Brenz, Johannes - Predigt am 19. Trinitatis über Matth. 9, 1-8.
Dieses Evangelium unterweist uns in Summa, wie wir die zwei größten Güter erlangen mögen: die Gesundheit unsers Leibes und die Gesundheit unsrer Seele. Hierauf schreibt der Evangelist also, da der Gichtbrüchige vor Christum sei gebracht worden, habe er nicht gleich gesagt: stehe auf und wandle! Sondern: sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben! Hiermit wollte der Herr öffentlich zu erkennen geben, dass er weit um einer andern Ursache willen in diese Welt gekommen sei, denn der größte Haufen gemeint habe. Denn viele gedenken, Christus wäre nur deshalb in die Welt gekommen, äußerliche Seligkeit anzurichten, also dass er den Armen reich, den Kranken gesund, den Unterdrückten erledige rc. Aber Christus hat diese Meinung widerlegt, als er vor Pilato stand, und spricht: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Ebenso geben andre vor, Christus sei darum in die Welt geschickt, dass er ein Gesetzgeber sein solle, der ein vollkommeneres Gesetz gebe, denn das Moses. Auch das ist unrichtig, sintemal das Gesetz vollkommen durch Mosen gegeben ist. Und wiewohl Christus manchmal das Gesetz gelehrt, so hat er es doch nicht als ein Gesetzgeber, sondern als ein Ausleger und Dolmetscher des alten Gesetzes, welches durch Menschensatzung verdunkelt war, gelehrt. Denn was er Luk. 5 und 6 lehrt, das ist nicht ein neu Gesetz, sondern das alte, wie es vorher schon von den Propheten ausgelegt worden. - Zudem sind noch andre der Meinung, dass Christus allein darum kommen sei, uns ein vollkommenes Exempel eines gottseligen Lebens an sich selbst vorzustellen. Und er tat dies allerdings. Aber unser würde gar übel gewartet werden, wenn er allein um solcher Ursache kommen wäre. Was nützt es einem müden, lahmen Menschen, wenn ein Bildstock am Wege steht und zeigt ihm, wo er soll hinausgehen, so es ihm doch unmöglich ist, an selbigen Ort zu kommen? Wir sind von Natur krank, schier gar tot, so viel ein gottseliges Leben belangt, können deshalb den Exempeln Christi nicht allenthalben nachkommen. Warum ist er denn in diese Welt gekommen? Darum, dass er die Sünde hat wollen, wie er zum Gichtbrüchigen sprach, uns nachlassen. Wenn man aber solches predigt, haben die Leute mancherlei Einfälle. Wie? Ich höre wohl, Christus ist kommen, dass er ein gutes Leben hat anrichten wollen. Denn ist das wahr, wie man sagt, dass er kommen ist, die Sünde nachzulassen, so wird ein jeder tun mögen, was sein Herz gelüstet. Ein andrer gedenkt: Wie? Ist dieses der große Handel, um deswillen Christus in die Welt gekommen? Soll es denn ein solch großes Ding sein um die Verzeihung der Sünden? Wenn mich hungert, wären mir ein paar gesottene Eier weit lieber, denn dass mir einer von der Verzeihung der Sünden predigt. Es hätten auch diese vier Männer, so den Gichtbrüchigen zu Christo getragen, denken mögen: Lieber, wir haben diesen nicht darum zu dir gebracht, dass du ihm seine Sünden verzeihen sollst; wenn du ihn gesund gemacht hättest, wäre uns viel lieber gewesen. Aber hier müssen wir lernen, dass die Vergebung der Sünden nicht also schlecht und kraftlos sei, dass sie entweder dem Menschen gestatte, seines Gefallens zu leben, oder andre leibliche Güter für höher zu halten. Denn als Christus diesen Befehl von seinem himmlischen Vater empfangen, dass er sollte die Menschen wiederum erlösen und ihnen die ewige Seligkeit zustellen, hat er keine bessere, noch bequemlichere Weise, solchen Befehl auszurichten, denn die Verzeihung der Sünden. Das sollen wir daher merken, wenn wir wollen selig werden, so ist am allervordersten vonnöten, dass wir vor Gott fromm und gerecht seien. Nun können wir aber aus unsrer eignen Frömmigkeit und guten Werken keineswegs gerecht werden, sintemal all unsre Werke entweder lauter Sünde sind wider Gottes Gebot, oder nicht vollkommen gut: sie können dem Gesetze Gottes nicht genug tun. Demnach hat unser Herr Christus diesen Weg, nämlich die Verzeihung der Sünden, gefunden, auf dass wir durch solche vor Gott dem Herrn fromm und gerecht werden. Denn diese will Gott allein für fromm erkennen und urteilen, denen Christus die Sünden verziehen und ihnen seine Frömmigkeit und Gerechtigkeit geschenkt hat. Das ist: welcher an Christum glaubt, der hat Verzeihung der Sünden. Wo sie nun ist, da ist auch die Gerechtigkeit; und wo diese, da ist die Vollkommenheit des Gesetzes. Deshalb, wer Verzeihung seiner Sünden hat, der wird von Gott nicht anders beurteilt, denn als ob er das Gesetz vollkommen erfüllt hätte. Item, wenn wir zur Seligkeit kommen wollen, so darf weder Krankheit, noch Armut, noch der Tod oder die Hölle, auch kein andres Unglück uns können schädlich sein. Solches aber ist unmöglich, wo nicht die Sünde vorher verziehen ist, sintemal aus der Sünde, als aus einer Quelle und Wurzel, aller Jammer dieser Welt erwachsen ist. Nachdem Christus sich vorgenommen hatte, alles Übel, den Tod und die Verdammnis abzuschaffen, hat er die Ursache solcher Stücke, nämlich die Sünde, wollen wegnehmen und verzeihen, auf dass, so die Ursache nicht mehr vorhanden sein würde, auch kein Unrat mehr sich möchte zutragen. Es hat also unser lieber Herr Christus gehandelt als ein fleißiger Gärtner. Denn wenn einer seinen Garten reuten und fegen will, so haut er nicht das Unkraut oben allein ab und lässt die Wurzel stecken, sondern er räumet der Wurzel zu, hauet dieselbige ab und wirft sie hinweg. Wenn solches geschehen, muss das Unkraut, so aus der Wurzel gewachsen war, selbst verderben. Also ist Christus der rechte, künstliche Gärtner. Denn da er das Unkraut alles Übels in der Welt hat wollen ausreuten, hat er sich nicht sonderlich viel an die äußerlichen Blätter des Unkrauts gekehrt, sondern hat sich beflissen, dass er die Wurzel, das ist die Sünde, ausreutete und löste. Und ist nicht zu leugnen, er hat das äußerliche Unglück und Tod nicht allerdings abgeschafft: aber sie können in den frommen, gläubigen Menschen nicht mehr grünen, sintemal die Wurzel, das ist die Sünde, abgehauen und hinweggeworfen ist. -
Es hat deshalb Christus, der Sohn Gottes, uns am allerhöchsten damit geholfen und unser Heil zum besten damit bedacht, dass er die Sünde gebüßt und nachgelassen hat. dass er aber solches gewisslich getan, hat er es mit großen, herrlichen Wunderzeichen bewiesen. Darum sagt er im heutigen Evangelio: „dass ihr wisst, wie des Menschen Sohn Macht habe auf Erden, die Sünde zu verzeihen, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: stehe auf, hebe dein Bett auf und gehe heim.“ Hier sollen wir die gründliche Ursache der Wunderzeichen Christi bedenken. Denn Christus hat sie nicht weltlicher Hoffart wegen, auch nicht um derer Heiligkeit willen, so er gesund machte, getan, sondern er wollte damit die Lehre seines heiligen Evangelii bestätigen, welche darauf besteht, dass die Menschen nicht durch ihre eigne Gerechtigkeit, sondern allein in ihm die Verzeihung der Sünden erlangen können. Solche Ursache seiner vollbrachten Wunderzeichen meldet er selbst Joh. 5 und spricht: „Die Werke, so ich tue, zeugen von mir, dass mich der Vater gesandt hat.“ Demnach, so oft wir der Wunderzeichen Christi eins vernehmen, sollen wir nicht anders in unserm Sinn sein lassen, denn als ob wir ein himmlisch Wortzeichen sähen, mit welchem dargetan werde, dass wir vor Gott dem Herrn um Christi willen die wahre Frömmigkeit und Gerechtigkeit haben, item, dass alles Unglück, Fluch, Tod und Hölle abgetan und kraftlos worden ist. Dieweil wir aber eine so große Guttat von Christo empfangen, will sich's gebühren, dass wir uns auch dankbar gegen ihn erzeigen, auf dass wir bei solcher edlen, vortrefflichen Guttat, der Verzeihung der Sünden, bleiben und in Christo mögen selig werden. Amen.