Spurgeon, Charles Haddon - Eine freie Erlösung
„Ja, kommet her, und kaufet ohne Geld und umsonst Wein und Milch.
Jes. 55,1
Ihr seht, dass ich heute etwas zu verkaufen habe; ich will euch einladen, zu kommen und zu kaufen, was euch heute im Evangelium verkündigt wird. Nun ist es üblich, dass, wer etwas zu verkaufen hat, den Gegenstand vorweist, seine Eigenschaften beschreibt und seine Vorzüge rühmt; denn ehe die Leute mit der Natur dessen, was ihr zu verkaufen habt, bekannt sind, werden sie schwerlich zum Kaufen geneigt sein. Das soll nun heute meine erste Aufgabe sein. Danach sucht der Verkäufer die, die ihm zuhören, zu dem Preis hinaufzusteigern, um den er losschlagen will. Mein heutiges Geschäft ist, euch zu dem Preis herabzusteigern: „Kommet her und kaufet ohne Geld und umsonst.“ Dann will ich schließen mit einigen wenigen Worten ernster Ermahnung an diejenigen, die diese herrliche Erlösung, die uns vergönnt ist zu verkündigen, verachten und sich abkehren von diesem großmütigen Angebot: „ohne Geld und umsonst.“
I.
Zuerst habe ich heute anzukündigen Wein und Milch. „Kommet her und kauft - Wein und Milch.“ Hier haben wir eine Beschreibung des Evangeliums - Wein, der des Menschen Herz erfreut (Ps. 104,15); Milch, das eine und einzige Ding in der Welt, das alle Grundstoffe des Lebens in sich vereinigt. Der stärkste Mensch könnte von Milch leben „denn es ist alles darin, was für den menschlichen Leib nötig ist - für Knochen, Sehnen, Nerven, Muskeln, Adern- alles ist darin. Ihr habt demnach eine zweifache Beschreibung. Das Evangelium ist gleich dem Wein, der uns erfreut. Gebt einem Menschen die Gnade unseres Herrn Jesu Christi recht zu schmecken, so wird er ein glücklicher Mensch, und je tiefer er sich in den Geist Christi hineintrinkt, umso glückseliger wird er. Jene Religion, die die Traurigkeit zur Pflicht macht, ist auf den ersten Blick als eine falsche Religion zu erkennen, denn als Gott die Welt schuf, machte er sich das Glück seiner Geschöpfe zur Aufgabe. Wenn ihr alles um euch her betrachtet, so könnt ihr nicht umhin, zu gestehen, dass Gott mit der größten Umsicht und Mühe gesucht hat, dem Menschen Freude zu bereiten. Er hat uns nicht gerade nur das Notwendige gegeben, er hat uns weit mehr geschenkt; nicht bloß das Nützliche, sondern auch das Schöne. Die Blumen im Gefilde, die Sterne am Himmel, die Reize der Natur, Tal und Hügel - all das gab uns Gott, nicht bloß, weil wir es benötigten, sondern weil er uns zeigen wollte, dass er uns liebt und wie sehr ihm darum zu tun ist, dass wir uns glücklich fühlen sollten. Ist es nun denkbar, dass derselbe Gott, der die Welt mit Freude und Glück überschüttete, eine elende Erlösung anbieten werde? Nein! Er, der ein liebreicher Schöpfer ist, ist auch ein liebreicher Erlöser; und wer geschmeckt hat, wie gnädig der Herr ist, kann bezeugen, dass die Wege der Gottesfurcht „sind liebliche Wege, und alle ihre Steige sind Friede“ (Spr. 3,17).Und wenn es mit diesem Leben aus wäre und der Tod unseres Lebens Grab und das Bahrtuch der Mantel der Ewigkeit, so wäre dennoch das Christenleben ein köstliches und herrliches Ding, denn es erleuchtet dieses Tal der Tränen und füllt die Brunnen des Jammertales (Ps. 84,7) bis an den Rand mit Strömen der Liebe und Wonne. Das Evangelium ist also gleich dem Wein.
Aber auch der Milch gleicht es, denn im Evangelium ist alles, was ihr braucht. Braucht ihr etwas, was euch in Trauer aufrichtet? Es ist im Evangelium, „eine Hilfe, kräftig erfunden in Nöten“ (Ps. 46,2). Braucht ihr etwas, was euch in euren Pflichten stärkt? Da ist allgenugsame Gnade zu allem, was Gott dich berufen hat, beides, zu leiden und zu tun. Braucht ihr etwas, was das Auge eurer Hoffnung erleuchtet? Ach! Im Evangelium sind Strahlen der Wonne, die aus eurem Auge zurückstrahlen und die Flammen der ewigen Verdammnis verdunkeln. Braucht ihr etwas, was euch mitten unter Versuchungen standhaft macht? Im Evangelium habt ihr, was euch fest, unbeweglich macht und euch immer mehr zunehmen lässt im Werk des Herrn (1. Kor. 15,58). Es gibt keine Leidenschaft, keine Neigung, keinen Gedanken, keinen Wunsch, keine Macht, die das Evangelium nicht gefüllt hätte bis oben an. Das Evangelium warb unbestreitbar für die Menschheit bereitet; es ist in jeder Beziehung für sie geeignet. Es hat Wissenschaft für den Verstand, Liebe fürs Herz, ist Richtschnur für den Willen. Milch und Wein ist im Evangelium unseres Herrn Jesu Christi.
Ich finde aber noch einen anderen Sinn in den beiden Wörtern „Milch“ und „Wein“. Wein ist, wie ihr wisst, etwas Köstliches, etwas, was viel Zeit und Mühe kostet, bis es bereitet ist. Ehe der Wein zu seiner vollen Blume kommt, muss er geherbstet, gekeltert, der Gärung überlassen und sorgfältig aufbewahrt und behandelt werden. Nun, so ist es mit dem Evangelium; es ist etwas Besonderes für Festtage; es gibt einem Menschen Kraft zur Ernte der Gedanken, zur Gärung des Handelns, zur Bewahrung der Erfahrung, bis eines Menschen Frömmigkeit daraus hervorgeht gleich dem perlenden Wein, der das Herz guter Dinge macht. In der Religion, sage ich, habt ihr das, was sie zu etwas Außerordentlichen macht, zu etwas für seltene Gelegenheiten, zu etwas, wovon man spricht, wenn Fürsten zu Tisch sitzen.
Aber Milch ist etwas Gewöhnliches, ihr bekommt sie täglich und überall. Wenn ihr nur in den Pachthof geht, so habt ihr sie; da braucht es keine Zubereitung, sie ist stets zur Hand, sie ist etwas Gewöhnliches. So ist es auch mit dem Evangelium; es ist etwas für alle Tage. Ich habe das Evangelium gern am Sonntag; aber, Gottlob, es ist auch ein Montags-Evangelium. Das Evangelium passt in die Kirche und ist für die Kirche; da ist es mir Wein. Aber es ist auch etwas für den Haushalt, ihr seht es auch hinter dem Pflug, ihr seht es auch hinter dem Zahltisch. Die Religion Christi ist etwas, das mit euch in den Laden geht, auf die Bank, auf den Markt, überall hin. Es ist wie Milch - ein Alltagsgericht - etwas, was uns immer recht kommt und über das wir uns allezeit freuen. O, dankt dem Himmel, es ist Wein für jene Hochzeit, da wir den Heiland von Angesicht zu Angesicht sehen werden; es ist Wein für jenen Tag der Entscheidung, da wir über den Jordan gehen müssen - Wein, der unsere Furcht vertreibt und uns singen heißt mitten im Tal der Todesschatten; aber ihm sei Lob und Dank, es ist auch Milch - Milch für die alltäglichen Vorfälle, für den alltäglichen Handel und Wandel, Milch, die wir trinken dürfen, so lange wir leben, und Milch zu unserer Erquickung, bis dass der große Tag kommt.
Nun habe ich das Bild in unserem Schriftwort erläutert; aber mancher wird jetzt fragen: „Was ist das Evangelium?“ Ja, das Evangelium, denke ich, kann auf verschiedene Weise genommen werden, aber heute will ich es so betrachten: das Evangelium ist die Predigt von der völligen, freien, gegenwärtigen, ewigen Vergebung der Sünden durch das Blut der Versöhnung in Jesu Christo. Wenn ich das Evangelium in seinem vollsten Sinne erwäge, so ist es weit mehr als das; aber doch ist dies sein Hauptinhalt. Heute will ich die große Tatsache verkündigen, dass Christus gestorben ist, weil wir alle gesündigt haben, und dass nun für alle, die Leid tragen und ihre Sünden bekennen und ihr Vertrauen auf Christus setzen, eine völlige, freie Vergebung vorhanden ist - frei darum, dass ihr gar nichts zu tun braucht, um sie zu erlangen. Der geringste sündenbeladene Sünder braucht nur seine Not und seinen Jammer vor Gott auszuschütten, so ist das alles, was er verlangt. Weiter erfordert es nichts.
„All' Erfordernis ist hier,
Das du fühlst, er mangle dir;
Dieses schenkt er
Dir durch seines Geistes Zier.“
Da braucht es kein jahrelanges Kasteien, Leiden oder Trübsal. Das Evangelium ist so unentgeltlich wie die Luft, die ihr atmet. Ihr bezahlt fürs Atmen nichts, nichts für den Anblick des Tageslichts, nichts für das Wasser, das ihr mit der Hand aus dem Fluss schöpft, euren Durst damit zu löschen. So unentgeltlich und frei ist das Evangelium; man braucht nichts zu tun, um es zu erlangen; man bedarf keines Verdienstes, um es zu erringen. Es ist freie Vergebung vorhanden für den vornehmsten Sünder durch das Blut Jesu Christi. Ich sage aber, es sei eine völlige Vergebung, und so ist es. Wenn der Herr Jesu etwas tut, so tut er es nicht nur halb. Heute will er jede Sünde austilgen und will jede Gottlosigkeit abtun von einer jeden Seele, die jetzt durch Gottes Gnade bereit ist, seine Gnade zu suchen. O Sünder, wenn Gott es dir jetzt in das Herz gegeben hat, ihn zu suchen, so siehe, die Vergebung, die er dir will zuteil werden lassen, ist eine ganz vollständige; nicht eine Vergebung für einen bloßen Teil deiner Sünden, sondern für alle zumal:
„Hier ist versühnet der Sünden Heer,
Und waren sie auch noch so schwer.
Und, meine Seele, wunderbar!
Versühnt ist künft'ge Sünd' sogar!“
Hier ist Versöhnung für eure Trunksucht, Versöhnung für eure Flüche, Versöhnung für eure Wollust, Versöhnung für eure Widersetzlichkeit gegen den Himmel, für die Sünden eurer Jugend und für die Sünden eures Alters; für die Sünden des Heiligtums und für die Sünden der Lasterstätte oder des Saufgelages. Hier ist Vergebung für alle Sünden, denn „das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde“ (1. Joh. 1,7).
Aber wiederum ist die Vergebung, die wir predigen, eine gegenwärtige Vergebung. Wenn ihr fühlt, dass ihr einen Heiland braucht, wenn ihr jetzt imstande seid, an Christus zu glauben, so werdet ihr jetzt Vergebung bekommen. Wer sich mit gewöhnlichen Hoffnungen zufrieden gibt, sagt, er hoffe auf Vergebung, wenn es zum Sterben kommt. Aber, Geliebte, das ist nicht die Hoffnung, die wir verkündigen. Wenn ihr jetzt eure Sünde bekennen wollt, jetzt den Herrn sucht, so werdet ihr eben jetzt Vergebung empfangen. Es ist vielleicht ein Mensch hier eingetreten, den die Last der Sünden wie ein Mühlstein drückt und ihn tiefer als bis in die tiefste Hölle hinabzieht, und doch mag er zur Türe hinausgehen, gereinigt von aller Sünde. Wenn er jetzt fähig ist, an ihn zu glauben, so kann er heute noch vollkommene Vergebung aus der Hand Gottes empfangen. Die Rechtfertigung eines Sünders geschieht nicht, wenn er stirbt, sondern ihm wird vergeben, wenn er noch lebt - jetzt. Und ich glaube, es sind manche hier, und zwar nicht wenige, die sich noch heute darüber freuen werden, dass sie Vergebung haben. O, ist es nicht etwas Großes, wenn ein Mensch einhertritt auf Gottes Erde, mit dem Lobgesang im Munde: „Mir ist Erbarmung widerfahren, Erbarmung, deren ich nicht wert!“. Ich glaube, es ist das einer der herrlichsten Lobgesänge, die die Welt kennt - kaum mag das Loblied der Cherubim vor dem ewigen Throne lieblicher sein -
„Ach, wie lieblich strömt die Quelle
Seines Bluts, das Seelen rettet,
Mich erlöst von der Hölle,
Mich in seine Liebe bettet.“
O, was könntet ihr geben für eine solche Erlösung wie diese, ihr trauernden Seelen? Sie wird euch umsonst verkündigt und ohne Geld, und mir ist befohlen, zu rufen: „Hierher, hierher, die ihr dürstet, die ihr Christus nötig habt, wenn ihr eure Schuld bekennt, nehmt umsonst und ohne Geld.“
Aber das Beste kommt zuletzt. Die Vergebung, die heute verkündigt wird, ist nicht nur eine freie und völlige und gegenwärtige, sondern eine Vergebung, die ewig bleibt. Wenn die Königin jemanden begnadigt- ihm völlige Gnade zusichert - so darf dieser Mensch durchaus nicht für das in Rede stehende Verbrechen bestraft werden. Oft jedoch gewährt die Königin einen Nachlass der Strafe, der noch keine völlige Begnadigung in sich schließt. Es gibt Fälle, in denen Personen so weit begnadigt werden, dass sie für das Verbrechen nicht hingerichtet, sondern nach der Bestimmung der Herrscherin auf eine gewisse Zeit eingekerkert werden. Nun, der Herr tut dies nie; er räumt völlig auf, es darf auch nicht eine Sünde übrig bleiben. Wenn er eine Seele wäscht, so wäscht er sie weißer als den frischgefallenen Schnee. Gott verrichtet seine Sachen vollkommen. Aber das Beste dabei ist, dass, was er einmal tut, das tut er für immer. Das ist eben die Herrlichkeit des Evangeliums. Wenn ihr heute Vergebung empfangt, so werdet ihr heute selig, aber nie mehr könnt ihr der Verdammnis anheimfallen. Wenn ein Mensch von ganzem Herzen an Christus glaubt, so ist seine Seligkeit über allen Zweifel gewiss, und allezeit betrachte ich das als den schönsten Edelstein in der Krone der Erlösung, dass sie unumstößlich ist. Wenn ich meine Seele in die Hände Gottes befehle,
„Dann ist seine Ehr verpfändet,
Sein geringstes Schaf zu retten;
Was der Vater ihm gegeben,
ruht beschirmt in seinem Arm.
Weder Tod noch Hölle können
Seine Liebsten ihm entreißen,
An dem Busen ihres Gottes
Dürfen sie nun ewig ruh'n.“
Gott macht dich nicht heute zu seinem Kind und stößt dich morgen hinaus;; er vergibt dir nicht heute und straft dich dann morgen dafür. So wahr Gott Gott ist, wenn du heute Vergebung erlangst, lieber Christ, so mag wohl die Erde vergehen, wie der augenblickliche Schaum von der Woge, die ihn trägt, und niemals zum Vorschein kommen, so mag wohl das unermessliche Weltall vergehen, wie der Tau in der Morgensonne; aber du kannst niemals verdammt werden. So lange Gott Gott ist, so lange rührt den kein Übel, dem die Vergebung versichert und versiegelt ist. Ich kann nichts anderes predigen - ich darf nicht. Es wäre eurer Aufmerksamkeit nicht wert, nicht wert meiner Mühe, es zu predigen - aber der Mühe wert ist es, dass es jedermann hat, denn es ist eine gewisse Einsetzung. Wer sich dem Herrn Jesus in die Arme wirft, hat einen sicheren Behüter, komme was da wolle - und es können schwere Versuchungen und heftige Leidenschaften kommen und können bittere Leiden und strenge Pflichten kommen, aber der uns erlöst hat, hilft uns durch und macht uns zu Überwindern. Ach ja, wie herrlich, auf einmal Vergebung zu empfangen mit der gewissen Versicherung, dass uns ewig vergeben bleibt; erhaben über jede Möglichkeit, dass wir wieder verworfen werden könnten!
Und nun noch einmal, diese Erlösung will ich predigen, denn das ist der Wein und die Milch, die umsonst und ohne Geld angekündigt werden. Geliebte, dies alles wird erlangt durch den Glauben an Christus - wer an den glaubt, der am Fluchholz starb und sein Leben für uns aushauchte, der wird niemals in die Verdammnis kommen: er ist vom Tod zum Leben hindurchgedrungen auf ewig, und die Liebe Gottes wohnt in ihm.
II.
Da ich nun den ersten Teil dargelegt habe, so ist es meine nächste Aufgabe, die Bietenden auf den Steigerungspreis zu bringen und loszuschlagen. Hier habe ich die Schwierigkeit zu überwinden, euch zu meinem Preis herabzubringen, wie der alte Rowland zu sagen pflegte. Er predigte gerade an einem Markttag und hörte einen Mann seine Waren feilbieten. „Ach!“ sprach er, „Bei jenen Leuten kommt es darauf an, die Käufer zu ihrem Preis hinauf zu steigern; dagegen kommt es mir darauf an, euch zu meinem Preis herab zu steigern.“
Nun, hier predigt man ein völliges Evangelium, umsonst und ohne Geld. Da kommt nun einer her in das Heiligtum, das für einen Augenblick zur Steigerungshalle umgewandelt ist, und ruft: „Ich möchte bieten!“ Was bietet ihr denn? Er streckt seine Hand her, die volle Faust, und hat noch ein Übriges dazu zu geben, denn er vermag all seine guten Werke nicht zu fassen. Er hat Ave Marias und Paternoster ohne Zahl, und allerlei Bekreuzung mit Weihwasser und Knie beugen und Fußfälle vor dem Altar und Verehrung der Hostie und Messehören und mehr dergleichen. Viele setzen ihr Vertrauen auf diese Dinge, und wenn sie vor Gott treten, bringen sie dies alles als den Grund ihrer Erlösung zum Vorschein.
Und sie, Herr Werkheilig, wollen so die Seligkeit erlangen und haben zu diesem Zweck alle ihre Siebensachen mitgebracht? Lieber Freund, ich fürchte, ich fürchte, du müssest mit all deinen Kostbarkeiten wieder leer abziehen, denn hier kauft man „umsonst und ohne Geld“, und wenn du nicht mit leeren Händen kommst, so kannst du nichts erlangen. Wenn du irgend etwas eigenes mitbringst, so kannst du nichts empfangen. „Aber,“ wendet er ein, „ich bin doch kein Ketzer. Bin ich nicht dem Oberhaupt der alleinseligmachenden Kirche treu? Beichte ich denn nicht und empfange die Absolution und bezahle meinen Petruspfennig?“ Tust du das, lieber Freund? Ei, wenn du deinen Pfennig dafür ausgibst, so ist es nichts nütze; denn das, was dir etwas nützen kann, hast du „umsonst und ohne Geld“. Das Licht, das wir bezahlen müssen, ist ein elend, jämmerlich Ding, das Licht aber, das wir umsonst vom Himmel bekommen, ist das reiche, herrliche Licht, das das Herz erfreut. So ist es mit der Vergebung, die von Christus kommt „ohne Geld und umsonst.“
Nun kommt ein anderer und spricht: „Es freut mich, dass sie den Römling also abgefertigt haben. Ich kann die römische Kirche nicht leiden; ich bin ein guter Protestant und möchte gerne selig werden.“ Was bringen sie denn? „O, bei mir gibt es keine Ave Marias, keine Rosenkranz-Paternoster, das ist mir alles ein Gräuel; ich verabscheue dergleichen lateinische Namen, ich mag sie nicht leiden. Aber ich lese jeden Sonntag die Epistel und sage den Glauben her; ich bete fleißig. Ich gehe zur Kirche, so oft es läutet!“ oder, wenn er einer besonderen Gemeinschaft angehört, heißt es auch: „Ich besuche meine Versammlung dreimal jeden Sonntag, und in der Woche die Gebetsversammlung. Außerdem zahle ich jedermann 30 Groschen für den Taler, lieber einunddreißig als nur neunundzwanzig; ich möchte niemanden übervorteilen; wenn ich nur immer ausweichen kann, so trete ich auf keinen Wurm; ich bin allezeit freigebig und helfe gern, wo ich kann. Es kann wohl sein, dass ich hier und da ein wenig strauchle. Mag auch sein, dass ich da und dort nicht das Rechte treffe; aber wenn ich nicht selig werde, so weiß ich nicht, wer dann noch selig werden soll. Ich bin nicht schlechter als meine Nachbarn, und ich sollte meinen, die Seligkeit könne mir nicht fehlen, denn ich habe gar wenig Sünden auf mir, und diese wenigen sind niemanden anstößig gewesen; sie sind mir selbst mehr zuwider als irgend sonst jemanden. Überdies sind sie ganz unbedeutend; höchstens ein oder zwei Mal im Jahr haue ich etwas über die Schnur, und ein kleines Vergnügen muss man sich doch auch einmal gönnen. ich versichere, ich bin einer der besten, rechtschaffensten, nüchternsten und frömmsten Menschen auf Gottes weiter Erde.“ Ach, lieber Freund, es betrübt mich recht, dass du mit den römisch-katholischen in Unfrieden lebst, denn es tut mir weh, wenn ich Zwillingsbrüder uneins sehe. Ihr seid beide von gleichem Schrot und Korn, glaube mirs nur. Der Kern des Papsttums ruht auf der Erlösung durch Werke und Zeremonien. Seine Werke und Zeremonien hast du freilich nicht; aber das hast du, dass du meinst, durch die deinen selig zu werden, und daran siehst du, dass du um nichts besser bist als er. Ich schicke dich fort; für dich gibt es hier keine Erlösung zu holen, denn sie ist nur „ohne Geld und umsonst“ zu haben; und so lange du deine schönen guten Werke darauf bietest, erlangst du sie nicht. Sieh, ich finde deine Ware nicht schlecht, an ihrem Ort ist sie ganz schätzenswert, aber hier gilt sie heute nichts und gilt nichts vor dem Richterstuhl Gottes. Ihr sollt wohl all das tun und so leben, das ist ganz recht und gut; aber um zur Seligkeit zu gelangen, lasst sie fahren und kommt als arme schuldbeladene Sünder, kauft sie „ohne Geld und umsonst.“
Nun sagt einer: „Finden sie denn etwas Unrechtes an guten Werken?“ Ganz und gar nicht. Stellt euch vor, ein Mann baut ein Haus und sei so töricht, das Fundament mit Ziegeln aufzumauern. Wenn ich nun zu ihm sagte: „Lieber Mann, das gefällt mir gar nicht, dass sie Ziegel zum Fundament nehmen!“, so könntet ihr nicht sagen, ich finde die Ziegel schlecht, sondern ich finde den Baumeister schlecht, weil er die Ziegel am falschen Ort verwendet. Er soll festes, massives Mauerwerk zu Grunde legen, und dann, wenn das Haus aufgemauert ist, mag er so viel Ziegel darauf legen, wie er für gut hält. So ist es auch mit guten Werken und Zeremonien; sie taugen nicht zum Grundbau. Der Grund muss mit festerem Stoff ausgeführt werden. Unsere Hoffnung darf sich auf nichts Geringeres gründen als auf Jesu Blut und Gerechtigkeit, und wenn wir diesen Grund gelegt haben, so dürfen wir gute Werke bringen, so viel wir wollen, je mehr desto besser. Zu einem Grundbau aber sind gute Werke gar jämmerliche und schwache Dinge, und wer es damit machen will, kann zusehen, wie sein Haus zusammenhängt.
Da kommt nun ein anderer. Er steht von Ferne und spricht: „Lieber Herr, ich traue mich nicht zu kommen; ich darf nicht kommen und um Erlösung bitten. Lieber Herr, hab nichts gelernt, bin nicht geschult, kann keinen Buchstaben lesen; wollt gern, ich könnte es. Meine Kleinen gehen in die Sonntagsschule; wollt', s hätt' zu meiner Zeit auch so was gegeben; kann nuns Wort Gottes nicht lesen, und s nützt mir nichts, in den Himmel zu wollen. Ich geh' wohl manchmal in die Kirche; aber du lieber Himmel, was nützt mirs? Der Pfarrer macht so lange Sätze, dass ichs nicht fassen kann, und da geh' ich manchmal in eine Bibelstunde, aber ich versteh' zu wenig. Ich hab' ein wenig von den Liedern behalten, die meine Kleinen aufsagen, z.B.: „Wo ist Jesus, mein Verlangen?“ und „Wie soll ich dich empfangen und wie begegn' ich Dir?“ Ich wollte, man predigte so war, und dann wärs möglich, dass ichs 'rauskriegte; aber ich bin 'mal ungeschult, und glaub' nicht, dass ich kann selig werden.“ O lieber, lieber Freund, du brauchst nicht dort hinten im Winkel stehen zu bleiben. Komm hierher. Es braucht keine Schulung, um in den Himmel zu kommen. Je mehr du gelernt hast, umso besser ist es auf Erden für dich, daran zweifle ich gar nicht; aber im Himmel wirds dir nicht sonderlich viel nützen. Kannst du deutlich „deinen Namen im Himmel geschrieben“ lesen (Luk. 10,20), weißt du genug, um zu erkennen, dass du ein verlorener Sünder bist und Christus ein großer Heiland, so ist das alles, was du zu wissen brauchst, um in den Himmel zu kommen. Es ist mancher im Himmel, der auf Erden nie einen Brief gelesen hat - mancher, der um sein Leben nicht imstande gewesen wäre, seinen Namen zu schreiben, sondern mit einem Kreuz unterzeichnen musste, und dort ist er unter den Herrlichsten. St. Petrus selbst hat keinen herrlicheren Platz als viele arme, unwissende Seelen, die aufsahen auf Jesus Christus und erleuchtet wurden. Ich will euch zum Troste etwas sagen. Wisst ihr nicht, dass Jesus sprach, den Armen würde das Evangelium gepredigt; dass er darüber hinaus sagte: „Es sei denn, dass ihr umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ (Mat. 18,3). Was will das sagen, als dass wir wie kleine Kinder ans Evangelium glauben sollen? Ein kleines Kind weiß noch nicht viel; es glaubt eben, was man ihm sagt, und so gerade müsst ihrs machen. Ihr müsst glauben, was Gott zu euch sagt. Er sagt, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen. Ist denn das so etwas Schweres? Ihr könnt doch das glauben; und wenn ihr nun das könnt und sonst aller menschlichen Wissenschaft bar seid, so werdet ihr gewiss hernach erfahren, was ihr jetzt noch nicht wisst.
Jetzt sehe ich einen Menschen in die Versteigerungshalle treten, der sagt: „Wohlan, ich möchte gern selig werden; ich habe in meinem letzten Willen ein Vermächtnis für den Bau von ein oder zwei Kirchen und einiger Armenhäuser gemacht; ich bestimme immer einen gewissen Teil meines Einkommens für das Reich Gottes; ich unterstütze stets die Armen und dergleichen; ich habe ein hübsches Sümmchen im Vermögen und begehre es nicht aufzuhäufen; ich bin großmütig und freigebig; ich suche armen, verdienstlosen Leuten aufzuhelfen, und anderes mehr. Könnte mir das nicht zum Himmel verhelfen?“ Ja, sie sind mir ein recht lieber Mensch, ich wollte, es gäbe noch recht viele ihrer Art. Nichts ist edler als Großmut und Freigebigkeit, wo sich dieselbe gegen Arme und Kranke, gegen Verwahrloste und Unwissende kund gibt und fürs Reich Gottes ein Herz hat; aber wenn sie das als eine Berechtigung auf den Himmel ansehen, lieber Freund, so muss ich ihnen die Decke von den Augen nehmen. Sie können den Himmel nicht mit Geld erkaufen. Es werden ja die Straßen des himmlischen Jerusalems mit Gold gepflastert sein, wie es in der Offenbarung heißt: „und die Gassen der Stadt sind lauteres Gold, als ein durchscheinend Glas“ (Off. 21,21). Sehen sie, da könnten sie mit zweimalhunderttausend Talern noch nicht einmal einen Pflasterstein kaufen. Selbst Baron Rothschild könnte keinen Quadratfuß Himmel ankaufen, und wenn er all sein Vermögen dafür hingäbe. Der Platz ist zu kostbar, als dass er mit Gold und Silber gekauft werden könnte. Wenn alle Schätze Indiens zusammengehäuft werden könnten, um damit nur einen Blick in den Himmel zu kaufen, so wäre es nichts nütze. Es wäre kein Mensch im Stande, auch nur aus der Ferne den flüchtigsten Einblick in seine Perlentore zu erhaschen um alles Gold, das ein Herz je wünschen oder die heftigste Begierde je verlangen könnte. Umsonst wirds hingegeben. Christus verkauft seine Güter nie und nimmer, weil nichts aufgebracht werden kann, was ihrem Wert entspräche. Was Christus erkauft hat mit seinem Blut, erkauft ihr nie mit eurem höchsten Gut. Er hat euch nicht mit vergänglichem Gold oder Silber erlöst, sondern mit seinem teuren Blut; und kein anderer Preis kann angenommen werden. Ach, mein reicher Freund! Sie sind gerade so gut daran, als ihr ärmster Tagelöhner. Sie tragen Samt und er Halbleinen, aber er hat so gute Gelegenheit zum Seligwerden wie sie. Ach, werte Dame, der Atlas hat im Himmel keinen Vorrang vor gemeinem Baumwolltuch.
„Es wird hier niemand ausgeschlossen,
Als wer sich selber schließet aus.“
Der Reichtum macht einen Unterschied auf Erden, aber keinen unter dem Kreuz Christi. Ihr müsst alle gleich vor dem Fußschemel Christi erscheinen, oder ihr dürft gar nicht zu ihm kommen. Ich kannte einen Geistlichen, der mir erzählte, er sein einmal ans Sterbebett einer Frau geschickt worden, der es in dieser Welt sehr gut ergangen war, und sie sprach: „Herr Baxter, meinen sie, wenn ich in den Himmel komme, mein Stubenmädchen Lisbeth sei auch dort?“ „O ja,“ sagte er, „von ihnen weiß ich zwar nicht viel, aber Lisbeth wird gewiss dort sein, denn wenn ich je ein gottesfürchtiges Mädchen kenne, so ist sie es!“ „Nun gut,“ sprach die Dame, „aber es wird doch auch einigermaßen eine Unterscheidung dort sein? Ich könnte es nie übers Herz bringen, mich neben einem solchen Mädchen niederzusetzen; sie hatte keinen Takt, keine Erziehung, keinen Geschmack, und ich kann das nicht ausstehen. Ich denke, es sollte doch ein Unterschied sein.“ „Ach, liebe Frau, sorgen sie nicht, es wird ein großer Unterschied sein zwischen ihnen und Lisbeth, wenn sie in der Verfassung sterben, in der sie jetzt sind, aber der Unterschied wird ihnen nicht gefallen; denn sie werden sie in Abrahams Schoß sitzen sehen, sie selbst aber werden verworfen werden. So lange sie im Herzen solchen Stolz nähren, können sie nicht zum Himmelreich eingehen.“ Er sprach ganz offen mit ihr, und sie fühlte sich gewaltig beleidigt; aber ich glaube, sie zog es vor, vom Himmel ausgeschlossen zu werden, ehe sie sich dazu verstand, neben ihrer Magd Lisbeth zu sitzen. Achten wir hier unten Stand und Rang; es sei so. Aber wenn wir das Evangelium verkündigen, so kennen wir keinen Unterschied. Wenn ich einer Versammlung von Königen predigte, würde ich genau dasselbe Evangelium verkündigen, das ich einer Versammlung von lahmen Krüppeln predigen würde. Der König auf seinem Thron und die Königin in ihrem Schloss haben kein anderes Evangelium als ihr und ich. Wie niedrig und unbeachtet wir auch sind, die Himmelspforte steht uns weit offen, die Himmelsstraße ist für uns bereitet. Die Landstraße ist so gut für den gemeinen Mann da wie für den Reichen, und so auch das Himmelreich - „ohne Geld und umsonst.“
Nun höre ich dort drüben meinen calvinistischen Freund sagen: „Ja, so gefällt mir es, aber obwohl ich sagen kann:
„Gar nichts, gar nichts bringe ich,
Nur das Kreuz umschlinge ich.“
so denke ich doch, ich darf auch sagen, ich habe eine gründliche Sinnesänderung erfahren, ich habe den Schaden meiner Seele eingesehen und tief empfunden. Wenn ich zu Christus komme, so darf ich mich ziemlich auf meine Gefühle verlassen. Ich meine, es ist nicht ganz richtig, wenn sie alle Sünder ohne Unterschied auffordern, zu Christus zu kommen; mich aber dürfen sie das, denn ich bin ein Sünder der rechten Art. Ich bin einer von der Zöllner Art; ich bin pharisäisch genug, es zu glauben; ich meine, ich bin ganz besonders berufen, denn ich habe eine solche Erfahrung durchgemacht, dass, wenn ich mein Leben beschreiben sollte, sie sagen würden: „Das ist eine gründliche Erfahrung, der Mensch hat ein Recht, zu Christus zu kommen.““ Nun, mein lieber Freud, ich fürchte sehr, ich muss dich zurechtweisen, ich werde dazu genötigt sein. Wenn du deine Erfahrungen bei Christus geltend machen willst, so bist du um nichts besser als der Römling mit seinen Messen und Ave-Marias. Deine Erfahrungen achte ich, wenn diese ein Werk der Gnade Gottes an deinem Herzen ist: aber wenn du darauf pochst, so stellst du sie über Christus, und das ist also ein Antichrist. Fort damit! Fort damit! So oft ich den Sündern das Evangelium predigte und ihren natürlichen Zustand und ihre Gefühle schilderte, so fürchte ich am Ende doch, ich pflanze damit einen Geist der Selbstgerechtigkeit und veranlasse die Zuhörer zu der Ansicht, sie müssten gewisse Gefühle in sich verspüren, ehe sie zu Christus kommen könnten. So will ich denn jetzt so viel wie möglich das Evangelium auf die unumschränkteste Art verkündigen, und das ist auch die wahrhaftigste Art. Christus begehrt eure Gefühle so wenig wie euer Geld, das heißt ganz und gar nicht. Wenn ihr eine gründliche Erfahrung durchmachen wollt, so müsst ihr zu Christus kommen:
„All' Erfordernis ist hier,
Das du fühlst, er mangle dir.“
Aber, halt -
„Dieses schenkt er
Dir durch seines Geistes Zier.“
Ihr kommt zu Christus, weil und damit ihr alles empfangt. Ihr dürft nicht sagen: „Ja, erst will ich glauben und dann kommen.“ Nein, gehe Christus an um Glauben. Ans Kreuz hinan musst du blicken, willst du deine Sünden fühlen. Ehe wir das Kreuz anschauen, erblicken wir wenig von unseren Sünden, umso mehr nachher. Erst sehen wir auf Christus, dann tränt die Reue uns aus beiden Augen. Bedenkt, wenn ihr euren Heiland anderswo sucht, so seid ihr auf der falschen Spur. Wenn ihr versucht, Christus irgend etwas entgegenzubringen, so ist es, mit dem Sprichwort zu reden, Wasser ins Meer getragen. Er hat die Fülle, er benötigt nichts von euch, ja vielmehr, wenn er euch etwas bringen sieht, so kehrt er euch den Rücken. Er hat nichts mit euch zu schaffen, bis ihr sagen könnt:
„Gar nichts, gar nichts bringe ich,
Nur das Kreuz umschlinge ich.“
Ich habe von einem Neger und seinem Herrn erzählen hören, die beide von der Erkenntnis ihres Sündenelends ergriffen wurden. Der Neger fand Frieden mit Gott, aber sein Herr suchte lange und vergeblich das Heil, und endlich sagte er: „Ich kann mirs nicht zurechtlegen, wies kommt, dass du so bald Trost gefunden hast, den ich gar nicht erlangen kann.“ Da sprach der Neger, nachdem er um Erlaubnis gebeten hatte, offen und frei reden zu dürfen: „Massa, ich denken es so recht sein. Der Herr Jesus haben gesagt: Komm her, ich will dir geben Gerechtigkeit, um dich bedecken von Kopf zu Fuß. ich armer Neger schauen auf mich selbst, ich ganz in Lumpen. Nun, Massa, ihr nicht so schlecht sein. Wenn er sagen: Komm her, ihr schauen auf euern Rock und sagen: Wohl, es muss ein wenig sein geflickt, und dann schon noch länger halten. Da ist ein großes Loch da, aber ein wenig Faden und Nadel schon gut machen. So, Herr, ihr behalten euren Rock; ihr brauchen Faden und Nadel, und haben nie schön Kleid. Aber wenn ihr es wegtun, ihr haben schön Kleid auf einmal.“ Das ists eben, wir suchen etwas zu bekommen, ehe wir zu Christus gehen.
Ich darf aber wohl sagen, in dieser Versammlung kommt solche Albernheit unter hunderterlei verschiedener Gestalt zum Vorschein - der Wunsch, Christus etwas bringen zu wollen. „Ach,“ sagt einer, „ich möchte wohl zu Christus kommen, aber ich bin ein zu arger Sünder gewesen.“ Das leidige Ich, lieber Freund! Dass sie ein großer Sünder sind, hat nichts damit zu schaffen. Christus ist ein großer Heiland, und wie groß auch ihre Sünde, so ist seine Gnade doch noch größer. Er lädt sie einfach ein als Sünder. Ob sie stolz sind oder gering, so lädt er sie ein zu ihm zu kommen und seine Erlösung anzunehmen „ohne Geld und umsonst“. Ein anderer sagt: „Ja, aber ich fühle es nicht genug.“ Wieder nur das Ich. Er fragt nicht nach deinen Gefühlen; er sagt einfach: „Wendet euch zu mir, so werdet ihr selig, aller Welt Ende“ (Jes. 45,22) „Aber, lieber Herr, ich kann nicht beten!“ Abermals das Ich. Du wirst nicht durch dein Beten selig; du wirst durch Christus selig, und es ist nur an dir, auf Christus zu blicken; er wird dir nachher schon beten helfen. Du mussts am rechten Ort angreifen, und dich nur an sein Kreuz klammern und auf ihn bauen. „Aber, sagt wieder ein anderer, „wenn ich nur fühlte, was der und jener…“ Nochmals das Ich. Warum denn solche Reden im Mund führen? Zu Christus musst du dich wenden, nicht auf dich selber bauen. „Ja,“ sprichst du, „ich glaube, jeden anderen würde er annehmen, nur mich nicht.“ Bitte doch, wer hat dir erlaubt, so über diese Sache zu denken? Spricht er nicht: „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen.“ (Joh. 6,37)? Ja, auf solche Art denkst du dich ins ewige Verderben hinein. Gib das Denken auf und glaube. Sind deine Gedanken wie Gottes Gedanken? Bedenke, „so viel der Himmel höher ist denn die Erde, so sind auch meine Gedanken höher denn eure Gedanken.“ (Jes. 55,9). „Aber,“ spricht wieder einer, „ich habe ihn gesucht und habe ihn nicht gefunden.“ Teurer Freund, kannst du in Wahrheit sagen, dass du mit leeren Händen zu Christus gekommen bist und er hätte dich dennoch verworfen? Darfst du so etwas sagen? Nein; wenn Gottes Wort wahr ist und du bist aufrichtig, so kannst du das nicht sagen. Ach, ich erinnere mich, wies mir aufs Herz fiel, als ich einmal meine Mutter darüber reden hörte. Ich hatte Jahre lang Christus gesucht und konnte nicht zum Glauben gelangen, dass er mich selig machen wolle. Da sagte sie, sie hätte viele Leute fluchen und Gott lästern hören, aber eines habe sie nie gehört - sie habe nie gehört, dass ein Mensch gesagt habe, er habe Christus gesucht, und Christus habe ihn verworfen. „Und,“ fügte sie hinzu, „ich glaube nicht, dass Gott einen Menschen am Leben lassen würde, der so sprechen könnte.“ Ja, ich hatte gemeint, ich könne so sprechen, ich hatte gemeint, ich habe ihn gesucht und er habe mich verworfen, und ich hatte mir vorgenommen, ich wolle es aussprechen, und sollte es mich das Leben kosten; denn was ich für wahr hielt, wollte ich auch aussprechen. Aber da sagte ich bei mir selbst: „Ich will es noch einmal versuchen;“ und ich kam zum Herrn und Meister mit nichts Eigenem, und warf mich nur auf seine Gnade; und ich glaubte, dass er für mich starb - und ich habe nie wieder so gesprochen, und gelobt sei sein heiliger Name, ich weiß, ich werde es nie mehr sagen. Und doch wollt ihr nicht; ach, versuchts doch.
„Versucht nur seiner Liebe Macht;
Auf Liebe darf man bauen.
Wie selig sind, dies so gemacht,
Die seiner Liebe trauen.“
Wenn ihr euch zu diesem niedrigen Kaufpreis bequemt und Christus umsonst empfangt, „ohne Geld und umsonst“, so werdet ihr an ihm keinen harten Herrn finden.
III.
Nun habe ich euch noch einige Ermahnungen vorzulegen, und Gott gebe, dass sie euch zu Herzen gehen! ich will zuerst einige Worte an die richten, die nie an diese Sachen denken. Ihr seid hierher gekommen, um heute Gottes Wort zu hören, weil es an einem ungewöhnlichen Ort verkündigt wird 1); sonst wärt ihr vielleicht gar nicht ins Haus Gottes gekommen; höchst selten gebt ihr euch mit christlichen Gegenständen ab, ihr legt euch nicht oft Fragen darüber vor, weil ihr fühlt, dass es euch ein ungeschicktes Ding vorkäme, viel über Religion zu denken; ihr fühlt wohl, ihr müsstet dann euer Leben anders einrichten, eure Gedanken über Religion und eure jetzigen Gewohnheiten würden gar nicht zusammenpassen. Liebe Freunde, hört mich einen Augenblick ruhig an, wenn ich jetzt in euch dringe. Habt ihr schon vom Vogel Strauß gehört? Wenn ihn der Jäger verfolgt, so flieht der arme Vogel davon, so schnell er kann, und wenn er sieht, dass ihm kein Ausweg mehr bleibt, was meint ihr wohl, was er dann tut? Er vergräbt seinen Kopf im Sand und meint, nun sei er sicher, weil er nichts mehr sehen kann. Macht ihr es nicht gerade so? Euer Gewissen lässt euch keine Ruhe, und nun versucht ihr es zu vergraben. Ihr begrabt euer Haupt in den Sand und meint und scheut euch vor dem Nachdenken. Ach, wenn wir nur die Menschen zum Nachdenken bringen könnten, was hätten wir nicht Großes damit verrichtet? Sünder, das ist etwas, was du ohne Christus nicht tun kannst. Meinst du! Wir haben von Menschen gehört, die sich fürchteten, auch nur eine halbe Stunde lang allein zu sein, weil sie sich vor ihren eigenen schrecklichen Gedanken fürchteten. Ich fordere jeden Gottentfremdeten unter euch auf, auch nur eine Stunde auf dieser Rennbahn oder auf jener Tribüne oder auch daheim darauf zu verwenden und diese Gedanken bei euch zu bewegen: „Ich bin Gottes Feind; meine Sünden sind mir nicht vergeben; wenn ich heute Nacht sterbe, so bin ich in alle Ewigkeit verdammt; ich habe Christus nie gesucht und ihn nie mein eigen genannt.“ Ich zweifle, ob ihr das eine Stunde lang aushaltet, ihr könnt es nicht; ihr würdet euch vor eurem eigenen Schatten fürchten. Der einzige Weg, wie Sünder sich glücklich fühlen mögen, ist die Gedankenlosigkeit. Sie sagen: „Decks zu; schaffe mir den Tod aus den Augen.“ So schlagen sie sich die Gedanken aus dem Sinn. Ist das nun weise? Ist etwas an der Religion? Wenn nicht, so wehrt euch unerschrocken dagegen; aber wenn die heilige Schrift Wahrheit ist, wenn ihr eine unsterbliche Seele habt, ists dann klug, ist es vernünftig, ist es weise, eure ewige Seele verkümmern zu lassen? Wenn ihr euren Leib Hunger leiden ließet, es würde wohl nicht viel Zuredens brauchen, um euch zum Essen zu bewegen. Hier aber geht eure Seele zu Grunde, und doch vermag keine sterbliche Zunge euch zu überreden, für sie zu sorgen. Ach, ist es nicht merkwürdig, dass die Menschen dem ewigen Leben entgegen gehen und sich doch nicht darum kümmern? Ich habe von einem gewissen König reden hören, der an seinem Hof einen Hofnarren hatte, der allerlei lustige Schwänke ausführte, und der König gab ihm einen Stock und sagte: „Da, nimm das, bis du einen ärgeren Narren findest, als du es bist.“ Da wurde der König auf den Tod krank, und als er im Sterben lag, kam der Narr auch und sagte: „Herr, was gibts?“ „Jetzt gehts mit mir zum Sterben!“ sprach der König. „Zum Sterben? Wo ist das?“ „Es geht mit mir zum Sterben, Mensch, jetzt lache nicht über mich.“ „Wie lange wollt ihr dort bleiben?“ „Ja, wo ich jetzt hinkomme, muss ich ewig bleiben!“ „Habt ihr dort ein Haus gekauft?“ „Nein!“ „Habt ihr doch für Vorrat gesorgt, da ihr so lange dort zubringen wollt?“ „Nein.“ „Hier, nehmt nur den Stock; so närrisch ich bin, so habe ich mich doch vorbereitet. Solch ein Narr bin ich nicht, dass ich an einem Ort wohnen will, wo ich kein Haus habe.“ Christus hat für die Seinen eine Wohnung im Himmel bereitet. Es liegt eine große Weisheit in jenes Narren Rede. Gestattet mir nun, in seiner Sprache, aber in allem Ernst mit euch zu reden. Wenn die Menschen ewig im Himmel leben sollen, ists dann nicht eine sonderbare, rasende, wahnsinnige Torheit, nie an die zukünftige Welt zu denken? Für heute denken sie - aber für die Ewigkeit? Das kümmert sie nichts. Das zeitliche und zeitlicher Tand und zeitliche Lust füllt ihr Herz; aber die Ewigkeit, dieser Berg ohne Gipfel, dieses Meer ohne Ufer, dieser Strom ohne Mündung, darüber sie ewig schiffen müssen, das macht ihnen keine Gedanken. Haltet hier einen Augenblick inne und bedenkt, dass ihr eine ewige Fahrt vorhabt, dass ihr fahren müsst durch die sengenden Wogen der Hölle oder aber über glänzende Ströme der Herrlichkeit. Was von beidem wird euch zuteil werden? Ihr werdet beizeiten daran denken müssen. Ehe Tage und Mond und Jahre verfließen, wird Gott zu euch sagen: „Schicke dich und begegne deinem Gott!“ (Am. 4,12), und es mag sein, dass auch die Aufforderung an euch gelangt, wenn ihr im Todeskampf liegt, wenn euer Blut im Jordan erstarrt, wenn euer Herz vor Furcht in euch vergeht. Und was wollt ihr dann tun? Was willst du tun in der schwellenden Flut der Sünden, am Tag, da du des Todes Raub wirst? Was willst du tun, wenn Gott dich vor seinen Richterstuhl stellt?
Und nun ists mir zum Schluss vergönnt, noch an eine andere Klasse von Menschen einige Worte zu richten. O, lieber Freund! Du bist nicht gleichgültig. Du machst dir allerlei Gedanken, die dir schwer aufs Herz fallen; aber wenn du sie auch gerne los wärest, so würdest du in diesem Fall doch erschrecken. Du darfst sagen: „Ach, ich fühle wohl, wie gut es für mich wäre, wenn ich mich in Christus freuen könnte - ich fühle, wie glücklich ich sein könnte, wenn ich bekehrt wäre.“ Lieber Freund, es freut mich, das aus deinem Munde zu hören. Wo Gott ein geängstigtes Herz in Arbeit nimmt, da wird er es gewiss nicht fahren lassen, bis er es herrlich hinausgeführt hat. Nun, mit dir möchte ich heute ein ernstes, aber kurzes Wort reden. Du fühlst deine Heilandsbedürftigkeit. Bedenke, dass gerade für dich Christus gestorben ist. Glaube das; willst du es glauben? Dort hängt er am Fluchholz und stirbt; schau ihm ins Antlitz; es ist voller Liebe, es zerschmilzt im Drang der Vergebung; seine Lippen bewegen sich und er spricht: „Vater, vergib ihnen.“ Willst du ihn anschauen? Kannst du ihn das rufen hören und dich dennoch abwenden? Alles, was er von dir verlangt, ist nur das, dass du dich zu ihm wendest, und dieser Aufblick zu ihm macht dich selig. Du fühlst, dass du einen Heiland brauchst; du weißt, dass du ein Sünder bist. Warum noch zögern? Sage nicht, du seiest es nicht würdig. Bedenke doch, dass er eben für die Unwürdigen starb. Sage nicht, er wolle dich nicht selig machen. Bedenke, dass er für die starb, die selbst dem Teufel zu schlecht sind; ja, den Abschaum der Welt hat Christus versöhnt. Wende dich zu ihm. Kannst du ihn anschauen und nicht an ihn glauben? Kannst du das Blut ihm über die Schultern rinnen sehen, rinnen aus Hand und Seite, und nicht an ihn glauben? O, bei dem, der da lebet und tot war, und der da lebet von Ewigkeit zu Ewigkeit, beschwöre ich dich, glaube an den Herrn Jesus Christus; denn so steht es geschrieben: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden.“ (Mk. 16,16).
Als einmal Rowland Hill predigte, da geschah es, dass Lady Anna Erskine vorüberfuhr; sie befand sich außerhalb der Ringmauer und fragte den Kutscher, warumso viele Leute dort versammelt wären. Er antwortete: „Sie wollen zu Rowland Hill in die Kirche.“ Nun, sie hatte viel von diesem merkwürdigen Mann gehört, der als einer der einschneidendsten Prediger bekannt war, stieg aus und ging auch hinein. Kaum hatte Rowland Hill sie erblickt, als er sprach: „Kommt, wir wollen jetzt eine Versteigerung abhalten, wir wollen Lady Anna Erskine versteigern.“ (Sie stutzte natürlich und war erstaunt, was das werden wollte.) „Wer will sie kaufen?“ Sieh, da meldet sich die Welt. „Was gibst du, Welt, für sie?“ „Ich gebe ihr alle Pracht und Eitelkeit dieses Lebens; so wird sie eine glückliche Frau sein, unermesslich reich, umringt von Anbetern, schweifend von einer Wonne zur anderen.“ „Welt, du bekommst sie nicht; ihre Seele ist ein unsterbliches Wesen, dein Gebot ist ein armselig Ding, du bietest ihr nur wenig, und was hilft es ihr, wenn sie die ganze Welt gewönne und doch Schaden nähme an ihrer Seele?“ Da kommt ein anderer Liebhaber - es ist der Teufel. „Was gibst du für sie?“ „Nun,“ spricht er, „ich will ihr eine Zeitlang die Lust der Sünde zu schmecken geben; sie soll alles genießen, woran ihr Herz hängt. Alles, was Auge und Ohr entzückt, jede Sünde und jede Leidenschaft, die etwa eine schäumende Lust gewährt.“ „Ach, Satan! Was willst du ihr denn fürs ewige Leben bieten? Du kannst sie nicht haben, denn ich weiß, wer du bist; du willst einen schmählichen Preis für sie bezahlen, und danach ihre Seele in alle Ewigkeit zu Grunde richten.“ Aber sieh, da kommt noch einer - ich kenne ihn - es ist der Herr Jesus. „Was gibst du, o Herr, für sie?“ Spricht er: „Nicht, was ich geben will, sondern was ich schon gegeben habe; ich habe mein Leben, habe mein Blut für sie dahingegeben; ich habe sie teuer erkauft, und ich gebe ihr das ewige Leben; ich will ihr den Himmel schenken und meine Gnade ins Herz ausgießen und sie auf ewig herrlich machen.“
„O Herr Jesu Christ,“ sprach Rowland Hill, „Du sollst sie haben. Lady Anna Erskine, seid ihr den Kauf zufrieden?“ Sie war ganz dahin; sie konnte nichts hervorbringen. „Es ist geschehen,“ sprach er, „es ist geschehen, ihr seid des Herrn, ich habe euch ihm vertraut; brecht den Vertrag nie!“ Und sie hat ihn nie gebrochen. Von der Stunde an, mitten aus der Lust und dem Leichtsinn eines lebensfrohen Weibes, ward sie eine der tiefgegründetsten Christinnen, eine der mächtigsten Stützen der evangelischen Wahrheit in jener Zeit, und sie starb in der herrlichen und gewissen Hoffnung einzugehen ins Himmelreich. Ach, welche Freude für mich, wenn ich heute irgend eines von euch auch also gewinnen könnte, wenn ihr jetzt sagen wolltet: „Herr, ich will dich haben.“ Christus ist bereit. Wenn er euch zubereitet hat, so bleibt er nicht zurück. Wer da bereit ist, Christus aufzunehmen, den nimmt er auf. Was sprichst du dazu? Willst du mit diesem Manne gehen? Wenn du „Ja“ sagst, dann segne dich Gott! Auch Christus spricht „Ja“, und du bist nun selig, selig jetzt, selig in alle Ewigkeit. Amen!