Schopf, Otto - Die Brüder Kühl und Kahl

Schopf, Otto - Die Brüder Kühl und Kahl

Diese beiden Brüder reihen sich passend an Bruder Vorsichtig an oder eigentlich noch richtiger an den kleinen Karl Schmidt; denn sie sind im Geheimen mit ihm verbündet, um die Versammlung zu stören. Bruder Kühl pflegt einige Zeit aufmerksam der Predigt zu lauschen. Auf einmal hebt er das Haupt in die Höhe, seine Nasenflügel bewegen sich. Er schaut links, er schaut rechts, stößt dann einen Seufzer aus. Er erhebt sich. Und warum das? Ach, er hat entdeckt, daß es zu heiß im Saal ist, und nun beginnt er, die Fenster zu öffnen, ganz unbekümmert darum, was das für eine Wirkung auf die Zuhörerschaft ausübt. Er weiß es oder bedenkt es nicht, daß in den wenigsten Versammlungen die Zuhörer die kleine Selbstzucht zu üben vermögen, daß sin nicht mit Augen und Kopf ein so bedeutendes Ereignis verfolgen, wie es das Öffnen der Fenster ist. Für den Mann hinter dem Rednerpult hat die Sache ja insofern Wert, als er jetzt gleich die Sanftmut und Demut üben kann, von der er vielleicht soeben gesprochen hat; aber vielleicht könnte er diese Tugenden auch bei einer anderen Gelegenheit üben und Bruder Kühl könnte dem Beispiel von Bruder Vorsichtig folgen und schon zu Anfang der Versammlung ein oder zwei Oberlichter öffnen, wo es noch nicht den Prediger oder die Versammlung stört. Aber freilich könnte es ihm auch geschehen, was fast regelmäßig geschieht, daß er nach fünf Minuten das Fenster wieder schließen müßte; denn wenn Bruder Kahl hereinkommt, so wird er sich wahrscheinlich unter das offene Fenster setzen und nach wenigen Sekunden verlangen, daß das offene Fenster geschlossen wird. Wenn Bruder Kühl nicht sofort das Fenster schließt, so kannst du Bruder Kahl etwas von Rücksichtslosigkeit murmeln hören; denn dem lieben Bruder kommt der Gedanke gar nicht, daß er sich ja an die andere Seite hätte setzen können, wo kein Fenster offen ist. Da drüben sitzt der liebe alte Bruder Müller, dessen Haupthaar schon ziemlich gelichtet ist und der auch daran denken muß, daß er sich keine rheumatischen Kopfschmerzen zuzieht, der aber auch an seine Mitmenschen denkt, die frische Luft nötig haben, weshalb er sich immer auf die Seite setzt, wo die Fenster geschlossen bleiben.

Mit so ein ganz klein bißchen Rücksicht kann man sich gegenseitig das Leben verschönern und den Besuch der Versammlungen erleichtern.

Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1908

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