Spurgeon, Charles Haddon - Worte der Weisheit für das tägliche Leben - Was ist Stolz?

Spurgeon, Charles Haddon - Worte der Weisheit für das tägliche Leben - Was ist Stolz?

Das menschliche Herz verfällt in nichts so leicht, wie in den Stolz, obwohl in der Schrift kein Laster häufiger und nachdrücklicher verdammt wird als der Stolz. Der Stolz ist ein Ding, das keinen Grund hat, sondern auf dem Sande steht, und die Füße versinken in dem Berge, den sie erklimmen. Ja, er steht auf Seifenblasen, die zerplatzen, wenn man sie berührt. Der Stolz hat keinen festen Felsen, und wenn wir sonst für alles andre auch noch eine Begründung finden könnten, so haben wir doch in keiner Beziehung Grund zum Stolz sein, vielmehr sollte uns dies schon von vornherein ganz unnatürlich erscheinen, weil wir ja nichts besitzen, worauf wir stolz sein können. Wenn der Stolz jedoch zuerst als grundlos zu bezeichnen ist, so können wir ihn ferner auch sinnlos nennen, weil er uns gar nichts nützt, und weil in der Selbstverherrlichung gar kein Verstand liegt. Andre Sünden können gewissermaßen noch in etwa entschuldigt werden, weil sie dem Menschen dies oder das verschaffen, wie zum Beispiel der Geiz, die Vergnügungssucht, die Lust dieser Welt, es tut; allein, der Stolz verkauft seine Seele umsonst.

Er öffnet die Tore des Herzens weit genug, um jeden hineinblicken zu lassen, und zu zeigen, wie hoch seine Fluten vom Winde des Lobes und Beifalles aufgetürmt werden, und wie dieselben nach verlaufener Flut gar nichts zurücklassen, als eine dürre Fläche.

Von andern Sünden können wir wenigstens die Asche noch auflesen, wenn das Feuer ausgebrannt ist, allein, was bleibt dem Stolz?! Der geizige Mann behält sein glänzendes Gold, aber der stolze Mann nichts, ja, er erreicht weniger, als er ohne seinen Stolz erlangt haben würde, und ist deshalb gewiss nicht froh. Er erlangt keine Krone. Der Stolze wird jedem, selbst dem niedrigsten Sklaven, zuletzt verächtlich. Jeder Mensch blickt auf den Stolzen herab und sieht den eingebildeten Menschen als einen solchen an, der unter ihm steht. Sodann ist der Stolz ein Etwas, das jeden Verstandes entbehrt, denn er nährt sich von seinem eignen Leben und setzt sein Blut daran, um sich selbst einen Purpurmantel um die Schultern zu hängen. Dabei untergräbt er sein eignes Haus, um die Zinnen desselben etwas zu erhöhen, und wenn es zusammenstürzt, so liefert der Fall den Beweis, dass keiner so unverständig ist, als der stolze Mensch.

Der Stolz findet sich überall und gibt sich in allen möglichen Formen zu erkennen, mögen sie sein, welche sie wollen. Er erstreckt sich ebenso wohl unter die Lumpen des Bettlers, als er in des reichen Mannes Gewand zu glänzen sucht, und er wohnt bei dem Reichen, wie bei dem Armen. Der Barfüßige kann ebenso stolz sein, als der Mann in der glänzenden Equipage, und der Stolz bewegt sich unter allen Ständen der Gesellschaft, unter allen Menschenklassen. Hier erscheint er als Arminianer, der über die Macht des Geschöpfes spricht, dort ist er ein Calvinist, der sich seiner Gewissheit sicher rühmt und dabei vergisst, dass der Herr allein unsren Glauben festhalten kann. Es gibt keine Form der Religion, in welcher der Stolz nicht erschiene, bald kommt er als Quäker heran, der keinen Kragen auf dem Rock trägt, bald ist er der hohe Kirchenmann, der seinen Gott in herrlichem Dome verehrt. Auch kann er ein Dissenter sein, der in die kleinen Versammlungshäuser geht; ist doch der Stolz der aller Allgemeinste, der echte Katholik der Welt, der sich in allen Arten, auch in Kapellen und Kirchen, wohlbefinden kann. Gehe, wohin du willst, und du wirst den Stolz einhergehen sehen, wie er dem Menschen vom Gotteshause in die eigne Wohnung folgt. Wir finden ihn auf dem Markte, wie in der Börse und auf allen Straßen. Dabei sucht er sich besonders auf zweierlei Weise einzuführen, wenn er dogmatisch wirken will. Erstens strebt er hierbei die Lehre von der Selbstherrlichkeit aufzustellen, indem er uns sagt, was ein Mensch vermag, und indem er es bestreitet, dass wir so verloren, so abgefallen, so gesunken und ruiniert wären, wie wir es doch in Wahrheit sind. Er hasst die göttliche, unumschränkte Macht, spottet über die Erwählung und, wenn er hiermit nicht durchkommen kann, so versucht er es zweitens auf folgende Weise: Er gibt die Wahrheit von der freien Gnade zwar zu, so wenig er selbst davon fühlt, und lässt wiederum die andre Wahrheit stehen, dass die Erlösung des Herrn alleiniges Werk ist, drängt aber trotzdem die Menschen, sich den Himmel durch die eignen Werke auf gesetzlichem Wege zu erringen. Kommt er auch hiermit zu keinem Ziele, so redet er uns vor, uns wegen der Frage der Erlösung immerhin ein wenig mit Christo zu befassen, doch wenn nun in diesem Verkehr aller eigner Besitz verloren geht und alle Lappen der Selbstgerechtigkeit in Jesu Nähe verbrennen müssen, so weiß der Stolz abermals von neuem in des Christen Herz einzuschleichen und ihm die Lüge ins Ohr zu raunen: „Du bist schon reich, du bist schon satt, du bedarfst nichts.“ Dann bedarf man keiner täglichen Gnade, weil die Erfahrung von gestern auch noch für morgen und für die Zukunft genügen soll; man weiß genug, man arbeitet genug, man betet genug. Und nun weiß man nicht, dass man noch gar nichts ergriffen hat und dass man sich noch gar nicht nach dem strecken kann, das da vorne ist, um das zu vergessen, was hinter uns liegt. Dieser Betrug nistet sich im Herzen ein, um den Gläubigen dahin zu bringen, dass er ein ganz eignes Werk beginnt, und wenn der Herr den Bankrott darüber erklärt, so hält der Stolz den davon zurück, zu Gott zu flüchten. Gestalten erscheint der Stolz, und er kommt nicht nur so steif und feierlich wie ein Edelmann, er ist auch ein glattes, kriechendes und einschmeichelndes Reptil, das leicht in unsre Herzen schlüpft. Dasselbe redet von schwacher Menschlichkeit, und davon, wie alles in der Welt nur Staub und Asche sei. Ich habe Menschen gekannt, die erstaunlich viel von ihrer Verdorbenheit sprachen und die sich hinstellten, als ob sie die Demut in Person wären, während sie doch die stolzesten Kreaturen waren, die nur gefunden werden konnten. Meine lieben Freunde, es gilt auf der Hut zu sein, es gilt scharf um sich zu blicken, wenn man nicht betrogen sein will und wenn die bösen Geister, die man für Engel hielt, nicht Einlass erhalten sollen. Der eigentliche Thron, den sich der Stolz erwählt, ist immer das Herz des Menschen, und wir wünschen, dass er bei uns allen durch Gottes Gnade herunter gestürzt werde, weil dies der einzige Weg ist, das Herz zurecht zu bringen. Lasst mich eine orientalische Parabel erzählen, welche diese Wahrheit in ein ganz richtiges Licht stellt: Ein weiser Orientale, ein Derwisch, sah sich auf seinen Wanderungen plötzlich auf einen Berg versetzt, an dessen Fuß ein lachendes Tal lag, welches von einem Fluss durchschnitten war. Die Sonne warf ihre hellen Strahlen auf das Wasser, und darum glänzte es so schön und rein, dass der müde Wanderer voll Verlangen war, seinen Durst aus den klaren Wellen zu stillen. Er stieg hinab und kam an den Rand des Wassers, aber wie erstaunt war er, als er beim Herantreten nur ein gelbes, ungenießbares Schlammwasser fand. Er vermochte nichts davon zu trinken, und als er sich enttäuscht umwandte, erblickte er einen jungen Hirten, der damit beschäftigt war, das schlammige Wasser in Kübel zu füllen, um es so für seine Schafe brauchbar zu machen. Dies geschah, indem er es zunächst stehen ließ, dann wieder in andre Behälter brachte und es zuletzt an einer andern Stelle über Sand und Steine leitete, so dass aller Schmutz sich absonderte. Dann sah der Derwisch, wie der eifrige Hirte eine große Zisterne mit diesem klaren Wasser anfüllte, und fragte verwundert: „Mein Sohn, was bemühst du dich mit all dieser Arbeit? Was willst du damit erreichen?“ „Vater,“ entgegnete der junge Mann, „ich bin ein Hirte und meine Herde kann dies schmutzige Wasser nicht trinken, darum muss ich es nach und nach vorsichtig klären, wenn es auch eine noch so harte Arbeit ist.“ Hierbei wischte er sich den Schweiß von der Stirn, denn er war ganz abgearbeitet. „Du hast tüchtig gearbeitet,“ sprach der weise Mann, allein du hast es nicht richtig angefangen, und mit der halben Mühe hättest du gewiss leicht mehr erreichen können. Es scheint mir, dass die Quelle dieses Flusses unrein ist, und darum schlage ich dir vor, einen Gang mit mir zu machen, damit wir sehen, wie sich die Sache verhält.„ Nun gingen sie einige Meilen weit, hatten zwar auf dem Wege verschiedene Felsen mühsam zu erklimmen, aber gelangten dann doch zu ihrer Freude an die Stelle, an der der Fluss entsprang. Bei ihrem Herannahen flogen Schwärme wilder Vögel auf und allerlei Getier verkroch sich vor ihnen in die Büsche. Alle diese Tiere waren hierher gekommen, um aus der Quelle zu trinken, und hatten dabei mit ihren Füßen so viel in dem lehmigen Boden umhergetreten, dass das Wasser ganz schmutzig geworden war. Die Wanderer sahen eine offene, schöne Quelle, die fortwährend floss, allein jene Tiere trübten sie, wie gesagt, so unaufhörlich, dass das Wasser stets gelb und schlammig wurde. „Mein Sohn,“ sprach der weise Mann, „setze deine Kraft nun daran, hier diesen Ausfluss zu schützen und du wirst finden, dass der Ausfluss klar und rein bleibt, sobald jene wilden Geschöpfe fern gehalten werden. Wenn du dieses tust, so wirst du keine Mühe mehr damit haben, das Wasser in die kleinen Behälter zu füllen.“ Der junge Mann tat, wie ihm gesagt wurde, und als der Derwisch ihn jetzt wieder mit seinem alten Eifer an der neuen Arbeit beschäftigt sah, da sprach er mit Nachdruck: „Mein Sohn, nun höre die Worte der Weisheit: Wenn du geirrt hast, so suche dich nicht zuerst äußerlich zurecht zu bringen, sondern strebe vor allem danach, dass dein Herz in die richtige Verfassung komme, denn die Äußerungen des Lebens entspringen aus demselben und dein Leben wird rein sein, wenn auch dein Herz so ist.“ So geht es auch mit dem Stolz, wir werden ihn nicht dadurch los, dass wir uns bescheidener als früher tragen, oder dass wir eine andre Sprache annehmen; es wird nur dadurch neu bei uns, wenn wir Gottes Angesicht aufrichtig suchen und um die Gnade bitten, die unser Herz vom Stolz zu reinigen vermag. Ist dann unser Herz durch diese Gnade umgewandelt, so wird sich auch in unsrem äußeren Leben kein Stolz mehr zeigen. Pflanze einen guten Baum und du wirst gute Früchte bekommen; erhalte die Quelle rein, so wird der Ausfluss erquickend und frisch sein.

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autoren/s/spurgeon/w/spurgeon-worte_der_weisheit-1.txt · Zuletzt geändert: von aj
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