Kohlbrügge, Hermann Friedrich - „Aus tiefer Not“ - Siebente Predigt.

Gehalten den 7. Nov. 1858, vormittags.

Gesang vor der Predigt.

Psalm 42, Vers 5-7.

Wenn ich merk auf Gottes Güte,
Die er jeden Tag mir zeigt,
Das erhebet mein Gemüte,
Unter meiner Last gebeugt.
Oft besing ich in der Nacht
Seine Liebe, seine Macht,
Und ich bete nicht vergebens
Zu dem Gotte meines Lebens.

O, mein Gott, mein Fels! wie lange
Meiner, ach, vergissest du!
Macht mir doch mein Feind so bange,
Und ich finde nirgends Ruh.
Es zermalmet mein Gebein,
Wenn die Spötter täglich schrei'n:
Wo ist Gott, auf den du bauest,
Dem du all dein Heil vertrauest?

Seele, wie so sehr betrübt!
Wie ist dir in mir so bang?
Harr auf Gott, der jetzt dich übet,
Harr auf ihn, es währt nicht lang.
Dann entspringt aus Druck und Zeid
Freud und große Herrlichkeit.
Ich will meinen Heiland loben,
Ewig werd mein Gott erhoben!

Ja, meine Geliebten, wo sollen wir Frieden, wo Ruhe für die Seele finden, wenn nicht in dem Lob Gottes? Gott ist doch Gott. Er ist ein gnädiger und treuer Vater; auch hat er allein alles in seiner Hand; auch hat er mit unserem Haupte, Christo, und in ihm mit uns einen Bund ewigen Friedens gemacht, und hat selbst verheißen, dass er uns in die ewige Ruhe werde hinüberbringen. Das arme Herz wird hienieden von manchem Sturm bewegt; und da weiß das Berz selbst oft nicht, was ihm fehlt, bis ihm aufgedeckt wird, dass es mit den Wegen und Führungen Gottes nicht zufrieden ist, wie es doch sein sollte; da wird ihm denn eben damit aufgedeckt, dass es etwas nicht hat, was es haben sollte; und wann ihm darüber die Augen aufgehen, wird es seines Elendes inne, und da ist es ihm denn wie ein Balsam, zu vernehmen den Namen des Herrn Jesu und den Namen seines Gottes.

Was kann das arme Herz auf all die bangen Fragen, die in ihm aufsteigen, antworten? Wie kann der Angefochtene zu seiner Seele sagen: „Nun sei doch nicht so betrübt, es muss am Ende doch alles gut auskommen“, wie wir das mit einander aus Psalm 42 gesungen haben? Für den Augenblick kannst du dich nicht rechtfertigen. Wenn der Feind kommt und dich fragt: „Wo ist nun dein Gott?“ kannst du ihm nicht antworten, sondern du siehst auf deine Wege, die dir nicht gefallen, auf deine Sünde, auf das Widerspiel des Sichtbaren. Da kannst du dann nicht sagen: Mein Gott ist hier mit mir in dieser Grube! Aber harre du auf Gott. Gib es ihm in die Hand. Er hat dich doch gekannt von Mutterleibe an, auch sind die Haare auf deinem Haupt alle gezählt, und es ist dem Herrn Gott von deinem ganzen Weg, von all deinen Sorgen und Leiden nichts verborgen geblieben, sondern er hat alles in sein Buch aufgeschrieben; die ganze Geschichte des Lebens lag vor ihm aufgedeckt und war vor ihm bereits bestimmt, da du noch nicht geboren warst. Nun, was betrübst du dich, meine Seele? Harre auf Gott! Es sieht wohl schlimm aus, und du kannst nicht antworten, wo dein Gott ist; es geht schief und verkehrt, nicht nach Gottes Wort und seinen Verheißungen; dennoch, du wirst ihm nochmals danken, danken, nicht für die guten Tage, nicht dafür, dass du deine Wünsche bekommen hast, das meine ich nicht; dafür wirst du ihm wohl auch danken, denn das sind alles unverdiente Wohltaten, aber noch einmal: Was betrübest du dich, meine Seele? du wirst Gott nochmals danken dafür, dass er mit dir den Hohlweg gegangen ist, dass er dich so betrübt hat, dass er alle Philister hat über dich hergehen lassen und alle Teufel; du wirst ihm nochmals danken für alle Not, für alles Leiden, und dass du so von ihm hindurchgeschleppt worden bist! So kommt die Seele zur Ruhe; denn Opfer hat sie nicht, sie möchte wohl Opfer bringen, aber sie hat keine; es soll vor Gott nur Ein Opfer gelten, das ist: Christus und seine Gerechtigkeit und Heiligkeit. Will er nun aber von der Seele ein Opfer haben, so kann dies bloß bestehen in Lob, Preis und Dank. „Du wirst ihm nochmals danken“, - das beruhigt die Seele. Sollte das wahr sein? Soll ich, ich, nochmals meinen Gott schauen? Ja, er ist oft die Freude meines Angesichtes gewesen, das ist wahr! Oft hat er mich, ehe ich es vermutete, gesetzt auf den Wagen seines freiwilligen Volks! Oftmals, wenn ich in Betrübnis war und wusste nicht, wo aus, noch ein, hat er mich überrascht mit Trost, mit Gnade, mit Hilfe. Aber nunmehr ist alles verloren. Sollte es doch wahr sein? Sollte ich meinem Gott nochmals danken? Ja, du wirst ihm nochmals danken! Weißt du denn auch, worin das himmlische Leben, das himmlische Glück bestehen wird? Eben darin, dass du ihm dankst. Und wofür wirst du ihm danken? Für zwei Dinge: dass er dich gedemütigt, und dass er dich erhört hat, und dass er also deine Errettung ward!

Seht, meine Geliebten, das ist ausgesprochen in dem Spruch Psalm 118, Vers 21.
Ich danke dir, dass du mich demütigst und hilfst mir.

Zwischengesang.

Psalm 31, Vers 1 und 2.

Ja, Herr! auf dich vertrau ich immer,
In Not und Angst verlässt
Mein Herz auf dich sich fest!
Beschäme deinen Diener nimmer,
Errette mich vom Bösen;
Du, du kannst mich erlösen!

Ach, neige zu mir deine Ohren!
Ich schrei in Angst zu dir;
Hilf, hilf du eilends mir!
Sieh, ohne dich bin ich verloren.
Du kannst mich in Gefahren,
Als Fels und Burg, bewahren.

Wie ihr wisst, meine Geliebten, trägt dieser Psalm keine Überschrift; wir können demnach nicht mit Bestimmtheit sagen, dass er von David sei. Der Herr Jesus nennt diesen Psalm „die Schrift“1), und das ist uns genug. Der Mann, der diesen Psalm verfasst hat, ist also getragen worden vom Heiligen Geist; und da er vom Heiligen Geist getragen oder getrieben worden ist, und also durch den Heiligen Geist geschrieben hat, so ist dieser Psalm für die Gemeine Gottes bestimmt, die da in Angst sich befindet und zu dem Herrn ruft; und es kommt der Geist mit diesem Psalm uns, die wir nicht wissen, was und wie wir beten sollen, mit unaussprechlichen Seufzern zu Hilfe. Aber ein Bruder aus unserer Mitte, der sich nicht schämt, uns Brüder zu heißen, hat diesen Psalm am besten, ja allein in Wahrheit, verstanden, durchlebt und durchgemacht; er hat am allerbesten und wahrsten von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und aus allen Kräften diesen Psalm gesungen zum Lob und Preis Gottes, und am tiefsten und vollkommensten es ausgesprochen, was in diesem Psalm enthalten ist. Das hat er getan, ich muss es stets und bei jedem Verse wiederholen, sonst vergessen wir es, wenn wir den Psalm singen, - er hat es getan in der Nacht, da er verraten ward, da er also verworfen wurde, da er der Marter und dem Tod übergeben wurde, da er den Zorn, die Macht und Gewalt der Hölle vor Augen hatte, da er demnach nichts sah als das Buch der Schrift und den darauf geschriebenen Psalm, und was darin ausgesprochen ist, sonst aber dem Sichtbaren nach nur das Gegenteil davon. Das sollen wir doch ja in unserem Gedächtnis behalten.

Nach der gewöhnlichen Auslegung hat David diesen Psalm gemacht, da er einen Sieg errungen, da er z. B. in Jerusalem als König seinen Einzug gehalten hat. Das mag sein! Wenn er aber den Psalm nicht auch in der Höhle Adullam gesungen hat, dann hat er ihn auch nicht gesungen bei dem feierlichen Einzug in Jerusalem. Ist der Psalm wirklich von David, so kann er ihn eben so wohl oder noch viel besser in der Höhle Adullam gesungen haben, oder da er vor dem zerstörten Ziklag stand, als später. Denn, meine Geliebten, das sind nicht Sachen des Schauens, sondern Sachen des Glaubens, die in diesem Psalm geschrieben stehen.

Der Herr Christus hat zuerst gesagt: Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit! Dort oben liegt meine Gerechtigkeit, und ich muss hinein! Ihr Wegelagerer, ihr Teufel, und du, verdammendes Gesetz - aus dem Weg mit euch! Meine Gerechtigkeit ist droben, und ich muss sie haben! Wohlan, geht es denn durch den Tod und durch das Grab hindurch, muss es denn durch lauter Angst und Leiden, Tod und Verwesung hindurchgehen, ist dieses das Tor der Gerechtigkeit, wohlan, es sei! aber ich muss hindurch! Da denkt euch nun den Herrn zu gleicher Zeit im Saal, wo das Abendmahl gehalten wurde, eben da er im Begriff war, den Kelch der Danksagung zu erheben, und zu gleicher Zeit im Himmel. Er geht dem Leiden entgegen und ist über das Leiden hinweg; er geht dem Tod entgegen, aber hat Tod, Teufel, Hölle und Zorn hinter seinem Gott und Gott vor sich, und nun spricht er: „Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit!“ und es folgt darauf: „Ich danke dir, Gott!“ - Er ist hindurch, er ist durch Tod und Grab hindurch und über die Verwesung hinweg, er ist durch das Leiden hindurch und befindet sich vor Gott. Wie? wie? Der Wirklichkeit nach? Nein, dem Glauben nach.

Eins lag bei dem Herrn, worauf er ausging: Gott die Ehre, Gott den Ruhm, Gott den Dank. Deswegen eben wollte er durch die Tore der Gerechtigkeit hindurch, auf dass, wie schrecklich es auch noch komme, dennoch alles darauf hinauslaufe: Gelobt sei Gott! Ihm allein die Ehre! Er ist ein Gott vollkommener Seligkeit! Um dieses Lob war es dem Herrn zu tun, Gott zu loben, ihm zu danken, ewig zu danken. Das finden wir auch im zwei und zwanzigsten Psalm so herrlich ausgesprochen, Vers 22: „Hilf mir aus dem Rachen des Löwen und errette mich von den Einhörnern!“ Warum? Wozu? „Ich will deinen Namen predigen meinen Brüdern, ich will dich in der Gemeine rühmen!“ Und nun kommt die Predigt: „Rühmt den Herrn, die ihr ihn fürchtet; es ehre ihn aller Same Jakobs, und vor ihm scheue sich aller Same Israels!“ Warum? „Denn er hat nicht verachtet noch verschmäht das Elend des Armen“. Ich will seine ewige Gnade preisen, sein Erbarmen und seine Güte! Ale irdischen Mächte verschmähen das Elend des Armen, das hat aber Gott nicht getan: „Er hat sein Antlitz vor ihm nicht verborgen, und da er zu ihm schrie, hörte er es! Dich will ich preisen in der großen Gemeine; ich will meine Gelübde bezahlen vor denen, die ihn fürchten!“ Und Psalm 40,9-11 spricht unser Herr: „Deinen Willen, mein Gott, tue ich gern, und dein Gesetz habe ich in meinem Herzen. Ich will predigen die Gerechtigkeit in der großen Gemeine; siehe, ich will mir meinen Mund nicht stopfen lassen, Herr, das weißt du. Deine Gerechtigkeit verberge ich nicht in meinem Herzen, von deiner Wahrheit und von deinem Heil rede ich, ich verhehle deine Güte und deine Treue nicht vor der großen Gemeine“. Und Ps. 69 abermals, Vers 30-34: „Ich aber bin elend und mir ist wehe. Gott, deine Hilfe schütze mich. Ich will den Namen Gottes loben mit einem Lied und will ihn hoch ehren mit Dank. Das wird dem Herrn besser gefallen denn ein Farr, der Hörner und Klauen hat. Die Elenden sehen es und freuen sich, und die Gott suchen, denen wird das Herz leben. Denn der Herr hört die Armen und verachtet seine Gefangenen nicht“.

Einige übersetzen: „Ich danke dir“, oder: „ich preise dich, dass du mich erhört hast“. So hat auch Luther erst übersetzt: „Dass du mich erhörst und hilfst mir“; nachher hat er geschrieben: „Ich danke dir, dass du mich demütigst und hilfst mir“. Nun gibt es auch sprachkundige Juden, die also übersetzen: „Ich will dich preisen, dass du mich beugst, oder demütigst, und wardst mein Erretter“. Da ist nun die Frage: Wie soll es übersetzt sein? Die einen sagen: „dass du mich erhörst“, und verstehen gut hebräisch; die anderen sagen: „dass du mich beugst“, und verstehen auch gut hebräisch. Ich denke, wir tun am besten, wenn wir dieses Eine Wort, das im Hebräischen steht, in der Übersetzung erst wiedergeben mit „beugen“ und sodann mit „erhören“. Nach der Wahrheit des Lebens geht beides zusammen, sowohl dass wir dafür den Herrn loben, dass er uns gedemütigt, als dafür, dass er uns erhört hat. Es kommt doch keiner zu einem demütigen Herzen, es sei denn, dass Gott das Herz gleichsam zu Pulver stößt, zerbricht und zermalmt.

Solche Not drängt dann zum Gebet. Dieses Gebet zu dem Gott unseres Lebens findet Erhörung. Zu dem Gebet kommt das Gelübde: Ich will dich loben. Dieses „ich will dich loben“ schafft Errettung. Errettung führt hinüber in ewiges Lob Gottes, in ewigen Dank für die Erhörung und Errettung, ja, aber auch für die Drangsale, für alle Züchtigung von väterlicher Hand, für alles Leiden dieses Leibes der Sünde und des Todes.

Es gibt der Gebete viele; aber hier ist die Rede von einem Gebet, von einem Lob Gottes, wonach Gott, während er zürnt und mit der Rute schlägt, dennoch die Hölle verschließt und auf einmal sagt: „Du sollst in meinen Himmel hinein!“ und den Kuss des Friedens gibt. Das ist gerade Gottes Weg, dass das Herz zerschlagen und zerbrochen ist, dass der Mensch wahrhaftig arm und elend wird. „Denn deine Demütigungen haben mich groß gemacht!“ heißt es. Ach, wir können nun einmal den Wohlstand nicht ertragen, und uns selbst überlassen, machen wir uns bald silberne oder hölzerne Götzen, dieselben anzubeten. Nun will aber Gott der alleinige Schatz sein; die Seele aber kann Gott in der Vollkommenheit seiner Gnade und Schöne nicht genießen, es sei denn, dass Gott ihr alles zu nichte gemacht habe, ihr alles in den Staub gebeugt und zerbrochen habe. Also demütigt Gott, und wenn er also beugt und demütigt, so gibt er das Gebet, das Schreien zu ihm; es bleibt nicht aus. Ist das Schreien da, so ist auch die Erhörung da. Also hat unser teurer Herr gesagt: Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit! das ist das Tor, da gehen alle meine Brüder, die ich in meinem Blut und Geiste rein gemacht habe, hindurch. Da kommen die Hunde, da kommen die Heuchler und bösen Buben nicht hindurch, aber alle Gerechten werden da hineingehen. (Offenb. 22,15. Jes. 26,2.)

„Ich will dich preisen, o mein Gott, dass du mich demütigst, dass du mich erhörst und wardst mein Erretter“. Dazu ist der Mensch ursprünglich gemacht: Gott zu ehren, zu loben und zu preisen. Er ist aber des Teufels geworden. Nun muss Gott sein Geschöpf wieder haben; das geschieht in der Wiedergeburt durch Christum Jesum, und so werden sie alle, die selig werden, wiedergeboren, um Gott zu loben, zu preisen und ihm zu danken. Aber Christus voran, er ist der Erste, und er hat eine so liebliche Stimme, dass alle seine Schafe mit ihm singen müssen, sie können nicht schweigen. So sang der Herr diesen Psalm. Aber, meine Geliebten, er hat ihn gesungen im Saal des Abendmahls, angesichts des Todes, da er bald darauf schrie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“ Da hat er also gesagt: Ich will dich preisen, dass du mich demütigst, dass du mich anspeien und geißeln lässt, dass du mir eine Dornenkrone aufs Haupt setzen und mich ans Kreuz schlagen lässt, dass du mich allen Teufeln übergeben hast; ich will dich preisen, dass du mich erhörst und wardst mein Erretter!

Was tut der Herr nun jetzt im Himmel? Ja, das kann nunmehr ein Kind verstehen. Im Himmel zu der Rechten des Vaters preist der Herr Jesus Gott den Vater immerdar. - Wofür? Für das ganze Leiden, das er durchgemacht von Mutterleib an, bis dass er sprach: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ und dann den Geist aufgab! Da schaue ich nun im Himmel alle die schrecklichen Instrumente, deren der Herr Gott sich bedient hat, um den Herzog unserer Seligkeit durch Leiden zu vollenden. Sie sind sämtlich besetzt mit himmlischen Edelsteinen; sie sehen droben ganz anders aus, als sie hienieden ausgesehen; ja eben die Dornenkrone, die Nägel, der Spottmantel, das Kreuz, das sieht dort oben im Himmel ganz anders aus als auf Golgatha. Es dankt also der Herr Jesus dem Vater für all sein Leiden; er dankt ihm für die Erhörung, dass der Vater seine Errettung gewesen ist. Wofür tut er das? Eigentlich nicht für sich selbst. Christus ist keine Person, die für sich selbst dasteht, sondern, meine Geliebten, das tut er als Anfänger und Vollender unseres Glaubens, als Herzog unserer Seligkeit; als unser Bürge und Mittler dankt er Gott Vater für sein ganzes Leiden, für seine Erhörung und Errettung. Wir würden von der Dornenkrone und Schmach gar bald uns wegwenden, das Kreuz Christi gar bald von uns stoßen, wir würden widerspenstig andere Wege einschlagen, dem Teufel gehorchen und von Sodoms König uns reich machen lassen (vergl. 1. Mos. 14), wenn nicht Christus da wäre als unser Bürge. Er dankt dem Vater eben dafür, dass seine Nägelmale es erwirkt haben, dass es von dir heißt: „Siehe, ich habe dich in meine Hände gezeichnet“; dass seine Nägel es erwirkt haben, dass auch du in deinem Elend als mit Nägeln angeheftet bist und dich nicht davon losmachen und selbst erretten kannst; dass seine Dornenkrone es gemacht hat, dass du deine Plage nicht selbst von dir werfen kannst, sondern trägst deine Schmach, gehst den untersten Weg und lässt Ross und Wagen über deinen Rücken fahren. Für alles Weinen, für alles Leiden, Seufzen und Heulen seiner Kinder, dafür dankt er dort oben; - es ist sein Weinen, Seufzen und Heulen, und er dankt dafür mit den Worten: Eben so bin ich in die Herrlichkeit hineingekommen, und so kommen die Meinen auch hinein!

Ja, meine Geliebten, wir können es nicht glauben, aber wenn Gottes Kirche hienieden weint, so jauchzt der Himmel; wenn es hineinzugehen scheint in den Abgrund, durch Feuer und Wasser hindurch, wenn es mit der Gemeine in mancher Hinsicht auf den Scheiterhaufen geht, dann jauchzt der Himmel, dann wird der Acker Gottes bestellt, dass er Frucht bringt, dass es rauscht, wie das Rauschen Libanons (Psalm 72, 16). - Also dankt der Herr dafür, dass Gott Vater ihn gedemütigt hat, und dass er seine ganze Gemeine mit ihm demütigt und seinem Leiden und Tod also gleichförmig macht; und da dankt er zugleich für die Erhörung seines Gebetes, nämlich des Gebetes: „Ich will nicht, dass dieser ins Verderben fahre, denn ich habe eine ewige Erlösung für ihn gefunden!“ Erlösung hast du, Gott Vater, mir bereitet, hast mich aus der Hölle herausgeholt, und nun komme ich mit meinem Blut, und ich leide es nicht, dass dieser oder dass jener sollte umkommen; mich hast du errettet, ich kann aber nicht allein errettet sein, sondern ich muss errettet sein mit allen meinen Brüdern, die du mir gegeben hast, sonst fahre ich mit allen meinen Brüdern zur Hölle.

Das ist das Geheimnis des Leidens und der Erhörung Jesu Christi, das Geheimnis seiner Liebe, dass er Gott Vater dafür danken will, dass er ihn gedemütigt und erhört hat, dass seine Demütigung eine ewige Ursache ewigen Lobes ist für sein Volk. Denn es geziemte dem, der viele Kinder zur Herrlichkeit führt, dass er den Herzog ihrer Seligkeit durch Leiden vollkommen machte, und so geziemt es Gott Vater, Christi Glieder auch durch Leiden vollkommen zu machen. So sieht es, meine Geliebten, im Himmel aus für uns. Im Himmel sitzt unser Haupt, Christus, unser Heiland, Bürge und Stellvertreter, unser Goel2) und Bluträcher, unser teuerster Freund. Und er ist für die Seinen droben, auf dass wir nunmehr Freudigkeit bekommen, Freudigkeit, um zu sagen: Ob ich Sünden habe oder gerecht sei, ich kann nicht danach fragen, was ich in mir selbst habe oder nicht habe, eine Gerechtigkeit ist droben für mich bereit; und nun, ihr Mächte, Tod, Teufel und ihr Feinde meiner Seele alle: hinweg von dieser Gerechtigkeit! Es hat der Herr Christus gesagt: „Die Pforten der Hölle sollen meine Gemeine nicht überwältigen!“ so sollt ihr mich auch nicht überwältigen, ich muss hindurch. Hört das Wort aus dem Mund meines Bürgen, meines Königs; er preist seinen Gott und Vater. Ich komme nicht mit Werken, nicht mit Gerechtigkeit und Heiligkeit, ich komme, ein Wurm und kein Mensch, aber ein Wurm, von Gott geschaffen und von Gott wiedergeboren; - ich will Gott danken, ich will ihn preisen, dass er mich erhört hat und mein Erretter ward.

Alle Seligen im Himmel werden Gott danken, ja Gott danken! Ja, wenn meine Wiege golden war, war es denn nicht gut, dass Gott meine goldene Wiege mitten ins Meer hinein warf, so dass ich in ein armseliges geflochtenes Ding hinein zu liegen kam, um also selig zu werden? Ja, wenn Gott es nicht gemacht hätte, dass du und ich mit aller Tugend, Gerechtigkeit und Heiligkeit, mit allem Ruhm des Fleisches in den Kot geworfen worden wären, würdest du und ich je gefragt haben nach Versöhnung und Genugtuung? Keine besseren Tage gibt es für die Christen als die bösen Tage, keine größere Gnade von Gott, als wenn er uns das schwerste Kreuz aufbürdet, das fast nicht zu tragen ist; keine größere Treue, als wenn Gott uns das Liebste aus den Händen nimmt, so dass man sagen muss: Nun habe ich nichts mehr! Gott ist Vater. Der Vater euers Predigers zerriss einst seinem Sohn in dessen Kindheit das köstlichste Buch, das er besaß. Er konnte es nicht begreifen, warum sein Vater ihm diesen Schmerz bereitete; aber später fand er das Buch wieder, und da lobte er Gott, besuchte seines Vaters Grab und ließ Tränen des Dankes auf dasselbe fallen, eben dafür, dass dieser das Kostbarste ihm zerrissen hatte; er wäre verloren gegangen, wenn er es behalten hätte.

Das wird also die Freude sein in der ewigen Herrlichkeit, dass für alles, was wir hier nicht begriffen haben, wobei es am schrecklichsten herging, was am schmerzlichsten für uns gewesen ist, für all unsere Leiden und Sorgen, Tränen und bangen Nächte, - wir Gott danken und ihn Loben werden, dass er erhört hat, wenn es auch so aussieht, als ob tausend Gebete hienieden in ein Bündlein gebunden und in die Vergessenheit geworfen würden. Im Himmel, in der ewigen Herrlichkeit, o meine Geliebten, da wird der Mensch staunen, wie der Herr Gott dennoch und dennoch alle seine Gebete erhört hat, obgleich er es nicht hatte für wahr halten können, - wie er ihn wunderbar geleitet und geführt und nach seiner alleinigen, ewigen Weisheit es alles wohl gemacht hat. Es ging hienieden von einem Abgrund in den anderen, von einer Not in die andere, von einer Untugend und von einer Sünde in die andere, auf dass der Mensch in seinem Stolz und seiner Anmaßung vor Gott zerbrochen sei, und die freie Gnade und Erbarmung, die ewige Souveränität Gottes anerkannt werde. Vom Himmel herab, von der ewigen Herrlichkeit aus angesehen, wird aller Schmerz zur Freude; da wird alle Demütigung nur Stoff sein, um Gott ewig zu loben und zu danken; und je tiefer und tiefer es mit uns in die Not hineingegangen war, um so höher wird hernach der Dank und das Lob Gottes steigen. Da geht es aber zuvor in Wahrheit mit nach Bethlehem, wo der Herr keinen Raum findet, - durch die Wüste, wo er vom Teufel versucht wird; es geht nach Gethsemane, durch Verrat und Tod; es geht nach Golgatha und ans Kreuz; es geht mit ihm ins Grab hinein.

Ich habe euch, meine Geliebten, mitgeteilt, was unser Herr Jesus Christus als unser Bürge, Stellvertreter und Mittler nunmehr im Himmel tut. Er dankt Gott für alles Leiden, er dankt Gott für die Erhörung seiner Gebete. Ich habe euch auch mitgeteilt, dass er dies nicht für sich selbst, sondern für uns tut. Ich habe euch ferner mitgeteilt, dass wir dadurch belehrt und gestärkt werden zur Hoffnung der Gerechtigkeit, die da soll geoffenbart werden, auf dass wir uns halten an Gott, den lebendigen und gnädigen Gott, so wir anders geschmeckt haben, dass er freundlich ist. Denn wer Gott nicht so kennt, der kennt ihn nicht; er mag wohl christlich von ihn reden, aber wenn es auf die Probe kommt, dann hat er keinen Gott. Aber die ihn kennen, kennen ihn an der Vergebung der Sünden. Sie sind wohl oft scheinbar geschlagen und verlassen, müssen sich auch den Mund stopfen lassen, aber wenn es auf die Probe kommt, wenn das Feuer anfängt zu brennen, wenn das Wasser steigt bis zu den Lippen, dann schlagen sie los; dann haben sie einen Gott, einen wahrhaftigen und lebendigen Gott, sie schütten aus vor ihm ihr ganzes Herz, sie werfen all ihre Sünde und Not auf ihn, - sie erzählen ihm ihren ganzen Weg, sie sagen es ihm, dass der Kelch gar bitter ist. Aber danken müssen sie ihm dennoch, denn dazu sind sie geboren, dazu sind sie wiedergeboren; sie werden ihm danken ewiglich. Das wird gerade die himmlische Freude ausmachen, dass sie es dankend bekennen: Nein, nein, mein Gott! das habe ich nimmer gedacht; der Tag, da ich so weinte, ist ja ein Tag, herrlicher als mein Geburtstag! Hier finde ich alles wieder, was ich auf immer meinte verloren zu haben! - So geht es voran, und das Lob steigt höher und höher, je tiefer vorher die Not und das Leiden gewesen ist, je mehr man von allem nur das Widerspiel gesehen hatte. So macht Gott Sünder gerecht und macht den Armen reich. Führt er eine betrübte Seele in die Hölle, ganz bestimmt, er führt sie gerade so in den Himmel. Er führt in den Tod hinein, aber ganz bestimmt, es ist ein Weg. zum Leben, durch den Tod ins Leben hinein. Macht er kraftlos, so gibt er Kraft; ist bei uns Klagen und Weinen, so dass man Gottes Lob nicht auf die Lippen nehmen mag, so macht er mit Einem Mal aus der Verkehrtheit, aus dem Zorn und Unmut einen Psalm, dass alles Widerspiel sich wandeln muss in ein Lob Gottes für seine Gnade und Allgenugsamkeit!

Amen.

Psalm 119, VS. 38.

Ich weiß es, Herr, gerecht ist dein Gericht,
Demütigst du, ich sehe deine Treue.
O, sie verlässt mich, wenn ich leide nicht.
Herr, deine Gnad erquicke mich aufs neue!
Sie sei mein Trost, wie mir dein Mund verspricht,
Dass sich dein Knecht im Druck an dir erfreue.

1)
Mat. 21,42
2)
Goel ist ein hebräischer Begriff, der vom Wort ga'al (erlösen, ausgleichen) abstammt und folglich Erlöser oder Ausgleicher bedeutet, was in der Bibel und der rabbinischen Tradition eine Person kennzeichnet, die als nächster Angehöriger dafür verantwortlich ist, die Rechte des Angehörigen wiederherzustellen und sein erlittenes Unrecht zu rächen. In heutigen Bibelausgaben wird der Begriff mit „Verwandter“, „Erlöser“, „Messias“ und „Rächer“ übersetzt.
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