Tholuck, August - 1. Mose 3, 6-7. „Die natürlichen Folgen der Sünde“.

Die Geschichte, welche den ersten Fall des Menschengeschlechtes beschreibt, ist in unserer letzten Andacht an unserm Blicke vorüber gegangen, und uns zum Bilde geworden, darin wir aller Sünde Ursprung, den Zweifel an Gottes Gebot und die Verblendung über das Wesen der Sünde erkannt haben. Aber auch die natürlichen Folgen der Sünde, sagten wir, sind uns hier verzeichnet; sie sind ausgesprochen in jenen Worten, die ihr heute als die Worte unseres Textes vernehmen möget. 1 Mos. 3, V. 6. und 7. „Und das Weib schauete an, daß von dem Baum gut zu essen wäre, und lieblich anzusehen, daß es ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte; und nahm von der Frucht, und aß, und gab ihrem Manne auch davon, und er aß. Da wurden ihrer beiden Augen aufgethan, und wurden gewahr, daß sie nackend waren; und flochten Feigenblätter zusammen, und machten sich Schürzen.“

Wir haben die natürlichen Folgen der Sünde, welche uns hier verzeichnet sind, in die Worte zusammengefaßt, erstens: des Einen Fall begehrt den Fall des Andern, zweitens: jedwede Gabe Gottes wirb nunmehr zum Fallstrick, drittens: jedwede Stimme Gottes wird zur Rachestimme, viertens: von Furcht getrieben fleucht der Mensch vor Gott. Es sind die ersten zwei Wahrheiten, mit denen unsere heutige Betrachtung sich beschäftigen soll.

Der Fall des Einen begehrt den Fall des Andern - „und Eva gab dem Manne, und er aß.“ In zweierlei Sinn hat das Wort: Es ist der Fluch des Bösen, daß es Böses zeugt, seine furchtbare Wahrheit; es zeugt Böses in uns selbst fort und fort, wie der erste Funke dem zweiten das Leben giebt und so fort und fort; es zeugt Böses außer uns, denn - Mensch, dein Name ist Schwachheit, und wo Schwachheit ist, da ist Zunder für das Böse. Die eigene That des Bösen ist ein Same des Bösen außer uns, und wenn wir nur auf die unabsichtliche Verführung sehen, deren wir uns alle schuldig machen, wie ist sie so groß. Was du unterlassen hast von Gutem, dient deinem schwachen Bruder zur Entschuldigung; was du gethan hast von Bösem, dient deinem schwachen Bruder zur Rechtfertigung. Die Sünde ist eine ansteckende Krankheit, welche eine ansteckende Atmosphäre um sich her verbreitet; der Schwache, der darin lebt, wird von ihr angesteckt. Wie verantwortungsvoll ist in diesem Betracht die Stellung aller derer, welche Mittelpunkt eines Kreises sind, auf welche daher Vieler Augen blicken, die Hausväter, die Prediger, die Obrigkeiten, die Regenten! Fortwährend streuet ihr einen Samen des Bösen aus, ohne es zu wissen. Aus diesem Grunde sollte denn eigentlich niemals Jemand seine Familie, seine Stadtgenossen, sein Volk der Sünde und Verderbniß anklagen, ohne zugleich sich selber anzuklagen, denn einen Theil davon trägt auch er. Wenn ein Familienvater über die Verderbniß seiner Familie, ein Prediger über die seiner Gemeinde, der Magistrat über die seiner Stadt, ein König über die seines Volkes Wehklage führt, so sollte es daher niemals anders geschehen, als wie wir dort von Esra lesen; der von der Schuld seines Volkes erschüttert, wie es heißt: „um die Zeit des Abendopfers aufstand und zerriß seine Kleider, und fiel aus seine Kniee, und breitete seine Hände aus zu feinem Gotte, und sprach: „„Mein Gott, ich scheue mich, und schäme mich, meine Augen aufzuheben zu dir, denn unsere Missethat ist über unser Haupt gewachsen, und unsre Schuld ist groß bis in den Himmel.“„ Während er Wehklage führt vor Gott über seines Volkes Sünde, deckt Schaam und Erröthen sein eigenes Antlitz.

Aber nicht bloß unwissentlich und unwillkührlich, sondern auch absichtlich verführt der Mensch den Menschen, begehrt der Fall des Einen den Fall des Andern. In dieser Hinsicht ist die Sünde viel schlimmer, als die Krankheit. Giebt es einen Kranken, der so grausam wäre, seinen Bruder absichtlich anzustecken? Es giebt keinen; aber so grausam ist der sündige Mensch. Wenn ich das vom Menschen sage, so meint ihr nun vielleicht, daß hiemit eben nur von Einzelnen, von dem Abschaum des Geschlechts die Rede sei. Dem ist jedoch nicht so, vielmehr haben wir in dieser Beziehung uns allesammt zu demüthigen. Es ist wahr, je mehr wir uns die Verführung zu einem groben Laster und je mehr wir sie uns als eine absichtliche vorstellen, desto mehr schaudern wir davor. Abscheu erfüllt uns, wenn wir den abgehärteten Mörder uns vorstellen, der auf dem nächtlichen Gange zum Frevel in dem jungen Gesellen seiner Missethat, so wie etwa auf's Neue ein Gewissensfunke in ihm aufglimmt, mit keckem Finger ihn ausdrückt; Abscheu erfüllt uns vor dem ausgelernten Wollüstling, wenn er, immer schon das letzte Ziel im Auge, ansängt, mit gleißender Rede in dem Opfer seiner Begierde die heilige Schaam wankend zu machen. Doch dürfen wir es uns nicht verhehlen, was hier in seiner Ausbildung unsern Abscheu weckt, davon hat vielleicht Keiner von uns sich völlig frei zu sprechen, denn Brüder, die Hand auf's Herz: wie vieles Unrechte redet ihr, wie vieles Unrechte thut ihr mit „zweifelndem Gewissen,“ bei auf“ gehobenem, drohenden Zeigefinger des Richters im Innern? Bei rechtschaffenem, geförderten Christenglauben wird zwar solches durchaus aufhören, aber ob es nicht auch unter uns solche giebt, die jetzt der züchtigende Gottesgeist an so manches unter innerer Bestrafung des Gewissens ausgesprochene Wort, an manche ausgeführte That, für die er sich doch Genossen zu machen suchte, erinnert? Ihr wollt in eine Gesellschaft gehen, und euer Gewissen sagt euch, daß man dort euch nicht finden sollte, und doch sucht ihr mit beredter Zunge euch Genossen, und freut euch, wenn die Andern euch Recht geben? Es ist ein Geldopfer zu bringen für eine gute Sache, und ihr habt, trotz alles Gebotes des Gewissens, nicht Lust; aber wie sucht ihr für die klugen Entschuldigungen, die ihr euch selbst gemacht habt, Genossen? Ihr wollt im Leichtsinn euch ergehen, wo der Ernst hingehört, der Zeigefinger ist in euerm Innern drohend aufgehoben, und doch sucht ihr mit gleißnerischer Rede euch Genossen. Und das wäre keine wissentliche Verführung? Und das hieße nicht, absichtlich mit der eigenen Krankheit den schwachen Bruder anstecken? Und ob nicht in dieser Weise alle Tage auch an euch sich erfüllt: „Der Fall des Einen begehrt den Fall des Andern“?

Ihr erschreckt über euch selbst, und fraget: Aber was kann der Grund solcher Argheit des menschlichen Herzens seyn, die ihr nicht zu leugnen vermöge!? Kein Kranker ist so grausam, absichtlich die Andern anzustecken, warum hat diese Grausamkeit der sündige Mensch? Der erste Grund ist der Wunsch, nach einem Schlaftrunke des Gewissens, nach Beruhigung. Nach Beruhigung? Aber wie? Wenn wegen meiner Sünde der gerechte Richter das Racheschwert gegen mich erhebt, wird er es niederlegen, wenn ich, anstatt allein in den Abgrund zu stürzen, den schwachen Bruder mit mir reiße in meinen Fall? Nein, so verblendet sich wohl der Mensch nicht, o der Trug der Sünde ist viel seiner! Entschuldigung sucht die Sünde. Die Sünde erzeugt Entschuldigungen, aber Entschuldigungen, welche ich mir selbst nicht glaube - ein Anderer muß sie glauben, dann gewinnen sie Kraft für mich selbst. Sehet, das ist die beruhigende Kraft, welche die Verführung ausübt. O das Böse gewinnt unbeschreiblich an Kraft, wenn man Genossen bekommt. Als Caiphas dort im hohen Rathe noch allein in seinem Innern den Gedanken an den Tod des Heiligen Gottes erwägte, gewiß haben ihm da seine Selbstrechtfertigungen noch nicht Genüge gethan, und ihren trügerischen Schleier haben die Blitze aus dem Heiligthume Gottes in Asche verwandelt, aber als er an seine Rathsgenossen sich wenden kann, als er ihnen es einreden kann, daß der Tod des Einen doch besser sei, als das Verderben Aller durch das römische Schwert, und als ihm seinen eigenen Ruf „er ist des Todes schuldig!“ die Stimme von mehr als fünfzig Genossen als Echo zurückbringt, da ist es wenigstens auf der Oberfläche des ungerechten Herzens still geworden. Und o wenn Judas in jener finstern Nacht unter den elf Taubenseelen seiner Mitapostel nur noch einen Genossen für die schwarze That hätte finden können - wer weiß, ob auch dann noch die Schrecken des Gewissens ihn zur That der Verzweiflung gebracht hätten. Brüder, nichts schläfert das Gewissen so ein, als im Bösen Genossen zu haben, und darum ist es ein lief im Wesen der Sünde begründetes, ein schreckliches Streben, daß das Böse nicht ruht, und daß es Genossen findet! Das Verlangen nach Beruhigung, nach einem Schlaftrunke des Gewissens ist der erste, aber nicht der einzige Grund der Verführung; dieß Verlangen erzeugt die menschliche Verführung, aber es giebt auch eine teuflische. Die Schrift spricht von heiligen Engeln Gottes, die sich freuen über den Sünder, der Buße thut hier auf Erden, sie spricht aber auch von einem Feinde Gottes und der Menschen, der umher geht wie ein brüllender Löwe, und der d“ jauchzt, so oft ihrer einer gefallen ist. Und wie jene heiligen Engel Gottes auf Erden unter den Menschen ihre Abbilder haben, so auch der Feind Gottes und der Menschen. Es giebt also Menschen, die ihre Freude an der Verführung als solcher haben. Aber wie? wären das nicht teuflische Menschen? Kann denn auch der Mensch das Gute hassen, weil es gut ist? Auf, diese Frage, meine Freunde, giebt es eine bejahende Antwort wie eine verneinende. Das Gute als Gutes an und für sich würde wohl der Mensch nicht halten, wenn es nur für sich bleiben wollte, wenn es nur nicht das Böse vernichten wollte. Aber gleichwie Licht nicht Licht seyn kann, ohne die Finsterniß zu hassen und zu vertreiben, so kann auch nimmermehr das Gute für sich seyn wollen, es muß zu Felde liegen gegen das Böse. Sein bloßes Daseyn schon bestraft das Böse, denn das Böse wird dem Guten gegenüber als Böses aufgedeckt. Darum muß auch das Böse das Gute hassen, weil es gut ist, wie der Heiland sagt: „Wer Arges thut, der hasset das Licht, und kommt nicht ans Licht, damit seine Werke nicht gestraft werden.“ Und warum hätten sie ihn selber, die reine Liebe, gehaßt, wenn nicht fortgehend sein Licht ihre Finsterniß gestraft hätte, wie er abermals selbst sagt: „Mich hasset die Welt, denn ich zeuge von ihr, daß ihre Werke böse sind.“ Dieser Lichthaß nun, er ist der andere Grund, warum der Fall des Einen den Fall des Andern begehrt. Sehet diesen Lichthaß, wie er schon am Anfange des Geschlechtes der Grund der ersten Frevelthat der gefallenen Menschen wird. „Warum erwürgte Cain seinen Bruder? schreibt Johannes; daß seine Werke böse waren, und seines Bruders gerecht.“ Derselbe Lichthaß nun, der Grund ist der Verfolgung der Kinder des Lichtes, wird auch der Grund, warum die Finsterniß sie zu verführen begehrt. Das Licht ist ja ein Spiegel, darin die Finsterniß ihre eigene Schwärze sieht, den muß sie mit dem Gifthauche beflecken, oder ihn vernichten, daher Verführung der Unschuld oder Verfolgung. Das, Brüder, ist die teuflische Verführung, während die zuerst betrachtete nur die menschliche war. Habt ihr jemals den ausgelernten Wollüstling gesehen, wenn er mit gleisnerischem Schein die Unschuld in seine Netze zu verstricken sucht? Habt ihr da keine Mienen an ihm gesehen, für die es keinen andern Namen giebt, als teuflisch? Und wäre diese hohnlachende Freude nur die Hoffnung des bevorstehenden Genusses gewesen? Aber dieser findet ja in vielen Fällen gar nicht statt, oder wäre es nur die Aussicht gewesen der Beschwichtigung des eigenen Gewissens? Gewiß nicht. Es ist der Lichthaß, der in jenen teuflischen Mienen sich ausspricht, der Haß der Finsterniß gegen das Licht, weil sie von dem Lichte gestraft wird.

Ihr seht, aus der innersten Natur des Bösen ist es also hervorgegangen, wenn als die erste natürliche Folge der Sünde die Schrift uns darstellt: der Fall des Einen begehrt den Fall des Andern. Mit nicht minderer Wahrheit ist der zweite Zug jener Erzählung verzeichnet, das Wort: „Ich fürchte mich, denn ich bin nackend,“ dessen Bedeutung wir in dem Ausspruche zusammengefaßt haben: Jedwede Gabe Gottes wird nunmehr zum Fallstrick. Die edle Gestalt des Menschen, sie war eine Gabe Gottes, deren er sich hatte freuen können ohne Erröthen, und alle Bedürfnisse der von Gott geschaffenen Natur - so lange der Wille des Menschen mit dem göttlichen noch in Einheit ist, und kein anderes Gesetz hat als ihn, werden sie ohne Erröthen in Reinheit befriedigt; aber jetzt, nachdem er gefallen, erröthet der Mensch, weil das unreine Herz seine Blicke und seine Gedanken unrein macht. Ist das Herz des Menschen nicht bei Gott, so werden alle an sich reinen Triebe unrein und befleckt, und alle Gottesgabe um uns her wird zur Verführung und zum Fallstrick. Dies ist die große Wahrheit, welche der Apostel in dem Briefe an den Titus Kap. 1. V. 15, ausspricht: „Den Reinen ist Alles rein, den Ungläubigen aber und Unreinen ist nichts rein.“ - Wenden wir das Wort des Apostels zunächst auf den Gegenstand au, von dem unser Text spricht, auf die sinnliche Liebe - o wie mag es Manchen unter uns geben, der es in dieser Hinsicht mit Schmerzen empfindet: „Den Reinen ist Alles rein, den Ungläubigen aber und Unreinen ist nichts rein.“ Wohl Manchen mag es geben, der nach der Reinheit und Keuschheit ringt in Gedanken, Wort und Werk, und mit Schmerzen es erfahren muß, daß jede Gabe Gottes zum Fallstrick, daß Alles um ihn her zu einem Zunder wird, in welchen die Funken unreiner Lust stiegen und ihn entzünden. Und ob ihr es euch auch abringt, daß ihr vor dem sinnlichen Werke bewahrt bleibt, ist nicht das schon ein jammervoller Zustand, immerfort mit seinen Gedanken, Blicken und Phantasien im Kampfe liegen zu müssen, ist nicht das schon ein jammervoller Zustand, wenn die unreinen Gedanken sich in unsere heiligsten Stunden, wenn sie selbst in unsere Gebete sich hineindrängen? Und gerade der Gegensatz der heiligsten Gedanken ruft, wo das Herz noch unrein ist, am ehesten die sündlichen Gedanken hervor. Da ist's, wie wenn ein fremder, schadenfroher Geist uns zeigen wollte: Mensch, du entrinnst mir nicht; selbst im Heiligthume Gottes bist du nicht sicher; gerade da streut er zuweilen seinen schwarzen Samen mit vollen Händen; es sind jene „feurigen Pfeile des Bösewichts“, von denen der Apostel spricht, und die schon Manchen, dem die rechte Waffe fehlte, der Verzweiflung nahe gebracht haben. Ringet euch Entschlüsse ab, wie ihr wollt, stellt Wächter neben Blick, Gedanken und Phantasie: fehlt das reine Herz, so werden doch alle Wächter zu Schanden, so wird doch jede Gabe Gottes zum Fallstrick. Ob es euch nun aber auch gelänge einmal und noch einmal, was hilft es, wenn der erneute Angriff immer wiederkehrt? Es ist ja nicht das allein, was dem bessern Menschen das Leben schwer macht, die unreine Versuchung nicht überwinden zu können, schon sie zu haben, ist ein solcher Schmerz. Wir unterliegen aber der Versuchung der Lust, und wir haben die Versuchung der Lust, so lange das Herz nicht rein ist. Und was heißt dies nun: ein reines Herz? Das ist ein Herz, das von göttlicher Liebesflamme ergriffen ist, und in dem darum die unreine Flamme der Lust nicht mehr aufkommen kann. Wer von euch weiß es nicht aus Erfahrung, Geliebte, daß Entschlüsse, wie kräftig sie auch seyn mögen, doch eine so viel geringere Kraft sind, als die der Liebe. Nur wo die himmlische Liebe im Herzen ist, wird auch die irdische Liebe keusch und züchtig. Wie sollte ich ein so groß Unrecht thun, und wider meinen Gott sündigen?“ so spricht Joseph in der Stunde der Versuchung. Seht da die Waffe, mit welcher die Liebe zu Gott die unreine Liebeslust bekämpft! O Jünglinge, liebet Gott und Jesum Christum, und ihr werdet nicht bloß die Versuchung überwinden, sondern ihr werdet sie gar nicht mehr haben. Wo erst das Gemüth seinen ganzen Schatz im Himmel hat, da verliert die Sinnlichkeit ihre Kraft über dasselbe, da werden auch die Güter des irdischen Lebens von einem unvergänglichen Lichte durchleuchtet, also daß man Alles nur anschaut, wie es nach dem Willen Gottes zu seyn bestimmt ist.

Und was nun hier in dieser bestimmten Beziehung das reine Herz würkt, das würkt es in allen anderen. Wo wir hinsehen in der Welt: Versuchung und Fallstrick allüberall, nur das reine Herz, in dem Gottes Liebe brennt, wird sie überwinden, ja wird ihrer gar nicht inne werden. O Geliebte, was wird nicht Alles für das unreine Herz, in dem die Liebe Gottes nicht brennt, zum Fallstrick - die Geschäfte, die Genüsse der Natur, der Familienkreis, ja die Religion selbst.

Und ist einem nun doch das Wort Pflicht ein heiliges Wort, dann entstehen jene schüchternen und geängsteten Gewissen, dann entsteht jene ängstliche Frömmigkeit, die der Menschen Gesellschaft flieht, weil Fallstrick und Versuchung droht, die sich fürchtet, ein Geschäft zu beginnen, weil Fallstrick und Versuchung droht, die vor den einfachsten Freuden des Lebens flieht, weil Fallstrick und Versuchung droht. Und o, wo ihr derselben begegnet im Leben, Freunde, daß ihr um Gottes Willen ihrer nicht spotten und ihre Gewissen nicht irren wollet. „Was nicht aus dem Glauben kommt, ist Sünde,“ ruft der Apostel. Fehlt die freudige Zuversicht, die Versuchung zu überwinden, was sollen sie anders thun die geängsteten Gewissen, als sie zu meiden? Ja, wie vielmehr ist es ein allgemein anerkanntes sittliches Gesetz: „Wer nicht zu überwinden hoffen darf, der meide.“ Aber freilich ist das nicht der Zustand des vom Sohne Gottes freigemachten Menschen, der mit Paulus rufen kann: „Ich Hab' es alles Macht,“ freilich ist diese Aengstlichkeit selbst ein Zeugniß, daß die Liebesflamme noch nicht auf dem Altar des Herzens brennt, neben der kein unreines Feuer erglühen kann. Mit wie ganz anderen Augen sieht ein solcher Jünger des Herrn die schöne Welt mit Gottes Gaben an, die für das unreine Herz überall nur ein Zunder der Versuchung, ein großer Fallstrick der Verführung wird. Ein Christ der alten Zeit sagt: „Die Entblößung, welche das Auge des Gottlosen ansieht, um zu begehren, sieht das Christenauge an, um zu bekleiden.“ Und so ist es in allen Stücken. Die Gottesgabe des Reichthums, welche, mit unreinem Herzen betrachtet, keine andern Gedanken weckt, als - mehr zu haben: mit dem Herzen des Christen betrachtet, erweckt sie Lob und Dank, darum weil man nun hat, „um mitzutheilen.“ Die Gottesgabe der Freundschaft und Geselligkeit, die mit dem unreinen Herzen genossen, das Herz nur immer mehr abwendet von dem wahren Freunde: mit christlichem Herzen genossen wird alle irdische Liebe zum Spiegel der ewigen. Die Gottesgabe der Freuden der Natur, die, mit dem unreinen Herzen genossen, den Schöpfer über dem Geschöpf vergessen läßt: mit christlichem Herzen genossen, wird sie zum Lichtstrahl, der von Gottes Herzen ausging und zu ihm wieder zurückführt. Mit einem Worte: das reine, das mit Gott versöhnte Herz giebt allen Gaben und Gütern des Lebens erst die Weihe, und in diesem Sinne sagt der Apostel zu solchen, die zu seiner Zeit sich ein Gewissen daraus machten, manche Speisen zu genießen: „Es wird Alles geheiliget durch das Wort Gottes und Gebet.“ (1 Tim. 4, 5.) Die Gaben des Herrn, die vorher zum Fallstrick wurden, werden nunmehr allesammt zu einer Leiter, die Himmel und Erde verbindet, und auf der die lobpreisenden Gedanken des versöhnten Menschen zu dem hinaufsteigen, von dem „alle gute und vollkommene Gabe herabkommt, zum Vater des Lichts!“

O meine Brüder, so lasset denn auch uns nach jener Weihe des Lebens trachten, die aus einem reinen, mit Gott versöhnten Herzen hervorgeht. O meine Brüder, so sollen denn auch uns alle Gaben Gottes nicht zum Fallstricke werden, sondern zur Leiter der Andacht und Verehrung, daran wir hinaufsteigen zu dem, von welchem „alle gute und vollkommene Gabe herabkommt,“ zum Vater des Lichts! Aber, ihr habt es gesehen, meine Freunde, einzelne Entschlüsse und kräftige Vorsätze allein mögen es nicht thun, Feuer im Herzen brauchen wir, nur die Flamme göttlicher Liebe mag die Flamme irdischer Liebe überwinden. Darum, was irgend ihr auch täglich beten möget, an der Spitze aller eurer Gebete stehe: „Herr Gott, gieb mir ein reines Herz!“ Und was ihr auch vor seinem Throne für gute Vorsätze ableget, für Gelübde aussprechet, an der Spitze all eurer Gelübde stehe: „Lasset uns Ihn lieben, denn Er hat uns zuerst geliebet.“ Und so schließen wir denn diese Andacht, indem wir aus Einem Herzen bekennen:

Ich will dich lieben, meine Stärke,
Ich will dich lieben, meine Zier,
Ich will dich lieben mit dem Werke,
Mit immerwährender Begier:
Ich will dich lieben, schönstes Licht,
Bis mir das Herze bricht. -

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