Ahlfeld, Johann Friedrich - Wie geht es zu mit der neuen Geburt?

Ahlfeld, Johann Friedrich - Wie geht es zu mit der neuen Geburt?

(1. p. Tr. 1849.)

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Text: Ev. Joh. 3, V. 9-21.
Nikodemus antwortete und sprach zu ihm: Wie mag solches zugehen? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bist du ein Meister in Israel und weißt das nicht? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wir reden, das wir wissen, und zeugen, das wir gesehen haben; und ihr nehmt unser Zeugnis nicht an. Glaubt ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie würdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sagen würde? Und niemand fährt gen Himmel, denn der vom Himmel hernieder gekommen ist, nämlich des Menschen Sohn, der im Himmel ist. Und wie Moses in der Wüste eine Schlange erhöht hat. also muss des Menschen Sohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn selig werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist; und die Menschen liebten die Finsternis mehr denn das Licht. Denn ihre Werke waren böse. Wer Arges tut, der hasst das Licht und kommt nicht an das Licht, auf dass seine Werke nicht gestraft werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt an das Licht, dass seine Werke offenbar werden; denn sie sind in Gott getan.

In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Dreimal beginnt der Herr in dem großen Gespräch mit Nikodemus mit den Worten: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir.“ - Dieses Gespräch schließt das tiefste Bedürfnis aller suchenden Seelen in sich. Alle Hauptwellen, die in deinem Herzen gewogt haben, wallen durch diese 21 Verse. Auch in deinem Leben steht dreimal das: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir.“ - Das Sehnen in dir nach deinem Heil erstirbt nicht. Es kann zwar unter der Welt verkommen in dir liegen, wie das gelbe Gras unter einem schweren Stein, aber es stirbt nicht. Da läufst du denn zu allen Heilanden, die die Welt irgend kennt. Du pochst an alle ihre Türen. Du fragst die Freude: „Hast du keinen Frieden?“ Und in einer stillen Stunde, gerade wenn du sie recht genossen hast, antwortet sie dir: „Nein!“ Du fragst die Weisheit dieser Welt: „Kannst du meinen Durst nicht stillen?“ Und in einer stillen Stunde, wo du recht in ihre Güter hineingegriffen hast, antwortet sie dir: „Nein, ich bin wie das Seewasser, ich mache immer durstiger.“ - So fragst du herum, so pochst du überall an; aber nirgends eine Antwort. Gott zwingt die Welt, dass sie zu Zeiten selber ehrlich werden muss, damit das Sehnen nach dem Himmel nicht sterbe. In diesem Suchen kommst du denn auch einst in der Nacht an die rechte Pforte, pochst bei Jesu Christo an. Es könnte ja doch wohl sein, dass bei diesem Nazarener Etwas zu finden wäre. - Aber was willst du zuerst wissen? Du redest von ihm, du willst ihn fragen, wer er ist, von wannen er stammt? Nikodemus hub an: „Meister, wir wissen, dass du bist ein Lehrer von Gott gekommen, denn Niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.“ Wenn du nun recht gründlich von ihm erführst, wer er wäre, dann könntest du dich vielleicht dazu verstehen, sein Jünger zu werden. Da kommt das erste: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir.“ Da spricht er zu dir: „Mein Kind, ehe du nach so hohen Dingen fragst, musst du das ABC des Reiches Gottes lernen.“ Welches ist denn das ABC des Reiches Gottes? Dass du ein armer Sünder bist. Es sei denn, dass der Mensch von Neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen. - Das verdrießt den natürlichen Menschen, wie wenn einem, der in die Sterne schaut, sich ihre Wunder und Geheimnisse besehen will, und sich besinnt, aus welchen er wohl am liebsten einmal ziehen möchte, eine Handvoll Erde in's Gesicht geworfen wird. Viele sind gleich so verdrossen, dass sie auf der Stelle von Jesu weglaufen. Andere bleiben, wie Nikodemus blieb. Sie fangen aber an zu hadern. Sie wollen's ihn entgelten lassen. Sie wollen ihn niederdisputieren: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er auch wiederum in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?“ Ja, das Wie, das hat schon viel Unfug gemacht in der Welt. Viele sind durch das ewige Wie ganz und gar um das Was gekommen. Du etwa auch? Der Herr Christus lässt sich aus das Wie gar nicht ein. Er setzt ihm kurz auseinander, dass es not tut. Hier setzt er sein zweites: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir“ her. „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, es sei denn, dass Jemand geboren werde aus dem Wasser und aus dem Geist, kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch, und was vom Geist geboren ist, das ist Geist.“ Erkenne du nur erst, dass du vom Fleisch geboren und Fleisch bist; erkenne nur erst, dass du von Neuem geboren werden musst. Das Wie wird sich hernach schon finden. Hier knickt er alle gespreizten Hacheln und Stacheln des hochmütigen Pharisäers zusammen, wie ein Mann die Dornen, die sich nicht wollen in eine Welle binden lassen, und die doch drein gebunden werden sollen. Er macht ihn klein. Seine erste Rede fing Nikodemus an: „Wir wissen.“ Seine zweite fing er an mit dem trotzigen Wie. Seine dritte fing er an mit einem demütigen Wie. „Wie mag solches zugehen, dass der Mensch von Neuem geboren werde?“ Aus dem Lehrer in Israel war ein Schüler des Meisters in Israel geworden. Er war so klein geworden, weil er unter der Rede des Meisters selbst gefühlt hatte, dass er Fleisch sei, dass er von Neuem geboren werden müsse. War doch sein erstes Wie mit seinem Spott selbst Nichts, als ein wüster Ausbruch des witzigen Fleisches. Er ist klein geworden. Er erträgt ja auch das Wort Jesu: „Bist du ein Meister in Israel und weißt das nicht?“ - Lieber Christ, wenn du mit einem Menschen disputierst, so trittst du ihm zuerst mit Freudigkeit und Siegesgewissheit entgegen und schaust ihm fest in's Auge. Wenn er deine Gründe überwunden hat, siehst du ihn noch eine Weile starr und gläsern an und machst Einreden, die oft gar unnütz und ohne Halt sind, die so recht aus dem natürlichen Menschen kommen. Du willst nicht überwunden sein und bist es doch. Endlich fällt das stolze Herz, und mit ihm die gesperrten Augenlieder. Du schlägst sie nieder. Es ist dem Auge wohler, dass es sich wider seine Lust nicht mehr so spannen muss. Dann wird es stille drinnen. Dann fängst du an mit dem demütigen Wie. Dann willst du belehrt sein. Geht es dir vor Christo ebenso, bist du von ihm überwunden, dass du dich als einen armen Sünder erkannt hast, dass du fühlst: du musst von Neuem geboren werden, dass du auch seine Züchtigung über deinen bisherigen Trotz erträgst, dass du ihm das demütige Wie vorlegst und belehrt sein willst: dann setzt er das dritte: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir“ hinzu. Dann nimmst du sein Wort still auf, hast keine Einrede mehr, bist ein offenes Gefäß, in das der Tau aus der Wolke träuft, die Israel durch die Wüste geleitet hat. - Es steht nicht da, in welcher Nachtstunde Nikodemus zu Christo gekommen ist. Aber als der Herr sein drittes: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir“ aussprach, da möchten wir glauben, die Glocke habe Mitternacht geschlagen. Denn wenn das Herz zu Christi Weisheit stille hält. Dann gehts dem Tag zu, es scheidet sich die Welt. Nikodemus fragt: „Wie mag solches zugeben?“ dass nämlich der Mensch von Neuem geboren werde.

Wie geht es zu mit der neuen Geburt? Wir antworten nach unserem Text:

  1. Die Gnade von oben gibt das neue Leben,
  2. Der Glaube ergreift es,
  3. Die Geschichte bezeugt es.

Dreieiniger Gott, dass du es gibst, das wissen wir wohl. An deinem Geben fehlt es nicht. Wie die Felder alljährlich dicht stehen, in der neuen Zeit neues Leben zu nähren, wie du da deine volle, milde Hand ausstreckest, so tust du es auch hier. Aber an uns fehlt es. Nach jedem Stücklein, nach jedem Brocken armen Erdenlebens greifen wir mit hastiger Begier. O lass uns lieber nach dem rechten Leben greifen, wo du es bietest. Und du bietest es alle Tage. Brich uns auf die Hand des freudigen Glaubens. Heile uns von dem alten Krampf, der sie zuhält. Behüte uns, dass die Gnadenzeit nicht vorbeigehe. Beschere eine gnädige Wendestunde der Mitternacht, dass wir nicht einst klagen müssen:

Ich hab' mit der Welt mich geherzet,
Das Leben im Leben verscherzet,
Es ist nun Alles vorbei. Amen.

I. Die Gnade von oben gibt es.

Teure Gemeinde. Schon das Wort „von Neuem“ hat in der griechischen Sprache, in der das neue Testament geschrieben ist, eine Doppelbedeutung. Es heißt auch „von oben“. Schon da ist mit hingedeutet, von wannen das neue Leben kommt. Aber mit so seinen Andeutungen begnügt sich der Herr nicht in den Dingen, die Grundstücke des Evangeliums sind, die Jeder erleben, daher auch Jeder verstehen soll. Er fügt hinzu, dass der Mensch geboren werden muss aus dem Wasser und aus dem Geist. Er meinet damit offenbar das Sakrament der heiligen Taufe. Denn das Wort und das Wasser, das Wort und das Element machen beide das Sakrament. Mit dem Wort geht der Geist. Aus dem Geist soll der Mensch geboren werden. Der Geist ist das neue Leben. Welcher Geist? Viel Geister gibt's auf Erden. Ihrer viele gehen und fahren durch unser Geschlecht. Aber sie sind nicht von oben. Hier wohnt der Geist der natürlichen Stärke, der menschlichen Weisheit, der menschlichen Kunst. Hohe und niedere Geister gibt es hier. Etliche herrschen in der Luft, in der Höhe der Phantasie, der hohen stolzen Gedanken. Etliche kriechen und wühlen im Kot der Welt. Es ist dies aber kein neues Leben. Wie die Erde alljährlich mit ihrem verdorrten Schmuck, mit ihren welken Blättern spielt, so spielt sie auch mit allen Blumen dieser Geister. Der Geist menschlicher Weisheit und Stärke, menschlicher Hoheit und Kühnheit hat seinen Herbst so gut, wie die Eiche und Buche, wie die Rose im Garten. Wie der Adler, der nach der Sonne flog, wenn er alt wird, seine Schwingen nicht mehr heben kann, sondern sich niedersetzt in irgend einer Felsenschlucht, da noch einmal mit den Flügeln schlägt und stirbt, so sinkt auch der Menschengeist nieder, und wenn er seine Flügel vorher noch so hoch geschwungen hat. Er sinkt hin, er wird alt wie der Leib, die Flügel lahmen. Er findet eine verborgene Stätte, wo er stirbt. Was vom Fleisch geboren ist. das ist Fleisch. Und alles Fleisch ist Heu. und alle seine Schönheit ist wie eine Blume auf dem Feld. Wenn der Wind darüber weht, so kennt sie ihre Stätte nicht mehr. Es ist kein Geist des neuen Lebens, es wird in ihm Niemand von Neuem geboren. Wenn dies wäre, so würde er nicht alt. so stürbe er nicht. Der Geist, der neues Leben bringt, geht aus vom Himmel, vom Vater und vom Sohn. - Kann sich den Keiner selbst holen? Niemand fährt gen Himmel hinauf, denn der vom Himmel herniedergekommen ist, des Menschen Sohn, der im Himmel ist. Der allein kann ihn herabbringen. Der allein sendet den Tröster. Der allein zündet das neue Leben, die ewige Lampe im Herzen an. Der allein lässt die dürre Aue des Herzens grünen, also dass kein Herbst wieder darüber kommt. Hast du noch nicht gesehen, wie der Unterschied ist zwischen einem Kind des Weltgeistes und einem Kind des heiligen Geistes? Auf das Angesicht des Weltkindes legt sich das Alter mit allen seinen Falten und Furchen. „Die Blüte ist hinweg aus meinem Leben“ steht auf jeder Furche der Stirn, auf jeder Falte der Wange geschrieben. Kein Licht leuchtet durch diese bohlen Züge. Sie alle aber sind nur Ausdruck des Herzens. Auch da steht in jedem Kämmerlein geschrieben: „Die Blüte ist hinweg aus meinem Leben.“ Und von da bricht die Armut eben vor ins Angesicht. - Siehst du aber einen alten Christen, den der Geist verklärt hat in das Bild seines Herrn, wie anders ist es da! In aller Armut, in allem Alter und in aller Schwachheit sieht sein Angesicht aus, als ob er einmal ein Stündlein im Paradies gewesen, und als ob von seiner Sonne Etwas auf dem Angesichte hangen geblieben sei. Alt, und doch jung; arm, und doch reich; hundertmal betrogen, und doch ohne Misstrauen; gekränkt, und doch fröhlich in seinem Herrn; dem Tod nahe, und doch voll Leben. Und dies Leben ist nicht der letzte Streifen der Mondsichel, die immer kleiner wird; es ist der Ausgang aus der Höhe, der immer heller wird, je näher der Morgen kommt, wo der Morgenstern aufgeht und der Tag anbricht, in seinem Herzen. Dies Leben ist auch kein aufgetragenes Wesen, keine Wasserfarbe. Es ist der Abglanz des im Geist erneuten Herzens. - Wie ist diese Erneuerung in die Welt gekommen? Durch Gottes eingeborenen Sohn, der im Himmel ist, durch ihn allein. Die heiligen Wege, in denen das wahrhaftige Leben aus Gott niedergeht zu den Menschen, waren verschlossen und zugefroren. Unsere kalte Sünde hat sie verschlossen. Da ist er gekommen mit der warmen Liebe, mit dem vollen Gehorsam bis zum Tod. Dieser Frühlingsodem hat sie aufgebrochen. Verpfändet und verfallen war unser Geschlecht durch die Sünde dem Gesetz und seinem Fluch. Es lag die Handschrift vor. Er hat sie getilgt, er hat bezahlt. Er hat uns losgekauft nicht mit vergänglichem Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teuren Blut als eines unschuldigen, unbefleckten Lammes. So lange wir verkauft waren in den Knechtesstand, konnte der Geist der Kindschaft, der rechten Freiheit, die in seliger Freude ihrem Gott dient, in die Herzen nicht hinein. - Als Israel durch die Wüste zog, hätte es wohl glauben können an den großen Führer, der es durch Meer und Hunger und Durst mit gewaltiger Hand geleitet hatte. Aber immer fing es von Neuem an zu murren. Immer fingen auch die göttlichen Plagen von Neuem an. Da strafte er es einst damit, dass er große Scharen giftiger Schlangen unter sie sandte. Wer gebissen ward, starb. Endlich erbarmte er sich ihrer, und befahl Mosi, dass er eine eherne Schlange, in der kein Gift war, auf einem hohen Stab aufrichten sollte. Wer sie ansehe, sollte genesen und nicht sterben. Also muss des Menschen Sohn auch erhöht werden. Auch in ihm ist kein Gift, auch in ihm keine Sünde. Aber er gehört zu dem Geschlecht, das voller Sünde und voller Gift ist. Wie nun unser sündiger Mensch, die Schlange, die fort und fort den rechten Menschen in uns tötet, hätte an's Kreuz geschlagen werden sollen, so ist er für uns zur Sünde gemacht. Er hat's gelitten. Und wie das Bild der Schlange, die das alte Wander- und Wundervolk Gottes stach, den Gestochenen zur Genesung diente, so dient der gekreuzigte Christus, behandelt wie der ärgste Sünder, zur Heilung unseres Geschlechts. Es kann nun der Geist kommen und das Leben wieder in seine Gänge einkehren. Der Himmel ist geöffnet, die Schuld ist getilgt. Der Heiland hat sein Werk getan. - Von wannen aber ist das Ganze ausgegangen? Wo ist der Herd, auf dem sich das Feuer entzündet hat, das auch das kälteste Herz erwärmen will? Wo ist die Höhe, von der dieser Gnadenwind ausgeweht hat? Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Dies Wort ist die Bibel im Kleinen, sagt Dr. Luther. Hier geht's hinein in den tiefsten Grund. Hier ruht die Wurzel, aus der die Welt geschaffen, aus der sie erlöst ist. Hier ruht die Wurzel, aus der Gott dich alle Tage noch zur Buße zieht, aus der er dich noch trägt mit allen deinen Sünden. „Die Liebe Gottes“ heißt sie. „Also hat Gott die Welt geliebt.“ Der Vater hat sie so geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab. Der Sohn hat sie so geliebt, dass er sich gern geben ließ, dass er ging und starb. Der heilige Geist hat sie so geliebt, dass er ging und geht und nicht still steht, und an jedem armen Sünderherzen, auch an deinem, klopft und rüttelt, ob es diese Gnade nicht annehmen will. -

Hier, Nikodemus, hast du dein Wie. - Das ist aber nur das erste, allgemeine. Du möchtest nun gern noch ein anderes haben, wie du dessen teilhaftig wirst. Wir kommen an unseren zweiten Teil.

II. Der Glaube ergreift es.

Du sprichst: „Ja, was du uns da ausgelegt und aufgestellt hast, das steht in der Schrift, die Kirche hat es auch immer gelehrt, du hast es uns auch schon manchmal gepredigt. Aber was in der Schrift steht, das ist darum noch nicht mein Eigentum. Weil Christus die Erlösung gestiftet hat, darum bin ich noch kein Erlöster. Weil Israel von dem Schlangenbiss geheilt ist, darum bin ich von meinen Schlangenbissen noch nicht geheilt. Mein Feuer brennt noch, mein Wurm nagt noch, mein Herz zittert noch. Ich möchte so gern den Frieden ergreifen. Ich bin in der Wüste, ich sehe Kanaans Grenzen und kann nicht hinein.“ Lieber Bruder, liebe Schwester, die ihr so klagt, ihr habt es falsch angegriffen. Womit habt ihr denn zuerst nach Kanaan gewollt, mit dem Kopf, oder mit dem Herzen, oder mit den Füßen? Ihr habt Jesum Christum euch erst recht klar machen wollen, ihr habt ihn erst ausfragen wollen wie Nikodemus, ihr habt die Erlösung erst begreifen wollen. Dann möchtet ihr euch, wenn sie euch so recht gefiel, auch wohl darein geben. Weißt du aber nicht, dass, wenn der ganze Mensch durch die Sünde verderbt und verfinstert ist, der Verstand mit verderbt und versfinstert ist? dass, wo der ganze Mensch erlöst werden soll, der Verstand mit erlöst werden muss? Nur ein Erlöster kann die Erlösung verstehen. Wer sie verstehen will, ohne sein eigen altes, stolzes Ich darangegeben zu haben, der gleicht einem, welcher erst in's Wasser gehen will, wenn er schwimmen gelernt hat. Geh du einmal erst mit dem Herzen und mit den Füßen nach Kanaan hinein, so wird der Verstand, das Erkennen, schon nachkommen. Das Herz ist die Stätte des Glaubens, die Füße das Bild des Wandelns. Petrus spricht im Namen der Zwölfe zu Christo: „Wir haben geglaubt und erkannt, dass du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn.“ Erst geglaubt und dann erkannt. Christus selbst sagt: „So Jemand will des Willen tun, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selber rede.“ Und hier sagt er gleich zweimal hinter einander: „Auf dass Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Der Glaube ist die einzige Tür, durch die die Gnade und das Leben eingeht. Des ersten Weibes Unglaube, da sie der Schlange mehr glaubte als Gott, schloss die Tür des Lebens zu. Sie mussten des Todes sterben. Der Glaube an den Sohn Gottes schließt die Tür des Lebens wieder auf. Wer an ihn glaubt, der wird leben, ob er gleich stirbt. Was ist nun der Glaube? Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht des, das man hofft und nicht zweifelt an dem, das man nicht sieht. Es ist der Glaube ein kühnes Wagnis auf Gottes Wort.

Der Glaub' ist eine Zuversicht
Auf Gottes Gnad' und Güte,
Der bloße Beifall tut es nicht,
Es muss Herz und Gemüte
Auf Gott mit Ernst gerichtet sein
Und gründen sich aus ihn allein
Ohn' Wanken und ohn Zweifel.
Wer sein Herz also stärkt und steift
In völligem Vertrauen,
Und Jesum Christum recht ergreift.
Auf sein Verdienst tut bauen,
Der hat des Glaubens rechte Art
Und kann zu seliger Hinfahrt
Sich schicken ohne Grauen.

Dies Ergreifen im Glauben ist aber das Allernatürlichste. Wenn du dir hier auf Erden einen Herrn suchst, in dessen Dienst du treten, bei dem du dein Brot verdienen willst, wie erfährst du da sicher, ob du es auch finden werdest? Zwei Wege hast du. Einmal fragst du die, so vor dir da gedient haben. Fällt ihr Urteil gut aus, so versuchst du es selbst. Du musst ihm aber doch dienen, ehe du selbst weißt, was er für ein Herr ist. Du musst dich doch an ihn wagen. Frage nun die, so Christo gedient haben, wie es ihnen in seinem Dienst ergangen ist. Er selbst fragt seine Jünger: „Habt ihr auch je Mangel gelitten?“ Sie antworteten: „Nein, Herr, nie keinen.“ Paulus redet von den Traurigen, die doch allzeit fröhlich sind; von den Armen, die doch Viele reich machen; von denen, die Nichts inne haben, und doch Alles haben. „Er hat uns selig gemacht durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des heiligen Geistes.“ Diese Seligkeit schmecken wir schon hier. Simeon, ein naher Verwandter des Herrn, Bischof zu Jerusalem, war 120 Jahre alt, als die große Verfolgung unter Trajan begann. Nachdem er mehrere Tage gegeißelt war, schlug man ihn an's Kreuz. Da starb er mit freudigem Bekenntnis seines Herrn und Heilandes. Polycarpus, der 86 Jahr alt unter dem Kaiser Mare Aurel verbrannt ward, sprach zu den Heiden, die ihn aufforderten, beim Kaiser zu schwören und Christum zu lästern: „Sechs und achtzig Jahre habe ich ihm gedient, und er hat mir nie Etwas zu Leid getan; wie sollte ich meinem König fluchen, der mich hat selig gemacht.“ Er starb selig im Feuer. Sieh, das sind alte Knechte Christi. Sie sind in seinem Dienst grau geworden. Du pochst sonst so sehr auf die Erfahrung. Die haben Erfahrung. Du hast viele Hunderttausend Zeugen, dass es den Dienern Christi gar wohl geht. Sie haben es dir im tiefsten Elend, in Hunger und Blöße, unter Feuer und Schwert ausgesprochen, dass Nichts in der Welt diese Seligkeit übertrifft. Glaube es. Ergreife den Glauben, ergreife das neue, das ewige Leben. - „Ich kann ihn nicht ergreifen,“ sagst du. „Der Glaube ist nicht Jedermanns Ding,“ sagt der Apostel Paulus. Was soll das aber bedeuten? Nicht etwa, dass Etliche gar nicht zum Glauben kommen könnten. Es haben nicht alle Leute Lust dazu. Arbeiten ist auch nicht Jedermanns Ding. Demütige du dich nur erst recht unter das Gesetz. Lass dir den zweiten Abschnitt der Nikodemuspredigt recht in's Herz gehen. Erkenne, dass du Fleisch bist, und alle deine Sünde und dein inneres Elend. Dann wird die Sehnsucht nach dem dritten Abschnitt schon kommen. Es kann wohl sein, dass dir das Auge auf die Gnade Gottes in Christo nicht mit einem Male aufgeht. Der Glaube ist das Seelenauge, mit dem man Christum sieht. Ein blinzelnd und blödes Auge ist auch ein Auge. Muss sich doch jeder am Morgen erst den Schlaf aus dem Auge wischen, ehe er den Tag recht helle sehen kann. Ein weinend Auge ist auch ein Auge. Man muss sich die Tränen herauswischen, ehe man deutlich sehen kann. Wenn du es nicht gewagt hast, zu dem am Kreuz Erhöhten als zu deinem Gnadenstuhl hinaufzusehen, wenn dir die Träne um deine alte Gottesverachtung noch im Auge hing, wenn du sagen musstest: „Nein, ich kann nicht zugreifen, die Gnade ist zu groß!“ so sei nur getrost, diese Träne wischt dein Herr am allerliebsten ab. Er tut es, wenn seine Stunde gekommen ist, auf dass du durch den Glauben habest Freudigkeit und Zugang in aller Zuversicht. Hast du aber den Herrn im Glauben ergriffen, dann muss auch dem ganzes Leben ein neues werden.

III. Deine Geschichte bezeugt das neue Leben.

Ein Gewebe hat zweierlei Fäden: Auszug und Einschlag. Des Menschen Geschichte, liebe Christen, hat zwei Seiten: was Gott mit euch tut, und was ihr mit Gott tut. Nehmen wir voran die erste. Wie fährt Gott mit seinen Gläubigen? Gott hat seinen Sohn nicht gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn selig werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, darum dass er nicht glaubt an den eingeborenen Sohn Gottes. Wie das Leben in Gott, das ewige Leben, schon hier seinen Anfang nimmt, so nimmt der Tod in Gott, der ewige Tod, auch hier seinen Anfang. Gottes Gericht wird alle Tage gehalten. Wie das Leben geht, geht auch das Gericht. Die Ströme rauschen allerdings am gewaltigsten, wo sie sich ins Meer stürzen, wo sie mit der Brandung zu kämpfen haben. Sie rauschen aber auch schon, so lange sie noch durch's Land laufen, und das an einer Stelle lauter, als an der anderen. Lebst du hin ohne den Herrn, so geht dir das Gerichtsschwert auch täglich ans Herz. Du fühlst es oft nicht, weil du dir nach und nach einen Panzer dagegen angeschafft hast. Für den, der von keiner Buße wissen will, ist alle Trübsal Gericht. Sie ist ein Axtschlag Gottes gegen den alten, faulen Baum. Für ihn ist jede Stimme des Gewissens Gericht. Sie ist ein Vorklang von der Stimme des, der das volle, ganze Gewissen des Menschen ist. Für ihn sind selbst die Gnaden Gottes Gericht. Er gibt sie ihm, dass er sich nicht damit entschuldigen kann, Gott habe nicht Liebe genug zu seiner Weckung angewandt. Gericht ist der Frühling, denn draußen grünt's zu neuem Leben, und in ihm bleibt's tot. Gericht ist der Herbst, denn draußen stirbt's, und in ihm ist's schon gestorben. Finster ist's im Herzen, wenn die Irrlichter der Weltfreude ausgelöscht sind. Diese Nacht aber schließt sich an an die Grabesnacht, an die Nacht des ewigen Todes. - Wer aber glaubt, der wird nicht gerichtet. Gnade und Leben ist Alles, was ihm begegnet. Gnade und Leben ist alle Freude. Du sollst aus Dank dafür deinen Heiland inniger lieben. Gnade ist ihm die Angst des Gewissens. Du lernst ernster die wilden Zweige des natürlichen Menschen abschneiden, die dem rechten Leben noch viel Saft entziehen. - Gnade ist ihm das Kreuz. Es ist ja Gottes Messer, das das noch übrige wilde Fleisch ausschneidet. - Gnade ist der Tod. Die Sünde kriegt ihren Sold, damit fortan die Erbarmung freie Hand habe. Das Herz ist hell, und sein Licht läuft aus in das selige Licht, das um den Thron Gottes strahlt und den Begnadigten leuchtet. Wer an den Sohn glaubt, der wird nicht gerichtet. Das ist die Geschichte Gottes an seinen erlösten Kindern. - Wenn die Herzen der Gläubigen und Ungläubigen zu Tage lägen, denn sähe es aus wie weiland in Ägypten: hier das Land Gosen, da ist es hell und klar; dort Ägypten, da ist dichte Finsternis, also, dass man an der Wand tappen muss. Hier Alles Gnade, und dort Alles Gericht. Die Geschichte bezeugt es, nämlich das neue Leben aus Gott. Bezeugt es Gottes Tat an dir, so muss es auch deine Tat an ihm bezeugen. Alle Sünde ist Tod und bringt Tod. Lebt Christus in dir, hat er in dir neues Leben angefacht, so musst du auch in ihm leben, so musst du auch in einem neuen Leben wandeln. Gott kann nicht anders, er muss die Seinen lieben. Die Blume muss blühen, es ist ihre Natur. Das Feuer muss wärmen, es ist seine Natur. Bist du aus Gott geboren, so kannst du auch nicht anders, du musst ihn lieben, du musst ihm leben, es ist deine neue Natur. Ein Ende muss es haben mit den nächtigen Werken. Was der Christ tut, darf Jedermann sehen. Seine Werke können vor Gott und Menschen ans Licht kommen, denn sie sind aus Gott getan. Das ist denn auch das letzte Zeichen, ob du die Gnade wahrhaftig ergriffen hast, wenn du keinen Mantel mehr über dein Herz zu hängen brauchst. So weit die Decke noch drüber bleiben muss, so weit liebst du die Finsternis mehr als das Licht. Darum bitte, bete, ringe, dass das Licht weiter in die Finsternis scheine, dass es laufe wie der Tag von einem Ende deines inneren Lebens zu dem anderen, dass die Finsternis und ihr Fürst an dir keinen Teil mehr habe. Ziehe auch die Decke herunter vom Bekenntnis. Bekenne deinen Heiland frank und frei. Es lag für den Nachtbesucher Nikodemus noch ein Schlag in dieser letzten Rede; „Wer die Wahrheit tut, der kommt ans Licht.“ Der braucht sich auch nicht vor Menschen zu scheuen, sich in keinen Nachtschleier einzuhüllen.- Nun hatte er das dreifache Wie. Wie das neue Leben gewirkt werde, wie es ergriffen werde, wie es heraustrete. - Er aber sprach kein Wort. Hatte er es noch nicht ergriffen, so hatte es doch ihn ergriffen. Wie er Abschied von Christo genommen hat, steht nicht hier, auch nicht, ob er sich bei ihm bedankt hat. Er mag sich stumm vor ihm verbeugt haben, denn das Wort war zum Beugen. Er ist heim gegangen. Viel geschlafen hat er die Nacht sicher nicht. Amen.

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