Hus, Jan - Der breite Weg, der zum Verderben führet, und der schmale, der zum Leben führet.

Hus, Jan - Der breite Weg, der zum Verderben führet, und der schmale, der zum Leben führet.

„Der Kinder des Reichs, 1) der getreuen Anhänger Jesu des Gekreuzigten, der Liebhaber seiner Schmach, Seiner Demuth, Seiner Einfalt und Armuth; der männlichen Verächter der Welt, ihres Reichthums, ihrer Wollüste, ihrer Ehre sind so Wenige, wie wenn man im Weinberge nachlieset; so verborgen, als wenn sie vor dem Sturm des Ungewitters in einer Grube unter der Erde steckten. Ein Mann ist theurer, denn Gold, und die Heiligen haben so abgenommen, daß kein Prophet mehr ist. Es ist eine solche Bedrängniß und Verfolgung, nicht von den Auswärtigen, sondern von den Einheimischen; nicht von den Sündern, sondern von denen, die den Schein der Heiligkeit haben; nicht von Geringen, sondern von den Vorgesetzten und Vorstehern, nicht durch eine offenbare Grausamkeit, sondern mit scheinbaren Ueberredungen, und unter dem Eifer der Gerechtigkeit; eine Verfolgung, die mit der Liebe zur Jugend geschmückt ist, daß von der Wahrheit verführt werden möchten, wo es möglich wäre auch die Auserwählten. Und wo diese Tage nicht bald verkürzt würden, so würde kein Mensch selig; daher auch meine Füße beinahe geglitten, und mein Herz gewankt hätte. Wo mein gekreuzigter Jesus mir nicht beigestanden wäre, so würde meine Seele bald in der Hölle haben liegen müssen. Aber mein frommer und treuer Jesus hat mir den Sinn der großen Parthei offenbaret, daß ich die Gestalt des verführerischen Weibes (Spr. Sal. c. 7.) erkannt habe, welche alle unvorsichtigen Jünglinge an den Ecken der Gassen an sich zieht, und unter allerhand Schein auf den breiten Weg abführt. Hingegen der schmale Weg, der zum Leben führt, weil er beschwerlich ist, wird von den fleischlichen Lehrern als verdächtig und schädlich den Seelen vorgestellt. Darum habe ich zu Gott, dem Vater unsers Herrn Jesu Christi, treulich gebeten, meine Bibel habe ich mit meinen Händen gegen Ihn emporgehoben, und mit Mund und Herzen habe ich gerufen: O Gott, mein Herr und Meister meines Lebens, verlaß mich nicht! Uebergieb mich nicht in den Sinn und Rath dieser Leute, behüte mich, daß ich mich nicht selbst klug dünke, noch diesen Leuten heuchle, und in schwere Sünden falle!

Denn ich sage es frei vor Gott und seinem Gesalbten, diese gebrecherische Kirche schmücket sich dermaßen mit dem Schein der Tugend und falscher Demuth, als wäre sie eine Braut Christi, und betrügt damit Manche, so daß ich von meiner Kindheit an bis auf diesen Tag gleichsam zwischen Thür und Angel gestanden, und gezweifelt habe, was ich erwählen solle oder nicht, ob ich begierig und unbescheiden nach Ehren und Pfründen streben solle, welches ich freilich mehrmalen gethan, oder ob ich vielmehr außer das Lager hinausgehen, und die Armuth und Schmach Jesu Christi tragen solle? Ob ich ein geruhiges und gemächliches Leben mit dem größten Haufen suchen, oder der lauteren, d.h. Evangelischen Wahrheit anhangen solle? Ob ich preisen solle, was Alle preisen, rathen, was alle rathen, entschuldigen, wen alle entschuldigen? Die Schrift glossiren, wie in dieser Zeit das alle große, berühmte, gelehrte und mit allem Schein der Heiligkeit und Weisheit angezogene Männer sie glossiren? Oder ob ich vielmehr die unfruchtbaren Worte der Finsterniß dieser Leute männlich anklagen, bestrafen und mich einfältiglich an die lautere Wahrheit des göttlichen Wortes halten solle, welche offenbar den Sitten derselben widerspricht, und beweiset, daß sie falsche Christen und Brüder sind? Ob ich dem Geist der Andacht und seinen Eingebungen folgen solle, von welchem ich glaube, daß es der Geist Jesu Christi sey, welcher mir offenbarte, daß Jenes ihr Leben nur eine Maske der Gottseligkeit sey, indem sie unter dem Schein der Andacht die Welt lieb haben, und nur das Ihre suchen, nicht aber das, was Jesu Christi ist; oder ob ich mich richten solle nach der unzähligen Menge derer, welche aufs herrlichste und beste, ruhig und gemächlich, und doch daneben klug und andächtig leben, und sich getrost rühmen, sie stehen in Christo; aber dabei keine Liebe, keine Barmherzigkeit beweisen, sondern mit Worten und Werken verrathen, daß sie die Welt und das vergängliche Leben lieb haben. Ich bekenne noch einmal, daß ich bis daher also auf beiden Seiten gehinkt habe. In der einen Stunde, wenn ich die Artigkeit der Weltliebhaber gesehen, lobte ich ihren Fleiß und Gehorsam, den sie Christo zu erweisen schienen, und strafte mich selber, daß ich ihnen noch nicht nachgefolgt sey. Und dieses begegnete mir gemeiniglich des Morgens. Es geschah aber, daß ich in einer andern Stunde wieder verwirrt hinwegging, und bereuete, daß ich sie gelobt hatte, wenn ich nehmlich sahe, wie sie ihre Eitelkeit fortsetzten, und der Wahrheit Jesu Christi, die sie erst mit Worten gelobt hatten, mit Werken widersprachen. Und dieser Widerspruch ist bei ihnen den ganzen Tag, ja das ganze Leben lang zu sehen. Des Morgens geben sie ihren Mund her, Gott zu loben; den übrigen Tag aber gebrauchen sie denselben Mund, eitle Dinge zu reden, zu fressen, zu saufen, zu lästern. Des Morgens sind sie andächtige Leute, den Tag über grausam und geizig. Des Morgens halten sie mit großer Ordnung ihre Stunden, aber nach dem Essen reden sie Eitles, suchen Eitles, und entschuldigen doch alles damit, daß wir schwache Menschen seyen. Da nun das insgemein geschieht, auch von großen und gelehrten Männern, die dazu dem Ansehen nach fromm und andächtig sind, und zwar mit Anziehung der Schrift, mit großer Beredsamkeit und Anführung vieler scheinbaren Gründe, womit sie diese und dergleichen Dinge entschuldigen, so habe ich erkannt, was ich nachmals bekannt habe, daß, wenn unser Herr und Heiland einem nicht mit einem besondern Schutze beistehe, so könne kein Mensch diesem verführerischen Weibe, diesem Anlächeln und Betrügen des Satans, diesen Netzen des Antichrists entfliehen.

Quelle: Sander - Der Menschenfreund

1)
schreibt er in seinem Tractat von dem Greuel der fleischlichen Priester und Mönche
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