Beste, Wilhelm - Wegweiser zum inneren Frieden - 42. Der Blick in die Höhe.
Von dem alten Weltweisen Thales wird, erzählt, dass er, die Sterne betrachtend, in eine Grube gefallen sei. Eine Magd, heißt es, die Solches gesehen, habe ihn verhöhnt und ausgerufen: „Du willst die Sterne betrachten und weißt nicht, was vor den Füßen ist?“ Wie klug mochte diese Magd sich dünken!
Wie klug dünkt sich überhaupt der Pöbel, wenn er den Irrtum und Fehltritt eines Geistesmenschen belachen kann! Es ist wahr, wer eine höhere Liebe hat, als zu den Dingen der Erde, der irrt und fehlt in einzelnen gemeinen Dingen leichter und auffallender, als der gemeine Mensch, und dieser benutzt des Geistesmenschen Fehlgriff und Fehltritt zur Atzung für seine irdische Natur und zur Bestärkung in seiner niederen Weltansicht. Aber er hat keine Ahnung, dass Jener im Ganzen die Erde dennoch besser kennen lernt, als er; hat keine Ahnung, dass Thales, indem er die Sterne erforscht, zugleich die Erde studiert, weil sie ohne die Sterne, zu denen sie gehört, nicht begriffen werden kann; hat keine Ahnung, dass, während Thales einmal in die Grube gefallen ist, er selbst im ununterbrochenen Grubendunkel liegt und kriecht, aber eben darum die Grube in der Grube besser kennt und vermeidet. Drum soll's mich nicht beunruhigen, wenn der verständige Pöbel sagt, dass ich zu hoch blicke, selbst wenn ich fehl trete mit meinem Fuß auf der Erde und unter Hohngelächter falle. Ich stehe mit Gottes Hilfe wieder auf, und der Blick in die Sterne erklärt mir wieder die Erde, und die Enthüllung des Ganzen entschädigt mich reichlich für die vorübergehende Verhüllung des einzelnen Punktes, auf dem ich strauchelte. Drum erhalte mir, mein Gott, den Blick in die Höhe! Doch ist es mir nicht um Astronomie zu tun. Ich sehne mich nach dem Himmel, der höher und ferner ist, als die Sterne und doch wieder näher, als sie, weil er überall ist, wo Du bist. In deinem Lichte sehen wir das Licht;1)“ und in diesem Lichte auch das Wesen der Erde. Aber des himmlischen Lichtes Sinnbilder mögen immerhin die. Sterne bleiben. Ich kann die Deutung nicht vergessen, die ein weiser Dichter2) ihren Strahlen gibt, wenn er singt:
Der Vater mit dem Sohn ist über Feld gegangen;
Sie können nachtverirrt die Heimat nicht erlangen.
Nach jedem Felsen blickt der Sohn, nach jedem Baum,
Wegweiser ihm zu sein im weglos dunklen Raum.
Der Vater aber blickt indessen nach den Sternen,
Als ob der Erde Weg er woll' am Himmel lernen.
Die Felsen blieben stumm, die Bäume sagten Nichts,
Die Sterne deuteten mit einem Streifen Lichts.
Zur Heimat deuten sie; wohl Dem, der traut den Sternen!
Den Weg der Erde kann man nur am Himmel lernen.