Ruth, Kapitel 2
Rut 2:1 Es war auch ein Mann, ein Verwandter des Mannes der Naemi, von dem Geschlecht Elimelechs, mit Namen Boas; der war ein wohlhabender Mann.
Rut 2:2 Und Ruth, die Moabitin, sprach zu Naemi: Laß mich aufs Feld gehen und Ähren auflesen dem nach, vor dem ich Gnade finde. Sie aber sprach zu ihr: Gehe hin, meine Tochter.
Niedergeschlagener und betrübter Christ, komm und lies heute auf in dem weiten Erntefeld der Verheißungen. Hier liegen reiche Vorräte köstlicher Zusagen, die ganz auf deine Bedürfnisse berechnet sind. Nimm die folgende: „Das zerstoßene Rohr wird Er nicht zerbrechen, und das glimmende Docht wird Er nicht auslöschen.“ Passt das nicht ganz für dich? Ein Rohr, hilflos, unbedeutend, elend, schwach; ein zerstoßenes Rohr, aus welchem sich kein Ton locken lässt; schwächer als die Schwachheit selber; ein Rohr, und dies Rohr ganz zerstoßen, und dennoch will Er dich nicht ganz zerbrechen; sondern Er will dich vielmehr stärken und wieder herstellen. Du bist wie ein glimmendes Docht: kein Licht, keine Wärme strömen von dir aus; aber Er will dich nicht gar auslöschen; Er will mit seinem sanften, belebenden Gnadenhauch dich anfachen, bis dass Er dich in Flammen ausbrechen sieht. Willst du gern eine andre Ähre auflesen? „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Was für liebliche Worte sind das! Dein Herz ist hart, und dein Meister weiß das, und darum spricht Er so sanft mit dir. Willst du Ihm nicht gehorsam sein und Ihm gerade in diesem Augenblick folgen? Nimm noch eine andre Kornähre: „Fürchte dich nicht, du Würmlein Jakob. Ich helfe dir, spricht der Herr, und dein Erlöser, der Heilige in Israel.“ Wie kannst du dich noch fürchten, wenn dir eine so wunderbare Zusicherung gegeben ist wie hier? Und so magst du zehntausend goldene Ähren sammeln wie diese: „Ich vertilge deine Missetat wie eine Wolke, und deine Sünde wie den Nebel.“ „Wenn eure Sünde gleich blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden; und wenn sie gleich ist wie Rosinfarbe, soll sei doch wie Wolle werden.“ Oder diese: „Höret, so wird eure Seele leben; denn ich will mit euch einen ewigen Bund machen, nämlich die gewissen Gnaden Davids.“ Oder diese: „Der Geist und die Braut sprechen: Komm. Und wen dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ Unsers Meisters Kornfeld trägt gar reichlich; betrachte die Haufen; siehe, hier liegen sie vor dir, armer, verzagter Christ! Lies sie auf, eigne sie dir an, denn Jesus heißt dich zugreifen. Fürchte dich nicht, glaube nur! Erfasse diese lieblichen Verheißungen, dresche sie aus auf der Tenne deiner Betrachtung und genieße ihres Brots mit Freuden. (Charles Haddon Spurgeon)
Rut 2:3 Sie ging hin, kam und las auf, den Schnittern nach, auf dem Felde. Und es begab sich eben, daß dasselbe Feld war des Boas, der von dem Geschlecht Elimelechs war.
Es begab sich eben. Freilich, es schien ein bloßer Zufall, aber wie wachte die göttliche Vorsehung so sorgfältig über dem allem! Ruth war fortgegangen, gesegnet von ihrer Mutter, unter der Obhut des Gottes ihrer Mutter, zu demütigender, aber ehrlicher Arbeit, und die Vorsehung Gottes leitete sie auf allen Schritten und Tritten. Wie wenig ahnte sie, dass sie unter den Garben auch ihren Mann finden würde, dass er sie zur Mitbesitzerin aller der weiten Ackergelände machen werde, ja, dass sie, die Fremde, in die Reihe der Vorfahren des großen Messias eintreten sollte! Gott ist sehr gütig gegen die, die auf Ihn vertrauen, und überrascht sie oft mit unerwarteten Segnungen. Wie wenig wissen wir doch, was uns morgen widerfahren mag; aber uns mag die liebliche Tatsache trösten, dass uns kein Gutes mangeln wird. Der Zufall ist verbannt aus dem Glaubensleben des Christen, denn in allem sieht er die Hand Gottes. Die kleinen Begebnisse von heute oder morgen können vielleicht Ereignisse von der größten Wichtigkeit herbeiführen. O Herr, handle mit Deinen Knechten doch auch so gnädig, wie mit Ruth.
Wie selig wäre es doch, wenn sich heute Abend, beim Umhergehen auf dem Acker der Erinnerung, begeben sollte, dass wir auf derjenigen Stelle auflesen, wo unser nächster Verwandter sich uns offenbaren will! O Geist Gottes, leite uns zu Ihm! Wir wollen lieber Ähren auflesen auf seinem Acker, als von dem Felde irgendeines andern den ganzen Ernte-Ertrag heimführen. Wo sind doch die Tritte seiner Herde, die uns zu den grünen Auen führen, wo Er weidet? Ach, wie öde und traurig ist doch diese Welt, wenn Jesus ihr mangelt! Wir könnten eher Sonne und Mond missen, als Ihn; aber wie göttlich-schön wird alles von der Herrlichkeit seiner Gegenwart verklärt! Unsre Seelen kennen die heilsame Kraft, die in Jesu wohnt, und können sich ohne Ihn nicht zufrieden geben. Wir wollen diesen Abend im Gebet verharren, bis dass es sich begebe, dass wir lesen auf einem Felde, welches unserem lieben Herrn Jesus gehört, und wo Er sich uns offenbaren will. (Charles Haddon Spurgeon)
Rut 2:4 Und siehe, Boas kam eben von Bethlehem und sprach zu den Schnittern: Der HERR mit euch! Sie antworteten: Der HERR segne dich!
Rut 2:5 Und Boas sprach zu seinem Knechte, der über die Schnitter gestellt war: Wes ist die Dirne?
Rut 2:6 Der Knecht, der über die Schnitter gestellt war, antwortete und sprach: Es ist die Dirne, die Moabitin, die mit Naemi wiedergekommen ist von der Moabiter Lande.
Rut 2:7 Denn sie sprach: Laßt mich doch auflesen und sammeln unter den Garben, den Schnittern nach; und ist also gekommen und dagestanden vom Morgen an bis her und bleibt wenig daheim.
Rut 2:8 Da sprach Boas zu Ruth: Hörst du es, meine Tochter? Du sollst nicht gehen auf einen andern Acker, aufzulesen, und gehe auch nicht von hinnen, sondern halte dich zu meinen Dirnen.
Rut 2:9 Und siehe, wo sie schneiden im Felde, da gehe ihnen nach. Ich habe meinen Knechten geboten, daß dich niemand antaste. Und so dich dürstet, so gehe hin zu dem Gefäß und trinke von dem, was meine Knechte schöpfen.
Rut 2:10 Da fiel sie auf ihr Angesicht und beugte sich nieder zur Erde und sprach zu ihm: Womit habe ich die Gnade gefunden vor deinen Augen, daß du mich ansiehst, die ich doch fremd bin?
Rut 2:11 Boas antwortete und sprach zu ihr: Es ist mir angesagt alles, was du hast getan an deiner Schwiegermutter nach deines Mannes Tod: daß du verlassen hast deinen Vater und deine Mutter und dein Vaterland und bist zu meinem Volk gezogen, das du zuvor nicht kanntest.
Rut 2:12 Der HERR vergelte dir deine Tat, und dein Lohn müsse vollkommen sein bei dem HERRN, dem Gott Israels, zu welchem du gekommen bist, daß du unter seinen Flügeln Zuversicht hättest.
Rut 2:13 Sie sprach: Laß mich Gnade vor deinen Augen finden, mein Herr; denn du hast mich getröstet und deine Magd freundlich angesprochen, so ich doch nicht bin wie deiner Mägde eine. 1)
Rut 2:14 Boas sprach zu ihr, da Essenszeit war: Mache dich hier herzu und iß vom Brot und tauche deinen Bissen in den Essig. Und sie setzte sich zur Seite der Schnitter. Er aber legte ihr geröstete Körner vor, und sie aß und ward satt und ließ übrig.
Jedes Mal, wenn wir von dem Brot essen dürfen, das der Herr Jesus gibt, werden wir wie Ruth erquickt mit einer vollen und herrlichen Mahlzeit. Wenn Jesus uns bewirtet, geht kein Gast leer von seiner Tafel. Unser Haupt wird gesättigt von der köstlichen Wahrheit, die Christus uns offenbart; unser Herz findet Frieden in Jesu, dem unaussprechlich lieblichen Gegenstand unsrer Sehnsucht; unsre Hoffnung wird erfüllt, denn auf wen anders hoffen wir im Himmel, als auf unsern Jesus? und unser Verlangen wird gestillt, denn was können wir mehr und Größeres wünschen, als dass wir „Christum gewinnen und in Ihm erfunden werden?“ Jesus beruhigt unser Gewissen, bis es vollkommen Frieden erlangt hat; Er erfüllt unsern Verstand mit der Überzeugung von der Gewissheit seiner Lehren, unser Gedächtnis mit den Erinnerungen an das, was Er getan und vollbracht hat, und unsre Einbildungskraft mit den Vorstellungen von dem, was Er noch vollenden will. Gleichwie Ruth „satt wurde, und ließ übrig,“ so geht es auch uns. Wir haben tiefe Züge aus dem Becher seiner Gnade getan; wir haben gedacht, alle Gaben Christi in uns aufgenommen und erschöpft zu haben; aber siehe, es blieb noch immer ein Übriges ohne Maß. Wir haben an der Tafel der Liebe Christi gesessen und gesprochen: „Nichts als das Unendliche vermag mich zu sättigen; ich bin ein so großer Sünder, dass ich ein unendliches Verdienst bedarf zum Abwaschen meiner Sünden.“ Aber unser Hunger wurde am Mahl der Liebe gestillt, und immer noch ist ein Übriges vom geistlichen Mahle. O, es gibt gewiss noch viel Liebliches im Worte Gottes, was wir noch nicht geschmeckt haben, und das wir noch eine Weile müssen unberührt lassen; denn wir haben es wie die Jünger, zu denen der Herr Jesus sprach: „Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen.“ Ja, es gibt noch Gnadengüter, die wir noch nicht erlangt haben; Stätten der innigen Gemeinschaft mit Christo, bis zu welchen wir noch nicht hindurchgedrungen sind; und Höhen der himmlischen Liebe, die unser Fuß noch nicht kennt. Bei jedem Mahl, das uns der Herr bereitet, bleiben noch viele Körbe voll Brosamen übrig. O, preisen wir doch die Gastfreundlichkeit und Freigebigkeit unsers herrlichen Boas. (Charles Haddon Spurgeon)
Rut 2:15 Und da sie sich aufmachte, zu lesen, gebot Boas seinen Knechten und sprach: Laßt sie auch zwischen den Garben lesen und beschämt sie nicht;
Rut 2:16 Auch von den Haufen laßt übrigbleiben und laßt liegen, daß sie es auflese, und niemand schelte sie darum.
Rut 2:17 Also las sie auf dem Felde bis zum Abend und schlug's aus, was sie aufgelesen hatte; und es war bei einem Epha Gerste.
Wir wollen von Ruth, der Ährenleserin, uns heute lehren lassen. Wie sie hinausging, Ähren zu lesen auf dem Felde, so muss ich hinausgehen auf den Acker des Gebets, der Betrachtung, des Gottesdienstes, und das Wort hören, um geistliche Nahrung einzusammeln. Die Ährenleserin sammelte Ähre um Ähre für ihren Vorrat; der Lohn ihrer Arbeit wird ihr nur in kleinen Mengen nach und nach zuteil; so muss ich mich zufrieden geben mit dem Aussuchen einzelner Wahrheiten, wenn sich nicht eine große Fülle auf einmal darbietet. Jede Ähre trägt etwas mit bei zu einem Bündlein, und jede Belehrung aus dem Evangelium hilft, dass wir weiser werden zur Seligkeit. Die Ährenleserin hält ihre Augen offen; wenn sie träumend durch die Stoppeln schwankte, so müsste sie abends auf die Freude verzichten, einen Vorrat heimzutragen. Ich muss in meinen geistlichen Bemühungen mich wach erhalten, sonst bringen sie mir keinen Segen; ich fürchte, ich habe schon viel verloren. Ach, dass ich doch die Gelegenheiten recht schätzte und mit größerem Fleiße sammelte. Die Ährenleserin steht bei jeder Ähre still, die sie findet, und das habe auch ich mir zu merken. Hochfahrende Geister tadeln und verwerfen, demütige Seelen aber sammeln und empfangen Segen dabei. Ein einfältiges Herz ist eine große Hilfe, um des Evangelium mit Segen verkündigen zu hören. Das ausgestreute Wort, das die Seelen selig macht, wird nur von einem demütigen Herzen aufgenommen. Ein unbeugsamer Rücken ist ungeschickt zum Ährenlesen; herunter, Stolz, du bist ein schändlicher Räuber. Was die Ährenleserin sammelt, behält sie; ließe sie die eine Ähre fallen, um eine andre aufzuheben, so wäre die Frucht ihrer Tagesarbeit gar winzig; sie ist so sehr darauf bedacht, zu behalten als zu sammeln, und so wird zuletzt ihr Gewinn groß. Wie oft vergesse ich alles, was ich höre; die zweite Wahrheit verdrängt die erste aus meinem Gedächtnis, und so endigt mein Lesen und Hören in viel Lärmen um nichts! Fühle ich die Wichtigkeit recht tief, Wahrheiten zu bewahren in einem feinen und guten Herzen? Ich habe immer ein großes Bedürfnis, nur hilf Du, o Herr, dass ich es auch fühle, damit mich es vorwärts treibe und ich auf einem Acker lese, der dem Fleiße einen reichlichen Lohn gewähre. (Charles Haddon Spurgeon)
Rut 2:18 Und sie hob's auf und kam in die Stadt; und ihre Schwiegermutter sah es, was sie gelesen hatte. Da zog sie hervor und gab ihr, was übriggeblieben war, davon sie satt war geworden.
Rut 2:19 Da sprach ihre Schwiegermutter zu ihr: Wo hast du heute gelesen, und wo hast du gearbeitet? Gesegnet sei, der dich angesehen hat! Sie aber sagte es ihrer Schwiegermutter, bei wem sie gearbeitet hätte, und sprach: Der Mann, bei dem ich heute gearbeitet habe, heißt Boas.
Rut 2:20 Naemi aber sprach zu ihrer Schwiegertochter: Gesegnet sei er dem HERRN! denn er hat seine Barmherzigkeit nicht gelassen an den Lebendigen und an den Toten. Und Naemi sprach zu ihr: Der Mann gehört zu uns und ist unser Erbe.
Rut 2:21 Ruth, die Moabitin, sprach: Er sprach auch das zu mir: Du sollst dich zu meinen Leuten halten, bis sie mir alles eingeerntet haben.
Rut 2:22 Naemi sprach zu Ruth, ihrer Schwiegertochter: Es ist gut, meine Tochter, daß du mit seinen Dirnen ausgehst, auf daß nicht jemand dir dreinrede auf einem andern Acker.
Rut 2:23 Also hielt sie sich zu den Dirnen des Boas, daß sie las, bis daß die Gerstenernte und Weizenernte aus war; und kam wieder zu ihrer Schwiegermutter.