Thomas von Kempen - Buch 1 - Kapitel 20

Thomas von Kempen - Buch 1 - Kapitel 20

Von der Liebe und Einsamkeit des Schweigens.

1. Suche eine bequeme Zeit, dich mit dir selbst zu beschäftigen und erwäge oftmals die Wohlthaten Gottes.

Meide, was blos die Neugier befriedigt. Lies solche Sachen, welche mehr das Herz zerknirschen, als Unterhaltung gewähren.

Wenn du dich dem überflüssigen Geschwätze und müssen Umherlaufen, sowie dem Anhören von Neuigkeiten und Gerüchten entziehest, so wirst du hinreichend und schickliche Zeit finden, heilsamen Betrachtungen obzuliegen.

Die größten Heiligen mieden, wo sie es konnten, die Gesellschaft der Menschen und zogen es vor, Gott im Verborgenen zu dienen.

2. Es hat Jemand (Seneca Brief 7.) gesagt: „So oft ich unter Menschen gewesen bin, war ich beim Heimgehen weniger Mensch.“

Dieß erfahren wir öfters, wenn wir lange plaudern. Es ist leichter ganz zu schweigen, als im Reden das rechte Maß zu treffen.

Es ist leichter, daheim verborgen zu bleiben, als sich draußen genug in Acht zu nehmen.

Wer daher zum Innerlichen und Geistigen gelangen will, der muß sich mit Jesu von dem großen Haufen entfernen.

Niemand tritt sicher hervor, als wer gern verborgen lebt.

Niemand redet sicher, als wer gerne schweigt.

Niemand steht sicher vor, als wer gern untergeben ist.

Niemand befiehlt sicher, als wer wohl zu gehorchen gelernt hat.

3. Niemand freuet sich sicher, als wer das Zeugniß eines guten Gewissens in sich hat.

Immer jedoch war die Sicherheit der Heiligen voll Gottesfurcht.

Und deßhalb waren sie nicht minder bekümmert und demüthig in sich, ob gleich sie durch große Tugenden und Gnade hervorleuchteten.

Die Sicherheit der Gottlosen aber entspringt aus Stolz und Vermessenheit und verkehrt sich am Ende in Selbstbetrug.

Versprich dir niemals Sicherheit in diesem Leben, wenn du auch ein guter Ordensmann oder frommer Einsiedler zu sein scheinst.

4. Oft sind gerade die, nach dem Urtheile der Menschen, Besseren wegen ihres allzugroßen Selbstvertrauens in desto größere Gefahr geraten.

Daher ist es vielen heilsamer, daß sie der Versuchungen nicht ganz ermangeln, sondern öfters angefochten werden, damit sie nicht allzu sicher seien, damit sie sich nicht etwa in Stolz erheben, noch auch zu äußern Tröstungen sich allzufrei hinneigen.

O, wer niemals vergängliche Freude suchte; wer niemals mit der Welt sich einließe: welch ein gutes Gewissen würde der bewahren!

O, wer alle eitle Sorge verbannte und nur an heilsame und göttliche Dinge dächte und seine ganze Hoffnung auf Gott setzte: welche Fülle des Friedens und der Ruhe würde der besitzen!

5. Niemand ist himmlischen Trostes würdig, als wer sich fleißig geübt hat in heiliger Zerknirschung.

Wenn du bis ins innerste Herz zerknirscht werden willst, so geh' in dein Kämmerlein und verschließ es dem Geräusche der Welt, wie geschrieben steht: “In euren Kammern sollt ihr zerknirscht werden.“

In deiner Kammer wirst du finden, was du draußen oft verlierst.

In deiner Klause bleiben, macht je länger, je mehr Vergnügen; je weniger, je mehr Unlust.

Wenn du dich gleich beim Anfang deiner Bekehrung an sie gewöhnst, so wird sie dir später eine geliebte Freundin und der angenehmste Trost sein.

6. Bei Stillschweigen und Ruhe kommt eine andächtige Seele vorwärts und lernt die Geheimnisse der Schrift.

Da findet sie Thränenbäche, in denen sie jede Nacht wäscht und reinigt, daß sie mit ihrem Schöpfer um so vertrauter werde, je entfernter sie von allem Geräusche der Welt lebt.

Wer sich also von Bekannten und Freunden abzieht, dem wird Gott mit den heiligen Engeln sich nähern.

Es ist besser verborgen zu sein und für sich zu sorgen, als mit Vernachlässigung seiner selbst Wunder zu thun.

Es ist löblich für einen Ordensmann, selten auszugehen, sich nicht gern sehen zu lassen, noch andere Menschen sehen zu wollen.

7. Warum willst du sehen, was dir nicht erlaubt ist, zu haben? “Die Welt vergeht mit ihrer Lust.“. (1. Joh.22,12.)

Die Gelüste der Sinnlichkeit ziehen dich zum Ausgehen; aber wenn die Stunde vorüber ist: was wirst du zurückbringen, als ein beschwertes Gewissen und ein zerstreutes Herz?

Ein fröhlicher Ausgang bringt oft eine traurige Heimkehr, ein fröhlicher Abend oft einen traurigen Morgen.

So geht jede sinnliche Freude schmeichelnd ein, aber am Ende nagt und tödtet sie.

Was kannst du anderwärts sehen, das du daheim nicht siehest? Himmel und Erde und alle Elemente sind vor dir, und daraus ist Alles gemacht.

8. Was kannst du irgendwo sehen, das unter der Sonne lange bestehen kann?

Du glaubst vielleicht gesättigt zu werden, du wirst aber deine Absicht nicht erreichen.

Wenn du auch alle Dinge auf Erden sähest; was wäre es anders als ein eitles Gesicht?

Hebe deine Augen zu Gott in der Höhe, und bete für deine Sünden und Vernachlässigungen!

Laß das Eitle den Eiteln; du aber richte dein Augenmerk auf das, was Gott dir geboten hat.

Schließe hinter dir deine Thüre zu und rufe Jesum, deinen Geliebten, zu dir.

Bleibe mit ihm in deinem Kämmerlein, denn nirgends wirst du solchen Frieden finden.

Wärst du nicht ausgegangen und hättest du keines von den Gerüchten gehört: so wärest du besser in gutem Frieden geblieben.

Seitdem es dich freut, zuweilen Neuigkeiten zu hören, seitdem hast du auch Herzensunruhe zu leiden.

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