Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 13. Sonntag nach Trinitatis.

Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 13. Sonntag nach Trinitatis.

Luk. 10, 23-37.
Und er wandte sich zu seinen Jüngern, und sprach insonderheit: Selig sind die Augen, die da sehen, das ihr seht. Denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, das ihr seht, und haben es nicht gesehen; und hören, das ihr hört, und haben es nicht gehört. Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn, und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Er aber sprach zu ihm: Wie steht im Gesetz geschrieben? Wie liest du? Er antwortete, und sprach: Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt; und deinen Nächsten als dich selbst. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tue das, so wirst du leben. Er aber wollte sich selbst rechtfertigen, und sprach zu Jesu: Wer ist denn mein Nächster? Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab gen Jericho, und fiel unter die Mörder; die zogen ihn aus, und schlugen ihn, und gingen davon, und ließen ihn halb tot liegen. Es begab sich aber ohngefähr, dass ein Priester dieselbe Straße hinab zog; und da er ihn sah, ging er vorüber. Desselben gleichen auch ein Levit, da er kam bei die Stätte, und sah ihn, ging er vorüber. Ein Samariter aber reiste, und kam dahin; und da er ihn sah, jammerte ihn sein, ging zu ihm, verband ihm seine Wunden, und goss drein Öl und Wein; und hob ihn auf sein Tier, und führte ihn in die Herberge, und pflegte sein. Des andern Tages reiste er, und zog heraus zwei Groschen, und gab sie dem Wirt, und sprach zu ihm: Pflege sein; und so du was mehr wirst dartun, will ich dir's bezahlen, wenn ich wieder komme. Welcher dünkt dich, der unter diesen dreien der Nächste sei gewesen dem, der unter die Mörder gefallen war? Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So gehe hin und tue desgleichen.

Wir haben einen Abschnitt des Evangeliums verlesen, in welchem eine Frage vorgelegt und gelöst wird, welche von allen die häufigste, die erste und letzte unter den Menschen sein soll. Denn obwohl die größte Menge der Menschen nicht danach fragt, was sie tun müssen, um das ewige Leben zu besitzen, sondern vielmehr, was sie tun müssen, um lieblich, gesund, reich und mächtig in dieser Welt zu werden: so ist dennoch vornehmlich das zu erforschen, was wir tun sollen, um das ewige Leben zu erlangen. Dazu sind wir erschaffen und erlöst worden, nicht, um in dieser Welt eine Zeit lang zu leben und nachher entweder wie die Tiere zugleich mit Leib und Seele unterzugehen, oder in die ewige Pein zu stürzen, sondern um nach diesem Leben ein ewiges seliges Leben zu haben. 1. Thess. 5,9.10: „Gott hat uns nicht gesetzt zum Zorn, sondern die Seligkeit zu besitzen, durch unseren Herrn Jesum Christum, der für uns gestorben ist, auf dass, wir wachen oder schlafen, wir zugleich mit ihm Leben sollen.“ So mögen wir uns denn keine Mühe verdrießen lassen, um den rechten Sinn dieses Abschnitts zu durchschauen und zu behalten.

Was muss ich tun, sagt der Schriftgelehrte, dass ich das ewige Leben ererbe? Die beste und durchaus zu unserem Heile notwendige Frage. Denn obschon der Gesetzeskundige mehr um zu versuchen, als um zu lernen das fragt, so ist dennoch diese Frage selbst an sich von so großer Bedeutung, dass alle Menschen sich um ihre Beantwortung und Erklärung bekümmern sollen. Lasst uns nun hören, was geantwortet wird. Wie steht im Gesetz geschrieben? „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüte, und deinen Nächsten als dich selbst.“ Erstlich umfasst diese Antwort, so kurz sie auch ist, dennoch das ganze Gesetz des Herrn und alle Gebote Gottes. Denn Alles, was wir Gott nach seinem Worte unmittelbar schuldig sind, wird zusammengefasst in das Eine Wort: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen.“ Und Alles, was wir dem Nächsten schuldig sind, wird zusammengefasst in das Eine Wort: „Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst.“ Und so wird in diesen kurzen Worten nicht nur das ganze Gesetz (2. Mose 20,1-17) zusammengefasst, sondern auch Alles, was irgendwo in der heiligen Schrift an Geboten und Vorschriften Gottes steht. Wer daher diese Worte recht versteht, der versteht auch einen großen Teil der heiligen Schrift recht, besonders den, welcher das Gesetz und die Gebote Gottes lehrt.

Zweitens ist, so kurz diese Worte immerhin sein mögen, doch kein Mensch jemals gefunden worden, der sie durch seine Werke vollkommen erfüllt hätte, außer Christo, und kein Anderer wird gefunden werden bis zum jüngsten Tage. Das wird dann offenbar sein, wann wir den Sinn dieser Worte genauer ansehen. Das erste handelt von Gott, den wir von ganzem Herzen lieben sollen. Heuchler meinen, sie können das ganz leicht erfüllen, allein betrachte du mir nur, was und wer Gott sei; dann so wirst du verstehen, wie weit sie von der Erfüllung dieses Wortes entfernt sind. Gott ist nämlich ein ewiger Vater, der von Ewigkeit her seinen Sohn Jesum Christum gezeugt hat; von ihm und von seinem Sohne geht der Heilige Geist aus, aber diesen Gott kennen Juden, Heiden und Türken nicht nur nicht, sondern sie verfolgen ihn auch. Also liebt Keiner unter ihnen Gott von ganzem Herzen. Ferner ist Gott das beste, das höchste, das ganze Gut; deshalb ist Gott die Wahrheit. Es gibt jedoch keinen Menschen, der von allen Kräften ohne irgend einen Abfall selbst die weltliche Wahrheit liebt, zumal wenn sie schädlich erscheint, wie das bei Handelsgeschäften am Tage liegt. Ferner ist Gott die Gerechtigkeit. Es gibt jedoch keinen Menschen, der die Gerechtigkeit von ganzem Gemüte übt, wenn sie dem, der sie übt, einigen Nachteil zu bringen scheint. Ferner ist Gott die Keuschheit. Es gibt jedoch keinen Menschen, der von ganzem Herzen, sonder Abfall des Fleisches, die Keuschheit liebt, zumal, wenn er in der Jugend versucht wird. Und so ist's auch in anderen Stücken bestellt. Und das wird nicht bloß von den Gottlosen gesagt, sondern dasselbe muss man von den Frommen denken. Obwohl diese mit dem Heiligen Geiste begabt sind, so verwandelt dennoch der Heilige Geist in diesem Leben Fleisch nicht in Geist, sondern lässt dem Fleische seine Natur bis zum Tode. Indessen aber bekämpft er dasselbe, und ertötet es. Darum gibt es weder einen frommen, noch einen gottlosen Menschen auf Erden, welcher dieses Gebot von der Liebe Gottes jemals in diesem Leben durch seine Werke vollkommen erfüllt.

Das Folgende handelt von unserem Nächsten, den wir lieben sollen als uns selbst. Auch dieses Wort scheint ganz leicht erfüllt werden zu können, aber die Schwierigkeit der Erfüllung wird erst dann erkannt werden, wenn ihr Inbegriff erläutert worden ist. Denn um von Anderem zu geschweigen, lasst uns wenigstens sehen, worauf es bei dem Namen des Nächsten ankommt. Nächster bezeichnet nämlich nicht bloß einen Freund und Wohltäter, sondern auch einen Feind und Übeltäter. Auch das setzt Christus auseinander durch das anmutige Gleichnis von dem, der unter die Mörder gefallen war, und von dem Samariter. Denn der unter die Mörder Gefallene war ein Jude, und dies Geschlecht von Menschen verfolgte die Samariter mit dem ärgsten Hasse. Und dennoch als der Samariter sah, dass sein Todfeind seiner Hilfe bedürfe, da hielt er denselben für seinen Nächsten. Der Levit aber und der Priester gehen grausam an ihm vorüber, weil sie ihn nicht für ihren Nächsten halten. Der Samariter urteilt also nach dem Naturgesetz besser, wer sein Nächster sei, als der Priester und der Levit nach ihren Lehren. Da also unter dem Namen des Nächsten sowohl Freund als Feind zusammengefasst wird, so bemerken wir von selbst, dass unsere verderbte Natur Wohltaten, die dem Feinde zu leisten sind, abgeneigt ist. Und legen wir auch zuweilen Hand an, um unserem Feinde wohlzutun, so legt sich doch die Bitterfeit des Herzens nicht völlig. Es gibt also keinen Menschen, der das Gebot, den Nächsten zu lieben, in diesem Leben vollkommen erfüllt, obschon er mit dem Heiligen Geiste begabt ist.

Verhält sich nun die Sache also, was ist's, dass Christus die Antwort des Gesetzeskundigen gutheißt, und am anderen Orte diese Frage wegen der Erlangung des ewigen Lebens auch selbst ebenso erklärt? Verführt er uns da nicht zu einem Wege, den wir nicht betreten können? Zeigt er uns nicht eine Art, das ewige Leben zu erlangen, die uns unmöglich ist? Ganz richtig; denn Christus führt uns durch solche Antwort durchaus zu dem, was uns zu tun unmöglich ist. Wirst du nun sagen, kein Mensch könne das ewige Heil erlangen? Das sage ich in Wahrheit, wenn uns nämlich außerdem kein anderer Weg zur Erlangung des ewigen Heiles vorläge. Nun steht aber die Sache gut; denn als Gott sah, dass dieser Weg, durch Erfüllung des Gesetzes zum Heile zu gelangen, den Menschen nicht nur schwierig, sondern unmöglich sei, da hat er uns einen anderen Weg vorgelegt, welcher ist Jesus Christus, Gottes Sohn selbst. Denn nachdem der Mensch durch die Sünde so verderbt ist, dass er der Sünde wegen dem Gesetze nicht genugtun kann, sandte Gott seinen Sohn, der das Gesetz erfüllt, und den uns Gott geschenkt hat, auf dass, wer da an ihn glaubt, die Erfüllung des Gesetzes und das ewige Leben habe. So lehrt Paulus Röm. 8,3.4: Das dem Gesetz unmöglich war, sintemal es durch das Fleisch geschwächt ward, das tat Gott, und sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches, und verdammte die Sünde im Fleisch durch Sünde, auf dass die Gerechtigkeit, vom Gesetz erfordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist. Und Röm. 10, 4: „Christus ist des Gesetzes Ende; wer an Den glaubt, der ist gerecht.“

Darum bringt auch Christus den Schriftgelehrten absichtlich zuerst dahin, dass man des Gesetzes Werke tun müsse, nicht als sollte er meinen, dieselben erfüllen zu können, sondern um von ihm die Klage zu erzwingen, dass er dem Gesetze nicht genugtun könne und deshalb um Belehrung bitte, ob es etwa einen anderen Weg gebe, zum Heile zu gelangen. Da hätte ihn dann Christus über sein Evangelium belehrt, wie er den Nikodemus belehrt; aber weil der Schriftgelehrte ein Heuchler war, darum geht er von dannen, erfüllt mit Vertrauen auf seine eigene Gerechtigkeit, und fragt nicht nach der Gerechtigkeit Christi. Wir aber müssen das Gegenteil tun: so oft uns irgend ein Gebot Gottes erklärt wird, lasst uns eilends unsere Schwachheit eingestehen, unsere Ohnmacht erkennen und Christum fragen, der allein des Gesetzes Erfüllung ist. Denn zu ihm haben die Erzväter und Propheten aufgesehen, und fromme Könige bei den Alten haben, so oft sie ihrer Schwachheit gedachten, zu den Verheißungen von Christo ihre Zuflucht genommen und in ihm ihr Heil gesucht, wie Christus zu Anfang des heutigen Evangeliums predigt. Und dennoch nehmen wir im Glauben Christum an, so ist's nicht so zu verstehen, dass wir schon in allen Stücken unsere Pflicht getan haben, sondern wir müssen zu den zwei Geboten von der Liebe zu Gott und zum Nächsten zurückkehren, müssen durch den Heiligen Geist die Übung in dieser Liebe anfangen; und zwar wollen wir uns so verhalten, als wollten wir die ganze Liebe erfüllen. Immer jedoch müssen wir mit David bekennen: „So du willst, Herr, Sünde zurechnen, Herr, wer wird bestehen?“ Und mit Paulus: „Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darinnen bin ich nicht gerechtfertigt.“

Da hast du zwei Wege zur Erlangung des ewigen Lebens: als den einen das Gesetz, als den andern Christum, und da wir durch das Gesetz nicht in den Himmel eingehen dürfen, so lasst uns eingehen durch Christum, inzwischen aber unsere Übung vermittelst des Gesetzes halten, auf dass wir, im Beruf Gottes wandelnd, bewahrt werden zum ewigen Heile durch Christum, unseren Herrn. Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/b/brenz/evangelien_predigten/brenz_evangelienpredigten_13_nach_trinitatis.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain