Spieker, Christian Wilhelm - Christliche Morgenandachten auf alle Tage des Jahres - Juni.

Am 1. Juni.

Herr, mich dürstet nach dem Segen,
Den dein theures Wort verheißt;
Ach, komm gnädig mir entgegen,
Gieb mir deinen heil'gen Geist,
Der im Herzen dich verkläret
Und mir Licht und Kraft gewähret,
Der mein Herz mit Trost erfüllet,
Alle Noth und Jammer stillet.

Schaffe in mir Gott ein reines Herz, und gieb mir einen neuen gewissen Geist. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. Tröste mich wieder mit deiner Hülfe, und der freudige Geist enthalte mich.“ Ps. 51, 12-14. So sollten wir täglich beten, wenn wir den Trotz und die Verzagtheit unseres Herzens, die Hinfälligkeit unseres Wesens, den Wankelmuth in unsern Gesinnungen und die zahllosen Uebertretungen der göttlichen Gebote bedenken. Auch die besten Menschen irren und fehlen, sie wissen selbst nicht wie oft und schwer. Sogar die Jünger des Herrn sehen wir schwach und schwankend, voller Vorurtheile und banger Besorgniß, ehe sie des Heiligen Geistes Licht und Kraft empfangen hatten. Aber nach dem Tage der Pfingsten sind es tiefere Einsichten, die sie zeigen, größere Kräfte, von denen sie getragen werden, eine edlere Sprache, die sie führen, eine höhere Begeisterung, in der sie wirken und handeln. Christus hatte ihnen die Mittheilung dieser göttlichen Gaben und Kräfte durch den heiligen Geist zur Gründung und Ausbreitung des Reiches Gottes verheißen; und am Pfingstfeste wurde diese Verheißung herrlich erfüllt. Die Apostel gelangten durch den heiligen Geist zur klarsten Einsicht in den Rathschluß Gottes, den er zum Heil des menschlichen Geschlechts durch Christum ausführen wollte; sie bewiesen sich überall unerschrocken, voll hohen Muthes und heiliger Liebe; sie erschraken nicht vor der Macht und den Drohungen ihrer Feinde, vor dem Ansehen und der Gewalt der Menschen, erschraken vor keiner Gefahr und gingen freudig in den Tod. Sie erscheinen als ganz andere Menschen, erwacht zu einem neuen geistigen Leben. Ohne Macht und Ansehen, ohne Wissenschaft und Gelahrtheit, gehaßt und verfolgt von Juden und Heiden, überwanden sie durch den Glauben die Welt, verkündigten sie mit großer Freudigkeit das Evangelium der Gnade, und wiesen alle Angriffe auf das Christenthum siegreich zurück.

Was den Aposteln verheißen und gewährt wurde, wird allen Gläubigen zu Theil, nach Maaßgabe ihres Berufs und ihrer Würdigkeit. Der Heilige Geist wirket immerdar zur Vollendung des Reiches Gottes in der Kirche Christi, fördert die Wahrheit, verbreitet Licht, erfüllet mit Trost, gewährt Frieden und rüstet mit Muth und Kraft gegen die Angriffe der Finsterniß. Darum will ich Gott bitten, daß er mir seinen guten Geist verleihe und mein Herz reinige von der Sünde, damit Gott zu mir kommen und Wohnung bei mir machen könne. Amen.

Am 2. Juni.

Niemand kann Jesum einen Herrn heißen, ohne durch den heiligen Geist.“ 1. Kor. 12, 3. Des Heiligen Geistes und seiner Gaben können wir nicht entbehren, denn aus eigener Vernunft und Kraft vermögen wir nicht an Jesum Christum unsern Herrn zu glauben oder zu ihm zu kommen. Wer Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein. Wir erkennen Christum nicht, wenn sein Geist uns nicht erleuchtet; wir glauben an Christum nicht, wenn sein Geist nicht diesen Glauben in uns weckt; wir lieben Christum nicht, wenn sein Geist nicht das Feuer der Liebe in uns entzündet; wir trösten uns der Erlösung Christi nicht, wenn sein Geist uns nicht seiner Gnade versichert; wir werden Christo nicht ähnlich wenn sein Geist uns nicht in sein Bild verklärt.

Ohne den heiligen Geist haben wir kein Bewußtsein unsrer Gotteskindschaft. Ohne den heiligen Geist fliehen wir Gottes Nähe, wagen nicht ihm in's Angesicht zu schauen, zweifeln an seiner Hülfe, mißtrauen seinen Wegen, glauben nicht an sein Wort, gehorchen nicht seinen Geboten, zittern vor seinem Zorne. Wir stehen Gott gegenüber, wie ein Angeklagter seinem Richter, wie ein Schuldner seinem Gläubiger, wie ein Sclave seinem Herrn. Erst der Heilige Geist lehrt uns von Herzen rufen: „Abba, lieber Vater!“ „Denn derselbige Geist giebt Zeugniß unserem Geiste, daß wir Gottes Kinder sind.“ „Welche der Geist Gottes treibet, die sind Gottes Kinder.“ Wir empfangen durch ihn die selige Gewißheit, daß die Sünde gesühnt und die Schuld bezahlt ist, daß der Zugang zum Gnadenstuhl offen steht, und der Vater die Arme gegen uns ausbreitet.

Von Natur ist unser Herz in Irrthümern besangen, von widerstreitenden Neigungen umhergetrieben, bald trotzig und bald verzagt, heute voll thörichter Furcht und morgen voll eitler Hoffnungen, nach Frieden dürstend und doch sich immer neuen Zwiespalt schaffend, lüstern wider Gottes Gebot und träge zum Gebet, so sicher dahin lebend und doch wieder bebend vor Todesfurcht.

Gottes Geist schärft durch das Licht des göttlichen Wortes unsere Augen, daß wir unseres Herzens Verderben immer gründlicher erkennen und jede Befleckung und Unreinigkeit wahrnehmen, die sich im täglichen Wandel in dieser Welt immer auf's Neue uns anhängt; zeigt uns aber auch in Christo den freien, stets offenen Born wider alle Sünde. Er schreibt uns Gottes Gesetz immer tiefer in Herz und Sinn und giebt uns Kraft zu einem freudigen Wandel in den Wegen unseres Gottes. Er versichert uns stets auf's Neue so kräftig unsrer Kindschaft bei Gott, daß wir, seiner Liebe in Christo gewiß, in aller Anfechtung und Trübsal weit überwinden. Er macht also aller Noth des Menschenherzens ein Ende; er bringt das unruhige Herz zum Frieden, heilt das kranke Herz von allen Wunden, weckt das todte Herz zu, göttlichem Leben.

O Gott, Heiliger Geist, du wollest in uns entzünden das Licht deiner Gnade und das Feuer deiner Liebe, der du lebest und regierest, wahrer Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Am 3. Juni.

Gott giebt den Geist nicht nach dem Maße.“ Joh. 3, 34.

Geist vom Vater und vom Sohn,
Weihe dir mein Herz zum Thron!
Schenke dich mir immerdar,
So wie einst der Jüngerschaar.

Geist der Wahrheit leite mich!
Eig'ne Leitung täuschet sich,
Da sie leicht des Wegs verfehlt
Und den Schein für Wahrheit wählt.

Geist des Lebens, mehr' in mir
Meinen Glauben für und für,
Der mich Christo einverleibt
Und durch Liebe Früchte treibt.

Geist der Andacht, schenke mir
Salbung, Inbrunst, Gluth von dir,
Laß mein Bitten innig, rein
Und vor Gott erhörlich sein.

Geist der Liebe, Kraft und Zucht,
Wenn mich Welt und Fleisch versucht,
O dann unterstütze mich,
Daß ich ringe; rette mich!

Geist der Heiligung, verklär'
Jesum in mir mehr und mehr
Und erquicke innerlich
Durch den Frieden Gottes mich.

Geist der Hoffnung, führe du
Mich dem Himmelserbe zu;
Laß mein Herz sich deiner freu'n
Und in Hoffnung selig sein.

Amen!

Am 4. Juni.

Gott hat euch berufen zu seinem Reich und zu seiner Herrlichkeit.“ 1. Thess. 2, 12. Gott der Herr will unser Herz erneuern durch seinen heiligen Geist. Dieser Geist aus der Höhe beginnt sein Werk an uns damit, daß er uns beruft, daß er gleichsam die einzelne Seele bei Namen nennt. Dieser Ruf, diese Einladung, aus der Welt und ihrem Verderben zur Gemeinschaft Jesu Christi hier und dort zu kommen, dringt ernstlich und kräftig an alle Herzen, denn Gott will, daß allen Menschen geholfen werde, und sie zur Erkenntniß der Wahrheit kommen. Dieser Ruf ist bald wie ein Stern, der mild und allmälig am Himmel aufsteigt, bald wie ein Pfeil, der plötzlich das Herz trifft, bald wie ein erquickender Regen, der das dürre Erdreich aufweicht, bald wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt.

Jede Seele, die den Ruf früher oder später, am Lebensmorgen oder am Ende des Tagewerks hört, wird inne und fühlt, daß der Herr etwas mit ihr will, daß er sie reizt und lockt zur Aenderung seines Lebens nach Gottes Willen und sie zu Jesu Christo hinzieht. Wohl ist's das Wort Gottes nicht allein, wo durch wir zu neuem Leben erweckt werden, denn Alles muß dem Herrn zum Heilsruf dienen: Erziehung und Beruf, Vernunft und Gewissen, Besitz und Verlust, Gesundheit und Krankheit, Freude und Leid, Leben und Tod; aber das allgemeinste und wirksamste Mittel zur Erweckung der Seelen ist die Predigt des Wortes, das lebendig und kräftig und schärfer ist denn kein zweischneidig Schwert, das durchdringet, bis daß es scheidet Seele und Geist und Mark und Bein, und ein Richter ist der Gedanken und Sinne des Herzens. Das Wort hat schon manches harte Herz erweicht, manchen Leichtsinnigen erschüttert, manchen Sicheren zum Nachdenken über das ewige Heil und auf den Weg des Lebens geführt.

Und die Wege, auf denen einer Menschenseele das Evangelium nahe gebracht wird, daß sie sich losreißt von der Welt und ihren Banden, wie gar so verschieden sind sie! Ein Paulus muß erst durch die Stimme und den Lichtglanz von oben zu Boden geworfen werden, ehe er fragt: Herr, was willst du, daß ich thun soll? Ein Schächer muß erst die Kreuzesmartern fühlen, ehe er bittet: Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Ein Kerkermeister zu Philippi muß erst die Schreckensnacht des Erdbebens erleben, ehe er den Aposteln zu Füßen fallt mit der Frage: Liebe Herren, was soll ich thun, daß ich selig werde? Einem Matthäus dagegen genügt des Herrn leise Einladung, um ihm entgegenzueilen, und das edle Brüderpaar von Bethsaida verläßt auf den ersten Ruf des Gottessohnes Alles, um ihm nachzufolgen.

Gott rufet noch; sollt' ich nicht endlich hören?
Wie lass' ich mich bezaubern und bethören!
Die kurze Freud', die kurze Zeit vergeht,
Und meine Seel' noch so gefährlich steht!

Gieb dich, mein Herz, gieb endlich dich gefangen!
Wo willst du Trost, wo willst du Ruh erlangen?
Laß ab, laß ab! Brich alle Band' entzwei:
Dein Geist wird sonst in Ewigkeit nicht frei.

Amen!

Am 5. Juni.

Ihr waret weiland Finsterniß, nun aber seid ihr ein Licht in dem Herrn.“ Eph. 5, 8. In den Seelen, die den Ruf und Zug des Heiligen Geistes nicht versäumen, noch verachten, sondern stille halten und ihm ihr Herz ausschließen, an denen erweiset sich der Gottesgeist dadurch, daß er sie erleuchtet mit den hellen Lichtern des Gesetzes und des Evangeliums. Wachgerufen aus ihrem Schlafe, beginnen sie, sich auf sich selber zu besinnen und über ihren wahren Seelenzustand in's Klare zu kommen. Sie erkennen nicht nur ihr Verderben und ihre einzelnen Sünden, sondern achten sich auch aller Wohlthaten Gottes unwürdig und aller seiner Strafen werth. Mit David bekennen sie: Ich habe gesündigt wider den Herrn. Mit Petrus gehen sie hinaus und weinen bitterlich. Mit dem verlornen Sohn sprechen sie: Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen.

Und solche Erkenntniß wächst täglich in ihnen, je mehr das Licht des Heiligen Geistes inwendig zunimmt. Allmählig geht es aus dem Dunkel in das Licht; nicht nur die groben und großen Sünden, sondern auch die kleinsten Stäublein sündiger Gedanken und Begierden sieht das erleuchtete Auge. In rechter Reue schauen sie zurück auf die vergangenen Tage und trauern nicht sowohl über die Strafen ihrer Sünde, als vielmehr darüber, daß sie durch dieselbe ihres Gottes und Heilandes heilige Liebe beleidigt und betrübt haben. Auf dieser Stufe der Selbsterkenntniß aber läßt sie der Geist Gottes nicht stehen: Er führt sie hin zu Jesu Christo und dem von ihm erworbenen Heil. Sie versuchen nicht, mit eigenen Werken sich zu schmücken, sie quälen sich nicht mit bangen Zweifeln, als ob ihre Sünde zu groß und zu schwer sei und sie zu lange der göttlichen Gnade widerstrebt haben.

Sie wissen's und glauben's, daß Jesus Christus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen. Und in solchem Glauben an den Herrn, der in den Tagen seines Erdenwandels allen sündenmüden und heilsbegierigen Seelen durch Wort und That seine erbarmende Heilandsliebe geoffenbart hat, erlangen sie, ohne ihr Verdienst und Werk, die Rechtfertigung vor Gott, d. i. Gott spricht sie los von aller Schuld und Strafe der Sünde und rechnet ihnen Christi Gerechtigkeit zu, so daß sie getrost ausrufen können:

Christi Blut und Gerechtigkeit,
Das ist mein Schmuck und Ehrenkleid,
Damit will ich vor Gott besteh'n,
Wenn ich zum Himmel werd' eingeh'n.

Seliger Frieden mit Gott zieht in ihr Herz ein, denn „selig ist der Mann, welchem Gott keine Sünde zurechnet;“ (Röm. 4, 7.) freudig beten sie, „denn der Geist selbst vertritt sie mit unaussprechlichem Seufzen;“ (Röm. 8, 26.) fröhlich hoffen sie, „denn sie sind Gottes Erben und Miterben Christi;“ (Röm. 8, 17.) kindlich ergeben tragen sie Kreuz und Leiden, „denn Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.“ (Röm. 8, 28.) - Und das Alles aus Gnaden!

Aus Gnaden! Hier gilt kein Verdienen,
Die eignen Werke fallen hin.
Der Mittler, der im Fleisch erschienen,
Hat diese Ehre zum Gewinn,
Daß uns sein Tod das Heil gebracht
Und uns aus Gnaden selig macht.

Amen!

Am 6. Juni.

Jaget nach dem Frieden gegen Jedermann, und der Heiligung, ohne welche wir Niemand den Herrn sehen.“ Hebr. 12, 14. Die tröstliche Gewißheit, daß wir vor Gott aus Gnaden durch den Glauben gerecht worden sind, ruhet nicht im Herzen als ein kalter, müßiger Gedanke, der uns gleichgültig gegen die Sünde und träge zum Guten macht, sondern sie ist eine Kraft zur Heiligung: d. i. zur täglichen Erneuerung unsers ganzen Lebens nach dem Wohlgefallen Gottes.

In neuem, freudigem Gehorsam trachten wir, von alle demjenigen, was wider Gottes Gebot läuft, uns abzusondern und hingegen zu thun, was unserm Gott und Heiland angenehm ist. Wir verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste und leben züchtig, gerecht und gottselig in dieser Welt. Das Herz wird immer mehr von den Schlacken der Sünde gereinigt, der Glaube gestärkt und befestigt. Statt uns träumerisch in gute Vorsätze zu versenken, legen wir ernstlich Hand an, unser Herz auszubauen zu einem Tempel Gottes, unsere tief eingewurzelten Schooß- und Lieblingssünden abzulegen und die heimlichen Götzenaltäre umzustürzen - eine Arbeit, die freilich nur unter heißen Kämpfen, mit Wachen und Beten von Statten gehen kann. Je aufrichtiger wir aber dies Werk der Heiligung treiben, je treuer wir in wahrer Liebe zu dem Herrn seine Gebote halten, desto mehr giebt er sich uns als den Hochgelobten zu erkennen desto herrlicher sehen wir die Wahrheit des Evangeliums. Und gleichwie ein veredelter Baum, den die Sonne bescheint, Knospen, Blüthen und gute Früchte bringen muß: also bringen wir, von der Liebe Christi gedrungen, die Frucht des Geistes: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmuth, Keuschheit. „O es ist,“ sagt Luther, „ein lebendig, geschäftig, kräftig, mächtig Ding um den Glauben, daß er nicht ohne Unterlaß sollte Gutes wirken. Er fraget auch nicht, ob gute Werke zu thun sind, sondern ehe man fragt, hat er sie gethan und ist immer ein Thun. Wer aber nicht solche Werke thut, der ist ein glaubloser Mensch, tappet und stehet um sich nach dem Glauben und guten Werken, und weiß weder was Glaube oder gute Werke seien, wäschet und schwatzet doch viele Worte vom Glauben und guten Werken. Glaube ist eine lebendige, erwogene Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiß, daß er tausendmal darüber stürbe. Und solche Zuversicht und Erkenntniß göttlicher Gnade machet fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und alle Creaturen, welches der Heilige Geist thut im Glauben. Daher der Mensch ohne Zwang willig und lustig wird, Jedermann Gutes zu thun, Jedermann zu dienen, Allerlei zu leiden, Gott zu Lieb und Lob, der ihm solche Gnade erzeiget hat.“

Dieses Leben in neuem Gehorsam aber ist nicht eine Frömmigkeit, sondern ein Frommwerden; nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden; nicht ein Wesen, sondern ein Werden; nicht eine Ruhe, sondern eine Uebung. Wir sind es noch nicht, wir werden es aber; es ist noch nicht gethan und geschehen, es ist aber im Gange und Schwange; es ist nicht das Ende, es ist aber der Weg. Stehe mir bei, o Herr, daß ich auf diesem Wege bleibe und des Wege Ende, die Seligkeit, erreiche. Amen!

Am 7. Juni.

Er wird euch fest behalten bis an's Ende, daß ihr unsträflich seid auf den Tag unsers Herrn Jesu Christi.“ 1. Kor. 1, 8. Bei dem Werke der Heiligung ist ein Stillstehen nicht zu denken. Wer einen Berg hinansteigt, der mit lockerem Gestein bedeckt ist, das unter den Fußtritten weicht, der kann nicht auf einer Stelle verweilen, entweder muß er aufwärts steigen, oder mit dem rollenden Gestein zurückgleiten.

Wer nachläßt in der Heiligung, sinkt in die Tiefe der Sünde zurück. Das herrliche Ziel der Heiligung, dem wir nachjagen, die Höhe eines sündenfreien Lebens können wir während unsrer Pilgerzeit nicht völlig erreichen, weil wir in dieser Welt noch täglich von innen und außen zur Sünde versucht und gar leicht in Sicherheit und Lauheit, in Stolz und Weltliebe fallen. Ach, die Heilige Schrift stellt uns mehr denn eine warnende Gestalt vor's Auge, die schon eine gute Strecke des Weges zum Leben zurückgelegt hatte und doch in Nacht und Grauen endete. So jener fromme, ritterliche Held, Saul, der unterging in nächtlichen Tiefen der Verzweiflung; so jener erwählte Jünger des Herrn, Judas, der seine Laufbahn schloß mit einem Ende voll Schrecken; so jener treue Gehülfe des Apostels, Demas, der die Welt liebgewann und in ihre Arme zurückkehrte.

Werden ist gut, bleiben ist besser. Und wen Gott nicht hält, der wankt und fällt. Wir bedürfen der fortwährenden Unterstützung und des steten Beistandes von oben zum Wachsthum unseres Glaubens und zur Heiligung unseres Lebens. Aber der in uns angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollführen bis an den Tag Jesu Christi. Er behält uns fest bist an's Ende, wenn wir uns behalten lassen. Und endlich erreichen wir das Ziel unseres Laufes und schauen, was wir geglaubt. Endlich blüht die Aloe, Endlich trägt der Palmbaum Früchte, Endlich schwindet alles Weh, Endlich wird der Schmerz zunichte, Endlich geht's in's Freudenthal, Endlich, endlich kommt einmal.

O Heiliger Geist, sei du mein Lehrer in Gottes Wort, mein Führer in der Versuchung, mein Tröster in allen Nöthen. Du er leuchtest die Irrenden, heilest die Verwundeten, tröstest die Traurigen, stärkest die Schwachen, stützest die Strauchelnden, erquickest die Müden, labest die Sterbenden. Gieb mir deine Kraft, daß ich Glauben halte und die Welt überwinde. Hilf mir aus zum ewigen Leben und zu unvergänglicher Herrlichkeit. Amen.

Am 8. Juni.

Einst stellte sich der Herr, als wollte er weiter gehen, um den Jüngern die Bitte zu entlocken: Bleibe bei uns, denn es will Abend werden! In ganz ähnlicher Weise verfährt er noch jetzt mit der frommen Seele. Er geht vorüber, um gehalten, er entfernt sich, um zurückgerufen zu werden. Denn das ewige Wort ist kein unwiederbringliches; es geht und kommt wieder nach Wohlgefallen; es scheidet nach seiner Weisheit, es kehrt zurück nach seiner Liebe. Seine Einkehr ist geheimnißvoll und wunderbar. Man fühlt, daß es da ist, man erinnert sich, daß es dagewesen, man kann seine Ankunft zuweilen vorausempfinden, aber den Punkt, wann es ein- oder austritt, niemals bestimmen.

Wer mag auch sagen, wie es in die Seele kommt! Ich fragte die Sinne, aber sie wußten nichts von dem, das nicht in die Sinne fällt; ich fragte mein Inneres, aber es antwortete: Wie kann das Gute aus mir entspringen, da in mir nichts Gutes wohnet? Ich stieg, so hoch ich konnte, aber das Wort blieb höher, als ich; ich senkte mich, so tief ich es vermochte, aber das Wort blieb allezeit unter mir.

Da habe ich die Wahrheit des Ausspruchs erkannt: In ihm leben, weben und sind wir! Sind aber seine Wege so unerforschlich, mag Jemand einwenden, woher weißt du, daß es da ist? An seinen Werken, spreche ich. Denn lebendig und wirksam ist es; es bewegt und erweckt die schlummernde Seele, es verwundet und erweicht das harte Herz. Das Alte wird ausgerottet und niedergerissen, Neues gepflanzt und aufgebaut. Ueber das Dürre strömen Wasserquellen, in die Finsterniß scheint Licht hinein, das Verschlossene öffnet, das Kalte erwärmt sich. Das Krumme wird gerad, das Rauhe eben gemacht; fleischliche Lüste gehen, gute Empfindungen kommen. Da lobt die Seele den Herrn und Alles, was in ihr ist seinen heiligen Namen. Amen!

Am 9. Juni.

Gott, der Herr, der Mächtige, redet und rufet der Welt vom Aufgange der Sonne bis zum Niedergange.“ Ps. 50, 1. „ Dienet dem Herrn mit Freuden, kommt vor sein Angesicht mit Frohlocken!“ Ps. 100, 2.

Gott ist der Herr, sonst Keiner mehr,
Und Sonne, Mond und Erde
Und aller Sterne zahllos Heer
Erschuf sein mächt'ges „Werde!“
Ein Wort von ihm, und es zerfällt
In Asch' und Staub die ganze Welt:
Dient unserm Gott mit Zittern.

Sein Auge schaut, was Keiner sieht.
Sein Ohr ist aller Orten,
Und was geschah und was geschieht,
Ist kund ihm, eh's geworden.
Er nimmt das Wort von jedem Mund
Und schaut in aller Seelen Grund:
Dient unserm Gott in Wahrheit.

Er lässet seines Segens Ruf
Durch alle Welt erschallen,
Und tränkt und speist, was er erschuf,
Nach seinem Wohlgefallen;
Er sorget als ein lieber Wirth,
Daß Allen voll Genüge wird:
Dient unserm Gott mit Danken!

Er ist ein dreimal heil'ger Gott
Und muß die Sünde hassen
Und weiß in ihrem frechen Spott
Die Spötter zu erfassen;
Und wer nicht ehret sein Gebot,
Den wirft er in den ew'gen Tod:
Dient unserm Gott mit Buße!

Doch wenn die Sünde mächtig ist,
Ist mächt'ger noch die Gnade,
Er hat gesandt uns Jesu Christ,
Damit er uns entlade
Von unsrer schweren Sündenschuld,
Und hat mit Reuigen Geduld:
Dient unserm Gott mit Freuden.

Er ließ für uns den eignen Sohn
Den Himmelsweg bereiten,
Und ließ ihn für uns Schmach und Hohn
Und Qual und Tod erleiden,
Und hat uns seiner Liebe Macht
Gar wunderbarlich kund gemacht:
Dient unserm Gott mit Liebe.

Herr, unser Gott, wir dienen dir
In Christo, deinem Sohne;
Verleih' uns, daß er für und für
In unsrer Seele wohne;
Dann dienen wir dir hocherfreut
Von nun an bis in Ewigkeit
Als deine lieben Kinder.

Amen!

Am 10. Juni.

Wir haben ein festes prophetisches Wort, und ihr thut wohl, daß ihr darauf achtet, als auf ein Licht, das da scheinet in einem dunkeln Orte, bis der Tag anbreche, und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.“ 2. Petr. 1,19. Gottes Wort ist ein rechter Wunderspiegel, in welchem wir Gott, die Welt und uns selbst im vollkommensten Lichte erkennen. Ein Spiegel zuerst des göttlichen Wesens. Die Werke der Schöpfung sind auch wohl ein Spiegel der göttlichen Herrlichkeit; aber gegen das Wort gehalten, sind sie wie ein trübes Glas, in welchem nur die Umrisse der Gestalt dunkel gesehen werden, gegen einen hellen Spiegel, welcher die ganze Gestalt in allen ihren Zügen und Theilen auf's Genaueste wiedergiebt. Die Heiden, welche Gott nur gesehen in den Werken, haben ihn nicht erkannt, noch ihn gepriesen, sondern sind in ihrem Dichten eitel geworden; uns aber ist alle seine Herrlichkeit offenbar worden in seinem Worte.

Das Wort ist ein Spiegel Jesu Christi, denn hier spiegelt sich vor uns Allen seine Klarheit mit aufgedecktem Angesicht, also daß wir selbst verklärt werden in dasselbige Bild von einer Klarheit zur andern. Das Wort weiter ein Spiegel der Welt, wie sie war, als sie aus der Hand Gottes war hervorgegangen, und wie sie nun ist, nachdem sie durch die Sünde verderbet; ein Spiegel, worin wir uns selbst können sehen, was wir geworden sind durch die Sünde, und was wir wieder werden sollen durch die Gnade.

Das Wort Gottes endlich ist auch ein Spiegel der zukünftigen Welt; denn wie Nacht und Tag, Licht und Schatten sich spiegeln im hellen Strom, also auch Himmel und Hölle in diesem Worte. Gott hält den Wunderspiegel uns vor, daß wir sollen fleißig und mit Bedacht hineinschauen, damit wir recht uns selbst erkennen und unsere Sünde, darnach auch die Gnade Gottes und unsers Herrn Jesu Christi, auf daß wir solcher Gnade im rechten Glauben gebrauchen zur Besserung unsers Lebens und zu unserer Seelen Seligkeit. Amen.

Am 11. Juni.

Kein lieblicherer Anblick in der Welt, als zwei Freunde; sie sind wie zwei Rosen, die mit einander blühen an einem Stiel, wie zwei Thautropfen, die in einander leuchten auf einem Blatt. Kein besserer Segen in dieser Welt, als herzliche Freundschaft, die uns jede Freude verdoppelt und jedes Leid halbirt, an der sich erfüllt, was Sirach (6, 14-17) sagt: „ Ein treuer Freund ist ein starker Schutz; wer den hat, der hat einen großen Schatz. Ein treuer Freund ist mit keinem Gelde noch Gute zu bezahlen. Ein treuer Freund ist ein Trost des Lebens; wer Gott fürchtet, der krieget solchen Freund. Denn wer Gott fürchtet, dem wird es gelingen mit Freunden; und wie er ist, also wird sein Freund auch sein.“ Rechte, ächte Freundschaft ist ein Bund der Herzen mit einander, ein Bund vor Gottes Angesicht geschlossen, ein Bund nicht kalter, kluger Berechnung, sondern geheimnißvoller Seelenverwandtschaft, so daß nicht selten der Eindruck eines Augenblicks hinreicht, um zwei Menschen für's ganze Leben und über das Grab hinaus zusammenzuschließen.

Der Freund liebt den Freund wie sich selbst. Jeder ergänzt den Andern, Jeder dient dem Andern mit der Gabe, die er empfangen hat; sie arbeiten und beten mit und für einander; sie reizen einander in der Liebe zu guten Werken; sie erziehen sich gegenseitig für den Himmel, und Einer sucht dem Andern Alles zu sein, um ihn selig zu wissen. Sie sind Ein Herz und Eine Seele, wie David und Jonathan, wie Maria und Elisabeth. Es gilt zwischen ihnen das schöne Wort: Wo du hingehest, da will ich auch hingehen; wo du bleibest, da bleibe ich auch; dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott; wo du stirbst, da sterbe ich auch; da will ich auch begraben werden. Der Herr thue mir dies und das, der Tod muß mich und dich scheiden.“ (Ruth 1, 16 u. 17.) Solche hingebende, selbstverleugnende, aufopfernde Freundschaft aber, da nicht der Eigennutz und die Selbstsucht, sondern der Glaube an die Liebe Gottes in Christo die Herzen zusammengeschlossen hat, ist ein seltenes Gut auf Erden; denn Die Welt verkaufet ihre Liebe Dem, der am meisten nützen kann. Und scheinet dann das Glücke trübe, so steht die Freundschaft hinten an. Ein seltenes Kleinod auch unter Christen, die doch in ihrem gekreuzigten Heilande das herrlichste Vorbild der allerreinsten Liebe haben. O wie ist in dieser Zeit des Unglaubens und der Genußsucht die Liebe in so vielen Herzen erkaltet! Welch ein kalter Hauch geht selbst durch die engsten Kreise der Verwandtschaft, und das Band herzlicher Liebe, das alle Genossen im christlichen Hause umschließen sollte, ist vielfach gelöst und gelockert.

Und ist denn mein eigenes Herz völlig frei von Neid, wenn der Freund, den Gott mir zugeführt, mich an Ehre und Ansehn, an Gaben und Tugenden übertrifft? Liebe ich ihn auch in der That und Wahrheit und nicht blos mit der Zunge? O Herr, ich bitte dich um die Liebe, womit du uns geliebet hast, um die Treue und Selbstverleugnung, in der du dein Leben für uns gelassen hast. Niemand hat größere Liebe, denn die, daß er sein Leben lässet für seine Freunde. Amen!

Am 12. Juni.

Ihr seid meine Freunde, so ihr thut, was ich euch gebiete.“ Joh. 15, 14. Es ist etwas Liebliches und Schönes um die Freundschaft, sie ist die Blüthe des Lebens, der lindernde Balsam in den trüben Tagen der Trauer und ein fröhliches Saitenspiel in den hellen Tagen des Glückes. Ein Mensch, der einen wahren Freund hat, ist niemals zu beklagen, und wenn's ihm noch so traurig ergeht; ein Mensch, der keinen Freund hat, ist arm, wenn er auch über die Schätze eines Krösus zu gebieten hätte.

Darum wird auch die Freundschaft hoch gerühmt von Heiden und Christen und ist zu allen Zeiten von den Dichtern laut besungen worden. Aber wovon reden doch die Lieder der begeisterten Sänger, wenn sie von der Freundschaft singen und sagen? Von einem flüchtigen Schatten. Hier drängen sich Mißverständnisse zwischen zwei Herzen, dort wird ein Freund des andern unwerth, dort werfen Lebensereignisse und Verhältnisse Scheidewände auf, die die Freundschaft nicht zu übersteigen vermag, dort wird gar ein Freund durch den Tod von des andern Seite gerissen.

Da sehnt sich denn das Menschenherz nach einem dauernden, festen Freundschaftsbunde, den weder Tod noch Leben zu trennen vermag, und siehe, der Herzenskündiger kommt diesem Sehnen entgegen und bietet uns eine unverlierbare Freundschaft an - sein Herz und seine Liebe, wenn er spricht: Ihr seid meine Freunde! Aber sind wir's denn? Wenn sonst Freunde sich finden, so hat das seinen Grund, sei es im gleichen Lebensalter, Streben oder Gesinnung, sei es im gleichen Berufe und Lebensgange.

So ist es aber nicht zwischen Christo und uns; wir sind vielmehr nach unserem natürlichen Menschen von ihm geschieden, weil wir entfremdet sind von dem Leben, das aus Gott ist. Es wäre ein Freundschaftsbund nicht möglich, auch würden wir selbst dazu weder Neigung noch Verlangen haben, wenn er es selbst nicht in die Hand nähme. Seine zuvorkommende Liebe befreundet uns, die wir sonst Feinde blieben. (Röm. 5, 8. 10.) „Ihr habt mich nicht erwählet, sondern ich habe euch erwählet,“ spricht der Herr. Er ist in Knechtsgestalt gekommen, hat uns sein heiliges Vorbild gezeigt, sein Evangelium verkündet, sein Leben für uns gelassen und uns theuer erkauft. Wir sollen Alles durch ihn haben, was uns noth ist für, Leib und Seele, in Zeit und Ewigkeit. Doch darf uns Jesu Freundschaft nicht zweifelhaft sein oder wenig gelten. Wir müssen seine Freunde bleiben und seinen Fußtapfen nachfolgen. Das ist unsere heilige Freundschaftspflicht.

Der beste Freund ist in dem Himmel,
Auf Erden sind nicht Freunde viel;
Denn bei dem falschen Weltgetümmel
Steht Redlichkeit oft auf dem Spiel.
Drum hab' ich's immer so gemeint:
Mein Jesu ist der beste Freund.

Amen!

Am 13. Juni.

Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ Offb. 2, 10.

Sei getreu bis an das Ende,
Daß nicht Marter, Angst und Noth
Dich von deinem Jesu wende;
Sei ihm treu bis in den Tod!
Ach, das Leiden dieser Zeit
Ist nicht werth der Herrlichkeit,
Die dein Jesus dir will geben
Dort in seinem Freudenleben.

Sei getreu in deinem Leiden
Und laß dich kein Ungemach,
Keine Noth von Jesu scheiden;
Murre nicht in Weh und Ach!
Denn du machest deine Schuld
Größer nur durch Ungeduld.
Selig ist, wer willig traget,
Was sein Gott ihm auferleget!

Sei getreu in deinem Glauben!
Laß dir dessen festen Grund
Ja nicht aus dem Herzen rauben;
Halte treulich deinen Bund,
Den dein Gott durch's Wasserbad
Fest mit dir geschlossen hat.
Ach, du gingest ja verloren,
Wenn du treulos ihm geschworen!

Sei getreu in deiner Liebe
Gegen Gott, der dich geliebt!
Auch die Lieb' am Nächsten übe,
Wenn er dich gleich oft betrübt;
Denke, was dein Heiland that,
Als er für die Feinde bat!
Du mußt, soll dir Gott vergeben,
Auch verzeihn und liebreich leben.

Bleibe treu in deinem Hoffen,
Traue fest auf Gottes Wort;
Hat dich Kreuz und Noth betroffen,
Und Gott hilft nicht allsofort,
Hoff auch ihn doch festiglich!
Sein Herz bricht ihm gegen dich,
Seine Hülf' ist schon vorhanden;
Hoffnung machet nie zu Schanden.

Nun wohlan, so bleib im Leiden,
Glauben, Liebe, Hoffnung fest!
„Ich will treu sein bis zum Scheiden,
Weil mein Gott mich nicht verläßt.
Herr, den meine Seele liebt,
Dem sie sich im Kreuz ergiebt,
Sieh, ich fasse deine Hände:
Hilf mir treu sein bis ans Ende!“

Amen!

Am 14. Juni.

Bekenne das Recht frei, wenn man den Leuten helfen soll, denn durch ein freies Bekenntniß wird die Wahrheit und das Recht offenbar. Rede nicht wider die Wahrheit, sondern vertheidige sie bis in den Tod.“ Sir. 4, 27-29 und 33. Es giebt Fälle, wo wir verpflichtet sind, den Menschen auch bittere Wahrheiten ernstlich und nachdrücklich zu sagen. Christus und nach ihm alle Zeugen der Wahrheit haben ohne Menschenfurcht Gebrechen aufgedeckt, Vorurtheile niedergekämpft, Laster angegriffen und die krummen Wege der Sünde nachgewiesen. Das that der Herr selbst an seinen Jüngern, die Apostel an ihren Gemeinden, Luther an seinen nächsten Freunden. Wie ernst und freimüthig redete Nathan zu David, Johannes zu Herodes, und wie furchtlos straften die Propheten die Sünden der Könige, der Priester und des Volkes.

Vor Allem aber verlangt der christliche Heldenmuth ein solch furchtloses Zeugniß der Wahrheit. Oder kann, darf ich schweigen, wenn ich Diejenigen, die mir werth und theuer, die durch Bande des Bluts und der Liebe mit mir verbunden sind, in Unglauben, in Schande und Laster versinken sehe? Soll ich sie nicht ernstlich warnen, wenn sie sich zu Denen halten, die den Herrn nicht fürchten und seine Befehle nicht halten? Soll ich sie nicht hinweisen auf die verderblichen Folgen ihrer Verirrungen, wenn sie sich von thörichtem Ehrgeize zu einem übertriebenen Aufwande verleiten lassen, sich in weltliche Händel verwickeln und die Grundfesten ihrer häuslichen Wohlfahrt erschüttern? Soll ich's ruhig mit ansehen, wenn ein Treuloser ihren ehelichen Frieden, die Eintracht in Familien, das glückliche Verhältniß der Verwandten bedroht? Ach, die unzeitige Nachsicht, die Scheu vor Unannehmlichkeiten, das feige Zurückhalten der Wahrheit, das Uebertünchen von offenkundigen Gebrechen und Uebeln hat schon unsägliches Elend über einzelne Menschen, über ganze Familien, über Städte, Fürsten und Völker gebracht. Es ist besser, daß sich der umwölkte Himmel unserer Freundschaft in einem vorübergehenden Sturme aufkläre, als daß er immer trüber und drückender werde und sich zuletzt in dichte Finsterniß verwandle. Darum leget die Lügen ab und redet die Wahrheit, ein Jeglicher mit seinem Nächsten, sintemal wir unter einander Glieder sind. Eph. 4, 25. Aber wer Andern die Wahrheit sagen will, muß nicht über sich selbst verblendet sein, muß aufrichtig mit sich selbst zu Werke gehen, seine Fehler und Gebrechen sich eingestehen und sich nicht selbst im Herzen belügen; muß Nicht den Splitter aus seines Bruders Auge ziehen wollen, er habe denn zuvor den Balken aus seinem eigenen Ange gezogen. Davor behüte mich, du heiliger, allwissender Gott, der du alle meine Gedanken von ferne kennst, der du Aufrichtigkeit lieb hast, die Wahrheit beschützest und deiner heiligen Sache den Sieg verleihest. Amen.

Am 15. Juni.

Wachet, stehet fest im Glauben, seid männlich und seid stark.“ 1 Cor. 16, 13. Sehr viel Treffliches, Löbliches und Großes kommt darum nicht zu Stande, weil ,wir nicht mit ganzem Vertrauen und gläubigem Herzen an's Werk gehen. Wir finden Schwierigkeiten und Hindernisse, erfahren Widerspruch und Widerstand, sehen unsere Ruhe, unsern Wohlstand, unsere Ehre bedroht; da verlieren wir die Zuversicht zu dem glücklichen Gelingen der Unternehmung, bandeln mit getheilter Kraft, klagen über den bösen Geist der Zeit und über die Schwachheit und Bosheit der Menschen; so schwindet uns Zeit, Luft und Kraft, wir bleiben auf halbem Wege stehen, und das Gute, das wir gewollt, wird nicht ausgeführt. Wie anders die heldenmüthigen Seelen, die durchdrungen von der Wahrheit, erfüllt mit Eifer für Recht und Gerechtigkeit, und begeistert für die Heiligkeit der Sache auf den Kampfplatz des Lebens treten. Mit dem Glauben, es müsse die Wahrheit siegen und die gerechte Sache triumphiren, treten sie in den Kampf mit der feindseligen Welt, bleiben bei allen Anfechtungen muthig und unverzagt, verlachen sie die Drohungen der Bosheit und die Schrecknisse der Macht. Mit der Gefahr steigt ihr Muth; mit dem Widerstande wachsen die Kräfte. Ihr Beispiel erweckt die Schlafenden, ermuthigt die Zagenden und befestigt die Zweifelnden. So gelingt das Unglaubliche, und das für unmöglich Gehaltene tritt ins Leben. Hätten ohne jene Zuversicht die Apostel die Welt überwinden, die Götzenaltäre stürzen und über denselben das Kreuz erheben können? Hätte ohne ein solches Vertrauen zu Gott und seine heilige Sache der schlichte Mönch aus seiner einsamen Zelle hervortreten und den Kampf mit der ungeheuern Macht des Papstes beginnen und den herrlichen Sieg erringen können, den je die Welt gesehen hat? Paulus ruft uns darum zu: „Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke! Ergreifet den Harnisch Gottes, nehmet den Schild des Glaubens und das Schwert des Geistes, auf daß ihr an dem bösen Tage Widerstand thun, Alles wohl ausrichten und das Feld behalten möget.“ Eph. 6, 10 s. Ach, daß ich von solchem Muth beseelt sein möchte, wenn ich etwas Löbliches unternehmen und ein gutes Werk beginnen will! Ohne Mühe, Gefahr und Anstrengung kann das Gute in dieser unvollkommenen Welt nicht durchgeführt werden. Gieb, o Gott, daß ich in deinem Dienste nie verzage, sondern wohlgemuth, getrost und tapfer bleibe.

Und wenn in meinem Amt
Ich reden soll und muß,
So gieb den Worten Kraft
Und Nachdruck ohn' Verdruß.

Amen!

Am 16. Juni.

Es ist ein großer Gewinn, wer gottselig ist, und lasset ihm genügen.“ 1 Tim. 6, 6. Viele Menschen hören nicht auf zu klagen. Man sieht sie nie zufrieden, hört nie ein heiteres Wort, nie einen Dank zu Gott für das Glück des Lebens. Wie viel Gutes ihnen auch gegeben wird, sie haben immer noch viel zu begehren; wie hoch sie auch gestellt, wie reich sie auch begabt sind, sie sehen immer mit neidischem Auge auf die größeren Güter des Nachbars; wie glücklich ihre Lage auch ist, sie geben sich alle ersinnliche Mühe, die Schattenseiten derselben aufzufinden und hervorzuheben. Sie sind gesund und wohl, aber über die geringste Unbequemlichkeit, über den kleinsten- Schmerz erheben sie große Klagen. Sie haben was sie bedürfen, ein gutes Auskommen und können sorgenfrei leben, aber man hört sie betheuern, daß sie bei aller Einschränkung nicht auskommen können, daß ihr Wohlstand täglich sinke und daß sie mit banger Besorgniß in die Zukunft sehen. Der Herr hat ihnen ein liebes Weib, hoffnungsvolle Kinder, eine gesegnete Nahrung gegeben, dennoch murren sie über die Fügungen Gottes, meinen nach ihren Verdiensten immer noch nicht hoch genug gestellt zu sein und auf eine höhere Stellung gerechte Ansprüche zu haben.

So gehen diese armen Seelen mißmuthig, unzufrieden und mit verdüstertem Sinn durch das Leben, ohne die Anmuth desselben geschmeckt zu haben und zum frohen Genuß ihres Daseins gekommen zu sein. Aber welcher Undank gegen Gott, der sie so reich begabt, so hoch gestellt, für sie so väterlich gesorgt hat! Für seine Freundlichkeit haben sie kein Auge, für seine Liebe kein Herz. Sie verlieren allgemach den frohen Muth und den heitern Sinn, der uns unsere Arbeiten und Geschäfte so leicht macht. Dabei verbittern sie auch Andern das Leben und werden ihnen zur Last. Niemand hört gern Klagen oder sucht den Umgang verdrießlicher Leute. Wer deshalb Nagt und immer klagt, findet weder Gehör, noch Theilnahme, und selbst, wenn er einmal Ursache hätte zu gerechten Klagen, keine Geneigtheit zur Hülfe. Darum will ich über mich wachen, daß ich durch eine trübe Ansicht des Lebens oder meines Schicksals mir nicht die Tage der kurzen Wallfahrt verbittere, die Herzen der Nächsten mir nicht abwendig mache und nicht undankbar werde gegen den Herrn meinen Gott. Ich will das Leid geduldig tragen, es nur dem liebsten Freunde klagen, und meinen Brüdern, die vielleicht genug zu tragen haben an der eigenen Bürde, nicht lästig fallen mit unnützen Klagen. Dazu gieb mir, o Herr, deines Heiligen Geistes Beistand. Amen!

Am 17. Juni.

Gott hat die Menschen aufrichtig gemacht, aber sie suchen viel Künste.“ Pred. 7, 29. Es soll zwischen Wort und Thal, zwischen Gesinnung und Handlung allezeit die treueste Uebereinstimmung herrschen; wir sollen die erkannte Wahrheit nie verleugnen, sondern sie freimüthig bekennen vor aller Welt; unsere Rede soll ja! ja! - nein! nein! sein, offen und ohne Falsch wie unser Herz. Nur wer aus der Wahrheit ist, höret Jesu Stimme. Aber wie viel Lug und Trug, wie viel Heuchelei und Verstellung, wie viel Täuschung und Arglist in der Welt! Wie suchen die Menschen, um zeitlichen Vortheils willen einander zu berücken und zu hintergehen, zu betrügen und zu überlisten! Sie äußern wohlwollende Gesinnungen und haben Arges im Herzen; sie stellen sich fromm und rechtschaffen vor den Augen der Welt und dienen insgeheim der Sünde; sie loben das Verwerfliche und preisen das Tadelnswerthe, beschönigen die Ungerechtigkeit und machen aus Sauer süß, und das Alles wider ihr besseres Wissen und Gewissen, nur um in Gunst zu stehen bei den Leuten.

Wer mag die tausendfältigen krummen Wege in Handel und Wandel kennen und nennen! Aber der Herr bringt die Lügner um; er hat Gräuel an den Blutgierigen und Falschen; er rottet die Heuchler aus und die Zunge, die da falsch redet. Darum soll mein Mund die Wahrheit reden und meine Lippen sollen hassen, was gottlos ist. Alle Rede meines Mundes soll gerecht, und nicht Verkehrtes in mir sein. Ich will in Rechtschaffenheit wandeln als ein Kind des Lichts vor dem Herrn, meinem Gott, und alle argen Künste des Truges und der Verstellung lassen und hassen. So erhalte mich denn, du heiliger Gott, der du das Herz ansiehest, immerdar in Lauterkeit und Wahrheit, denn „selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ Amen.

Am 18. Juni.

Herr, mein Gott, der du lebest von Ewigkeit zu Ewigkeit, dessen Gnade keine Grenze, dessen Treue kein Ende hat; ich komme wiederum mit meinem Danke zu dir und erhebe mein Herz zu dem Throne deiner Herrlichkeit. Du hast mich auch in dieser Nacht unter deinem Schutze sanft und sicher ruhen lassen und hast mich erwecket zu einem neuen Leben in Gesundheit und Freude. Ich erblicke nach der Finsterniß der Nacht wiederum das Licht des Tages; ach, verleihe mir auch Gnade, daß ich diesen ganzen Tag in deinem Lichte wandle und alle Werke der Finsterniß fliehe. Laß mich verläugnen alles ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste, und züchtig, gerecht und gottselig leben dir zum Wohlgefallen und mir zum Segen.

Laß mich, anziehen herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Sanftmuth, Demuth und Geduld, hingegen ablegen und ausziehen den alten Menschen mit seinen Werken, Falschheit, Lüge, Zorn, Ungerechtigkeit, Zank, Zwietracht, Haß und Bosheit. Gieb mir ein zufriedenes, frommes Herz, gute und ehrbare Gedanken, Kraft und Beständigkeit bei der Arbeit, Geduld mit den Fehlern meines Nächsten, Muth und Sieg im Kampfe mit der Sünde, und wenn ich gefehlt habe, wahre Neue und Buße. Lehre mich thun nach deinem Wohlgefallen; dein guter Geist führe mich stets auf ebener Bahn. So wird dieser Tag nicht verloren gehen, sondern Früchte der Gerechtigkeit tragen für Zeit und Ewigkeit. Lenke durch deinen Geist mein Streben ab vom Eitlen und Nichtigen, und führe es auf das Eine, das noch thut, damit ich das Ende des Glaubens, der Seelen Seligkeit, davonbringe.

O heil'ger Geist, kehr' bei uns ein
Und laß uns deine Wohnung sein,
O komm, du Herzenssonne!
Du Himmelslicht, laß deinen Schein
Bei uns und in uns kräftig sein
Zu steter Freud' und Wonne.

Amen!

Am 19. Juni.

Mein Kind, verwirf die Zucht des Herrn, nicht, und sei nicht ungeduldig über seine Strafe; denn welchen der Herr liebet, den straft er, und hat Wohlgefallen an ihm, wie ein Vater am Sohn.“ Spr. 3, 11 und 12. In Betrübniß und- Leid wird das Innerste des Menschen und der Grund seines Herzens offenbar. So lange Alles nach Wunsch geht, Alles um ihn her glücklich, wohl und heiter ist, gleichet sein Gemüth dem klaren Bächlein, in welchem der blaue Himmel sich spiegelt. Wird aber der Stein der Widerwärtigkeit hineingeworfen, oder fährt der Sturm in die Tiefe, dann zeigt sich's, ob der Schlamm des Bodens das klare Wasser trübt, oder ob der reine Kieselgrund auch durch die sturmbewegte Fluth leuchtet.

So lange wir frisch und gesund, ohne Sorgen der Nahrung, im glücklichen Wohlstande, wohl gar im Ueberfluß leben; so lange wir uns geehrt und geliebt sehen, das Werk unserer Hände wohlgedeihet und kein Sturm die heitere Ruhe des Lebens unterbricht: da sind wir wohlgemuth, freuen uns mit den Fröhlichen, halten uns für gut, edel und tapfer, geben den Armen und helfen dem Bedrängten. Wenn uns aber der Schmerz der Krankheit auf das Siechbette legt; wenn das Gebäude unseres Glücks zusammenstürzt und aus den Trümmern desselben uns Armuth und Noth entgegentreten; wenn Menschen, denen wir Liebe und Vertrauen entgegengebracht haben, uns mit dem Mißgeschick den Rücken wenden, wohl gar uns verhöhnen und verspotten; wenn die Zeiten unruhig und stürmisch werden, schwere Gewitterwolken am Horizonte aufsteigen, wenn die Flamme des Krieges verheerend auflodert und der Tod uns ein theures Haupt nach dem andern abfordert: dann, ja dann werden wir kleinmüthig und verzagt, da hadern wir mit der göttlichen Vorsehung, da verfallen wir in Kleinglauben und Verzweiflung, in Laster und Schande, da geben wir uns selbst auf und gehen unter in unvermeidlichem Verderben. Wer aber da ruhig und fest bleibt, wer da mit getrostem Herzen spricht: „dennoch bleib' ich stets bei dir!“ wer wachsam, besonnen und gläubig die rechten Maßregeln zu seiner Erhaltung und Rettung ergreift; wer der Gefahr entgegengeht und tapfer mit ihr kämpft; wer auch bei den bittersten und schmerzhaftesten Verlusten dem frommen Hiob nachspricht und nachglaubt: „der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei hochgepriesen!“ - der ist stark in seinem Gott, der hat das Bessere erkannt und erwählt, der ist der Mann des Glaubens und wird mit diesem Glauben Berge der Noth und der Sorge versetzen. Es ist der größte Sieg, den der Mensch über sich selbst gewinnen kann, in Wahrheit zu bekennen und mit ganzer Seele zu glauben, daß Denen, welche Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, daß dem Frommen kein Uebel schaden kann, daß jeder Schmerz und jedes Leiden sich für ihn in Freude, Gewinn und Segen auflösen wird. Verleihe mir, o Herr, einen solchen neuen und gewissen Geist heute und alle Tage. Amen!

Am 20. Juni.

Siehe, selig ist der Mensch, den Gott strafet; darum weigere dich der Züchtigung des Allmächtigen nicht; denn er verletzet und verbindet; seine Hand schlägt Wunden und heilet. Aus sechs Trübsalen wird er dich erretten und in der siebenten wird dich kein Uebel rühren.“ Hiob 5, 17-19. Aus dem bittern Kreuz erwächst süße Frucht. Leiden und Trübsale sind eine Schule der Demuth und Gottesfurcht, denn sie führen uns zu Gott. Wir wenden uns an das Unsichtbare, wenn das Sichtbare uns von sich stößt; wir blicken sehnsuchtsvoll nach oben, wenn es um uns her dunkel wird; wir kommen zu Gott, wenn sich die Menschen von uns entfernen. Zum Himmel steigen mehr Seufzer der Geängsteten, als Jubellieder der Fröhlichen; vor Gott werden mehr Thränen der Trauer als der Freude geweint; sein wird mehr gedacht bei den Gräbern der Verstorbenen als bei der Wiege der Neugeborenen, mehr im Kämmerlein der Wittwe als im Freudenhause der Braut, mehr auf dem Lager der Kranken als in den Kreisen der Fröhlichen, mehr in den Hütten der Armen als in den Prunkgemächern der Reichen. Unsere Seufzer und Bitten sind viel inniger als unsere Lobgesänge; die Noth lehrt uns beten und die Trübsal führt uns zum Herrn unseres Lebens.

Wer noch keinen Verlust erfuhr, den ihm die Welt nicht ersetzen kann; wer noch keinen Schmerz fühlte, den kein Mensch zu lindern vermag; wer noch keine Sorge getragen hat, die Niemand von ihm nehmen konnte: der kann wohl kaum sagen, daß er den Herrn erkannt habe in seiner großen Gnade, Macht und Herrlichkeit. „Rufe mich an in der Zeit der Noth, ruft er uns zu, und ich will dich erretten, und du sollst mich preisen.“ Ps. 50. 15. Es mag wunderlich klingen dem Ohre, welches an die freundlichen Worte der Menschen gewöhnt ist, wenn der Herr Diejenigen selig preiset, die Anfechtung erduldet haben und Leid tragen. Und doch ist's wahr. Wen der Herr lieb hat, den züchtigt er, und Leiden sind nur verhüllte Wohlthaten. Wir suchen und sehen oft Gott nicht, wenn uns sein Segen überschüttet; wir fragen nicht nach ihm, wenn er unser Leben vor Ungemach und Trübsal bewahrt: aber wir suchen ihn, wenn er sich verbirgt, und nahen uns ihm, wenn er ferne zu sein scheint.

Ach, Herr, wende mein Herz zu dir nicht blos an bösen, sondern auch an guten Tagen, damit ich auch in den Stunden des Glückes und der Freude an dich denke und deine heilige Nähe empfinde. Nicht erst die Noth soll mich beten lehren, sondern auch unter Genuß und Freuden will ich's dankbar erkennen, daß jede gute und vollkommene Gabe von oben herab kommt, von dir, dem Vater des Lichts. Aber für die Betrübten bitte ich dich um Trost, für die Schwachen um Stärkung, für die Kranken um Hülfe, für die Wittwen und Waisen um Beistand, für die Sünder um deine Gnade. Amen!

Am 21. Juni.

Alle, die gottselig leben wollen in Christo Jesu müssen Verfolgung leiden.“ 2. Tim. 3, 12. Leiden sind auch eine Uebung und Schule der Liebe. Haben wir Gott gefunden in des Lebens Drang und Noth und bei dem Wechsel der Dinge das Eine erlangt, das noth thut, wie sollte nicht auch das Herz erweicht und erwärmt werden für das heilige Gefühl der Liebe? Mitleid mit Jedem, der leidet, Geduld mit den Schwachheiten der Menschen, Großmuth gegen Diejenigen, die uns betrübt haben, wo werden sie anders gelernt und geübt, als in der Schule der Leiden? Erscheint uns nicht die Liebe des Herrn in der höchsten Herrlichkeit, als das tiefste Wehe durch seine Seele zog und sein Gebein erzitterte im heftigsten Schmerze? Wenn auf seinem Wege, je dunkler er wurde und je näher er dem Ziele kommt, auch seine Liebe in immer helleren Strahlen hervorbricht, bis er seine Feinde betend in die Hände seines himmlischen Vaters legt; wird es uns da nicht recht einleuchtend, daß die Liebe im Drange der Leiden nicht ertödtet, sondern belebt, geübt und gestärkt wird?

Freilich der Selbstsüchtige und Stolze, der Kalte und Hartherzige, der im Sinnenleben Verlorene, der in seinem Unglauben Gott Entfremdete, wird bei bitteren Erfahrungen, bei schmerzhaften Verlusten, unter schwerer Leidenslast finster und trüb werden, hart und lieblos, seine Umgebung durch böse Laune kränken und Glückliche, Leidensfreie beneiden. Aber wenn er die zarte Hand des Mitleids fühlt, die ihm den Schweiß von der Stirn wischt, wenn er des treuen Freundes emsige Sorge für seine Wohlfahrt sieht, wenn so Manche, die er in Tagen des Glücks vergessen, verachtet, gekränkt hat, in herzlicher Theilnahme sich nahen, sollte da nicht sein Herz erweicht und mit Dankbarkeit erfüllt werden? sollte er da nicht lieben lernen? Es war des Himmels Prüfung, welche ihm das Geheimniß des Menschen aufschloß in seinem eigenen Herzen, und sein Auge, das früherhin nur die Mängel und Flecken des Nächsten sahe, erblickt nun auch seine Tugenden und wird versöhnt mit den Brüdern. Wenn ich leide, o Herr, so mache mein Herz weich und sanft, und wenn ich Unrecht erdulde, so lehre mich liebreiches Vergessen und Vergeben. Amen!

Am 22. Juni.

Nun erfahre ich mit der Wahrheit, daß Gott die Person nicht ansiehst, sondern in allerlei Volk, wer ihn fürchtet und recht thut, der ist ihm angenehm.“ Apost. Gesch. 10, 34 und 35. Diese Worte hat man oft außer ihrer Verbindung und ohne Rücksicht auf den Zusammenhang der christlichen Heilsordnung so aufgefaßt, als sei es vor Gott gleichgültig, ob ein Mensch dieser oder jener Religion zugethan sei, es komme nur darauf an, daß einer den einigen Gott kenne und fürchte, einen guten Wandel führe und des freudigen Rechtthuns sich befleißige. Aber hat Christus nicht versichert: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, Niemand kommt zum Vater, denn durch mich?“ Sag! nicht Petrus selbst, aus dessen Munde obiger Ausspruch kommt: „Es ist in keinem Andern Heil; ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden?“ So bezeuget auch der Heilige Geist, der alle Apostel erleuchtete: „Wer an ihn glaubet, der wird nicht gerichtet, wer aber nicht glaubet, der ist schon gerichtet, denn er glaubet nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.“ Ohne den Glauben an die Gnade Gottes in Jesu Christo, ohne das Licht und den Segen des Evangeliums bleibt das Ziel vollkommener Glückseligkeit und göttlichen Friedens immer unerreicht? „Einen andern Grund kann Niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christ.“ Oder meint man, daß es doch der göttlichen Gerechtigkeit zukomme, Tugend und Frömmigkeit zu belohnen, wo sie nur immer sich finden? Wie das volle Licht der Wahrheit uns erst aufgeht durch Christum, in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntniß, also kann auch wahre Gottseligkeit und Gerechtigkeit nur aus dem lebendigen Glauben an Christum, nur aus der innigen Liebe zu dem Erlöser, nur aus der Tiefe eines mit Gott versöhnten und durch den heiligen Geist wiedergeborenen Herzens kommen. So lange der Mensch in dem natürlichen Zustande dahingeht, mag sich zwar ein Wollen des Guten in ihm finden, mögen sich einzelne bessere Gefühle oder Vorsatze in ihm regen und in einem ehrbaren Wandel, ja in manchen edlen Thaten sich aussprechen, der innere Grund alles Lebens und Wirkens ist darum noch lange nicht geheiligt. Vollbringen des Guten, Freudigkeit und Kraft zum neuen Leben geht erst aus dem lebendigen, in der Liebe thätigen Glauben an Christum wie Blüthe und Frucht aus einem guten Baume hervor. Christus ist der Weinstock; wir die Reben. O laß mich, mein Hirt und Heiland, immer fester verbunden werden mit dir! Amen.

Am 23. Juni.

Wohl dem, der nicht wandelt im Rathe der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder, noch sitzet, da die Spötter sitzen; sondern hat Lust zum Gesetze des Herrn und redet von seinem Gesetze Tag und Nacht, der ist wie ein Baum gepflanzet an den Wasserbächen, der seine Frucht bringet zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht, und was er macht, das geräth wohl.“ Ps. 1, 1-3.

Wohl dem, der seinem Gott vertraut
Und fest auf Jesum Christum schaut
In Freud' und Drangsals Hitze,
Nicht wandelt in Gottloser Rath
Und nicht betritt der Sünder Pfad
Und flieht der Spötter Sitze.

Sein liebster Schatz, sein höchster Hort,
Ist Gottes Gnad' in Christi Wort,
Die kann ihm nichts entreißen;
Er redet von ihr Tag und Nacht
Und kann der Liebe Wundermacht
Doch nie genugsam preisen.

Er gleicht dem Baum am Bach gepflanzt:
Gewurzelt tief und wohlumschanzt,
Scheut er nicht Sturm und Wetter;
Er sproßt und blühet und gedeiht,
Trägt reiche Frucht zu seiner Zeit
Und ewig grüne Blätter.

Und wuchs empor sein letzter Zweig,
Heißt Gott den Baum in seinem Reich
Am Strom des Lebens stehen.
Doch Sünder ohne Buß' und Reu'
Wird Gottes Odem einst wie Spreu
Von ihrer Stätte wehen.

Amen!

Am 24. Juni.

Unter Allen, die von Weibern geboren sind, ist nicht aufgekommen, der größer sei, denn Johannes der Täufer.“ Matth. 11, 11. Wir gedenken heute Johannis des Täufers. Wir bewundern in ihm, der höher steht denn alle Propheten, den Mann von wahrer Geistesgröße und Reinheit des Herzens, den Herold einer neuen Zeit, in welchem tiefe Gottesfurcht und Weltentsagung, strenger Ernst und kühner Muth, seltene Demuth und Selbstverleugnung vereinigt waren. Wir sehen den frommen Priestersohn nach einer harten Jugend in der Wüste, umringt von Tausenden, die seiner gewaltigen Predigt lauschen und denen sein Bußruf durch's Herz geht. „Sehet zu, thut rechtschaffene Früchte der Buße. Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; darum, welcher Baum nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und in's Feuer geworfen.“ Wir sehen ihn sich beugen als einen demüthigen Knecht vor Dem, der größer ist als er, vor dem Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. „Es kommt Einer nach mir, der ist stärker, denn ich, dem ich nicht genugsam bin, daß ich mich vor ihm bücke, und die Riemen seiner Schuhe auflöse.“ Wir sehen ihn als einen furchtlosen Prediger hintreten vor den ehebrecherischen König Herodes mit dem strafenden Wort: „Es ist nicht recht, daß du deines Bruders Weib habest.“ Wir sehen den heiligen Mann, dem der König feind geworden, im Gefängniß schmachten als einen Märtyrer der Wahrheit. Wir hören aus dem Munde des angefochtenen Gottesmannes in jenen trüben Tagen die Zweifelsfrage, die er an den Herrn richtet: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines Andern warten?“ und die Antwort Jesu bringt dem Täufer ein seliges Trostlicht in seine Kerkernacht. Wir sehen sein blutig Haupt auf einer Schüssel hergetragen beim frohen Königsmahl und immer sehen wir in dem Täufer den Propheten des Höchsten, den Prediger der Gerechtigkeit, den Wegweiser zur Seligkeit, und es ist bei ihm in Erfüllung gegangen die Weissagung seiner Kindheit, der Segen seines Vaters. Er hat Treue gehalten bis in den Tod, und er wird vom Herrn die Krone des Leben empfangen haben. „Die Lehrer werden leuchten, wie des Himmels Glanz; und die, so Viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich.“ Dan. 12, 3.

Wer sind die vor Gottes Throne?
Was ist das für eine Schaar?
Trägt Jeder eine Krone,
Glänzen wie die Sterne klar;
Hallelujah singen All',
Loben Gott mit hohem Schall.

Es sind die, so wohl gerungen
Für des großen Gottes Ehr',
Haben Welt und Tod bezwungen.
Folgten nicht dem Sündenheer;
Die erlanget auf den Krieg
Durch des Lammes Blut und Sieg.

Am 25. Juni.

Es ist deiner Bosheit Schuld, daß du so gestäupet wirst, und deines Ungehorsams, daß du so gestraft wirst. Also mußt du inne werden und erfahren, was für Jammer und Herzeleid bringet, den Herrn, deinen Gott, verlassen und ihn nicht fürchten.“ Jer. 2, 19. Eine traurige Verkehrtheit der menschlichen Natur, Alles zu verschlimmern und zu mißbrauchen, was Gott uns mit segensvoller Hand zu unserm Nutzen darreicht! Die Güter der Natur werden von Tausenden leichtsinnig genossen, von Anderen schwelgerisch vergeudet und von noch Anderen habsüchtig aufgespeichert. Unzählige bedienen sich ihrer, die schändlichsten Absichten damit zu erreichen. In unserer eigenen Natur liegt keine Fähigkeit, die nicht gemißbraucht wurde. Ein Werkzeug wilder Ausschweifungen ist der Körper mit seinen Kräften bei vielen Menschen, und auch von den geistigen Kräften wird wie oft ein verkehrter Gebrauch gemacht. Der Verstand wird zu Ränken, der Witz zu Beleidigungen, die Vernunft zur Beschönigung des Irrthums, der freie Wille zu pflichtwidrigen, unsittlichen und gefährlichen Entschließungen angewendet. Die wohlthätigsten Erfindungen werden zu Werkzeugen der Bosheit, die heilsamsten Anstalten zur Schutzwehr des Lasters gemißbraucht. Aus den rühmlichsten Eigenschaften, selbst aus den Tugenden Anderer weiß das Laster Vortheil zu ziehen und sie gleichsam zu vergiften. Ja, auch das Heiligste und Ehrwürdigste, Wahrheit, Unschuld und Religion, werden entweiht und zum Dienst des Lasters erniedrigt. Aber irret euch nicht, Gott läßt Sein nicht spotten, und was der Mensch säet, das wird er ernten. Kann man auch Trauben ernten von den Dornen und Feigen von den Disteln? Der Herr ist ein gerechter Gott und wird einst ans Licht bringen, was verborgen war. Die Nacht leuchtet ihm wie der helle Tag. Er ist gerecht in allen seinen Wegen und heilig in allen seinen Werken. Behüte mich, o Herr, vor dem Mißbrauch deiner Gaben und erhalte mich nüchtern und weise, damit ich einst als ein treuer Haushalte! erfunden werde und das Ende des Glaubens, der Seele Seligkeit, davontrage. Amen!

Am 26. Juni.

Alles, was ihr wollet, daß euch die Leute thun sollen, also thut ihnen gleich auch ihr.“ Luc. 6, 31. Dies soll die Regel unseres Handelns sein im Umgange mit anderen Menschen. In allen unsern Ansprüchen und Erwartungen drückt sich der Wunsch aus, daß sich Andere theilnehmend und hülfreich, schonend und freundlich, gerecht und billig gegen uns beweisen sollen. Lassen wir aber auch Anderen widerfahren, was wir von ihnen verlangen? Richten und verdammen wir nicht unvorsichtig und nach dem bloßen Schein? Vergeben wir unserm Nächsten das rasche Wort und die übereilte That? Sind wir barmherzig, wie unser Vater auch barmherzig ist, und sind wir zur Versöhnung immer bereit? Weisen wir den Bittenden nicht lieblos zurück und lassen wir den Elenden nicht hülflos am Wege stehen? Lassen wir den Verdiensten Anderer Gerechtigkeit widerfahren und sind wir dankbar für empfangene Wohlthaten? Mischen wir uns nicht unberufen in ihre Angelegenheiten und tadeln wir nicht in richterlicher Weise ihre Fehler und Mängel? Folgen wir nicht in der Beurtheilung der Brüder unsicheren Gerüchten, oder einer unedlen Schadenfreude, oder wohl gar den Antrieben gehässiger Leidenschaften? Entscheiden wir nicht, wo wir schweigen, verdammen wir nicht, wo wir entschuldigen sollten? Sind wir der Schwachen Stütze, der Betrübten Trost, der Rathlosen Hülfe, der Verlassenen Vater und der Bedrängten Retter?

So sollte ich mich täglich und stündlich fragen vor dir, du gnadenreicher, barmherziger Gott. Nur dadurch, daß wir einander tragen, einander verzeihen, einander unterstützen und aufrichtig lieben, nur durch ein lebendiges zartes Gefühl der Billigkeit verwandeln sich die Fesseln der Gesellschaft in ein sanftes, wohlthätiges Band, das Band der Vollkommenheit; nur so erleichtern wir uns gegenseitig die Last des Lebens und führen uns hinweg über den rauhen, dornigen Weg; nur so entwickeln sich die Blüthen unzähliger Freuden und edler Genüsse; nur so wird der Pfad zur Ewigkeit eine fröhliche Bahn, die wir Hand in Hand mit einander vollenden und an deren Ende wir uns mit der Hoffnung trennen, uns im großen, schönen Vaterhause, wo Christus den Seinen die Stätte bereitet hat, wiederzufinden. Amen.

Am 27. Juni.

Es ist ein köstlich Ding, daß das Herz fest werde! (Hebr. 13, 9.) „Wer aber zweifelt, der ist gleich den Meereswogen, die der Wind hin und her treibt.“ (Jac. 1, 6.) In der Gewißheit ist Zuversicht und Kraft; nur der feste Glaube giebt dem Herzen wahren Frieden. Aber der Zweifel treibt hin und her, ängstet und quält, und endet zuletzt in Schwermuth. - Unseliger Zustand, der uns unstet umhertreibt wie auf der schwankenden Meereswoge! Keinen festen Boden, keinen sicheren Gang, kein gewisses Ziel. Traurige Ungewißheit, welche einen düstern Nebel, in dem unser Fuß keinen gewissen Pfad finden kann, um uns her verbreitet. Der gläubige Christ ist der Unruhe des Zweifels und der Angst des Herzens entnommen. In jedem Augenblick weiß er bestimmt, was er will, was er soll; denn ihm strömt der innerste Quell seines Lebens, sein Wille, unmittelbar und ohne Unterbrechung aus Gott selbst. Er weiß immer und allezeit, daß die in ihm aufgebrochene Quelle der göttlichen Liebe und Gnade in alle Ewigkeit nicht versiegen werde. Diese ihm klar aufgegangene Wahrheit, auf welcher sein Auge festen Blickes ruht, läßt gar kein Zögern, kein Bedenken, kein Zweifeln aufkommen. Ihn befremdet nichts, was um ihn herum vorgeht. Er findet nichts zu außerordentlich und zu schwer, was Gott von ihm fordert, denn er kennt die Kraft, die mächtig ist in dem Schwachen. Ob er es begreife oder nicht, es bekümmert ihn nicht, weiß er doch, daß es in der Welt Gottes vorgeht und daß in dieser nichts geschehen, sein und bestehen könne, das nicht zum Guten abzwecke. In ihm ist keine Furcht über die Zukunft, denn der Heilige und Weise führt ihn derselben entgegen. Aus Gehorsam gegen Gott und in den Fußtapfen Jesu geht er jeder Gefahr entschlossen entgegen und erträgt standhaft jegliches Unglück. Er spricht mit dem Apostel Paulus: „Darum bin ich gutes Muthes in Schwachheiten, in Schmach, in Nöthen, in Verfolgungen, in Aengsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.“ 2. Cor 12, 16. O mein Gott, gieb mir solchen festen, beständigen Glauben. Der Gerechte wird seinen Weg behalten und der von reinen Händen wird stark bleiben. Amen.

Am 28. Juni.

Lobe den Herrn, meine Seele! Und was in mir ist, seinen heiligen Namen. Lobe den Herrn, meine Seele! und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat.“ Ps. 103, 1 und 2.

Auf, Seele, danke deinem Herrn
Aus reinem Herzensgrunde!
Das helle Licht vertreibt die Stern'
In dieser Morgenstunde:
Die Sonn' entdecket dir
Der Güter Gottes Zier,
Die sich, zu Gottes Kinder Schau,
Bespiegelt in dem Morgenthau.

Herr, meiner Seelen Hülf und Schutz!
Ich rühme deine Treue,
Die deinen Kindern kommt zu Nutz,
Die alle Morgen neue.
Ich dank herzinniglich,
Daß du so gnädig mich
Und auch die Meinen diese Nacht
Durch deine Engel hast bewacht.

Gieb, liebster Gott, daß ferner auch
Ich heute christlich wandle,
Und meiner Pflicht ich auch gebrauch',
Daß, was ich thu und handle,
Gereiche mehr und mehr
Zu deines Namens Ehr',
Zu meiner Seelen Heil und Schutz
Und meines Nächsten Dienst und Nutz.

Behüte mich vor alle dem,
Was Leib und Seele kränket:
Hingegen gieb, was angenehm,
Was deinen Segen schenket.
Wend' ab Gefahr und Noth,
Krieg, Hunger, Feu'r und Tod:
Schickst du mir aber Kreuz mit zu,
So gieb Geduld, Trost, Hülf' und Ruh.

Nur dir sei Alles heimgestellt,
Seel' Leib, Stand, Gut und Leben:
Mach' Alles, wie es dir gefällt,
Dir hab' ich es ergeben.
Bewahre Stadt und Land,
Lehr-, Wehr- und auch Nährstand.
Erhalte Wort und Sacrament;
Bescheere mir ein selig End.

Amen!

Am 29. Juni.

Ich sehe an alles Thun, das unter der Sonne geschieht; und siehe, es war Alles eitel und Jammer. Ich sprach in meinem Herzen: Siehe, ich bin herrlich geworden und habe mehr Weisheit, denn Alle, die vor mir gewesen sind zu Jerusalem, und mein Herz hat viel gelernet und erfahren. Ich ward aber gewahr, daß solches auch Mühe ist.“ Pred. 1, 14 ff. Wie mag dem weisen, mächtigen König in Israel die Welt mit all ihrer Herrlichkeit erschienen sein in der Stunde des Todes, und wie wirst du, o Gott, in der einsamen Stunde des Sterbens Denen erscheinen, die im Leben sich brüsteten mit ihrer Macht und Weisheit und nun Alles versinken sehen in das Grab des Todes! Welche erschreckende Leere! Welches entsetzliche Gefühl der Nichtigkeit! Kein Gott, kein Heiland, keine Seligkeit! Alles wüste und leer - und der Geist geht zu dem, von dem er gekommen ist. - Ich sehe hinaus in die Natur und erblicke eine Fülle des Lebens. Welcher Blüthen- und Farbenschmuck! Welches Leben und Weben in der Luft und im Wasser, im Wald und zwischen den Halmen, auf den Bergen und in den Thälern!

Das Auge wird von einer Schönheit zur andern hingezogen und kann sich nicht satt sehen. Aber nicht gar lange, so sind die Blumen verblüht, die Blätter verwelkt, das Gras verdorret; dann wird's still und öde draußen in der Schöpfung; dann brausen die Stürme durch die entlaubten Baume; die Tage werden kürzer, und alles Leben zieht sich zurück in die Tiefe der Erde. Gott der Herr streuet den Schnee über die erstorbenen Gefilde hin und decket die Erde zu mit dem weißen Grabtuche. Aber darunter wirket er das große geheimnißvolle Wunder des neuen Lebens, der neuen Frühlingsherrlichkeit.

O Seele, wird es ein Freuden- und- Ehrentag für dich sein, der deinem Erdenleben ein Ziel setzt und die Pforten der ewigen Heimath vor dir aufschließt? Scheidest du gern von alle dem, was die Welt dir zu bieten vermag an Reichthum und Macht, an Freuden und Ehren?

Seele, was ist außer Gott
Sicher, groß und schön?
Ohn' ihn ist das Leben todt,
Eitel, was wir sehn,
Voll Müh und Noth!
Was sind Freuden dieser Welt?
Schaum, den unser Odem schwellt!
Schwing dich zu Gott!

Wahre Freude, sichre Ruh
Wohnt auf Erden nicht;
Suche deine Zuflucht du
Ueberm Sternenlicht!
Hier herrscht der Tod,
Stürzt durch einen Hauch dein Zelt,
Fremd bist du auf dieser Welt.
Schwing dich zu Gott!

Amen!

Am 30. Juni.

Meine Augen sehen auf den lebendigen Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, und erfreuen sich seiner Güte, daß er so gnädig ist und in dieser finstern Nacht seine Hand über mich gehalten und mich bewahret hat. Ja zu dir, du ewige Liebe, dringe ich mit ganzem Herzen und bitte dich, regiere mich diesen Tag und allezeit mit deinem heiligen Geist und führe mich auf rechter Straße. Gieb mir dein Wort in mein Herz und leite mich in deiner Wahrheit, daß ich nichts rede, denke noch thue, was deinen heiligen Geist betrüben, und deine Weisheit beleidigen möchte.

Und du, Herr Christ, der du mich heute am Kreuze erlöset hast, wollest mich diesen Tag segnen, behüten und einen gottselige n Wandel lassen fuhren, daß ich mein Leben zu deiner Ehre zubringe. Gelobet seiest du für deine Liebe und für alle deine Schmerzen bis zum Tod. Alle meines Herzens Liebe und Vertrauen sei an deinem Blut und Tod, Wort und Geist, Leiden und Herrlichkeit. Darum laß mich leben, ob ich gleich stürbe, und führe mich nach diesem Leben zur ewigen Freude! Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/s/spieker/christliche_morgenandachten_auf_alle_tage_des_jahres/spieker_andachten_juni.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain