagegen war ganz zufrieden. Da fragte Christ: Warum ist Weltlüstel so mißvergnügt? Und Ausleger antwortete: Ihr Erzieher will, daß sie auf gewisse sehr kostbare Dinge bis zum Anfange des nächsten Jahres warten soll, aber sie will Alles sogleich haben; Wartestill dagegen ist mit der Verzögerung ganz zufrieden.

Mittlerweile sah ich, wie Jemand zu Weltlüstel kam und ihr einen ganzen Sack voll Kostbarkeiten brachte und ihn ausschüttete vor ihren Füßen. Begierig hob sie dieselben auf, freute sich darüber und lachte Wartestill dabei spöttisch aus. Ich sah aber eine Weile zu und siehe, nicht lange währte es, da hatten sie Alles durch gebracht und Nichts als Lumpen war übrig.

Chr. Da sprach Christ zum Ausleger: lege mir die Sache doch genauer aus.

Ausl. Diese beiden Kinder muß man bildlich auffassen.

Weltlüstel ist ein Bild von den Kindern dieser Welt, und unter Wartestill werden die Kinder der zukünftigen vorgestellt. Denn wie du hier siehst, daß Weltlüstel Alles in diesem Jahre, d. h. in dieser Welt haben will, so wollen die Kinder dieser Welt auch all ihr Gutes haben in diesem Leben. Sie können nicht warten bis zum nächsten Jahre, ihr gutes Theil zu empfangen in der zukünftigen Welt. Das Sprichwort: „Ein Vogel in der Hand ist besser als zehn auf dem Dach“ gilt ihnen mehr, als alle Zeugnisse Gottes über die Güter der zukünftigen Welt. Allein wie du bemerktest, daß Weltlüstel alsbald alles vergeudet hatte, und sie da Nichts mehr als Lumpen übrig hielt, so wird es mit all solchen Leuten am Ende dieser Welt gehen.

Chr. Nun sehe ich ein, daß Wartestill allein weislich und klüglich verfährt, einmal, weil ihr Herz nach den besten Gütern trachtet, und zum andern, weil sie im Besitze der Herrlichkeit ist, wenn die Andere in Elend und Schmach dasitzt.

Ausl. Ja, so verhält es sich wirklich, und wir können noch hinzufügen, daß Wartestill eine Herrlichkeit empfängt, die niemals vergeht, da hingegen die Schätze dieser Welt schnell vergehn. Deßwegen hatte Weltlüstel aber auch keine Ursache, Wartestill auszulachen, weil diese ihr Gutes zuletzt empfing; Wartestill könnte aber wohl lachen über Weltlüstel, denn das Erste muß ein Ende nehmen, wenn das Letzte anfängt, das Letzte aber hört nimmer auf, denn es kann ihm kein anderes folgen. Wer also sein Theil zuerst hat, muß nothwendigerweise eine Zeit haben, in der es verbraucht wird, allein der, welcher sein Theil zuletzt hat, muß es besitzen ohne Aufhören. Darum wird dem reichen Manne gesagt: Du hast dein Gutes empfangen in deinem Leben, und Lazarus dagegen hat Böses empfangen, nun aber wird er getröstet, und du wirst gepeinigt.8)

Chr. Nun sehe ich ein, daß es nicht das Beste ist, nach den gegenwärtigen Gütern zu trachten, sondern zu warten auf die, welche zukünftig sind.

Ausl. Da hast du Recht, denn was sichtbar ist, das ist zeitlich, was aber unsichtbar ist, das ist ewig. 9) Dies verhält sich nun allerdings so, allein du mußt noch dabei bedenken, daß die zeitlichen Dinge und die fleischlichen Lüste nahe Nachbarn, die zukünftigen Dinge aber auch dem fleischlichen Sinne fremd sind: Daher schließen auch die beiden ersten so schnell Freundschaft mit einander, während die letztern stets von ihnen fern bleiben.10)

Nun sah ich in meinem Traume, daß Ausleger abermals Christ an der Hand faßte und ihn an einen Ort führte, wo ein Feuer an einer Mauer brannte, es stand aber Jemand dabei, der beständig Wasser in das Feuer goß, um es auszulöschen, allein das Feuer brannte immer höher und heißer.

Da fragte Christ: was soll das bedeuten?

Ausleger erwiederte: dieses Feuer ist das Werk der Gnade im Herzen. Der aber, welcher das Wasser darauf gießt, um es auszulöschen, ist der Teufel. Wie es nun ferner kommt, daß deßungeachtet das Feuer, wie du siehst, immer höher und stärker brennt, so sollst du auch davon die Ursache erfahren. Hiermit führte er Christ an die andere Seite der Mauer; da sah er einen Mann mit einem Gefäß voll Oel in der Hand, aus welchem derselbe unaufhörlich, aber heimlich, in's Feuer goß.

Was bedeutet dies? fragte Christ.

Und Ausleger gab ihm zur Antwort: das ist Christus, der ohne Aufhören mit dem Oel seiner Gnade das Werk unterhält, was er einmal im Herzen angefangen hat, und durch dieses Mittel erweist es sich, daß die Seelen seines Volkes trotz Allem, was der Teufel wider sie unternimmt, dennoch in der Gnade stehen.11) Daß du aber den Mann hinter der Mauer stehen sahst, 12) soll dir lehren, daß es einer angefochtenen Seele schwer werde zu glauben, wie das Werk der Gnade in ihr aufrecht erhalten wird.

Dann sah ich, wie Ausleger ihn wieder bei der Hand nahm und ihn an einen anmuthigen Ort leitete, wo ein stattlicher Pallast, lieblich anzuschauen, erbaut war. Beim Anblick desselben ward Christ hoch erfreut. Auch sah Christ auf den Zinnen dieses Pallastes Leute wandeln, die ganz in Gold gekleidet waren.

Da fragte Christ: dürfen wir da wohl hineingehen? Darauf nahm Ausleger ihn bei der Hand und führte ihn nach dem Thore des Pallastes hin. Und siehe, vor dem Thore stand eine Menge Menschen, als begehrten sie hineinzugehen, allein sie durften nicht. Ein wenig vom Thore ab saß ein Mann an einem Tische, der hatte ein Buch und Feder und Dinte vor sich, um die Namen derer aufzuschreiben, die hineingehen wollten. Auch sah er viele Männer in Waffenrüstung am Thorwege stehen, um denselben zu bewachen und Jedem, der hineinwollte, sogleich Leid und Schaden zuzufügen. Darüber gerieth Christ in Erstaunen. Während nun Jeder aus Furcht vor den Gewappneten zurückbebte, sah Christ endlich einen Mann von recht tapferm Aussehen; derselbe näherte sich dem, welcher das Aufzeichnen besorgte und redete ihn mit den Worten an: Herr, schreibt meinen Namen ein. Als dies geschehen war, sah Christ, daß der Mann sein Schwert zog, einen Helm auf das Haupt setzte und nach dem Thore hin auf die Männer zustürzte, die sich ihm mit Todesmuth entgegenstellten. Allein dem Manne entfiel der Muth durchaus nicht, sondern er haute und stieß um sich mit wildem Ungestüm. Nachdem er so manche Wunden erhalten und denen ausgetheilt hatte, die ihm den Eingang zu verwehren suchten13), schlug er sich durch Alle hindurch und drang in den Pallast vor. Hierauf hörte man sowohl die, welche drinnen waren, als auch jene, die auf der Zinne des Pallastes wandelten, mit lieblicher Stimme sagen:

„Komm, komm herein!
Dein Gnadenlohn wird ew'ge Glorie sein.„

Nun ging er hinein und ward in ein Gewand gekleidet, wie sie Alle trugen. Da lächelte Christ und sagte: ich glaube wirklich, ich weiß, was das sagen will. Und hierauf sprach er: Herr, lasset mich nun weiter gehen. O, nein, sagte Ausleger, warte noch ein wenig, ich will dir noch etwas zeigen, dann kannst du weiter gehen. Und nun nahm er ihn noch ein Mal bei der Hand und führte ihn in eine dunkle Kammer, in der ein Mann in einem eisernen Käfig saß.

Der Mann war, wie es schien, sehr niedergeschlagen: seine Augen hatte er auf die Erde geheftet, die Hände gefalten und er seufzte, als wenn ihm das Herz hatte brechen wollen. Als Christ nun fragte, was das zu bedeuten habe, hieß Ausleger ihn selbst mit dem Manne reden.

Da sagte Christ zu dem Manne: Wer bist du? Der Mann antwortete: ich bin, was ich ehedem nicht war.

Chr. Was warst du denn ehedem?

Mann. Ich war ehedem in meinen und auch in anderer Leute Augen ein trefflicher und vielversprechender Bekenner14): ich war einst, wie ich meinte, auserwählt für die himmlische Stadt und war sehr erfreut über dem Gedanken, dorthin zu kommen.

Chr. Allein was bist du denn nun?

Mann. Ein Mann der Verzweiflung und von ihr eingeschlossen, wie in diesen eisernen Käfig. Ich kann nicht mehr heraus! Ach, ich kann's nicht, mehr!

Chr. Aber wie geriethst du dann in diesen Zustand?

Mann. Ich unterließ es zu wachen und nüchtern zu sein. Ich ließ meinen Lüsten den Zügel schießen. Ich versündigte mich gegen das Licht des Wortes und gegen die Güte Gottes. Ich habe den Geist Gottes betrübt und er ist von mir gewichen! Ich habe den Teufel versucht, und er ist zu mir gekommen. Ich habe Gott zum Zorne gereizt, und. Er hat mich verlassen. Ich habe mein Herz so verhärtet, daß es nicht zur Buße kommen kann.

Wie? wandte sich Christ an Ausleger, ist denn für solch einen Mann keine Hoffnung mehr? Frage ihn selber, sprach Ausleger.

Chr. Ist denn keine Hoffnung da für dich, mußt du vielmehr eingeschlossen bleiben im Käfig der Verzweiflung?

Mann. Ja, denn für mich ist keine Hoffnung mehr.

Chr. Wer der Sohn des Hochgebeneideten ist ja voll Erbarmung.

Mann. Allein ich habe ihn von Neuem gekreuzigt;15) ich habe ihn verachtet;16) ich habe seine Gerechtigkeit verworfen;17) ich habe sein Blut für unrein geachtet und den Geist der Gnade gelästert.18) Daher schloß ich mich selbst aus von allen Verheißungen, und so bleibet mir nichts übrig, als Drohungen, fürchterliche, schreckliche Drohungen eines unvermeidlichen Gerichts und die Gluth eines Zorns, der mich wie einen Widersacher verzehren wird.19)

Chr. Aber um welche Dinge brachtest du dich in diese Lage?

Mann. Um der Lüste, Freuden und Vortheile dieser Welt willen, in deren Genusse ich mir großes Ergötzen versprach; allein jedes von diesen Dingen beißt und nagt mich jetzt wie ein feuriger Wurm.

Chr. Wie, kannst du denn jetzt nicht noch Buße thun und dich bekehren?

Mann. Gott hat mir die Buße verweigert. Sein Wort gibt mir nicht den Muth zum Glauben; ja, er selbst hat mich in diesen eisernen Käfig eingeschlossen, und die ganze Welt besitzt nicht die Macht, mich hinauszulassen. O Ewigkeit! Ewigkeit! wie soll ich kämpfen mit dem Jammer und der Qual, die ich ausstehen muß in Ewigkeit!

Da sagte Ausleger zu Christ: Laß das Elend dieses Mannes bei dir im Andenken bleiben und dir allezeit eine Warnung sein.

Ja wohl, sagte Christ, das ist fürchterlich! Gott wolle mir helfen wachen und nüchtern sein und beten, daß ich mich hüte vor der Ursache, die diesen Mann in's Elend gebracht hat. Herr, ist es nicht Zeit, daß ich jetzt meines Weges gehe?

Ausl. Verweile, bis ich dir noch Eins gezeigt, dann kannst du weiter gehen. Und so nahm er denn Christ noch einmal an der Hand und führte ihn in eine Kammer, wo Einer aus dem Bette aufstand, der, während er seine Kleider anzog, zitterte und bebte. Da fragte Christ, warum zittert dieser Mann so? Da hieß Ausleger den Mann die Ursache davon Christ sagen. Hierauf hub der Mann an mit den Worten: Als ich diese Nacht im Schlafe war, träumte ich und siehe, der Himmel wurde ganz schwarz, auch donnerte und blitzte es so schrecklich, daß mich eine Todesangst überfiel. Da blickte ich auf in meinem Traume und sah, wie die Wolken, von heftigem Winde getrieben, ungewöhnlich schnell vorüberflogen. Dennoch hörte ich den starken Schall einer Posaune und sah auch einen Mann auf einer Wolke sitzen, und umgeben von himmlischen Heerschaaren; sie standen Alle in Feuerflammen und die Elemente schmolzen vor Hitze.20) Dann hörte ich eine starke Stimme rufen: „Ihr Todten stehet auf und kommt vor das Gericht!“21) Und alsbald zerrissen die Felsen, die Gräber thaten sich auf und die Todten gingen heraus, die darinnen waren. Etliche von ihnen waren hocherfreut, etliche aber suchten sich zu verstecken unter den Bergen. Darauf sah ich den Mann, der auf der Wolke saß, das Buch aufthun Und der Welt gebieten, daß sie vor ihm erscheine. Da aber ein gewaltiges Feuer von ihm ausging, war ein gehöriger Zwischenraum zwischen ihm und denen, die vor ihm erschienen, wie zwischen einem Richter und den Verklagten, die vor den Schranken stehen.22) Dann hörte ich den Mann, der auf der Wolke saß, denen, die um ihn waren, zurufen: „Sammelt das Unkraut, die Spreu und die Stoppeln und werfet sie in den brennenden Pfuhl.„23) Nun that sich der bodenlose Abgrund gerade vor meinen Füßen auf und aus seinem Rachen fuhren dicker Rauch und feurige Kohlen mit gräßlichem Getöse heraus. Dann hieß es zu denselbigen: „Sammelt den Weizen in die Scheunen.“24) Und alsbald sah ich Viele aufgehoben und hingerückt in die Wolken, ich aber wurde dahinten gelassen;25) da suchte ich mich auch zu verbergen, aber ich konnte es nicht, denn der Mann, der auf der Wolke saß, hatte sein Auge fest auf mich gerichtet, auch fielen mir alle meine Sünden ein und mein Gewissen verklagte mich von allen Seiten.26) Darüber wachte ich auf aus meinem Schlafe.

Chr. Aber was erschreckte dich denn so bei diesem Gesichte?

Mann. Nun, ich dachte, der Tag des Gerichts wäre herangekommen, und ach, ich war nicht auf denselben vorbereitet. Doch das erschreckte mich am meisten, daß die Engel Etliche emportrugen, mich aber dahinten ließen, und ebenso, daß der Rachen der Hölle sich gerade vor meinen Füßen aufthat. Dabei quälte mich mein Gewissen, und das Auge des Richters war, wie ich meinte, beständig mit Unwillen und Zorn auf mich geheftet.

Darauf sagte Ausleger zu Christ: Hast du alle diese Dinge wohl erwogen?

Chr. Ja, und sie haben mich in Hoffnung und Furcht versetzt.

Ausl. Wohlan, so behalte sie alle in deinem Herzen, daß sie dir wie ein Stachel seien, der dich vorwärts treibt auf dem Wege, den du gehen sollst.

Christ gürtete nun seine Lenden und machte sich fertig zu seiner Reise. Der Ausleger aber sprach: der Tröster sei allewege bei dir, du frommer Christ, und geleite dich auf dem Wege, der zu der Stadt hinführt!

So ging denn Christ seines Weges fort, indem er bei sich selbst sagte:

Hier sah ich Dinge, selten und von Werth,
Die furchtbar, schön, mich fest und fester machten,
Im Glauben, in der Liebe unversehrt,
Die, was ich nie erfuhr, mir zur Erfahrung brachten.
Ich will sie nie vergessen: Herr, es ist dein Geschenk,
Hilf, daß in ew'gem Dank ich dafür dein gedenk!

1)
Hiob 33, 23. Hebr. 12,22. f.
2)
1 Kor. 4,15.
3)
Gal. 4,19.
4)
S. Offenb. 22,12. Röm. 5,2. 8,17. f. Kol. 1,27.
5)
Lies zum Verständniß Röm. 8,3.
6)
Röm. 7,9. 1 Kor. 15,56. Röm. 5,20. Vgl. 7,7.13.3,20.5,13.
7)
Joh. 15,3. Eph. 5,26. Apsch. 15,9. Joh. 14,32. Vgl. 1. Kor. 6,19. 3,16.
8)
Luk. 16,25.
9)
2 Kor. 4,18.
10)
Röm. 7,15. ff. Gal. 5,16. f.
11)
2 Kor. 12,9.
12)
Hohesl. 2,9.
13)
Apgsch. 14,22. Vgl. Matth. 10,38. Eph. 6,12. Ebr. 12,4.
14)
Luk. 8, 13.
15)
Hebr. 6,6. Vgl. Gal. 3,1.
16)
Luk. 19,14. Joh. 12,48.
17)
Röm. 10,3.
18)
Hebr. 10,29. vgl. Mark. 3,28.29.
19)
Hebr. 10,27. Zeph. 1,18.
20)
2. Petri 3,10.
21)
Offenb. 20, 12.
22)
2 Kor. 5,10. 1 Thess. 4,16.f. Jud. 14.f.; Joh. 5,28.f.; 2. Thess. 1,7-10; Offenb. 20,11-14.; Jes. 26,21.; Mich. 7,16.f.; Ps. 1,5.; Mal. 3,2. f.; Dan. 7,9. f.
23)
Matth. 3,12.13,30. Mal. 4,1.
24)
Luk. 3,17.
25)
1. Thess. 4,16. f.
26)
Röm. 2,14. f.
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