Thomas von Kempen - Buch 3 - Kapitel 48

Thomas von Kempen - Buch 3 - Kapitel 48

Von dem Tage der Ewigkeit und den Bedrängnissen des Lebens.

1. O du seligste Wohnung in der himmlischen Stadt! O klarster Tag der Ewigkeit, den keine Nacht verdunkelt, sondern die höchste Wahrheit immerdar erleuchtet! O immer fröhlicher, immer sicherer Tag, der nie sich wandelt in’s Gegentheil!

O möchte doch dieser Tag schon angebrochen sein und all’ dieses Zeitliche ein Ende erreicht haben!

Zwar leuchtet er den Heiligen schon jetzt in ungetrübter Klarheit; aber den Pilgern auf Erden nur von ferne und wie im Spiegel.

2. Die Bürger des Himmels wissen, wie freudenreich jener Tag ist; die verbannten Kinder Eva’s aber seufzen, daß ihr Lebenstag so bitter und widerwärtig ist.

Die Tage dieser Zeit sind kurz und böse, voller Schmerzen und Aengsten. Da wird der Mensch von vielen Sünden befleckt, von vielen Leidenschaften umstrickt, von vielen Befürchtungen geängstigt, von vielen Sorgen gedrückt, von vieler Neugier zerstreut, in viel eitle Dinge verwickelt, von vielen Irrthümern umdrängt, durch viele Anstrengungen erschöpft, von Versuchungen beschwert, durch Lüste entkräftet, von Mangel gepeinigt.

3. O wann werden sie endigen, diese Uebel? Wann werde ich frei werden von der kläglichen Dienstbarkeit der Sünde? Wann, o Herr! werde ich allein an dich gedenken? Wann werde ich vollkommen in dir mich erfreuen?

Wann werde ich ohne alles Hinderniß in wahrer Freiheit, wann ohne alle Beschwerniß des Leibes und der Seele sein? Wann werde ich des festen, des unzerstörbaren und sichern Friedens theilhaftig werden, des Friedens von innen und außen, des Friedens, der nach allen Seiten feststeht?

Gütiger Jesus! wann werde ich stehen, dich zu sehen? Wann werde ich schauen die Herrlichkeit deines Reichs? Wann wirst du mir Alles in Allem sein?

O wann werde ich mit dir sein in deinem Reiche, das du bereitet hast deinen Geliebten von Anbeginn?

Verlassen bin ich, ein Armer und Verbannter im feindlichen Lande, inmitten täglicher Kämpfe und nicht übersehbaren Unheils!

4. Tröste mich, den Verbannten, mildere meinen Schmerz; denn zu dir seufzt all’ mein Sehnen.

Schwer drückt mich Alles, was diese Welt zum Troste beut.

Mich verlangt, dich innigst zu genießen; aber ich kann dich nicht erfassen. – Ich wünsche dem Himmlischen anzuhängen, aber die zeitlichen Dinge und die ungetödteten Leidenschaften drücken mich nieder.

Mit dem Geiste will ich über alle Dinge sein, das Fleisch aber zwingt mich, ihnen wider willen unterthan zu sein.

So kämpfe ich unseliger Mensch mit mir und bin mir selbst zur Last, indem der Geist nach dem, was droben, das Fleisch nach dem, was drunten ist, verlangt.

5. O was leide ich innerlich, wenn ich im Geiste Himmlisches betrachte und flugs ein Schwarm von fleischlichen Gedanken den Betenden überfällt! Mein Gott! sei nicht ferne von mir und wende dich nicht ab im Zorne von deinem Knecht. Schleudre herab deine Blitze und zerstreue sie; wirf deine Pfeile und es werden zerstäuben alle Gaukeleien des Feindes.

Sammle meine Sinne zu dir; laß mich vergessen aller weltlichen Dinge; gib, daß ich schnell wegwerfe und verachte alle Trugbilder der Sünde.

Eile mir zu Hülfe, ewige Wahrheit, daß keine Eitelkeit mich berücke.

Komm, himmlische Süßigkeit und es wird fliehen vor deinem Angesicht alle Unlauterkeit.

Verzeihe mir auch und vergieb mir nach deiner Barmherzigkeit, so oft ich im Gebete an etwas Anderes, als an dich denke. Denn ich bekenne in Wahrheit, daß ich sehr zerstreut zu sein pflege.

Ach, wie oft bin ich nicht da, wo ich dem Leibe nach stehe oder sitze; sondern mehr dort, wohin mich meine Gedanken tragen.

Da bin ich, wo mein Gedanke ist. Da ist meist mein Gedanke, wo das ist, was ich liebe.

Schnell stellt sich das mir dar, was mich von Natur aus ergötzt, oder mir aus Gewohnheit gefällt.

Daher hast du, o Wahrheit, deutlich gesagt: „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“ (Matth. 6,21.)

Liebe ich den Himmel, so denke ich gern an himmlische Dinge.

Liebe ich die Welt, so freue ich mich mit an den Genüssen der Welt und traure über ihre Widerwärtigkeiten.

Liebe ich das Fleisch, so stelle ich mir oft vor, was des Fleisches ist.

Liebe ich den Geist, so ergötzt es mich, an Geistliches zu denken.

Kurz, was ich liebe, davon spreche und höre ich gern und trage dergleichen Bilder auch mit mir nach Hause.

Aber selig ist der Mensch, der um deinetwillen, o Herr, allen Kreaturen Urlaub zum Abzuge gibt; welcher der Natur Gewalt anthut und die Lüste des Fleisches durch die Inbrunst des Geistes kreuzigt, daß er mit heiterm Gewissen ein reines Gebet dir darbringe und würdig sei, alles Irdischen von außen und von innen entledigt, sich in die Chöre der Engel zu mischen.

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