Ahlfeld, Friedrich - Zeugnisse - Wie sammelt sich der Herr seine Gemeinde?

Ahlfeld, Friedrich - Zeugnisse - Wie sammelt sich der Herr seine Gemeinde?

(Am 3. Sonntage nach Epiphan. 1855.)

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen.

Amen.

Unser heutiger Text steht geschrieben im Ev. St. Johannis Kap. 1, V. 35-42.
Des andern Tages stand abermals Johannes, und zwei seiner Jünger. Und als er sah Jesum wandeln, sprach er: Siehe, das ist Gottes Lamm. Und zwei seiner Jünger hörten ihn reden, und folgten Jesu nach. Jesus aber wandte sich um, und sah sie nachfolgen, und sprach zu ihnen: Was sucht ihr? Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi (das ist verdolmetscht Meister), wo bist du zur Herberge? Er sprach zu ihnen: Kommt und seht es. Sie kamen und sahen es, und blieben denselbigen Tag bei ihm; es war aber um die zehnte Stunde. Einer aus den zwei, die von Johanne hörten, und Jesu nachfolgten, war Andreas, der Bruder Simonis Petri. Derselbige findet am ersten seinen Bruder Simon, und spricht zu ihm: Wir haben den Messiam gefunden (welches ist verdolmetscht der Gesalbte), und führte ihn zu Jesu. Da ihn Jesus sah, sprach er: Du bist Simon, Jonas Sohn; Du sollst Kephas heißen (das wird verdolmetscht ein Fels).

In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Nie vergisst eine Braut die Zeit und den Ort, wo ihr Bräutigam sie zuerst gefragt hat, ob sie seine Gehilfin für das Pilgerleben werden wolle. Auch die Worte, mit denen er sie damals angeredet hat, kommen ihr nimmer aus dem Gedächtnis. Und ob sie als Frau wohl alt werde und Vieles aus dem späteren Leben vergesse, dies vergisst sich doch nicht. Nun ist, in dem Herrn geliebte Gemeinde, unser Herr und Heiland der Bräutigam, und jegliche gläubige Christenseele die Braut. Der Herr hat sie lieber, denn ein Bräutigam die Braut; er hat auch inniger und dringender um sie geworben, denn ein Bräutigam um die Braut. Meinst du, dass ein Christ die Zeit und die Umstände vergessen könne, wo sein Herr ihn aus dem Tode zum Leben erweckte, wo er ihn an sein Herz nahm und ihn die unaussprechliche Seligkeit der Kindschaft Gottes zuerst erfahren ließ? Er kann es noch viel weniger.

Johannes der Evangelist war alt geworden. Er soll sein Evangelium erst nach seinen Briefen und nach seiner Offenbarung geschrieben haben. Sein Leben war reich gewesen an Mühe und Arbeit. Erst hatte er nach der Himmelfahrt des Herrn stille in Jerusalem gelebt und war der Maria bis zu ihrem Tode ein treuer Sohn gewesen. Dann hat er in der Stadt Ephesus sein Evangelisten- und Apostelamt verwaltet. Viel Sorgen hat er gehabt mit Schwachen und Abtrünnigen, viel Kämpfe mit stolzen Widersachern und viel Verfolgung hat er erlitten von der römischen Obrigkeit. Er war eine Zeitlang auf der Insel Patmos gefangen gewesen. Aber durch alle diese Fährlichkeiten hindurch leuchtet und blüht mit unvergänglicher Frische die Erinnerung an den Tag, wo er den Herrn und wo der Herr ihn gefunden hat, und wo seine Seele eine Braut Jesu Christi geworden ist. Er redet in unserem Texte offenbar von sich selber. Er gedenkt zweier Jünger, welche auf das Wort Johannis des Täufers dem Herrn nachfolgten. Einer ist Andreas, der Sohn des Jonas, der Bruder Simonis Petri. Der andere ist er selbst. Wir kennen die zarte Weise, mit der er seiner in der Erzählung gedenkt, ohne seinen Namen zu nennen. Noch war ihm der Tag und die Stunde gegenwärtig, wo er zuerst vor dem Herrn stand, und noch wusste er die ersten Worte, die der Herr an ihn gerichtet hatte. Der kleine galiläische Freundeskreis, in welchem er zu dem Täufer gezogen war, war längst zersprengt. Sein eigener Bruder Jakobus war längst unter dem Schwerte des Herodes gefallen. Auch Petrus war seinem Herrn in Rom bereits ans Kreuz und in den Tod nachgefolgt. Aber unvergessen war es dem frommen Alten, wie sie der Herr zu sich gesammelt, und wie er aus den Fischern vom galiläischen Meere seine erste Gemeinde berufen hatte. Schritt für Schritt beschreibt er uns diese Gnadentat. Dieselbe bleibt aber, teure Brüder und Schwestern, für alle Zeit ein Vorbild, wie lebendige Gemeinden zu Christo gesammelt werden. Auch wir mussten und müssen auf demselben Wege, auf denselben Stufen zum Herrn hin, auf welchen jene Fischer zu ihm gegangen. sind. Wir behalten uns daher aus unserem heutigen Texte die Frage, welche auch trefflich in die Epiphanienzeit passt:

Wie sammelt sich der Herr seine Gemeinde?

Wir antworten:

  1. Das Gesetz weist sie zu ihm hin;
  2. Die Heilsbegierigen suchen und sehen;
  3. Wenn sie ihn erkannt haben, rufen sie zu ihm, wen sie finden.

Herr Jesu Christe, lass uns doch Alle die Last und das Elend unserer Sünden recht fühlen. Durchbrich du den Leichtsinn dieses Geschlechtes, damit wir erkennen, wie wir mit unsern Sünden Gottes Zorn und Strafe wohl verdient haben, wie Moses über uns Alle den Stab gebrochen hat, und wie wir uns allzumal selbst nicht helfen können. Sind wir dann hinuntergegangen in diese Tiefe, dann sende uns aus Gnaden einen Johannes, der da zeuge und rufe: „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.“ Und dann gib dem armen Herzen Glauben, dass es nicht verdurste vor dem offenen Brunnen. Gib uns einen neuen Willen, in welchem wir zu dir eilen, dich suchen, dich sehen und finden und bei dir bleiben. Und wer dich gefunden hat, in dem entzünde das Feuer der brüderlichen Liebe, dass er überall von dir Zeugnis ablege und zu dir locke Brüder, Freunde und Bekannte. Ach Herr, wie diese Fischer nicht ruhen konnten, bis sie ihre Freunde dem großen Menschenfischer in sein Netz geführt hatten, so lass auch uns nicht ruhen. Treibe uns im heiligen Geist, bis wir einst sagen können: „Herr da bin ich und das Weib oder der Mann und die Kinder und die Brüder und Schwestern und Freunde, die du mir gegeben hast.“ Zu solchem Ernste und Fleiße segne uns heute die teure Geschichte der ersten kleinen Gemeinde, welche du um dich gesammelt hast. Amen.

I. Das Gesetz weist zu Christo hin.

Teure Gemeinde, in unserem Kapitel wird ein ganzer Kreis von Galiläern erwähnt, welche eng mit einander befreundet waren. Da begegnet uns Johannes, Andreas, Petrus, Philippus und Nathanael. Von ihrem früheren Leben wissen wir nur, dass sie Fischer gewesen sind. Sie treten Alle erst mit dem Tage aus dem Dunkel heraus, wo sie in die Nähe des Herrn kommen. Es geht ihnen wie den Planeten am Himmel, welche auch nur erst gesehen werden, wenn sie die Sonne bescheint. Das Einzige, was wir sonst von jenen Galiläern wissen, ist, dass sie Sucher des Heils gewesen sind. Denkt euch, fünf oder sechs oder noch mehr Männer und Jünglinge sind an vierzig Meilen weit gewandert, um Johannes den Täufer zu hören, um sich von ihm taufen und das Gewissen schärfen zu lassen. Es ist eine tiefe Unruhe und Sorge in den Männern. Wer täte das jetzt wohl? Eher gehen Zehn um solche Stätte, um solche Kirche herum, ehe Einer hineingeht. In wem unter uns wäre wohl die Heilsbegierde so warm, dass er einen solchen Weg unternähme? Und doch muss ein Jeder, welcher wahrhaft zu dem Herrn kommen will, erst hinaus in die Wüste und vor Johannes vorbei. wenn doch dieser Weg recht betreten wäre! Wenn man doch auch unser Aller Fußtapfen auf demselben sähe! Aber kein Weg ist öder, denn der ernste Bußweg. Wohl sucht alle Welt, aber sie sucht am unrechten Orte. Jeder will ein Kleinod haben, mit dem er sich endlich begnüge; aber die Meisten gehen irre in der Wahl. Wenn du dein Heil in der Welt suchst, wirst du auf doppelte Weise betrogen. Das Gut, in welches du dein Glück setzt, kann dich eines Teils nicht beglücken, und wenn du dies fühlst, weist es dich auch noch zu einem falschen Helfer hin. Wenn der Mammon dein Schatz ist, hat deine Seele doch keine Ruhe darin. Fragst du deinen Gott: „Wo ist Ruhe?“ dann antwortet er dir: „In einer noch größeren Masse solcher Güter.“ Und wenn du mehr hast, ist doch kein Friede. Wenn du in einer Freude betrogen bist, wirst du an die andere gewiesen, wo du doch wieder nur die Erfahrung machst, dass sie auch ein fallend Blatt und Staub und voll Herzeleid ist. Wenn du dich an Menschen hängest, und der Eine ist dir zu schwach oder zu untreu, dann sagt dir die Welt: „Du musst einen Angeseheneren oder Zuverlässigeren wählen.“ Und doch hältst du in ihm auch Fleisch für den Arm des Herrn und hast eine zerbrechliche Stütze. Die Welt und das Fleisch reden nie von Christo und weisen nie zu Christo. Sie können es nicht, es wäre ja Verrat an sich selbst, sie wiesen zu ihrem eigenen Überwinder. Ob jene Galiläer, Johannes, Andreas, Petrus, Philippus und Nathanael auf den Wegen der Welt gesucht haben, das wissen wir nicht. Wir finden sie auf der zweiten Stufe, vor Johannes, vor dem Gesetze, da suchen sie Frieden. Wer in der Welt sich abgemüdet hat, der denkt wohl, wenn seine Heilssehnsucht nicht völlig erstorben ist: „Nun will ich einen andern Weg einschlagen, ich will ein stiller, rechtschaffener Mann werden, ich will mit aller Treue dem Gesetze nachleben.“

Solche Männer waren unsere Galiläer. Sie wollten das Möglichste tun in gesetzlicher Strenge. Darum kamen sie zu Johannes. Auch mit seiner im Gesetz nicht einmal gebotenen Taufe wollten sie sich taufen lassen. Bei ihm erfuhren sie nun freilich, dass auf dem Wege des Gesetzes und der Werke kein Heil sei. Er hatte das Evangelium nicht, er war nicht Christus, er konnte sie nicht lossprechen von ihren Sünden. Doch ist das Gesetz als eine ehrliche Ordnung Gottes kein Lügner wie die Welt. Wer bei ihm das Heil finden will, täuscht sich zwar auf der einen Seite. Er findet keine Vergebung der Sünden, keine Gnade. Aber das Gesetz ist redlich, stellt ihm wahr und klar sein inneres Elend dar, und tut ihm endlich noch den größten Liebesdienst. Es ist ein Zuchtmeister auf Jesum Christum. An Allen, die es redlich meinten, die ihrer Sünde ledig sein wollten, übte Johannes diesen letzten Dienst. Wie oft er auch schon die suchenden Seelen auf Christum hingewiesen hatte, er ließ sich die Mühe nicht verdrießen, er tat es immer aufs Neue, er sprach auch zu Johannes und Andreas: „Siehe, das ist Gottes Lamm.“ Seht, ihr Mühseligen und Beladenen, dort ist die Erquickung. Seht, ihr Durstigen, dort ist der Brunnen. Seht, ihr vom Gesetze Verdammten, dort ist die Gnade. O welche Erquickung liegt in dem Worte: „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt!“ Es trägt der Welt Sünde, es trägt auch deine Sünde, denn du gehörst zur Welt. Lege ihm nur deine Sünde im Bekenntnis und im Glauben mit auf, trage sie hin unter das Kreuz, der Herr trägt sie auch; denn er hat dich lieber, als sein Leben. Wer es nur redlich meint unter seinem Gesetze, sei er ein Jude oder ein Heide, oder ein Christ, der von dem Evangelio noch Nichts erfahren hat: dem will es Gott in dieser Redlichkeit gelingen lassen, er soll in diesem Suchen den Herrn finden. Wie ihn Juden da gefunden haben, davon gibt uns unser Text samt den ganzen Evangelien und der Apostelgeschichte Beispiele die Fülle. Wie die redlichen Sucher unter den Heiden endlich an den Heilsbrunnen kommen, davon zeugt die ganze Missionsgeschichte.

Für alle hört ein einziges Beispiel. Ein Hindu war aufgeschreckt aus der alten innern Trägheit. Sein Gewissen, welches jahrelang geschwiegen, hatte in scharfer, schneidender Sprache reden gelernt. Er hatte keine Ruhe mehr. Er ging zu seinem Priester und fragte, wo er Frieden fände. Der Priester antwortete: „Du musst dich in dem heiligen Fluss Ganges baden.“ Er ging und vollbrachte das Gebot. Aber das Wasser drang nur an den Leib und nicht an das Gewissen. So unruhig und beladen, wie er hineingegangen war, ging er auch wieder heraus. Er fragte zum zweiten Male, was er tun solle. Da ward ihm eine Wallfahrt nach einem entfernten Götzentempel aufgelegt. Er beriet sich nicht mit Fleisch und Blut, ob er es tun oder lassen. sollte. Hundertundfünfzig Stunden weit wanderte er durch Sonnenglut und heißen Sand. Aber die Angst ging mit hin und ging auch wieder mit nach Hause. Zum dritten Male sucht er Rat und Hilfe. Der Priester antwortet ihm: „Dir soll geholfen werden.“ Er gibt ihm auf, sich spitze Nägel durch die Schuhe zu schlagen, sich einen schweren Block auf die Schultern zu laden, und als Büßer fünfzig Stunden weit nach einem andern Wallfahrtsorte zu gehen. Und der Geängstigte, eine rechte Blume in diesem suchenden Büßervolke, macht sich auf den Weg. Schon ist er zwanzig Stunden weit unter den unsäglichsten Schmerzen gewandert. Da findet er in einem Dorfe eine große Versammlung und vor derselben einen Zeugen Christi, welcher dem Suchenden, der seine Sünden selbst tragen und abbüßen wollte, das Wort entgegenruft: „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.“ Und dabei entwickelt er der Versammlung, wie sich der Herr für uns dargegeben habe zur Gabe und Opfer, Gotte zu einem süßen Geruch, und wie er unsere Sünde, Schuld und Last mit ans Kreuz genommen habe. Da steht der Sucher still. Er wirft die Nagelschuhe und den Block von sich und jubelt: „Ich habe gefunden, was ich so lange gesucht habe.“

Was kein Wasser, kein Sonnenbrand und Wüstensand, was kein Götze mit seinen Zeremonien abnehmen kann, das nimmt uns die Liebe ab. Sie ist lebendig, stark und innig genug, auch an das Herz zu dringen und es uns innerlich erfahren zu lassen. Und du, redlicher Sucher, der du durch das Gesetz, durch rechtschaffenen Wandel vor Gott gerecht und selig werden willst, findest du denn Frieden? Je treuer du das Gesetz halten willst, je sorgfältiger du über dich wachst, um so mehr erkennst du, dass du es nicht erfüllst. Du lernst dein Herz dabei kennen. Du merkst, dass du wohl Hand und Fuß und Zunge zügeln kannst, aber nicht das Herz. Du merkst, dass der Herzenskündiger täglich viel Übertretung in dir findet. Du gestehst mit Paulo ein: „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; aber das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“

Du erfährst, dass du dir doch nimmer Frieden erwerben kannst. Bist du auch, wie jetzt die Könige von Europa, eine Weile zu stolz, das Wort „Friede“ auszusprechen und um Frieden zu bitten, so ringt sich endlich doch aus dem wogenden Meer, aus den Gedanken, die sich unter einander verklagen oder entschuldigen, der Angstruf hervor: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ In solchen Angststunden predigt das ehrliche und demütige Gesetz seine Jünger selber von sich fort. In solche Angststunden hinein antwortet Johannes: „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.“ Ja „trägt,“ nicht „getragen hat.“ Er trägt sie auch heute noch. Er hat eine ewige Erlösung erfunden. Sein eines Opfer ist vollgültig für alle Zeiten. Er vertritt uns auch jetzt noch vor seinem himmlischen Vater mit treuer Fürbitte. Wenn uns das Gesetz zu ihm hingewiesen hat, dann hat es seinen Dienst vollendet. Und was dann?

II. Die Heilsbegierigen suchen und sehen.

Teure Gemeinde, es ist. nicht genug, den Herrn von ferne zu sehen. Bei Keinem darf man sich weniger auf fremde Erfahrung stützen, als bei ihm. Persönlich, in eigner Erfahrung müssen wir ihn kennen gelernt haben. Darum gehen jene Beiden von Johanne weg und folgen Jesu nach. Der Täufer in seiner Demut ist darüber nicht verdrossen. Er hat es ja vorhergesagt: „Jener muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ Als Johannes und Andreas dem Herrn nahe kamen, richtete er an sie die Grundfrage: „Was sucht ihr?“ Er fragt nicht: „Wen sucht ihr?“ Wenn er so gefragt hätte, hätten sie ihm eine Antwort über seine Person geben müssen. Aber „Jesus ließ,“ wie ein alter frommer Ausleger zu unserer Stelle bemerkt, „nicht lange Personalien von sich machen.“ „Was sucht ihr?“ Das bleibt die Grundfrage für alle Zeit. Nun denn, teure Gemeinde, was sucht ihr bei Christo? Wer Güter der Welt bei ihm sucht, der betrügt sich. Er hat sie nicht und will sie auch nicht geben. Wer Ehre der Welt sucht, betrügt sich gleichfalls. Er sagt es seinen Jüngern voraus, dass die Welt sie um seines Namens willen schmähen und allerlei Übels von ihnen reden wird. Wer den Herrn sucht als einen bequemen Sündendeckel, ist auch verloren; denn ehe die Gnade und die Heilung kommen kann, muss dir das Schwert durchs Herz gegangen sein. Und wenn du in dem Herrn nur eine Befriedigung deines künstlerischen Genusses suchst, so gehst du einst doch leer von dannen. Es ist wahr, an keinen von Allen, die auf Erden wandelten, haben die Künste mehr Talent und Fleiß gewendet, als an ihn. Seine Person und sein Werk haben sich Dichtkunst und Musik zur höchsten Aufgabe genommen; Malerei und Bildhauerkunst sind an dem heiligen Gottmenschen nicht müde geworden und werden auch nicht müde werden. Aber sie Alle weben nur neue schöne Gewänder um den Erlöser. Darum wenn du dich in ein Oratorium oder in eine andere geistliche Musik hineinlebest, wenn du dich in ein Bild des Gekreuzigten versenkest, dann frage dich: „Was suchst du?“ Suchst du nur die Kunst in demselben, so bist du doch betrogen, denn die Kunst macht Keinen selig. Wenn du nicht antworten kannst: „Herr, ich suche dich,“ so ist deine Seele am Saume seines Kleides hangen geblieben.

Suche Jesum und sein Licht,
Alles Andre hilft dir nicht.

Unsere zwei Jünger suchten ihn und ihrer Seelen Heil. Sie wollten nicht eine flüchtige Bekanntschaft mit ihm machen. Sie wollten ihn gründlich kennen lernen und haben. Darum antworten sie auf seine Frage: „Meister, wo bist du zur Herberge?“ Er aber ladet sie ein, indem er zu ihnen spricht: „Kommt und seht es.“ In dem Worte liegt Alles. Da liegt das „Wo.“ Aber damit war es nicht genug. Er wollte ihnen nicht allein die vier Wände zeigen, in denen er wohnte. Sie sollten zugleich das „Was“ erkennen. Sie sollten erfahren, dass er es sei, den sie suchten, und dass er ihnen geben könnte, was sie suchten. So sind sie denn mitgegangen, und sind von der zehnten Stunde, von Nachmittag vier Uhr bis zum Abend bei ihm geblieben. Was er mit ihnen geredet hat, davon schreibt uns der Evangelist kein Wörtlein. Aber sie haben ihn gesehen in der seligen, göttlichen Herrlichkeit seiner Person. Sie haben ihn gehört in der heiligen Gewissheit seines Wortes. Sie haben ihn auch kennen gelernt als den Herzenskündiger. Er schloss, wie den folgenden Tag dem Petrus und dem Nathanael, ihnen selbst ihr eigenes verborgenes Wesen auf. Weil er das Licht so genau kannte und selber das Licht war, kannte er auch ihre Finsternis und ihr Sehnen nach dem Lichte so genau. Er hat auch wohl die Abendstunden, wie so häufig, bezeichnet mit Taten und Wundern an den Kranken. Genug, ehe sie wieder zu Johannes zurückkehrten, ehe die Nacht kam, war es Tag in ihnen geworden. Die Sonne der Gerechtigkeit war ihnen aufgegangen. Sie waren überwunden und überzeugt, dass sie nicht allein den Mann aus Nazareth, sondern den Messias und das Heil ihrer Seelen gefunden hatten. Du nun, der du einen Klang von ihm vernommen hast, den Johannes zu ihm hingewiesen hat, der du dich auf den Weg zu ihm machen möchtest, du fragst: Wo finde ich ihn jetzt, wo ist er jetzt zur Herberge?“ Daheim ist er bei seinem Vater im Himmel, in der Stätte seiner ewigen Herrlichkeit. Zur Herberge ist er hier in der Kirche. Die Kirche ist eine Hütte Gottes bei den Menschen. Tritt heran an das Bekenntnis deiner Kirche mit einem guten Vorurteile. Versammle dich mit der betenden Gemeinde. Du wirst bald erfahren, dass er da herbergt und dir nahe ist. Zur Herberge ist er hier in seinem Worte. Er will uns in dem Worte nahe sein, bis er uns in der Erfüllung in seiner sichtbaren Person.

Da gehe du zu ihm ein. Da siehe ihm in sein Angesicht, da höre seine gewisse und holdselige Rede, da vernimm die Taten, welche er einst durch das mündliche und dann fort und fort durch das geschriebene und gepredigte Wort getan hat. Geh hinein in den stillen Morgen- und Abendstunden. Sage ihm: „Herr rede, denn dein Knecht hört.“ Du wirst ihn erkennen. Auch dich wird er überwältigen mit der himmlischen Klarheit seiner Rede, mit der Wahrheit über dich selbst, mit seinen Taten, und endlich mit seiner hochheiligen Person, welche überall hinter dem Worte und den Taten steht. Leider versündigen wir uns Alle häufig darin, dass wir selten lange im Worte bleiben. Jene Jünger blieben bei Jesu bis in die Nacht und sind später bei ihm geblieben, so lange er auf Erden wandelte. Wir lesen wohl einmal ein Weilchen im Worte. Wo ist aber das heilige Ruhen in demselben? Wie Viele von euch haben denn in ihrem Mannes- oder Frauenalter nur ein Evangelium oder den Brief Pauli an die Römer oder ein anderes größeres Stück des neuen Testamentes in stiller Betrachtung durchgelesen und den Herrn ihre Seelen ziehen und halten lassen? Ihr, die ihr noch umhersucht nach Frieden, bleibt nur erst einen Abend im Worte bei dem Herrn, und es wird Manchem ergehen wie jenen beiden Jüngern, welche ihr Lebelang nicht von ihm weggewollt haben.

Noch einmal fragen wir: „Meister, wo bist du zur Herberge?“ Er herbergt in jedem demütigen Christenherzen. Er fragt nicht, ob Reich oder Arm. Man sieht es Manchem äußerlich nicht an, was für ein herrlicher Gast in ihm wohnt. Der Herr scheuet sich vor keinem schlechten Rocke, vor keiner Dachstube, vor keinem noch so niedrigen ehrlichen Beruf, vor keinem zerfallenen kranken Leibe. Ist doch die Not und Krankheit oft gerade die Tür, zu welcher er einzieht. Er will bei Allen einkehren? Ist er nun auch bei dir zur Herberge? Du sagst: „Ich weiß selbst nicht, was ich antworten soll.“ Er ist da, wenn du in seliger Festigkeit an ihn glaubest. Er ist da, wenn er in deine Seele seinen Frieden ausgeschüttet hat; er ist da, wenn er dir das Bild seiner Liebe, Sanftmut und Demut aufgeprägt hat. Er ist da, wenn er das Heimweh nach dem Himmel, seiner wesentlichen Wohnung, in dich gepflanzt hat; wenn sich der Christus in dir nach dem Christus über dir sehnt; wenn die Welt mit ihrer Lust und ihrem Leid, mit ihrem Gut und ihrem Neid zu deinen Füßen liegt. Was sagen wir denn nun: „Ist er bei uns zur Herberge?“ Ach noch nicht. Als Gast haben wir ihn zuweilen bei uns, aber sein stetes Wohnen, sein Herbergen in uns duldet das Fleisch noch nicht. Es ist noch zu mächtig. Was meinst du, wenn Jemand nach Christo suchte und Johannes oder ein Anderer, der von dir eine gute Meinung hat, wollte ihm sagen: „Geh zu dem, in dem wohnt er, in dem hat er eine Gestalt gewonnen:“ wäre es denn wahr? sähe er denn in uns ein Nachbild des Herrn? würde er denn bei uns lernen können, wie ein Mensch Gottes in seinem Herzen und Wandel gestaltet sein soll? Ach nein. Wir müssten zu ihm sprechen: Suche nicht bei mir, es ist noch kein Ganzes, es wallet und woget noch, wie wenn sich Etwas gestalten will. Aber es hat noch keine feste Gestalt. Mein armes Leben möchte dich eher abstoßen, als zu ihm heranziehen. Gehe du lieber in das Wort Gottes, da hast du ihn in seiner ganzen lieblichen Gestalt. Gehe zu Andern, gehe ein in die Geschichte seiner Zeugen. Da findest du Tausende, denen seine Züge viel wahrer und fester aufgeprägt waren, als mir armem Anfänger.“ - Lasst uns, teure Gemeinde, mit einander suchen, bis durch das Wort und die heilige Geschichte auch unser Herz endlich eine feste Herberge Christi geworden ist.

Ob wir ihn auch schon gefunden haben, wir müssen ihn noch besser haben. Es muss keine Zeit mehr geben, wo sich die Welt und das Fleisch zwischen ihn und uns stellen könnten. Sucht! Er ist ja so gnädig, dass er uns zu allen Zeiten den Zugang gestattet. Maria Magdalena kommt zu ihm am frühen Morgen, mit dem samaritischen Weibe knüpft er sein Gespräch am Mittage an, unsere beiden Jünger besuchen ihn am Abend, und Nikodemus kommt zu ihm in der Nacht. Große Herren setzen bestimmte Stunden an, wo man mit ihnen reden kann; dem Herrn aller Herren bist du zu jeder Stunde willkommen. Jede Zeit ist ihm recht dazu, dich in deinem Glauben fester zu gründen, zu stärken und vollzubereiten. Das ist sein Werk. Was aber tun die, so ihn gefunden haben?

III. Sie rufen zu ihm, wen sie finden.

Unser Text erzählt uns von Andreas, dass er zuerst seinen Bruder Simon gefunden habe. Wir wissen nicht, ob dies noch an demselben Abend, oder erst am andern Morgen geschehen sei. Das aber wissen wir: Andreas hat seinem Bruder nichts Größeres und Eiligeres zu verkündigen, denn dass sie den Messias gefunden hatten. Sein Herz war voll davon, und der Mund ging über. Teure Gemeinde, das ist echte brüderliche Liebe. Diese Brüder hatten einen Vater und eine Mutter; sie hatten einen Beruf, sie hatten oft mit einander an demselben Netz gezogen und oft mit einander über die vergebliche Arbeit getrauert. Aber das war Alles dem Andreas nicht genug, er wollte, dass sie auch im heiligsten Bunde, in dem einen Heilande Brüder würden. Darum ist die selige Botschaft sein erstes Wort an seinen Bruder. Und wir nun, so viele unserer den Herrn gefunden und Brüder und Schwestern haben, haben wir es auch als unsere nächste und teuerste Aufgabe betrachtet, ihnen davon Kunde zu geben? Wem ein Kindlein geboren ist, der schreibt davon Brüdern und Schwestern, Freunden und Verwandten. Und wenn in dir selbst ein neuer Mensch zum Leben geboren ist, dann könntest du schweigen? Wer einen Schatz gefunden oder gewonnen oder erworben hat, der gibt den Seinen die Kunde davon sobald als möglich. Und doch ist dies nur vergänglich Gut, welches gar bald wieder verloren gehen kann. Hast du nun den ewigen unvergänglichen Schatz, das echte Gold, das der Rost nicht frisst und dem die Diebe nicht nachgraben, gefunden, dann sollst du gar nicht schweigen können. Wie kommt es aber, dass es in der Kirche Christi so stille ist von Christo? Wie kommt es, dass so wenig Zeugnis von dem Herrn abgelegt wird? Es haben ihn so Wenige noch gefunden. Und wenn Millionen und aber Millionen Christen heißen und sie zeugen nicht von Christo, so sind sie doch keine lebendigen Christen. Wer das Leben hat, muss vom Leben zeugen; dies Zeugnis ist ein Teil seines Lebens. Es ist auch sein Amt, denn durch die Gemeinde soll die Gemeinde gebaut werden. Siehe den Andreas an. Er bleibt nicht dabei stehen, dass er zu seinem Bruder Petrus von dem gefundenen Heiland redet. Er nimmt ihn an die Hand und führt ihn zu Jesu. Er mag zu ihm gesagt haben: „Herr, da bringe ich meinen Bruder, der auch auf den Trost Israels wartet. Was ich gefunden habe, daran soll er auch Teil haben.“ Und der Herr sieht diesen Petrus an. Er erkennt, welche gewaltigen Kräfte in dem Manne ruhten. Freilich standen sie jetzt noch im Dienste des eigenen Willens, des natürlichen Menschen. Der Herr erkennt aber auch die Heilsbegierde, die sich in diesem starken Mann regte. Er sieht, was in der Erneuung aus ihm werden wird. Er beginnt seine Heilsarbeit an ihm damit, dass er ihm einen neuen Namen gibt. Er spricht: „Du bist Simon, Jonas Sohn; du sollst Kephas heißen (das ist verdolmetscht ein Fels).“ Simon Petrus ist vom Herrn angenommen, er hat den neuen Namen empfangen. Dieser neue Name ist das Unterpfand auf die Erneuung des ganzen Mannes. Er ist wie eine Hand, die der Herr in seine Seele gelegt hat, um ihn aus dem eignen Ich herauszuziehen und in sich selbst zu gründen. Die Brüder waren nun ganze Brüder. Andreas hatte eine doppelte Freude. Einmal hatte sein Bruder auch den Herrn gefunden; und sodann sollte dieser Bruder ein Fels heißen und werden. War aber Simon ein Fels, dann konnte sich Andreas in Sturm und Wetter - und Sturm und Wetter sollte es um die junge Kirche genug geben - an ihn anlehnen. Da war gleich der Lohn für die brüderliche Liebe. Und du, der du lebendig geworden bist in dem Herrn, der du den Messias gefunden hast, geh und fasse deinen Bruder an die Hand. Nimm ihn mit zu Christo. Führe ihn hinein in die Tiefe des Worts. Trage ihn vor den Herrn mit fleißigem Gebt. Überwinde ihn mit ungefärbter Bruderliebe. Was dem Andreas oblag, liegt auch dir ob. Glaube es, du hast den reichsten Segen davon. Zunächst wird dein Bruder, erst wenn er den Herrn gefunden hat, dein rechter Bruder. Wie ganz anders legt man den Arm in den Arm seines Bruders, wenn man weiß, dass beide Herzen sich in Aufrichtigkeit dem Herrn hingegeben haben! Wie ganz anders klingt der Name Bruder, wenn sich beide auch in der Gnade als Brüder wissen; wenn beide nicht allein von einem Vater und einer Mutter, sondern auch von dem einen Heilande zu einem unvergänglichen Leben wiedergeboren und erneuert sind. Dann erst kann dir dein Bruder auch ein Fels werden. Kein natürlicher Mensch, und wenn er einen noch so starken Willen hätte, kann dir ein Fels sein. Es ist Alles nur eigene Kraft und du bist ihrer, ob er auch dein Bruder ist, nicht einmal bis morgen gewiss. In dem Herrn wird er ein Fels in Kraft und Treue. Du hast den ersten und reichsten Segen davon. Wer aber keinen Bruder zu gewinnen hat, der lese weiter in unserem Kapitel. Da wird er finden, wie Philippus, nachdem er selbst gewonnen ist, sogleich das Netz nach dem Nathanael auswirft. Er war nicht sein Bruder, er ward nun sein Bruder in Christo Jesu. - Durch solche Treue soll die Gemeinde wachsen. Helft ziehen an dem Netz, liebe Christen. Du aber, Herr, gib Gnade, dass Jeder von uns stets einen Bruder auf dem Herzen trage und an seiner Einführung in deinen lebendigen Dienst arbeite. Amen.

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