Beck, Johann Tobias - 10. Rede am Grabe einer an Auszehrung gestorbenen Ehefrau.
Mergentheim, den 28. Mai 1833.
Offenb. 3, 20.
Siehe ich stehe an der Thüre und klopfe an.
Des HErrn Wege sind mancherlei im Sterben wie im Leben - den Einen holt Er schnell wie ein Fallstrick, ohne Meldung und Frist, bei dem Anderen klopft Er frühe an und führt ihn Schritt vor Schritt der Pforte des Todes zu. So war es bei unserer Verstorbenen; schon lange Zeit lag sie auf dem Krankenbett, spürte das Kommen des HErrn, und bereitete sich, Ihm zu folgen.
Man streitet sich oft, welcher Tod wohl der beste sey, ein langsamer oder ein schneller? Die nur auf die äußere Todesgestalt sehen, auf den Kampf, der damit verbunden ist, auf die Schrecken, die er für die Menschennatur hat, auf die Schmerzen, die eine lange Krankheit mit sich führt: die preisen glücklich, wer schnell aus der letzten Noth herausgerissen wird. Die aber auf den inneren Menschen sehen und auf das, was nach dem Tode folgt, auf den Gang zu dem Richterstuhl Gottes, auf die Flecken der Seele und des Lebens - die preisen glücklich, wer Frist erhält von Gott, um sich zu bereiten auf den letzten Gang, und die Seele zu reinigen von dem, was ihr von der Welt noch anklebt!
Es ist auf beiden Seiten Wahres, aber die volle Wahrheit liegt darin, daß der Mensch wohl stirbt, der wohl gelebt hat, und wohl leben heißt nicht in Lust und Ueberfluß leben, wie es der Welt Sprachweise ist, sondern wohl leben heißt im Glauben des Sohnes Gottes leben, und in den Früchten des Glaubens. Wer so wohl lebt, der weiß, wo er hin soll, und ist bereit für den Heimgang zum Vater, mag sein Tod nun schnell kommen oder langsam! Wer dagegen übel lebt vor dem Auge Gottes, fährt übel, ob er ohne Schmerz oder mit Schmerzen stirbt!
Was ist denn unser ganzes Leben anderes, als ein fortwährender Gang zum Tode? Darum Alle, die weise sind, ihr ganzes Leben hindurch auf die Kunst studiren, recht und wohl zu leben und zu sterben! Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir weife werden.
Im Grunde läßt Gott Keinen von uns sterben, ohne vorher oft bei ihm anzuklopfen. Jedes der Unseren, das Gott von unserer Seite wegnimmt und in's Grab legt, ist ein Anklopfen des HErrn; jede Leiche um uns her ist ein göttlicher Weckruf an die, welche da leben: „rüstet euch zur Abfahrt; Keiner von euch weiß, wann die Reihe an ihn kommt.“
„Siehe ich stehe an der Thüre und klopfe an“ - wer spricht so, wessen Ruf ist es? Es ist der Ruf dessen, der unser nicht bedarf, dessen wir aber bedürfen alle Zeit und Ewigkeit hindurch! Es ist die Stimme des Herrn und Hirten unserer Seelen, der gebieten kann, wie Niemand gebieten darf, und der lieber bittet, als gebietet, lieber gewinnt, als bezwingt, lieber anklopft, als aufschmettert!
Er steht vor der Thüre deines Herzens, so oft die Sonne über dir aufgeht; Er harrt, harrt unser in allen Gestalten, in der Gestalt des Ernstes und der Liebe, des Todes und des Lebens; Er klopft an, warnt, belehrt, straft, züchtigt, demüthigt, ermuntert, tröstet, stärkt, gibt, nimmt, erhört, versagt, führt in die Grube, führt heraus - wer zählt alle Arten, wie Er, der Unsichtbare und Unvergängliche, uns nahe kommt, an der Thüre steht, anklopft, seine Stimme hören läßt.
Was schließen hier die vielen Gräber um uns her ein? Sind es nicht verdorrte Menschenblüthen, die der Hauch des HErrn abgebrochen hat! wie oft stand der HErr wohl vor ihnen, die nun hier schlafen, stand vor ihnen, ehe sie sich niederlegten, und jetzt - stehen sie vor Ihm! Gerechte und Ungerechte, Welt- und Gotteskinder liegen hier beisammen. Hat nun der Reiche hier einen Vorzug vor dem Armen als etwa mehr Schmuck auf dem Grabe, wo sein Leib fault? Der hier, so lange er lebte, wohl lebte nach der Welt Weise - vergnügt ihn jetzt sein Wohlleben noch im Grabe? bleibts ihm als süßer Nachschmack zur Seite, wenn er das Urtheil vernimmt: „du hast dein Gutes hingenommen auf Erden - darum ist es billig, daß du nun dein Böses ärndtest.“ Die hier mit Thränen säeten auf den Acker des Reiches Gottes, auf ihren Geist - schmerzen die ihre Thränen noch hier unter dem Boden, haben sie nicht eine Hand gefunden, die sie ihnen abtrocknete? Wie Viele von denen, die in den Gräbern schlafen, jagten Welt und Weltgenuß nach, so alt sie wurden - was hat nun die Erde ihnen mitgegeben auf die Fahrt in die Ewigkeit? einen Schutzbrief oder eine ewige Zehrung? . .. was hätte der Himmel ihnen geben können in ebenso vielen Jahren, wenn sie während derselben emsig dem HErrn desselben wären nachgefolget?
Ach es ist traurig, wenn der Mensch sucht, was hier unten ist, und nicht trachtet nach dem, das oben ist; es ist schon genug, daß der Leib ein so trauriges Ende nehmen muß und in Staub vergehen: soll denn auch die Seele keinen besseren Ausgang nehmen aus dieser Welt als Verderben von dem, der sie so gerne möchte selig machen? Diese Erde ist das Geburtsland der Menschenleiber, darum werden sie Erde; der Himmel ist das Geburtsland der Geister und Seelen, darum, Mensch, verkehre die Ordnung Gottes nicht, und mache deine Seele himmlisch und nicht irdisch - verderbe nicht den Tempel Gottes in dir!
Was von der Erde und Welt ist, das stirbt Alles, nimmt ab, ist verdorrendes Gras - so verdorren und verwelken auch die Seelen, die sich an Erde und Welt hängen; im Tode geht ihnen die Kraft aus, die sie bis zu demselben mühselig zusammenhielten mit allerlei Betrug und Kunst. Die aber auf den HErrn harren, die kriegen nach dem Todeskampf neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler in's Reich des ewigen Lebens.
„Siehe ich stehe an der Thüre und klopfe an“ - so spricht's über dieses Grab herüber zu den Leidtragenden und zu uns Allen, denen auch noch ihr Grab gegraben wird. Höre die Stimme des Anklopfenden; höre sie, da sie ruft; mache auf, da Er anklopft. Wer die leise Stimme des HErrn in seinem Herzen nicht hört, der wird einst seine laute Stimme fürchterlich hören müssen; wer sein sanft warnendes Wort nicht versteht, der wird sein scharf richtendes Wort zu vernehmen gezwungen werden. Je lauter die Lüste und Weltgedanken sprechen, desto furchtbarer muß der HErr einst sprechen.
Und ich meyne, Er kann sprechen, daß Alles hören muß, und reden, daß alles Reden um Ihn her verstummen muß, wenn Er einmal als HErr und Richter gehört sein will; Er kann die Ohren öffnen und das Herz bannen, daß es Ihn hören muß.
Höre, damit Er dich auch höre, - mache dem Anklopfenden auf, daß Er dir wird bald aufmachen, wenn du anklopfst.
Wenn du Ihn hörst, so wird Er dich hören - wirst du Ihn stehen lassen, so wird Er dich auch stehen lassen. Amen.