Tholuck, August - Der Christ in seinem Verhalten zu den Gütern der Erde.

Wir sind hier nicht in der Heimath; da ist nichts Unvergängliches, die Freuden fliehen, die Schmerzen fliehen; wie so gar eitel ist der Menschen Leben, und wenn es noch so herrlich gewesen - wer wollte hier ewige Hütten bauen! In der That, das Gefühl der Wehmuth über die Vergänglichkeit und Nichtigkeit, die das irdische Leben und seine Güter, auch die schönsten, an sich tragen, wird oft ganz überwältigend für den Menschen, und vor Allem in den Augenblicken, wo er irgend ein theures Gut, daran seine Seele sich lange zu erfreuen hoffte, plötzlich dahingehen muß. Es war dieses Gefühl der tiefen Wehmuth, welches in der ältern Christenheit oftmals, nachdem ein Strahl aus der Höhe dem Christen seine schönste Freude zerschlagen hatte, ihn in die Einöden und in die klösterliche Zelle trieb; da wollte er sich ausweinen sein Leben lang, da wollte er die ewige Sabbathsruhe, welche eine himmlische Weisheit doch gewiß nicht ohne Grund uns erst nach einem Leben voll Kämpfen verheißt, sofort schon hier auf der Erde beginnen. So ist das menschliche Herz; es ist, wie der Prophet sagt „ein trotziges und verzagtes Ding“; scheinet die Sonne, sogleich wird es trotzig, zieht die Nacht herauf, so ist die Verzagung da. Es ist aber der Segen des lautern evangelischen Glaubens, daß er uns lehrt fest stehen, und unbeweglich am innern Menschen. Diesen Segen des Glaubens recht zu erkennen, wird vor Allem in den Zeiten Bedürfnis wo die Grundvesten des ganzen öffentlichen Lebens zu wanken anfangen, wo das Unglück und das Wehe nicht bloß den Einzelnen aufsucht, sondern ganze Geschlechter beugt; und daß wir in dieser Beziehung Veranlassung haben, auf die böse Zeit unsern Blick zu richten, die heranbrechen könnte - auf die Zeit, wo abermals der Herr mit seiner Wurfschaufel die Spreu von dem Walzen sondern möchte, daran hat wohl schon mancher Familienvater unter uns manchmal mit Ernst gedacht. Du Jugend, die du jetzt vor dem Altare Gottes dich versammelst, wer weiß, ob du nicht binnen Kurzem, das Schwert in der Hand, auf dem Schlachtfelde blutest; ihr Familienväter, die ihr jetzt die Freuden, die ruhig sich abwickelnden Freuden des Familienlebens täglich auf's Neue genießet, wer weiß, ob nicht bald das Eine oder das Andere der Eurigen entseelt vor euch liegt, und eure Häuser rauchen - darum, meine Geliebten, lasset uns lernen, wie wir als Christen stehen sollen in der bösen Zeit1).

Lasset uns in dieser Stunde miteinander beherzigen das Wort jenes so vielfach ernst geprüften Knechtes Gottes, das aus der Brust jedes wahren Christen mit der innersten Wahrheit nachgesprochen wird: „Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobet!“ Hiob 1,21. Lasset uns nach Anleitung dieses Textes den Christen in seinem Verhalten zu den Gütern dieser Erde betrachten, und zwar zuerst, wie er sich verhält im Besitze derselben, sodann bei m Verluste derselben, und endlich sein Gebet beim Empfange wie beim Verluste.

Das Verhalten des Christen beim Empfangen der Gaben und Güter Gottes ergibt sich aus den Worten: „Der Herr hat's gegeben.“ Die Güter dieser Erde, Reichthum und Ehre und Familienglück, und was ihr nennen möget, sie mögen durch vielerlei Hände hindurch an euch gelangen, aber die letzte Hand, die sie euch gibt, ist die, welche sich aus dem Himmel herabstreckt - die väterliche Liebe unsers durch Jesum Christum versöhnten Vaters. Welch' ein erfreulicher Gedanke - von der Kindheit bis zum Alter, vom Morgen bis zum Abend unaufhörlich Gaben zu empfahen aus der Hand dessen, der Himmel und Erde tragt, die Gaben der Liebe zu empfahen, beständige Unterpfänder, daß er uns nicht vergißt, daß wir ihm am Herzen liegen. Der Arme, dem ihr eure Gaben reichet, er fühlt, daß ihr ihm doppelt gebt, je höher eure Würde ist, und jemehr er dabei glauben darf, daß ihr ihm aus Liebe gebt. O wie schmecken alle Gaben Gottes doppelt süß, wenn wir glauben dürfen, daß Er -der Himmel und Erde regiert - sie aus Liebe gibt. So empfängst du ja nicht bloß die Gaben der Erde, du empfängst mit jedweder zugleich das Herz des himmlischen Gebers! In Allem, was ich an mir trage, in Allem, was ich um mich sehe, in jedem Pulsschlag meines Herzens, in jedem Odemzug meiner Brust, in meinen Freunden, meinen Brüdern, meiner Gattin, in Allem, Allem ein Unterpfand, daß der Vater im Himmel mich liebt.

Hat der Herr gegeben Alles, was ich empfange, so sind es Gaben der väterlichen, aber auch der unverdienten Liebe. Was saget ihr zu dem Kinde, zu dem gutgearteten frommen Kinde, das vor den Vater sich hinstellt und nur verlangt, was es verdient hat? Empfängt es nur, was es verdient hat, so braucht es ja auch nicht zu danken, und ein Kind, das seinem Vater nichts zu danken hat - o ich wünschte nicht, ein solches Kind zu seyn! Aber wie, wenn das Kind abgewichen ist, wenn es sich versündigt hat an der Huld und Gnade seines Vaters, wenn es nicht werth ist, das Auge vor ihm aufzuthun? - und solche Kinder sind wir! „Wir waren allzumal - wie der Apostel sagt - Unweise, Ungehorsame, Irrige, dienend den Lüsten und mancherlei Wollüsten, und wandelten in Bosheit und Neid, und hasteten uns unter einander. Da aber erschien die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes unsres Heilandes, nicht um der Werke willen der Gerechtigkeit, die wir gethan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit machte er uns selig durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des heiligen Geistes.“

Also hat Gott die Welt geliebet,
Das merke, wer es höret,
Die Welt, die Gott so hoch betrübet,
Hat Gott so hoch geehret,
Daß er sein'n eingebornen Sohn,
Seinen ein'gen Schatz, sein' ein'ge Kron',
Das ein'ge Herz und Leben
Mit Willen hingegeben.

Bin ich ein so unwürdiges, ein so abtrünniges Kind, so muß ja wohl jeder Empfang einer Gabe aus der Hand, aus der ich nur Schläge verdient hätte, auch beschämend und demüthigend für mich seyn, und so ist die Freude des Christen bei jeder täglichen Gabe aus der Hand seines Gottes allerdings eine kindliche, aber es ist die des Kindes, das da weiß, daß es ganz etwas Anderen von der Hand seines Vaters wäre werth gewesen. Bei jeder Gabe fragt es sich: „O wie komme ich dazu? O wie ist seine Güte doch so gar groß!“ Es ist keine triumphirende Freude, sondern eine gebeugte, keine übermüthige, sondern eine demüthige, und nur wenn sie so beschaffen ist, erlangt die Liebe Gottes mit ihren Gaben ihren Zweck am Menschen.

Denn ist es der Herr, der es gegeben hat, Alles was ich habe, so ist es auch Alles die Gabe einer heiligen Liebe - jener göttlichen Güte, von der der Apostel sagt, daß ihr Zweck sei, uns zur Buße zu leiten. Ist das Herz des Empfängers einmal hart, so würkt freilich die göttliche Gnade ganz anders; mag er in Tropfen oder in Strömen seine Gnade in das verhärtete Herz ausgießen, es wird immer härter. Sehet, meine Lieben, so wird die göttliche Liebe in dem unbußfertigen Menschen von selber zum Zorne und zum heiligen Gericht. Es ist ein erschütternder Anblick, so manchen Menschen zu sehen, der trotzig dahergeht, und fällt ihm ein Gut nach dem andern zu, wie ein Tropfen des Regens sich an den andern dränget, daß er meinet, es könne ihm nimmermehr fehlen - man bewundert die göttliche Liebe und Langmuth. Aber siehe, über dem verhärteten Herzen wird die göttliche Liebe selber zum Strafgericht, und es wird immer härter, immer kälter, immer unempfindlicher. Das meinet die Schrift, wenn sie von einem göttlichen Gerichte der Verstockung über den Menschen spricht. Es ist das keine bloße Redensart, es ist das eine furchtbare Wahrheit. Die Liebe übt dieses Strafgericht; denn für das verhärtete Herz gereicht sie selber zur Verdammniß. Erkennt aber eine Seele in den Gaben ihres Gottes die unverdiente Liebe; erkennt der gläubige Christ, daß Gott seinen Sohn für ihn dahin gegeben, und mit dem auch alle anderen guten Gaben, dann entsteht eben beim Empfange einer jeglichen Gabe aus seiner Hand jenes heilige Gefühl gebeugter, beschämter Dankbarkeit, und dieses würkt die Buße. Man ruft: „O mein Gott und Herr, du bist ja nur lauter Lieb' und Gnade gegen den armen, verworfenen Sünder! Ach ich will ja gerne dankbar seyn, will dir auf deinen Wegen überall nachfolgen, will dich erfreuen, wo ich weiß und kann.“ Ist das Herz durch die göttlichen Gaben zu dieser Stimmung geführt, so haben sie ihren Zweck am Menschen erreicht.

Hat der Herr uns die Gaben der Erde gegeben, die wir empfangen, so sind sie auch aus der Hand einer weisen Liebe gekommen, einer Liebe, die bei den Gaben, die sie uns gegeben, auch zugleich an alle die Zwecke gedacht hat, die dadurch und damit erreicht werden können. Er hat uns unsre Gaben und Alles, was wir aus seiner Hand empfangen, nicht bloß für uns allein gegeben, sondern er hat uns zu Haushaltern gesetzt, wie der Apostel Petrus sagt, „über die mancherlei Gnaden Gottes,“ und von einem Haushalter wird verlangt, „daß er treu erfunden werde.“ Vermögender und wohlhabender Jünger Christi, du bist als Verwalter angestellt über ein fremdes Gut, es kommt der Tag, wo du deine Rechenbücher aufschlagen mußt, und wo Rechenschaft mit dir wird gehalten werden. Du gelehrter und kenntnißreicher Jünger Christi, deine Kenntniß und deine Gelehrsamkeit sollen nicht bloß in deinem eignen Dienste stehen, du hast einen Herrn, dem du angehörst, und der Herr hat ein Reich, und in dem Reiche bist du angestellt. Trachtest du mit Allem, was du weißt und was du kannst, nach dem einen Ziele, daß die Ehre deines Herrn und seine Anbetung in jenem seinem Reiche gefördert werde? Du, welchem der Herr ein schönes Familienleben verliehen hat, der du in einem großen Kreise solcher stehst, welche du die Deinigen nennen kannst, bedenkest du auch wohl, daß auch dieses dein Gut aus keinem andern Grunde dir geschenkt worden, als zu seines Namens Ehre? Ist es deines Herzens höchste Sorge, daß in denen, die deinem Herzen so nahe gestellt sind, der Glaube gepflanzt werde, und durch sie wieder weiter verbreitet auf der ganzen Erde? Das Rechenbuch und das Gericht, es ist freilich ein Bild, aber eben deshalb bildet es etwas ab, stellt etwas dar, das würklich geschehen wird. Wenn der Apostel sagt, Gott habe seinen Willen eingeschrieben als ein Gesetz in der Heiden Herzen, so ist das auch ein Bild; hat es aber deshalb keine Wahrheit? Und was ist nun die Wahrheit jenes Bildes von dem Rechenbuche und Gerichte? Keine andere, als die erschütternde: Jeder Gedanke, jede Empfindung, auch wenn du sie längst vergessen hättest, prägt sich mit unauslöschlichen Zügen deiner Seele ein, und geht mit dir hinüber in die stille Ewigkeit!

Christen, habt ihr in dem Sinne die Gottesgaben empfangen und dahingenommen, o so wird euch auch nicht schwer werden, festen und unbeweglichen Herzens stehen zu bleiben in den Stunden, wo ihr sie wieder zurückgeben müßt in die Hand, aus der sie gekommen sind: „Der Herr hat's genommen,“ so ruft Hiob aus, als all' das Seinige ihm abgefordert wird, und spricht mit diesen Worten Alles aus, was die Stimmung des Christen bezeichnet beim Verluste seiner irdischen Güter.

„Der Herr hat's genommen!“ Der fromme Knecht Gottes bleibt nicht stehen, weder bei dem Feuer, das vom Himmel fallt, noch bei den Chaldäern, welche seine Kameele rauben, noch bei dem Sturme in der Wüste, der auf die vier Ecken des Hauses stößt, und es auf seine Kinder wirft, daß sie sterben - sein Auge blickt höher hinauf zu der Hand, in der alle Fäden zusammenlaufen. Und diese Hand ist kein blindes Schicksal, das seine Menschen in den Himmel oder in den Abgrund schleudert ohne Lust und ohne Wehe, ist keine stumme Natur, die gebührt und vernichtet, ohne zu wissen warum; auch kein unbekannter Geist jenseits der Wolken; es ist der Herr, der todt macht und lebendig, der in die Hölle führt und wieder heraus, der Herr Jehovah, von dem Himmel und Erde erzählen, von dem lange Jahrhunderte der Geschichte uns die Wunder seiner Erbarmung berichten, der Herr und Vater, an dessen Vaterherzen schon so viele Taufende der gläubigen Seelen vor uns ihren Schmerz ausgeweint haben, der Herr und Vater, der seinen lieben Sohn Jesus Christus auf die Erde geschickt hat, nicht um die Welt zu richten, sondern um selig zu machen Alles, was an ihn glauben wollte. Wahrlich, ist es der Herr, der die „Güter meines Lebens mir genommen hat, so darf ich auch sagen: Auch wenn er nimmt, gibt er, auch seine Schmerzen sind Freuden.

Wohl ist seine Liebe zu den Menschenkindern eine heilige Liebe, und seinen Widersachern, sagt die Schrift, ist er ein verzehrendes Feuer. Aber er ist es auch eben allein seinen Widersachern. Seinen Kindern, die ihm angenehm gemacht worden in dem Geliebten, ist er ein versöhnter Vater, und die Schläge wie die Küsse seiner Liebe sind Liebe um Liebe. So lange der Mensch den Geist der Kindschaft noch nicht hat, in dem er rufen kann: Abba, lieber Vater, so lange das Herz todt ist, und der Sinn kalt für den, der uns zuerst geliebt, dient alles unser Leiden mit nichten dazu, uns zu ihm hinzuwenden. Je härter die Schläge auf uns fallen, desto kälter wird das Herz, desto mehr verhärtet es sich, desto ängstlicher wendet es sich nach dem Troste von Außen, und ihr habt wohl schon selbst solche gesehen, wie sie umhergehen mit kaltem Herzen; in ihren Augen sind keine Thränen, aber unruhig gehet das Herz in der leeren Brust, und krampfhaft greift die Hand nach jeder tauben Blüthe, die Duft und Trost verheißt - in dem nächsten Augenblicke wirft sie dieselbige trostlos wieder hin. Ein kaltes, liebeleeres Herz, ein Herz, das Gott nicht liebt, wandelt sich selbst die Flamme der göttlichen Liebe in eine Zornesflamme um. Anders das gläubige Gemüth. Es sieht nicht bloß den Streich, der aus dem Himmel fällt: es sieht die Hand, die ihn thut. In kindlichem Glauben weiß es, was weise Liebe gab, hat auch weise Liebe wieder genommen. Es muß ein Segen verborgen liegen, so oft die Hand meines Herrn sich ausstreckt, sei es zum Geben, oder auch zum Nehmen - wenn ich den Segen nur finden kann! Und während das bekümmerte Herz also ringt und weint, hofft und anbetet, kommt der Segen im reichen Maaße herab, den es sucht. Es wird je mehr und mehr zu dem Unsichtbaren hingezogen, dahin, wohin des Himmels Gaben zurückgegangen, als sie ihm genommen wurden. Wer unter euch, der an den auferstandenen Sohn Gottes glaubt, hätte nicht das namentlich erfahren beim Hingange der theuern Geliebten, die im Herrn starben? O wie wird dem Zuschauer am Sterbebette einer gläubigen Seele das ewige Erbtheil, das wir im Himmel haben, so gewiß! O, wie richtet sich der Geist von den kleinen Sorgen der Erde zu dem ewigen Vaterlande auf, o wie lernt man da im Glauben sich anklammern an den, der da gesagt hat: „Ich bin die Auferstehung und das Leben!“ Wie es von den Jüngern in der heiligen Schrift heißt, als der Heiland aufgehoben wurde in die Wolken: - „Sie standen und sahen ihm nach“ - also sieht das thränende Auge lange, lange den im Glauben an den Sohn Gottes Hingeschiedenen nach! - Wohl bleibt die Lücke; aber der göttliche Friede füllt sie. aus. Darum so gibt auch die göttliche Gnade, selbst wenn sie nimmt, und all ihr Nehmen ist ein Geben; darum so macht sie Freuden, wenn sie Schmerzen macht, und alle Schmerzen, die von ihr kommen, sind Freuden - und so ruft uns der Apostel zu: „Meine lieben Brüder! achtet es eitel für Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtung fallet.“ - Aber wie, so wäre es denn in der That eitel Freude, Anfechtung zu leiden? So wäre die Freude beim Verlust eben so groß, als beim Empfange? So kennte das Christenherz kein Pochen, keine schnelleren Schläge der Angst, sein Auge keine Thräne der Wehmuth? - Nein, Geliebte! eine solche Gesinnung wäre eine schwärmerische und nicht die des rechten Jüngers Christi. Hat etwa der Erlöser nicht das Wort gesagt: „Ich muß noch mich zuvor taufen lassen mit einer Taufe, und wie ist mir so bange, bis daß sie vollendet werde!“ - „Jetzt ist meine Seele betrübt. Und was soll ich sagen? Vater, hilf mir aus dieser Stunde, doch dazu bin ich in diese Stunde gekommen!“ Hat er doch an Lazarus Grabe Thränen geweint! Wenn Gott schlägt, soll der Mensch nicht als Stein die Schläge tragen, sondern als Mensch, ja vielmehr als ein gläubiges Kind Gottes. Ist der Kelch bitter, er soll das Bittere wohl schmecken - aber auch den süßen Tropfen darin, welcher ist die Liebe seines Vaters im Himmel. Den Schmerz soll er fühlen, aber in dem Schmerz sind die Freuden verborgen. Ist das nun, meine Andächtigen, das Verhalten des Jüngers Christi beim Empfange der Gabe seines Herrn und bei ihrem Verluste, so ist auch das Gebet, das allemal aus seiner Seele dringen wird: „Der Name des Herrn sei gelobet!“

Der Name des Herrn werde gelobet, werde verherrlicht! - das ist sein Gebet bei jeglicher Gabe, die er aus der Hand der Liebe entgegennimmt. Ach! ich will kein Gut besitzen, ich will keiner meiner Gaben mich freuen, nicht meines Vermögens, nicht meines Standes und meiner Würde, nicht meiner Kenntnisse, nicht meiner Gattin, meiner Familie, keiner, keiner meiner Gaben will ich mich freuen um meiner selbst willen. Wird nicht der Name meines Herrn dadurch verherrlicht, so sollen sie mir nichts werth seyn. Kann ich sie nicht anwenden dazu, daß in mir und in Andern sein Reich wachse, so sollen sie mir nichts werth seyn. O daß ich die große Kunst, ein treuer Haushalter meiner Gaben zu seyn, doch immer williger lernen, daß doch Alles, was ich habe und was ich bin, ein Altar werden möchte, worauf ich meinen Dank ihm darbringe. Des Christen Gebet ist beim Empfange der Gabe wie bei ihrem Verluste: Der Name des Herrn sei gelobt! Der Name des Herrn, so betet er, werde gelobt; er werde zuerst gelobt in mir selber und von mir selber. Daß ich's im tiefsten Grund meiner Seele empfinden möchte, wer ich bin, der unaufhörlich gewürdigt wird, Unterpfänder der Liebe aus der höchsten Hand zu empfangen! O daß ich mich selbst, o daß ich ihn recht aus dem Grunde kennen lernte; nur dann werde ich seinen heiligen Namen recht loben können.- O daß doch aber auch in Anderen und von Anderen der heilige Name Gottes gelobet werde um der Gaben willen, die er mir gegeben; o daß doch auch meine guten Werke leuchteten vor den Leuten, nicht damit sie mich, sondern damit sie den Vater im Himmel lobten; o daß ich ein treuer Haushalter aller mir anvertrauten Gaben und Gnaden wäre! o daß alles, was ich habe, weiß und bin, nur dazu dienen möchte, die Tugenden deß zu verkündigen, der mich zu seinem wunderbaren Lichte berufen hat! Ich will nicht meine eigene Ehre, ich will nicht meinen eigenen Genuß in Allem, was ich habe und bin, suchen. Mein Reichthum, meine Würde, meine Kenntnisse, alle Themen und Lieben, die du mir anvertraut hast - ich lege es Alles vor dir als ein heiliges Opfer nieder, damit dein Name in meiner Schwachheit verherrlicht werde, du allein Liebenswürdiger! - Der Name des Herrn werde gelobt! das ist des Christen Gebet, wenn er seine Gabe wieder zurückgeben muß in die Hände, aus denen er sie empfangen. Der Herr werde gelobt in meinem eigenen Herzen. Gieb mir das Auge des Glaubens - so ruft der gläubige Christ - daß ich glaube auf Hoffnung wider Hoffnung, und wenn ich um mich her gleich eitel Trauer sehe, den verborgenen Reichthum der Freude anschauen kann, den du für mich niedergelegt hast in deinem himmlischen Rathschluß. Ja, meine Seele soll deinen herrlichen Namen loben, welcher ist gnädig und barmherzig und von großer Treue, und soll nicht wanken und nicht irre werden, wenn auch um mich lauter Nein wäre. - Und auch in Anderen werde dein heiliger Name gelobet, wenn deine Prüfungen über mich ergehen. O daß ich es dann bewähren möchte, was dein Wort spricht: „Wer da glaubt, fleucht nicht!“, o daß ich stehen möchte unverrückten Fußes auf dem ewigen Felsen deines untrüglichen Wortes, und offenbaren vor aller Welt, daß, wer an dich glaubt, eine Hoffnung hat, die nicht zu Schanden werden läßt. Ich bin nun einmal der Deine, Herr, und was ich lebe, das lebe ich nicht mir, sonderndem, der auferstanden ist von den Todten, und der auch meine Todten auferwecken wird! So verherrliche dich denn, Gott, mein himmlischer Vater, in unsern Freuden und in unsern Leiden, in unserm Leben und in unserm Sterben ewiglich!

1)
Diese Predigt wurde in der Zeit gehalten, wo die französische Revolution ausgebrochen war, wo jede Zeitung die Kunde neuen Aufruhrs brachte, wo Jeder einer langen Reihe von Kämpfen entgegensah - sie wurde auch in der Zeit gehalten, wo dem Verfasser einige Tage vorher seine Gattin durch den Tod entrissen worden war.
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autoren/t/tholuck/hauptstuecke/tholuck_hauptstuecke_7_neu.txt · Zuletzt geändert: von aj
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