Arnd, Johann - Passionspredigten - Siebenundzwanzigste Predigt.
Gleichwie eine fromme Mutter, die ihr Kindlein säugt, wenn dasselbe krank wird, selbst einen bittern Trank einnimmt, auf daß sich die Arznei mit der Muttermilch vereinige und dem Kindlein also geholfen werde, weil es für sich selbst den bittern Trank nicht einnehmen kann, also hat unser Herr Christus, der uns mit großen Schmerzen neu geboren hat, und uns tröstet, wie eine Mutter ihr Kindlein tröstet, da wir krank waren und den bittern Kelch des Zornes Gottes nicht trinken konnten, denselben an unsrer Statt getrunken, auf daß uns sein bitterer Trunk durch die Milch des Evangelii eine kräftige Arznei würde.
Eine solche Milch des göttlichen Trostes, dadurch uns Christus die Arznei seines bittern Leidens eingiebt, ist dieser Trost: Fürwahr er trug unsre Krankheit. Er begreift zwei Stücke in sich:
- Die Ursach seines Leidens. Deren sind fünf: 1. Unsre Krankheit 2. Unsre Missethat 3. Die Strafe, so wir verdienet hatten. 4. Daß wir durch seine Wunden heil würden. 5. Daß wir nicht ewig irre gingen als verlorene Schafe.
- Das andre Stück ist eine Beschreibung seiner hohen Geduld. Wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführet wird u. s. w.
Von den Ursachen des Leidens Jesu Christi.
1. Das erste Stück:
Die erste Ursach.
Fürwahr, er trug unsre Krankheit. Dies ist die erste Ursach seines Leidens. Das Wörtlein fürwahr erinnert uns des großen Ernstes des peinlichen Leidens und unsäglichen Schmerzes Leibes und der Seele Christi. Denn das Wörtlein Krankheit deutet an die auswendige Marter und Pein; das Wörtlein Schmerzen die inwendige Angst der Seele. Und das ist geschehen fürwahr, wahrhaftig, ernstlich; es ist kein Scherz gewesen, sondern der höchste Ernst der Gerechtigkeit Gottes; denn Gottes Gerechtigkeit scherzet nicht. Weß sind aber die Krankheiten und Schmerzen gewesen, die er gelitten hat? Antwort: Weß waren die Sünden? Nicht sein, sondern unser, darum trug er wahrhaftig unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Warum? Denn der Mensch hatte mit Leib und Seele gesündiget, war auch mit. Leib und Seele verloren. Darum mußte der Erlöser an Leib und Seele leiden, und sein Leib und Seele zur Erlösung geben.
Das Wörtlein Krankheit erinnert uns unsres Arztes. Leibliche Aerzte nehmen ihre Arznei aus der Natur und geben ihren Patienten Arznei aus Kräutern oder Thieren genommen. Christus ist selbst unser Arzt und ist auch selbst die Arznei.
Dies ist eine wunderliche Kur, daß unser himmlischer Arzt der Patienten Krankheit an sich selbst nimmt und sie also kuriret. Was ist die Ursach? Unsre ewige Krankheit und ewige Todesschmerzen konnten nicht kuriret und weggenommen werden von uns armen Patienten, denn durch den unschuldigen Leib und Seele Christi. Der konnte diese Krankheit zugleich leiden und überwinden. Die Unschuld und Herrlichkeit seines heiligen Leibes und Seele hat diese unendliche Krankheit und ewige Todesschmerzen verzehret als ein Feuer und gar vertilget, daß die ewigen Todesschmerzen und höllischen Krankheiten und peinlichen Plagen keine Macht an unserm Leib und unsrer Seele haben sollten. Damit tröste dich, lieber Christ, in Todesnoth, in leiblicher und geistlicher Krankheit, und wenn du an deiner Seele leidest, geistliche Angst und Traurigkeit hast, so tröste dich, daß dein Herr Christus deine Schmerzen und Angst getragen; sie sollen dich nicht verschlingen.
Was haben die Juden, da sie diese Krankheiten und Schmerzen unsers Erlösers in seinem Leiden gesehen, davon geurtheilet? Wir aber hielten ihn für den, der von Gott geschlagen und gemartert wäre, das ist, die Juden haben's dafür gehalten, er wäre um seiner eignen Missethat willen nach Gottes gerechtem Gericht also zur Strafe gezogen. Ach, der großen Blindheit! Konnten sie ihn doch nicht einer einigen Sünde zeihen; hatte er doch Jedermann Gutes gethan. Aber das ist der Welt Urtheil, wenn fromme Leute in Kreuz gerathen, so schreiet Jedermann über sie: Da, da, das sehen wir gerne; wie dem frommen Hiob und David auch geschehen ist. Gleichwie aber Christi Leiden eine viel andere höhere Ursach hatte, also hat der frommen Christen Kreuz auch viel andere hohe Ursachen.
Die andere Ursach.
Aber er ist um unsrer Missethat willen verwundet, und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die erste Ursach seines Leidens haben wir gehöret, sei unsre Krankheit und Schmerzen gewesen, so er an Leib und, Seele getragen. Woher kommt aber unsre Krankheit und Schmerzen? Von unsrer Missethat, von unsrer Sünde; um derselben willen hat unser Erlöser verwundet und geschlagen werden müssen. Da lernet die rechte Ursach. Denn wegen unsrer Missethat und Sünde, die wir mit unserm sündlichen Leibe begehen, ist der Leib Christi verwundet und geschlagen, und wegen der Sünde und Bosheit unsres Herzens ist seine heilige Seele gequälet und mit der höchsten Seelenangst geängstet worden. Besiehe nun hier den verwundeten Leib deines Erlösers, den zerschlagenen und gegeißelten Leib deines Seligmachers. Jetzo zeiget er dir ihn zur Lehr und Trost. Zur Lehre, daß du deinen Ungehorsam gegen Gott an seinem zerschlagenen Leibe erkennen sollst; diese Schläge und Blutstriemen hat dein Ungehorsam verdienet, so pflegt man den Ungehorsamen zu schlagen. Siehe, du ungehorsamer Knecht, wie hast du deinen Herrn geschlagen und verwundet. Deine Sünden haben ihn gegeißelt, deine Missethat hat ihn also zerschlagen.
Lerne hier auch deinen Trost. Dein Ungehorsam hätte also in der Hölle ewig mit feurigen Peitschen gegeißelt und von Teufeln mit höllischen Schlägen geschlagen werden müssen, wenn dein Herr Christus dir nicht seinen zerschlagenen und verwundeten Leib zeigte, dir zum ewigen Trost, Denn seine Erlösung ist ewig, und gehet Alles auf's Ewige, was Christus gelitten hat, nämlich auf die Erlösung von der ewigen Strafe und auf die Erwerbung der ewigen Freude und Gerechtigkeit.
Die dritte Ursach.
Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten. Ist das nicht eine tröstliche und hohe Ursach des Leidens Christi? Eine hohe Ursach ist's, daß Gottes Gerechtigkeit erfüllet werde. Denn die höchste Beleidigung der Gerechtigkeit Gottes fordert die höchste Strafe. Ist aber das nicht die allerhöchste Treue unsers Erlösers, daß er um unsertwillen eine so schreckliche Strafe auf sich nimmt? Keine größre Treuherzigkeit kann ja sein in Ewigkeit. Ist's nicht die allergrößte Liebe des himmlischen Vaters, daß er unsre Sünde und Uebertretung und Ungehorsam an seinem gehorsamen und allerliebsten Sohne straft? Ach, lieber Gott, hast du uns denn lieber als deinen Sohn, daß du unser verschonest und deinen Sohn strafest? Du machest deinem lieben Sohne ein so großes Herzeleid, Unfried und blutige Schlacht, auf daß wir Frieden hätten? O, was muß der Frieden des Gewissens für ein Kleinod sein, um welches willen Christus so harte und schwere Strafe ausgestanden hat? Laß dir nun die erschreckliche Strafe Christi eine Arznei deines betrübten Gewissens sein. Er hat ja die Strafe, davor sich dein blödes und betrübtes Gewissen fürchtet, erlitten. Die Strafe liegt ja auf ihm, auf daß du Frieden hättest in deinem Gewissen. Gott hat ja deine Sünde einmal gestraft an seinem lieben Sohne, er wird sie ja nicht noch einmal an dir strafen ewig. Das ist ja wider Gottes Gerechtigkeit, zweimal ewig strafen. Darum war das Erste, das Christus zu seinen Jüngern sagte nach seiner Auferstehung: Friede sei mit euch.
Die vierte Ursach.
Durch seine Wunden sind wir geheilet. Waren wir denn krank und tödtlich verwundet? Ach freilich. Wir hätten an dem Sündengift Alle ewig sterben müssen, der zeitliche Tod wäre uns ein Eingang in den ewigen Tod gewesen. Wir lagen Alle an der ewigen Todesnoth krank. Sollten wir nun von dieser Krankheit heil werden, so mußte Gott, der das Leben selbst ist, Mensch werden, denn solche ewige Todesnoth fordert eine Arznei aus der Ewigkeit, und das Leben hat nicht können zu uns kommen, es mußte sich Christus verwunden lassen, auf daß aus diesem Heilbrunnen durch sein Blut das ewige Leben zu uns käme; denn dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben. Wie der Pelikan, wenn seine Jungen von Schlangen gebissen und getödtet werden, dieselben mit seinen Wunden und Blute wieder lebendig macht; in welchem Bilde die Alten dies große Geheimnis? uns vorbilden wollen. Wie die Israeliten in der Wüste hätten Durstes sterben müssen, wenn der Fels nicht geschlagen und Wasser gegeben, also hätte unser ewiger Höllendurst nicht können gestillet werden, wenn dieser Heilbrunnen nicht eröffnet. Ach, ist das nicht eine köstliche Arznei, so aus Christi Wunden geflossen? So lieb hat uns Christus, daß er sich gerne um unsertwillen verwunden läßt; und seine Wunden thun ihm nicht so weh, als ihm unsre Sündenwunden thun und die Wunden des Unglaubens, daß wir ihm nicht glauben wollen. Thun dir aber deine Sündenwunden wehe, wie der 38. Psalm darüber klaget, glaube, daß du durch Christi Wunden bist heil worden.
Die fünfte Ursach.
Wir gingen Alle in der Irre wie Schafe, ein jeglicher sahe auf seinen Weg; aber der Herr warf unser aller Sünde auf ihn. Wie ein Hirte auf einen hohen Berg steiget, und rufet die verirrten Schafe, also ist Christus auf das hohe Kreuz gestiegen, und hat uns Alle gerufen als verirrte Schafe. Und wenn das Leiden Christi nicht geschehen wäre, so wäre die Versammlung der Schäflein Christi zur christlichen Kirche nicht geschehen. Ein jeder wäre seinen Weg gegangen zum höllischen Wolfe zu; da hätte ein jeder einen eigenen Weg gesucht, selig zu werden. Aber hörest du, sagt der Prophet: Gott warf unser aller Sünde auf ihn. Hierher, willst du nicht ewig in der Irre gehen, du verirrtes Schäflein, zu diesem, auf welchen Gott alle unsere Sünde geworfen hat. Dieser Hirte wird dich zum frischen Wasser führen, deine Seele erquicken, und dich auf rechter Straße führen. Lerne nun hier, daß du zu keinem Andern läufest, wenn du als ein verirrtes Schaf in Traurigkeit und Anfechtung gerathest, denn allein zu diesem, auf welchen Gott alle unsere Sünde geworfen hat. Außer diesem kann dir Niemand helfen. Ja, sprichst du, gehet er mich denn auch an für meine Person? Höre, was der Prophet sagt: Gott warf alle unsre Sünde auf ihn. Darunter sind ja deine Sünden auch. Liegen nun deine Sünden auf ihm, so laß ihn dafür sorgen; glaube du nur, er habe sie von dir genommen, daß sie dich nicht werden in den Abgrund der Hölle drücken.
Dies ist der große Hirte, der die verlorenen Schäflein suchet, und die verwundeten heilet. Wie kann er dich besser heilen, denn wenn er deine Sünden von dir nimmt? So darfst du dich auch vor Gott nicht fürchten, hat doch Gott selbst unser aller Sünde auf ihn geworfen. Wenn er wollte, daß du ewig verloren sein solltest, so hätte er dir diesen getreuen Hirten nicht gesandt, und deine Sünde nicht auf ihn geleget.
Wenn du nun betrübet bist, so bedenke diese fünf Ursachen des Leidens Christi.
II. Das andre Stück: Die hohe Geduld Jesu Christi.
Da er gestraft und gemartert ward, that er seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführet wird, und wie ein Schaf, das verstummet vor seinem Scheerer, und seinen Mund nicht aufthut.
Um der hohen Geduld willen wird Christus einem Lämmlein verglichen. Darum hat Gott dies geduldige Thierlein mit solcher Eigenschaft begabt, daß es uns Christum vorbilden soll. Das Buch der Natur zeuget auch von Christo. Die Ursachen aber der großen Geduld Christi in seinem großen Leiden sind 1. daß er thue den Willen seines Vaters als ein gehorsamer Sohn, als ein frommer und gerechter Knecht Gottes, davon der 40. Psalm und Jesaia 42 und 50 weissagen. Das ist die höchste Geduld, ja die höchste Tugend, nicht seinen eigenen Willen, sondern Gottes Willen thun. Ach, wenn wir's dahin bringen könnten, daß wir unserm eigenen Willen gar absterben, und uns dem gnädigen Willen Gottes ergeben könnten, welch ein Wohlgefallen würde Gott an uns haben! Adam und alle Adamskinder thun nicht Gottes, sondern ihren eigenen Willen, daher alle Sünde und Unglück kommt. Darum hat Christus unsern eignen bösen Willen büßen, und in so hoher Geduld Gottes Willen in seinem Leiden vollbringen müssen.
2. Sollte Christi Leiden ein vollkommener Gehorsam sein. Darum mußte er in der allerhöchsten Geduld sein Leiden verrichten und dadurch unsern Ungehorsam büßen. Es kann kein Wohlgefallen Gottes bei einem Menschen sein, der ungehorsam ist. Sollte nun Gott wiederum ein Wohlgefallen am Menschen haben, so mußte es durch Christi vollkommenen Gehorsam geschehen.
3. So erfordert eine solche hohe Geduld die vollkommene Bezahlung unsrer Sünde. Denn wenn kein vollkommener Gehorsam und Geduld da gewesen wäre, so wäre keine vollkommene Bezahlung für unsre Sünde geschehen.
4. So erfordert die Versöhnung Gottes und Abwendung seines gerechten Zorns eine so hohe Geduld und geduldigen Gehorsam. Denn Gott kann nicht versöhnet werden, als durch den allertiefsten Gehorsam und durch die höchste Geduld. Geduld stehet im Herzen, That und Munde. Es ist bei Christo gewesen 1. Eine Geduld des Herzens, denn er gab sich willig in den Tod, und sprach zu seinem Vater: Willst du, Vater? Nicht mein, sondern dein Wille geschehe. 2. Die Geduld der That; er hat lassen mit sich handeln, wie sie gewollt haben, nach allem ihren Muthwillen. 3. Die Geduld des Mundes; er hat seinen Mund nicht aufgethan.
Diese hohe Geduld Christi soll nun eine Arznei unsrer Ungeduld sein, und auch in uns die Geduld des Herzens und der Seele erwecken. Fasset eure Seelen mit Geduld, Hebr. 12. Gedenket an den, der ein solch Widersprechen von den Sündern erlitten hat, daß ihr nicht müde noch laß werdet. Röm. 12. Vergeltet nicht Böses mit Bösem, noch Scheltwort mit Scheltwort, sondern die Geringen segnet. 1. Petr. 3: Christus hat uns ein Vorbild gelassen, daß wir sollen nachfolgen seinen Fußstapfen. Rächet euch nicht selbst, meine Geliebten. Röm. 15. So deinen Feind hungert, so speise ihn mit Brot, Sprüchw. 25. Zur Geduld der That gehöret auch die Geduld im Kreuz; denn wer im Kreuz wider Gott murret, der beschuldiget Gott der Ungerechtigkeit. Hilarius sagt: Durch die Geduld der Seele wohnet Christus in uns.
Obwohl die Erde gebebet, die Sonne verfinstert, die Felsen zerrissen und alle Elemente getrauert, so ist doch Christi Herz, Hand und Mund nicht zur Ungeduld bewogen worden, denn seine Demuth, Sanftmuth und Geduld ist fester, stärker und unbeweglicher denn Himmel und Erde; und seine Liebe ist stärker denn der Tod, eine Flamme des Allmächtigen, welche keine Flamme austilgen kann.
Ach, wer doch Alles leiden könnte ohne Murren und Rachgier, um der heiligen Geduld Christi willen; wie würde ihn Christus mit großer Ruhe und Frieden der Seele erfüllen und kräftiglich in ihm leben und wirken!