Unbekannt - Zur Geschichte der Freien evangelischen Gemeinden

Unbekannt - Zur Geschichte der Freien evangelischen Gemeinden

Folgende alte Nachricht, die sicher manche unserer Leser interessiert, fanden wir im 15. Jahrgang des „Säemann“ (1865), der damals sowohl dem Evangelischen Brüderverein wie der Freien evangelischen Gemeinden als Nachrichtenblatt diente.

Berlin. Der Ausschuß des Bundes der Freien evangelischen Gemeinden hat den nachfolgenden Aufruf „an alle Gemeinden erlassen, die, wo immer es sei, unter der alleinigen Oberhoheit unseres großen Gottes und Heilandes Jesu Christi zu stehen bekennen“:

„Gnade, Barmherzigkeit und Friede widerfahre Euch reichlich von Gott, unserem Vater, und unserem Heilande Jesu Christo!“

Schon seit mehreren Jahren besteht ein Bund zwischen den Freien evangelischen Gemeinden verschiedener Länder. Es traten demselben seit seiner Gründung im Jahre 1860 vor und nach bei: „die Union der Gemeinden in Frankreich“, die „Evangelische Gemeinde in Genf“, die vereinigten „Freien evangelischen Gemeinden in den Kantonen Bern und Neuenburg“, die „Freien evangelische Gemeinde in Elberfeld und Barmen“, „Evangelische Missionskirche in Belgien“ und „die Freie Kirche des Kanton Waadt“.

Eine erste Konferenz der „verbundenen Gemeinden“ 1) fand im Jahre 1861 in Genf statt. Leider verzögerte sich die Veröffentlichung der dort gefaßten Beschlüsse in unvorhergesehener Weise, und dieser Umstand, sowie die lange Krankheit und der schmerzliche Verlust unseres teuren, unvergeßlichen Bruders, Friedrich Monod, führten einen Zwischenraum von drei Jahren zwischen jener ersten und der jüngst am 2. Dezember 1864 in Paris stattgehabten zweiten Konferenz des Bundes herbei. So erklärt es sich, daß wir jetzt erst zur Ausführung jener Beschlüsse von 1861 übergehen.

Gemeinden des Herrn!

Indem wir euch in Nachfolgendem die Grundlage unseres Bundes vorlegen, empfehlen wir euch dieselbe zu einem Gegenstand reiflichen Nachdenkens und ernstlichen Gebetes, und geben es eurer Prüfung vor dem Herrn anheim, ob ihr dem Bunde nicht auch beitreten wollt.

Wenn der „evangelische Bund“ 2) durch seine großartigen Versammlungen in London, Paris, Berlin und Genf der Welt ein Zeugnis abgelegt hat für die geistliche Einheit, die, ungeachtet gewisser Verschiedenheiten in Glaubenssachen, die einzelnen Christen als solche miteinander verbindet, sollte es von geringerer Bedeutung sein, durch einen anderen, wenn auch weniger umfassenden, doch eben so engen Verband die Einheit ans Licht zu stellen, die bei aller Verschiedenheit der äußeren Gestaltung in Verfassung und Kultus die Gemeinden verbindet, die sich als Freie evangelische bezeichnen?

Es war ein erhebender Anblick, aus allen Ländern der Erde und ohne ein anderes Mandat, als das ihres persönlichen Glaubens, Tausende von Brüdern herbeieilen zu sehen, um sich über wichtige Fragen des Glaubens und Lebens miteinander zu besprechen. Wäre es nicht auch schön, wenn sie die geordneten Vertreter der Gemeinden, die in Glaubenssachen nur die Autorität Jesu Christi über sich anerkennen, von allen Seiten zusammenständen?

Wenn man es längst erkannt hat, daß örtliche Begrenzungen, nationale Trennungen und die Verschiedenheit der Sprachen keine unübersteiglichen Hindernisse für die Glaubensgemeinschaft der einzelnen sind, ist es nicht auch an der Zeit, daß wir als Gemeinden, trotz örtlicher Trennungen und abweichender Verfassungsformen, uns unserer gemeinsamen Abstammung bewußt werden und dies an den Tag legen?

Und wenn endlich der „evangelische Bund“ zu großen und segensreichen Taten in Toskana, in Spanien und anderswo Veranlassung gegeben hat, obwohl er durch sein Programm kaum darauf hingewiesen war, dürfen wir nicht hoffen, daß der Herr sich auch unseres Bundes bedienen werde, um hier und da eine Absicht seiner Barmherzigkeit für sein Volk auszuführen?

Gemeinden des Herrn!

Unser Bund steht noch in seinen ersten Anfängen; aber die Schrift fordert uns ausdrücklich auf, die geringen Anfänge nicht zu verachten, und darum bitten wir euch im Namen Jesu, unseres Propheten, Hohenpriesters und Königs, das beiliegende Statut des Bundes in ernste Erwägung zu ziehen.

Indem die Unterzeichneten, für dieses Jahr zum Ausschuß des Bundes ernannten Brüder das betreffende Schriftstück hiermit zu eurer Kenntnis bringen, tun sie es bei aller persönlichen Bescheidenheit, die ihnen euch gegenüber ziemt, doch mit der vollen Überzeugung, daß das begonnene Werk ein gutes, dem Herrn wohlgefälliges ist, dem als solchem der Erfolg nicht fehlen kann, und versichern euch ihrer brüderlichen Fürbitte vor dem Herrn.

Morges (Waadtland, Schweiz), d. 27. Dez. 1864

Der Präsident: L. Bürnier, vordem Präsident der Synode der Freien waadtländischen Kirche.

Der Vizepräsident: L. Bridel, Pastor in Lausanne, vordem Präsident derselben Synode.

Der Schriftführer: E. Ternisse, Pastor in Pampigny.

Beisitzer: L. Centùrier, Pastor in Rolle.

H. Benthoud, Pastor in Morges.

Bund der Freien evangelischen oder unabhängigen Gemeinden.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, ein Gott hochgelobt in Ewigkeit! Amen.

  1. Die Gemeinden, die mit dem Bekenntnis eines Glaubens und einer Gesinnung zu diesem Bunde zusammentreten, wollen dadurch im Geist brüderlicher Liebe das Band der Gemeinschaft bezeugen und befestigen, das sie schon miteinander verbindet. Jede behält sich dabei ihre Selbständigkeit und die volle Wahrung ihrer individuellen Freiheit vor.
  2. Ohne an die Stelle des Bekenntnisses der einzelnen Gemeinden ein neues gemeinsames setzen zu wollen, glauben wir, daß ihr gemeinsamer Glaube in folgende Sätze zusammengefaßt werden kann:
    1. „Der Mensch wird in Sünden geboren und ist von Natur unfähig, irgend etwas Gutes, im Sinne Gottes, zu tun, ein Kind des Zorns und unter dem Fluch. Die Erlösung hat ihren Ausgangspunkt in der freien Liebe des Vaters von Ewigkeit her; erworben ist sie uns durch das Sühnopfer und die Mittlerschaft des Sohnes, und angeeignet wird sie uns durch den Heiligen Geist, der in dem Sünder ein neues Leben schafft, indem er ihn durch den Glauben mit Christo vereinigt und der, indem er in ihm Wohnung macht, durch die Gewißheit der völligen Vergebung aller Sünden den Frieden in sein Herz ausgießt, ihn innerlich frei macht, leitet und tröstet durch das Wort, das er selbst eingegeben hat, und ihn versiegelt und bewahrt auf den Tag der herrlichen Erscheinung unseres großen Gottes und Heilandes Jesu Christi. Der Erlöste, eingedenk dessen, daß er teuer erkauft ist, soll fortan Gott preisen an seinem Leibe und in seinem Geiste, die Gott angehören, und wandeln in der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird, indem er die Kraft dazu schöpft aus der Gemeinschaft mit dem, der gesagt hat: „Laß dir an meiner Gnade genügen!“
    2. Das Glaubensbekenntnis der verbundenen Gemeinden ist somit in allen wesentlichen Punkten kein anderes, als das der Kirchen der Reformation, mit denen sie auch die Schrift Alten und Neuen Testaments als von Gott eingegeben und als einzige Regel und Richtschnur der Wahrheit anerkennen.“
    3. Der Zutritt zum Bunde steht allen Gemeinden frei, die sich mit obigem Bekenntnis einverstanden erklären. Sollte es indes der einen oder anderen Gemeinde nicht genügen, so bleibt es ihr unbenommen, ihr eigenes Glaubensbekenntnis einzureichen, über dessen Zulässigkeit der Bund dann natürlich zu entscheiden hat.
  3. Die Gemeinden bleiben demnach mit dem Ganzen der Kirche Jesu Christi eng verbunden und trachten nur danach, so viel an ihnen ist, die ursprüngliche Einheit wieder herzustellen, die durch das Eindringen der Welt in die Kirche mehr und mehr verloren gegangen ist, aber da wieder möglich sein muß, wo die Kinder Gottes auf Grund des Wortes Gottes zueinander treten und sich durch die Gemeinsamkeit des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe verbunden wissen.
  4. Zur Erreichung dieses Zieles scheinen ihnen zwei Punkte besonders wichtig:
    1. Es muß sich jede einzelne Gemeinde in einer Stellung befinden, die es ihr möglich macht, in allem nur nach der Vorschrift des Wortes Gottes zu handeln, d.h. sie muß in Glaubenssachen allein unter der Autorität Jesu Christi stehen. Jeder Eingriff des Staates in ihre innere Verwaltung ist mit dieser völligen geistlichen Unabhängigkeit unvereinbar. Indem aber die Gemeinden so Gott allein geben, was Gottes ist, vergessen sie nicht, auch dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist.
    2. In Bezug auf die Übung der Bruderliebe und christlichen Tätigkeit sollen die Gemeinden nicht getrennt von einander bleiben, sondern sich zu gegenseitiger Erbauung und zur Verherrlichung ihres gemeinsamen Herrn und Heilandes verbinden.
  5. In diesem Sinne und zu diesem Zweck bildet sich, unter dem Vorbehalt völliger Selbständigkeit für jede einzelne Gemeinde, eine tatsächliche Vereinigung aller der Gemeinden, die sich anzuschließen Willens sind und dabei folgende Bedingungen erfüllen:
    1. Übereinstimmung mit dem in Artikel 2 niedergelegten Bekenntnisses.
    2. Die Ausübung einer schriftgemäßen Zucht, sowohl rücksichtlich der Aufnahme ihrer Mitglieder, als auch in der Vermahnung und Bestrafung der in ihrem Schoße befindlichen Sünder.
    3. Anerkennung der von Gott in seinem Worte eingesetzten besonderen Ämter, jedoch ohne Beeinträchtigung des allgemeinen Priestertums.
    4. Ein reger Missionsgeist, der nach dem Maß der verliehenen Kräfte dem Herrn in seinem Werk zu dienen begehrt.
    5. In allen den Fragen, die auch unter aufrichtigen Christen, die dem Worte Gottes untertan zu sein begehren, noch streitig bleiben, wollen die verbundenen Gemeinden gegenseitig Liebe und echte Duldsamkeit üben, so z.B. in Bezug auf die Taufe und Taufform usw.
    6. Indem die Gemeinden sich auf dieser Grundlage miteinander verbinden, ist es ihr herzlicher Wunsch, diese ihre Grundsätze immer mehr zur Anerkennung zu bringen, und zugleich wahre Gottseligkeit dadurch in ihrer Mitte zu fördern.
    7. Es sollen zu diesem Zweck regelmäßige brüderliche Konferenzen an den günstigst gelegenen Orten stattfinden, bei denen die verschiedenen Gemeinden durch Abgeordnete vertreten werden.
    8. Wenn ein auf der Konferenz beantragtes gemeinsames Werk nicht die Zustimmung aller Anwesenden erlangt, so kann es dessen ungeachtet von den Gemeinden unternommen werden, die dem Antrage beistimmen.
    9. Die Konferenz ernennt für die Dauer der jedesmaligen Sitzung einen Präsidenten, einen Vizepräsidenten und einen oder zwei Schriftführer.
    10. Ebenso ernennt sie vor ihrem Abschluß eine Kommission von drei Gliedern, die in dem Zwischenraum bis zur nächsten Konferenz die Angelegenheiten des Bundes zu versehen und nach Maßgabe der gefaßten Beschlüsse die nächste Konferenz anzuberaumen hat. Der Modus der Abstimmung wird je nach dem Verhältnis der Größe und Bedeutung jeder Gemeinde oder jedes Gemeindeverbandes festgestellt.
    11. Auf den Antrag dreier Gemeinden können vorstehende Artikel stets einer Revision unterworfen werden.„

Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1922

1)
Man beachte, daß diese schöne Beziehung des Verbundenseins, die sich in den letzten Jahren immer mehr bei uns durchsetzt, damals schon im Gebrauch war. Das ist u.E. der beste Aussdruck dieser Art, der klar verständlich dartut, daß die Freien evangelischen Gemeinden keine Freikirche sind, trotzdem sie außerkirchlich sind.
2)
Gemeint ist nicht der „Evangelische Bund“ von heute, sondern die „Allgemeine evangelische Allianz“.
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