Riggenbach, Bernhard - Frauengestalten aus der Geschichte des Reiches Gottes - IV. Die Heiligen des Mittelalters.

Riggenbach, Bernhard - Frauengestalten aus der Geschichte des Reiches Gottes - IV. Die Heiligen des Mittelalters.

Das Mittelalter, d. h. die große Periode von 500 bis 1500 nach Christo, gilt im Allgemeinen als ein tausendjähriges Reich der finstersten Finsternis; und namentlich in Zeiten und Zeitrichtungen, welche wie die gegenwärtige die Signatur der herrschenden Aufklärung tragen, hat sich das Mittelalter immer müssen zum Gespött machen und als sprichwörtlichen Inbegriff von Despotismus, Dummheit und Aberglauben gebrauchen lassen. Kulturkampffreudige Feuilletonisten laufen einander in drastischen Beschreibungen des mittelalterlichen Verderbens den Rang ab; das Durchschnitts-Publikum kommt zum Gruseln, sobald nur Einer das Wort „Mittelalter“ über die Lippen bringt; und der moderne Bildungsphilister meint für den hohen Grad seiner geistigen Entwicklung keinen durchschlagenderen Beweis erbringen zu können als einen möglichst deutlich ausgesprochenen Widerwillen gegen Alles, was Mittelalter heißt. Diese Tendenz entspringt, wenn wir genauer zusehen, geradezu aus der Unwissenheit, aus gänzlich mangelnder oder doch bloß einseitiger Bekanntschaft mit der Geschichte des Mittelalters und mündet aus, wie es am Tag liegt, in der rücksichtslosesten Barbarei gegen die Kulturdenkmäler jener Zeit. Dagegen gibt es ein nicht minder verwerfliches anderes Extrem, einen abgöttischen Kultus des Mittelalters und dieser ist namentlich dem Ultramontanismus aus naheliegenden Gründen eigen. Doch hat diese Richtung auch innerhalb der evangelischen Christenheit je und je ihre Vertreter gehabt. Zu den zielbewussten Romanisten gesellen sich gefühlvolle Romantiker, für deren schwärmerische Liebhabereien das mystische Halbdunkel der mittelalterlichen Dome und Kreuzgänge den richtigen Hintergrund bildet, oder kunstbegeisterte Ästhetiker, welche sich keine Erhabenheit ohne den gotischen Spitzbogen denken können. Vor beiden Abwegen, vor der Verketzerung wie vor der Vergötterung des Mittelalters, bewahrt uns eine ruhige Betrachtung seiner Geschichte und namentlich eine unbefangene Beleuchtung einzelner hervorragender Äußerungen des sittlichen und religiösen Lebens jener Zeit. Dabei werden wir inne, dass sowohl das Böse wie das Gute im Mittelalter riesige Dimensionen annahm. Die Selbstsucht wurde auf die Spitze getrieben, Menschen - und oft was für welche! - nahmen das Gottesreich in Pacht und betrogen den Nächsten um sein Bestes, indem sie den Satz aufstellten, von christlichem Leben könne nur da die Rede sein, wo für die Kirche, d. h. für die Pläne und Bestrebungen Roms gearbeitet werde. Aber, wenn wir nun diese Arbeit, für welche in Rom die Tagesordnung immer strammer festgestellt wurde, näher ins Auge fassen, welch staunenerregende Arbeitskräfte, welch glanzvolle Arbeitsprodukte treten uns da entgegen! Neben der schrankenlosesten Selbstsucht und Herrschsucht die tiefste Tiefe der Selbsterniedrigung und die völligste Hingabe an die von Jesu Christo gestellten Aufgaben. Für Beides finden wir in allen drei Epochen des Mittelalters auch weibliche Beispiele.

Die mittelalterliche Kirchengeschichte wird nämlich am richtigsten in drei Perioden zerlegt. Den ersten Abschnitt bildet die Zeit des Aufschwungs der päpstlichen Gewalt bis zu Gregor VII., den zweiten die Zeit der größten Macht und Herrlichkeit des Papsttums bis zu Bonifacius VIII. und den dritten die Zeit der Korruption der päpstlichen Kirche, wo einerseits die Notwendigkeit, anderseits die Möglichkeit der Reformation sich anbahnte. Da wir es jedoch hier nicht mit einer Geschichte des Papsttums, sondern mit dem Anteil der Frauen an der Geschichte des Reiches Gottes zu tun haben, so werden wir natürlich der Frauen unsere Aufmerksamkeit nicht schenken, welche für die Kirche Christi keine Bedeutung hatten, sondern nur am Hofe des „Antichrists“ in Rom eine Rolle gespielt haben. Wir brauchen uns also glücklicherweise auch mit den schamlosen Buhlerinnen nicht zu befassen, welche zweimal, am Anfang und am Ausgang des Mittelalters, die sogenannten Statthalter Christi beherrscht und das Zerrbild der Theokratie vollends zur Pornokratie herabgewürdigt haben. Wir können uns aber überhaupt für unsern Stoff an die vorhin erwähnte Dreiteilung nicht halten, sondern müssen die von unserem Gesichtspunkt aus hervorragenden mittelalterlichen Frauen anders zusammenordnen. Wenn wir die sämtlichen, für das allgemeine kirchengeschichtliche Interesse besonders fesselnden Frauengestalten jener tausend Jahre heraussuchen, so treten uns ungesucht zwei große Gruppen entgegen: Fürstinnen und Klosterfrauen. Natürlich können wir nicht jede Einzelne näher ins Auge fassen. Viele sind uns ohnehin nur dem Namen nach bekannt, bei Anderen wieder vermögen wir nicht zu unterscheiden, ob das uns von ihnen überlieferte Wahrheit oder Dichtung, Geschichte oder Legende, gesunde Naturfarbe oder geschminkter Heiligenschein ist. Und so müssen wir uns begnügen, die große Menge nur flüchtig zu grüßen, damit wir bei denen umso länger verweilen können, welche mit vollem historischem Recht als „Heilige“ und als Perlen des weiblichen Geschlechtes gelten, und denen auch der nüchternste Protestant ihren Platz in der Walhalla des Reiches Gottes nicht streitig machen kann.

Dass Fürstinnen im Mittelalter entscheidenden Einfluss auf die Geschicke der Kirche ausgeübt haben, darf uns nicht verwundern; wurde doch zu jener Zeit alles öffentliche Leben von den Höfen aus in allein maßgebender Weise bestimmt. So sind die beiden intriganten byzantinischen Kaiserinnen Irene und Theodora es gewesen, welche am Ende des achten und am Anfang des neunten Jahrhunderts durch allerlei wenig rühmliche Weiberlist dem langen Streit wegen des Bilderdienstes ein Ende gemacht und den Bilderfreunden von oben herab zum verhängnisvollen Sieg geholfen haben. Dagegen haben zwei edle deutsche Kaiserinnen ihre hohe Stellung zu Besserem benützt. Die heilige Mathildis (+ 968), das hehre Vorbild einer christlichen Familienmutter, milderte mehr als einmal durch sanfte Fürbitte die Strenge ihres Gemahls, Kaisers Heinrich des Ersten. Sterbend gab er ihr das Zeugnis: „Kein Mann hat je eine treuere und gottesfürchtigere Gattin gehabt. Ich danke meinem Erlöser, dass ich dich nicht überlebe. Habe Dank, dass du oft meinen Zorn besänftigt, mir nützlichen Rat erteilt, mich von der Unbilligkeit zur Gerechtigkeit geführt und zur Barmherzigkeit gegen die Unterdrückten ermahnt hast.“ Als Witwe übte Mathildis eine solche Freigebigkeit, dass ihre Söhne der angeblichen Verschwendung mit Gewalt in den Weg traten und den Boten, deren sich die Kaiserin zur Verteilung ihrer milden Spenden bediente, dies Geschäft bei schwerer Strafe untersagten. Tief gekränkt zog sie sich in die Verborgenheit zurück, und als sie auf Vermittlung ihrer Schwiegertochter, der gleichfalls durch Wohltätigkeit ausgezeichneten Edgitha, von Kaiser Otto reumütig wieder an den Hof berufen wurde, krönte sie ihr Alter mit erneuter, fast leidenschaftlicher Fürsorge für die Armen. Anderer Art als die Tätigkeit dieser beiden ersten sächsischen Kaiserinnen war hundert Jahre später die der letzten: der heiligen Kunigunde (+ 1040), welche mit ihrem Gemahl, dem kirchenfreundlichen Heinrich II., eine stattliche Reihe von Kathedralen und Klöstern gründete und als Mitstifterin unseres Münsters auch in hiesiger Stadt von Alters her besondere Verehrung genießt. So sehr die römischen Päpste solche Verdienste zu schätzen wussten, so hat doch selbst Gregor VII. in seiner Korrespondenz mit den Gräfinnen Beatrice und Mathilde von Toskana wiederholt daran erinnert, dass die guten Werke nur als Kinder zu betrachten seien der Mutter aller Tugenden, jener wahren Liebe, die vom Himmel auf Erden gekommen, um unser Elend zu tragen, und der gewaltige Papst ist offenbar von seinen frommen und gelehrten Freundinnen nicht missverstanden worden; hat sich doch die Mutter - Beatrice - die schöne Grabschrift gedichtet, welche noch heute auf dem campo santo in Pisa zu lesen ist: „Quamvis peccatrix, vocata sum domna Beatrix - In tumulo missa jaceo quae comitissa,“ zu Deutsch: „Obgleich eine arme Sünderin, heiße ich dennoch die Selige, und obgleich eine vornehme Gräfin, liege ich doch hier begraben.“

Von demütiger menschlicher Nachahmung jener wahren göttlichen Liebe gibt es aber in der ganzen reichen Geschichte der christlichen Kirche kaum ein ergreifenderes Beispiel als das, welches eine deutsche Fürstin des Mittelalters gegeben hat: die in Wort und Bild seit 650 Jahren mit Recht vielgepriesene, thüringische Landgräfin Elisabeth. In ihr tritt uns mitten im Mittelalter, also in der Zeit, wo die Verzerrung des ursprünglichen Christentums am größten war, die Lichtgestalt einer echten Jüngerin des HErrn entgegen. Kein Wunder, dass sich ihr die Sagendichtung von ihrem Todestag bis hinab in unser Jahrhundert mit vollem Enthusiasmus zugewendet hat. Die Geschichte aber darf sich von dem Parfüm der Dichtkunst nicht betäuben und auch von der glühenden Rhetorik des geistreichen Grafen Montalembert nicht hinreißen lassen. Es ist auch gar kein Grund dazu vorhanden; denn Elisabeth steht auch vor dem Forum der unbestochensten wissenschaftlichen Forschung in der ganzen Glorie einer außerordentlichen Demut, Entsagung, Selbstverleugnung und Selbstentäußerung da. Und das ist doch gewiss mehr wert als alles Flittergold der lieblichsten, bloß angedichteten Wunder.

Elisabeth war die Tochter eines Kreuzfahrers, des ungarischen Königs Andreas II., und geboren zu Preßburg im Jahre 1207. Als sie vier Jahre alt war, erschien am Hof ihres Vaters eine glänzende Gesandtschaft des Landgrafen Hermann I. von Thüringen, um die ungarische Prinzessin als Verlobte des thüringischen Thronfolgers Ludwig nach der Wartburg mitzunehmen. Nach damaliger Sitte sollte sie an dem Ort ihres zukünftigen Wirkens erzogen werden. Und so verbrachte sie denn ihre Kindheit in der geistig regsamsten Umgebung jener Zeit, an dem genuss- und prachtliebenden Hof von Thüringen. Bald aber zeigte es sich, dass ihr ganzer Sinn mit der lebensfrohen und wohl auch etwas leicht geschürzten Stimmung, die am Hof ihres zukünftigen Schwiegervaters herrschte, in entschiedenstem Widerspruch stand, und dass auch Ludwig einer ernsteren Auffassung des Lebens sich zuneigte. Das schien den frohgesinnten Hofschranzen, welchen das buntbewegte Leben mit den verschiedenen geistigen und leiblichen Genüssen gar wohl behagte, für die Zukunft gefahrdrohend, und es bildete sich unter der Anführung der eigenen Mutter Ludwigs, der bairischen Prinzessin Sophie, eine sogenannte Camarilla mit der Absicht, durch allerlei Intrigen dahin zu wirken, dass die Heirat unter irgendeinem Vorwand vereitelt werde. Da starb 1216 der Landgraf Hermann, und der Kaiser nahm keinen Anstand, den erst sechszehnjährigen Ludwig um seiner allgemein bekannten Gediegenheit willen volljährig zu erklären. Nun änderte sich mit einem Mal das Leben auf der Wartburg. Die Minnesänger zogen betrübt von dannen, und die Widersacher der frommen Elisabeth mussten einsehen, dass ihre Pläne, sie entweder in ein Kloster zu verweisen oder ihrem Vater zurückzuschicken, nicht die mindeste Aussicht auf Erfolg hätten. Zwar am Anfang setzten sie ihre Machinationen fort, allein der Landgraf erklärte offen: „und wenn die Berge Thüringens vom Gipfel bis zur Talsohle aus lauter Gold bestünden, doch wollt ich lieber und leichter auf sie verzichten als auf die Ehe mit Elisabeth.“ Diese aber, als ihr die liebliche Rede ihres Bräutigams gemeldet wurde, geriet in große Freude und zeigte gern ein Geschenk, das sie von Ludwig erhalten, einen kostbar gefassten Spiegel mit dem Bilde des gekreuzigten Christus, ein sprechendes Symbol der gemeinsamen Anschauung. „Sie liebte“ so wird mit Recht von ihr gesagt - „in der ganzen Innigkeit und Demut ihrer Seele, wie ein reines, edles, jungfräuliches Herz nur lieben kann.“

Die Ehe wurde 1221 vollzogen, als Ludwig 20, Elisabeth 14 Jahre zählte und erreichte in jeder Hinsicht das Ideal eines innigen, anmutigen Verhältnisses. Beide hatten eine untadelhafte Jugend hinter sich und blieben einander mit unwandelbarer Treue ergeben. Als zärtliches Weib begleitete Elisabeth ihren Gemahl auf allen seinen oft sehr beschwerlichen Reisen. Und wenn er in den Krieg zog, wohin sie ihm nicht folgen konnte, so legte sie allen Schmuck ab und kleidete sich wie eine Witwe. Erwartete sie ihn aber zurück, so schmückte sie sich wieder, nicht aus Prachtliebe, sondern um dem heimkehrenden Mann Freude zu bereiten und ihre Freude zu bezeugen. Drei Kinder gebar sie ihm, einen Knaben und zwei Töchter; und wenn sie dann zum ersten Mal das Haus Gottes besuchte, legte sie jeweilen ein schlichtes, wollenes Kleid an, nahm das neugeborene Kind in den Arm und ging barfuß den steilen, steinigen Weg von der Burg hinab zur Kirche. Nach Hause zurückgekehrt, schenkte sie die ganze Kleidung, die sie auf solchem Gang getragen, den Armen. In ihrer ausgesprochenen Vorliebe für Werke der Mildtätigkeit wurde sie von dem Landgrafen nicht nur nicht gehindert, sondern im Gegenteil unbedingt gebilligt und gegen wiederholte Anklagen der stetsfort regsamen Gegenpartei kräftig beschützt. Als sie während einer längeren Abwesenheit Ludwigs zur Stillung der großen Hungersnot von 1226 die sämtlichen seit Jahren gesammelten landesherrlichen Vorräte unter die Armen hatte verteilen lassen, wurde sie von ihren Feinden nachher bei dem Gemahl umsonst wegen Verschwendung angeklagt. Auch hatte Ludwig durchaus nichts dagegen, dass Elisabeth dem sogenannten Tertiarierorden beitrat. Um nämlich auch Verheirateten Gelegenheit zu geben im Kreis der Familie und des bürgerlichen Lebens dem armen, selbstverleugnenden Leben Christi nachzufolgen, hatte gerade damals, etwa im Jahre 1222, der heilige Franz von Assisi, dem wir später wieder begegnen werden, einen großen Verein ins Leben gerufen, dessen Mitglieder, ohne zu den Gelübden der Ehelosigkeit und der vollständigen Entäußerung von allem Besitz genötigt zu sein, versprechen mussten, alle Gebote Gottes zu halten, namentlich allem unrechtmäßigen Erwerb und aller geräuschvollen Weltlust zu entsagen, sich mit dem Nächsten auszusöhnen, ihre kirchlichen Pflichten eifrig zu erfüllen, sich größter Mäßigkeit in Kleidung, Speise und Trank zu befleißen und die guten Werke zu ihrer vornehmsten Lebensaufgabe zu machen. Mit diesen Regeln des heiligen Franz nahm es Elisabeth, welche auch in Eisenach eines der ersten deutschen Franziskanerklöster gegründet hat, sehr ernst. Nicht nur stiftete sie, ebenfalls in Eisenach, ein Hospital für 24 durch Alter und Krankheit Gebrechliche, sondern sie nahm sich selbst der Pflege der Kranken, auch der sonst ängstlich gemiedenen Aussätzigen an. Einst legte sie sogar einen solchen Kranken, dessen Verstoßenheit ihr Herz besonders gerührt hatte, nachdem sie ihn gewaschen und gereinigt, in das Bett des Landgrafen. Natürlich benutzte ihre feindselige Schwiegermutter diesen Anlass und führte ihren Sohn in sein Schlafgemach, um ihm zu zeigen, wie seine Frau sein eigenes Bett missbrauche und ihn dadurch der Gefahr aussetze von der hässlichen Krankheit angesteckt zu werden. Der Chronist, Ludwigs Biograph, fährt fort: „Da öffnete aber Gott die inneren Augen des frommen Fürsten, er schaute den Gekreuzigten in seinem Bett liegend und bat nun seine Gemahlin auch ferner öfter solche Gäste in sein Bett zu legen.“ Diesen rührenden Vorgang mit der durch Gottes Geist in Ludwig hervorgebrachten rechtzeitigen Erinnerung an Jesu Wort: „Was ihr getan habt einem dieser geringsten unter meinen Brüdern, das habt ihr mir getan“ hat natürlich die Legende zu einem Wunder umgestaltet. Uns ist er in seiner einfachen geschichtlichen Wahrheit ein neuer Beweis dafür, dass Elisabeths zärtliche Liebe zu Ludwig nicht sowohl in den vortrefflichen übrigen Eigenschaften des Landgrafen, sondern namentlich in der Gleichheit der christlichen Denk- und Handlungsweise ihren tieferen Grund hatte. Jedenfalls wurde ihr das eheliche Glück nicht zu einem Hindernis der Gottseligkeit, und als sie sich einmal darüber ertappte, dass sie während der Messe ihre Augen mit Wohlgefallen auf ihrem Gemahl hatte ruhen lassen, wurde ihr das zum Gegenstand bittersten Seelenschmerzes und reuigster Zerknirschung.

Eine übertrieben asketische Richtung entwickelte sich das gegen bei Elisabeth in den letzten Abschnitt ihres Lebens und zwar unter dem Einfluss des düstern Ketzermeisters Konrad von Marburg. Dieser, vom Papst zum Inquisitor Deutschlands ernannt, hatte seit Ende 1225 am Hof des so eminent kirchlich gesinnten Landgrafen einen geeigneten Mittelpunkt für seine schreckenerregende Tätigkeit und an der für religiöse Einwirkungen besonders empfänglichen Landgräfin ein leider nur zu fügsames Beichtkind gefunden. Meister Konrad war ohne Zweifel ein ungewöhnlicher Mann, der mit seltener Gelehrsamkeit, Beredsamkeit und sittlicher Unsträflichkeit den finstersten Fanatismus verband. In ihm steht der gewissermaßen vollendetste Vertreter jener mittelalterlichen Richtung vor uns, welche in der raffiniertesten Selbsttötung die edelste Blüte des Glaubens erkannte. Getreu seinem Wahlspruch: „lieber viele Unschuldige opfern als eines Schuldigen schonen“ hat er seines schrecklichen Amtes gewartet. Es hieß, wer vor ihm angeklagt werde, der sei unrettbar verloren. Er hat den traurigen Ruhm, in seinem Eifer gegen die Ketzer einen ganzen edlen Volksstamm in Norden Deutschlands vernichtet zu haben, aber auch das hohe Verdienst, durch seinen Terrorismus dem deutschen Volk einen unauslöschlichen Abscheu vor der Inquisition eingepflanzt zu haben. Die Geschichte des Reiches Gottes bedeckt aber seinen Namen nicht zum Mindesten auch deshalb mit Schmach, weil er in die edle Seele der heiligen Elisabeth von Thüringen einen bösen Zwiespalt geworfen und die schöne Harmonie ihres Lebens zunächst gestört und allmählich zerstört hat. Die leuchtenden Tugenden der Demut und der Barmherzigkeit, um derentwillen sie mit Recht zu allen Zeiten verehrt wird, hatte sie im höchsten Grade geübt, ehe Konrad ihr Beichtvater wurde. Sein Wert dagegen ists, dass sie die natürlichste und heiligste aller menschlichen Empfindungen, die Mutterliebe, vergessen und geringschätzen lernte.

Schon zu Lebzeiten ihres Gemahls wusste Konrad es dahin zu bringen, dass Elisabeth ihm förmlich und feierlich Obedienz gelobte und das Versprechen ablegte, falls sie den Landgrafen überleben sollte, nicht wieder zu heiraten. Beides hat sie gewiss gerne versprochen. War es doch immer ihr Bestreben gewesen, Gott in möglichst vollkommener Weise zu dienen; dass sie dazu eines Gewissensrates bedurfte, war nach den Anschauungen ihrer Zeit im Allgemeinen und ihrer Kirche im Besondern selbstverständlich. Wie hätte sie nun einen bessern finden können als den vom heiligen Vater selbst der höchsten Aufträge gewürdigten Meister Konrad? Und dass sie niemals einem Andern als ihrem teuren Landgrafen angehören könnte, verstand sich bei ihrer Verehrung für diesen ebenso von selbst. Hingegen hat Elisabeth jedenfalls erst nach dem Tod Ludwigs und als sie ihre persönliche Selbständigkeit schon gänzlich dem eifernden Mönchsgeist Konrads preisgegeben hatte, in einer schwachen Stunde die überspannte Äußerung getan, sie bedaure, dass sie überhaupt je verheiratet gewesen sei und ihr Leben nicht als gottgeweihte Jungfrau habe beschließen können.

So lange der Landgraf lebte, blieb sie ihm mit ganzer Liebe zugetan und zwar offenbarte sich diese ansprechende natürliche Seite ihres Wesens noch einmal in besonders ergreifender Weise. Ludwig hatte bei seinem Aufenthalt in Italien 1226, teils aus Eifer für das Reich Gottes, teils aus Anhänglichkeit an die Person des Kaisers Friedrich II., diesem versprochen, an einem 1227 auszuführenden Kreuzzug teilzunehmen. Aus liebevoller Rücksicht für seine eben damals der Schonung besonders bedürftige Gemahlin, setzte er sie nach seiner Rückkehr von diesem Entschluss nicht sofort in Kenntnis, trug auch das Kreuz nicht, wie es die Sitte von einem angehenden Kreuzfahrer verlangte, auf seinem Oberkleid angeheftet, sondern verbarg es sorgfältig. Dennoch entdeckte es Elisabeth und erschrak so heftig darüber, dass sie in Ohnmacht sank. Obgleich sie sich unter der Zusprache des frommen Gemahls bald beruhigen konnte, fiel ihr doch der Abschied unendlich schwer, und sie ließ es sich nicht nehmen im Frühling 1227 den von Todesahnungen Erfüllten weit über die Grenzen Thüringens hinaus zu begleiten. Mehrere Male erlangte sie auf inständige Bitten die Erlaubnis, ihm noch eine Tagereise weiter das Geleite geben zu können. Schließlich konnte sie sich aber dem Unabänderlichen nicht länger widersetzen und kehrte mit blutendem Herzen auf die Wartburg zurück. In dieser trüben Stimmung gebar sie ihr drittes Kind und noch leidend empfing sie die Schreckenskunde, dass ihr edler Gemahl am 11. Sept. 1227 zu Otranto in Apulien einer unter den dort zusammentreffenden Kreuzfahrern ausgebrochenen Krankheit erlegen sei. Außer sich vor Schmerz irrte sie im Zimmer hin und her und klammerte sich im ersten Ungestüm der Klage an den Wänden an. Meister Konrad, den der Landgraf für die Dauer seiner Abwesenheit mit weitgehenden Vollmachten ausgerüstet hatte, war, da eine solche Eventualität in keiner Weise war vorauszusehen gewesen, gerade auch nicht zugegen. Und so fiel Elisabeth wehrlos und schutzlos dem Hass ihrer alten Gegner anheim und wurde mitten im Winter wie eine Bettlerin roh und mitleidslos mit ihren Kindern aus der Wartburg verstoßen. Aus Furcht vor den neuen Gewalthabern, der bösen Mutter und den übelgearteten beiden Brüdern des verstorbenen Landgrafen, gewährte ihr selbst Eisenach kein Unterkommen, obgleich sie dort so viel Barmherzigkeit gesät. Bei ihrem mütterlichen Oheim, dem Bischof Ekbert von Bamberg, der einst ihre frühe Verlobung mit Ludwig von Thüringen eingeleitet, fand sie zwar freundliche Aufnahme, aber zugleich die ihr entsetzliche Zumutung, sich wieder zu verheiraten. Mit ungebeugtem Sinn erklärte sie, dass sie diese Gefahr, wenn kein anderer Ausweg ihr bleibe, selbst durch die äußersten Mittel von sich abzuwenden entschlossen sei. Im Notfall würde sie, um sich jedem Manne widerwärtig zu machen, sich selbst die Nase abschneiden. Als Ludwigs Gebeine von seinen heimkehrenden Begleitern im Dom zu Bamberg ausgestellt wurden, da eilte auch Elisabeth herbei und betete bei den sterblichen Überresten des Geliebten: „HErr, du weißt wohl, dass ich, falls es dein heiliger Wille gewesen wäre, sein Leben und sein liebliches, fröhliches Angesicht aller Freude und Wonne dieser Erde vorgezogen hätte. Gerne würde ich die ganze Zeit meines Lebens in Armut und Dürftigkeit hinbringen, wenn ich mit Deinem Willen seinen Umgang hätte genießen können. Nun aber befehle ich ihn und mich Deiner Gnade und möchte ihn gegen Deinen Willen auch nicht mit dem kleinsten Haar meines Hauptes ins Leben zurückrufen.“ Diese von Ohrenzeugen berichteten schönen Worte führe ich nicht nur als rührenden Ausdruck frommer Gottergebenheit, sondern namentlich deshalb an, weil wir auch aus diesem Gebet deutlich sehen, wie der strenge Meister Konrad ihre treue Liebe zu dem Gemahl durchaus nicht auszulöschen vermochte, und wie eben die vorhin angeführte Äußerung Elisabeths über die Ehe nur als eine durch den Eiferer erst lange nach dem Tod Ludwigs und im Gegensatz zu ihren normalen Gefühlen von ihr erpresste aufzufassen ist.

Auf die inständigen Bitten des Geleites, das die Leiche Ludwigs. nach Thüringen zurückbrachte, zog Elisabeth mit, und ihr Schwager Heinrich Raspe nahm sie, wenigstens vorübergehend, wieder in die Wartburg auf; und zwar nicht nur den Getreuen Ludwigs zu Liebe, sondern aus Rücksicht für den Papst, der sich, offenbar aus Anstiften von Meister Konrad, mittlerweile in die Sache gemischt und diesen Letzteren offiziell zu Elisabeths Vormund bestellt hatte. Mit Konrad siedelte Elisabeth im Laufe des Jahres 1229 nach Marburg über, welches ihr als Witwensitz bestimmt worden. Dort hat sie ihr Leben beschlossen, indem sie teils aufopfernde Nächstenliebe wie früher, ja womöglich in noch gesteigerter Weise übte, teils unter Meister Konrads Anleitung Bußübungen anstellte. Zu diesem Behufe musste sie es sich gefallen lassen, dass Konrad ihre wahrhaft leidenschaftliche Neigung zur Wohltätigkeit mit rauer Hand eindämmte. Sie musste ihre Kinder fremden Leuten übergeben, sie bloß wie andere Menschen lieben und ihre mütterliche Vorsorge auf die Fürbitte beschränken lernen. Sie musste ihr ganzes früheres Leben als ein verfehltes ansehen und für jede in Konrads Augen unfromme Handlung mit Backenstreichen und Geißelhieben auf den entblößten Rücken sich strafen lassen. Die letztere Züchtigung vollzog nicht er selbst, sondern ein dienender Bruder, und Meister Konrad sang das Miserere („Erbarme dich“) dazu. Um ihr vollends jede Erinnerung an die Vergangenheit zu nehmen, entließ Konrad die beiden treuen Dienerinnen, welche sie seit Jahren umgeben hatten, und ersetzte sie durch zwei widerwärtige Personen, welche ihre Geduld auf alle erdenklichen Proben stellten. Dennoch verlor Elisabeth weder die Heiterkeit ihres Gemüts noch die Klarheit ihres Verstandes. Als sie kurz vor ihrem Tod in einer Franziskaner-Kirche auf die schönen Bilder aufmerksam gemacht wurde, erwiderte sie: „ihr hättet besser getan, das Geld für Nahrung und Kleidung zu verwenden; den Gegenstand dieser Bilder müsst ihr im Herzen tragen“.

Aber im Großen und Ganzen war Konrads Absicht erreicht; er hatte aus ihr, wohl in geheimem Einverständnis mit der römischen Kurie, ein Meisterstück der christlichen Vollkommenheit im Sinn der päpstlichen Kirche gemacht. Als solches wurde sie noch bei ihren Lebzeiten von Nah und Fern bewundert und, nachdem sie im November 1231, erst vierundzwanzig Jahre alt, gestorben war, schon 1235 von Gregor IX. heilig gesprochen. Als Heilige soll sie auch uns gelten, aber nicht wegen ihrer grenzenlosen Fügsamkeit gegen die Tendenzen Roms, sondern wegen ihrer beispiellosen Energie in Demut und Barmherzigkeit. Lehrreich ist immerhin auch der letzte Abschnitt ihres Lebens, weil der Ketzermeister Konrad und die büßende Elisabeth äußerst charakteristisch sind für das ganze Mittelalter.

Wenn schon eine Frau von dem äußeren Rang und der persönlichen Bedeutung einer Landgräfin Elisabeth zum willenlosen Werkzeug in der Hand des Klerus werden konnte, wie leicht mag da den zahllosen Geistlichen und Mönchen des Mittelalters die unbegrenzte Herrschaft über die große Menge der Weiber geworden sein! Der schwärmerische Zug der Zeit war ohnehin dem weiblichen Wesen ansprechend, und so ist es kein Wunder, dass Nonnenklöster in Masse gegründet wurden und dass aus hohem und niederem Stande Jungfrauen scharenweise sich zu denselben herbeidrängten, um an der Arbeit und der Askese der Männer Teil zu nehmen.

Unter diesen Klosterfrauen treffen wir wiederum manche sehr bedeutende an. Schon Bonifacius (+ 755), der Apostel der Deutschen, hatte unter dem angelsächsischen Generalstab, mit dessen Hilfe er so große Eroberungen vollbrachte, auch zwei Mitarbeiterinnen, die beiden Äbtissinnen Gadburga und Lioba; die Erstere schrieb ihm mit kunstgeübter Hand die Episteln Petri in Goldbuchstaben ab, damit er durch ein solches Prachtexemplar beim Predigen in den Augen der fleischlich gesinnten Menge Ehre und Scheu vor der Heiligen Schrift erwecken und zugleich selbst die Worte desjenigen Apostels, für dessen Reich er arbeite, immer am Meisten vor Augen habe. Lioba machte aus dem Kloster Bischofsheim a./d. Tauber das Urbild eines zu glühender Andachtsübung und fleißiger Arbeit vereinigten Verbandes von Frauen und warb auf Missionsreisen bis an den Rhein überall neuen Zuwachs für ihr Haus. In einem andern deutschen Kloster, zu Gandersheim in Braunschweig finden wir hundert Jahre später die gelehrte Nonne Roswitha, welche um den niedriggesinnten römischen Schriftsteller Terenz aus den Klosterschulen zu verdrängen, christliche Legenden und vaterländische Geschichten in lateinische Verse brachte und dabei, zum Teil nicht ohne Geschick, die Form terenz'scher Lustspiele beibehielt.

Ebenso vertraut mit den alten römischen Autoren wie diese deutsche Nonne des zehnten Jahrhunderts war eine französische des zwölften, welche sich überdies mit den tiefsten philosophischen Problemen der scholastischen Theologie eingehend beschäftigte. Doch hatte sich die schöne und geistvolle Heloise in den Tagen der Rosen auch mit andrem abgegeben und das Denken des gelehrten Abelard auf bedenkliche Abwege gebracht. In den Unterrichtsstunden, die der berühmte Theologe der wissensdurstigen jungen Pariserin erteilte, soll bei offenen Büchern mehr von der Liebe als von der Wissenschaft die Rede gewesen, und es sollen mehr Zärtlichkeiten als Lehrsätze gemacht worden sein. Beide mussten den kurzen Roman schwer und lange büßen. Kaum getraut, wurden sie durch die Rache von Heloises Vater wieder getrennt, und darauf trat Jedes in ein Kloster. Erst viele Jahre später konnte Abelard den Verkehr mit der Geliebten wieder aufnehmen, wobei dann eben ernstere Fragen als früher von den Beiden erörtert wurden.

Auch mit Abelards größtem theologischen Gegner, dem heiligen Bernhard von Clairvaux, stand eine merkwürdige Frau in Verbindung, freilich in durchaus anderer Weise. Hatte dort die gegenseitige Zuneigung die Grundlage des Verhältnisses gebildet, so war es hier der gemeinsame Zug zum Übernatürlichen, was zwei der bedeutendsten Menschen ihrer Zeit, den edlen Abt aus Frankreich und die fromme Äbtissin aus Deutschland, in freundschaftlichen Verkehr brachte. Hildegard von Böckelheim, geboren am Anfang, gestorben in hohem Alter am Ende des zwölften Jahrhunderts, war als Kind körperlich zurückgeblieben, dafür aber geistig umso entwickelter. Frühe schon erkannte sie die Verweltlichung der Kirche, und zugleich tauchte immer deutlicher die Ahnung in ihr auf, es stehe ein großes Strafgericht bevor, und durch dieses werde eine großartige Erneuerung der Kirche vorbereitet werden. Bald wurde sie von allen Zeitgenossen als Prophetin angesehen und in den schwierigsten inneren und äußeren Fragen um ihren Rat ersucht. Bernhard von Clairvaux, der sie in ihrem Kloster auf dem Rupertusberg bei Bingen besuchte, fand sich genötigt zu erklären, in dieser frommen Jungfrau sei der Geist, der die Propheten erfüllt habe, wieder mächtig geworden. Und wirklich hatte Hildegard die beiden Eigentümlichkeiten der alten Propheten in hohem Grade an sich, nicht nur stellte sie gleich jenen allerlei teils sehr bestimmte, teils mystisch verhüllte Weissagungen für ferne Zeiten auf, sondern sie trat auch - und das nötigt uns weit mehr zur Ehrfurcht vor ihr - mit prophetischen Ernst mahnend und strafend gegen Papst und Bischöfe, Priester und Mönche, Kaiser und Ritter auf. Hoch und Niedrig hielt sie die Grundschäden der Zeit, Gewalttätigkeit und Heuchelei, mit solch heiligem Ernst vor, dass die Stimme der unansehnlichen Nonne bald sehr gefürchtet ward. Von Hildegard heilsam erschreckt kam, wie wir schon im Leben der heiligen Elisabeth zu bemerken Gelegenheit hatten, auch der Norden Europas im Anfang des 13. Jahrhunderts in jene ernste Bewegung, zu welcher im Süden der heilige Franz von Assisi nach der Richtung der Weltflucht und Selbstertötung den Anstoß gegeben.

Was die Frauen betrifft, so hatte der fromme Mann von Assisi zuerst durchaus nicht beabsichtigt, auch auf sie in bestimmtem Sinn einzuwirken. Er erklärte, der Mann Gottes habe mit dem Weib nichts zu sprechen, außer wenn es bußfertig beichtend den Rat eines bessern Lebenswandels von ihm begehre. Noch 1211 konnte er seiner Behauptung, es sei gefährlich auch nur ein Weib anzusehen, das Bekenntnis beifügen, er kenne kein Weib auch nur dem Gesicht nach. Bald nachher aber wandte sich die Tochter eines angesehenen Ritters in Assisi, Clara Scissi, mit der Bitte an ihn, unter ihrem Geschlecht ebenfalls für die Nachfolge des armen Lebens Christi wirken zu dürfen. Dieses bei einem schönen achtzehnjährigen Mädchen ungewöhnliche Verlangen scheint Francesco gerührt zu haben. Er bestärkte sie in ihrer Verachtung der Welt und entflammte eine solche Liebe zu Christus in ihr, dass sie dem Elternhaus heimlich entwich und sich zum Zeichen, dass es ihr heiliger Ernst sei, in seiner Kirche und in Gegenwart der Ordensbrüder von ihm das schöne, lange Haar glatt abschneiden ließ. Als ihre Eltern sie zurückholen wollten, zeigte sie ihr kahlgeschornes Haupt, und da sich bald einige ihrer Gespielinnen, ebenfalls ergriffen von dem Beispiel des selbstlosen Francesco, trotz den Einwendungen ihrer Angehörigen im Clara sammelten, so wies ihnen Franz bei der Kirche des Heil. Damian einen Wohnsitz an und gab ihnen den Namen Damianistinnen. Später, als der männliche Orden den Namen der Minoriten mit dem der Franziskaner vertauschte, wurde auch dieser weibliche Orden mit dem Namen der Stifterin benannt; er hat sich als Clarissenorden bis in die Gegenwart erhalten. Die Regel, welche der heilige Franz dieser weiblichen Gesellschaft gab, war mindestens ebenso streng als die der Minoriten selbst. Und die Vermutung liegt nahe, Franz habe um jeden Preis den Schein der weichlichen Nachsicht gegen das weibliche Geschlecht vermeiden wollen. Um ihren Gehorsam auf die härteste Probe zu stellen, gebot er ihnen das vollständigste Stillschweigen, und dieses hielten - man höre! - die frommen Töchter Evas so gewissenhaft, dass Manche, wenn sie in Angelegenheiten des Ordens zu reden veranlasst wurden, kaum noch einen zusammenhängenden Satz zu brachten. Clara selbst wurde mit der Zeit eine getreue Kopie ihres gestrengen Vorbildes. Als Papst Gregor IX. sie des Gelübdes, keinen Grundbesitz für ihren Orden zu erwerben, entbinden wollte, gab sie ihm die königliche Antwort: „Von meinen Sünden möchte ich losgesprochen werden, nie aber von meinen Pflichten“!

Wie Franz von Assisi, so hat auch der andere große Ordensstifter des Mittelalters, der heilige Dominikus, einen afilierten1) Frauenorden gegründet. Doch wissen wir von den ersten Dominikanerinnen nichts Näheres. Hingegen bietet uns die Geschichte von einer Dominikanerin, welche hundert Jahre nach jenen beiden großen Heiligen gelebt hat, ein höchst anschauliches und lebensvolles Bild. Die heilige Katharina von Siena war einem schlichten Bürger jener Stadt, Giacomo Benincasa, als das 23. Kind im Jahr 1347 geboren worden. Zwölf Jahre alt, sollte sie sich auf das Geheiß ihrer Eltern verloben, sie schnitt sich aber, um von dergleichen Zumutungen unbelästigt zu bleiben, in Nachahmung der hl. Clara, die Haare ab; und als vollends eine Blatternkrankheit ihre Schönheit scheinbar für immer zerstörte, durfte sie ungehindert als „Bußschwester“, d. h. ohne in den klösterlichen Verband einzutreten, dem Dominikanerorden sich einverleiben. Sie fing nun an, ihr Leben nach einem förmlichen Selbsttötungs-Regime einzurichten. Ungekochtes Kraut, Obst und Brot war ihre einzige Nahrung; nach der strengsten Observanz ihres Ordens pflegte sie sich alltäglich dreimal zu geißeln: einmal für sich selbst, einmal für die Lebenden und einmal für die Toten. Nicht selten rann ihr das Blut vom entblößten Nacken bis zu den Füßen. Auf bloßem Leib trug sie ein härenes Hemd, und als ihr das Unreinliche daran widerlich wurde, vertauschte sie es mit einer fest um die Hüften geschlungenen eisernen Kette. Bis zu der Frühmette der Dominikaner wachte sie, um für die schlafenden Brüder zu beten; und erst wenn diese in die Kirche zogen, um ihre Morgenandacht zu verrichten, legte sie sich nieder, freilich ohne sich zu entkleiden, auf ein hölzernes Kopfkissen und einige Bretter. Ihre enge Kammer im väterlichen Haus verließ sie während einer langen Reihe von Jahren nur, wenn die Glocke der Dominikanerkirche zur Messe rief. Als aber die Pest 1374 zu Siena wütete, da trat Katharina gern ins öffentliche Leben hinaus, um in Häusern und Spitälern Wunder der todesverachtenden Liebe zu verrichten. Dabei sammelte sie eine Art geistlicher Familie um sich, Männer und Frauen, meist Angehörige ihres Ordens, welche nun auch ihr Leben in Werken der Barmherzigkeit aufzehrten. Katharina selbst verfiel jetzt in anhaltend ekstatische Zustände. Und das darf uns wahrlich nicht wundern; der von Haus aus nicht starke, durch die härtesten Kasteiungen zerrüttete Organismus bildete die natürliche Grundlage, auf welcher sich das ohnehin beständig mit Christo und seinem Heil beschäftigte Seelenleben zu einem visionären Verkehr mit dem erhöhten HErrn steigerte. Fast jeden Abend sah sie ihn in ihrer Zelle einkehren. Einmal kam er in Begleitung seiner Mutter, des Johannes, des Paulus, des Dominikus und des David, um sich feierlich mit ihr zu verloben. Maria hielt ihr die rechte Hand, und an diese steckte Christus, während David der Harfe liebliche Melodien entlockte, einen goldenen Ring mit einem Diamant und vier Perlen. Ein andermal betete Katharina mit den Worten der Schrift: „schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, festen Geist;“ da erschien ihr himmlischer Bräutigam, öffnete ihre linke Seite, nahm das Herz heraus und setzte das seinige an dessen Stelle. Auch seine Wundmale soll ihr, wie dem hl. Franz, der HErr zu ihrer Läuterung unter den empfindlichsten Schmerzen eingeprägt haben. Sie bekannte ihrem Beichtvater, dem sie alle diese und noch unendlich viele andere Visionen ausführlich berichtete, dass sie diese fünf Wundzeichen beständig an sich sehe, wenn auch andere Menschen nichts davon wahrnehmen könnten. Übrigens hat Katharina in dem ekstatischen Zustande nicht nur förmliche Protokolle über ihre visionären Erlebnisse und Gespräche mit Christo, sondern auch eine ganze Reihe von erbaulichen Abhandlungen und Gebeten ihrer Umgebung diktiert; darunter Briefe an Päpste und Fürsten, Kardinäle und Edelleute. diesen Briefen führt Katharina eine außerordentlich freimütige Sprache, und es versetzt namentlich in Erstaunen, wenn wir die streng hierarchisch gesinnte Dominikanerin ungescheut über die Verdorbenheit des hohen und niederen Priestertums reden hören. Dennoch wagte Niemand ihr zu widersprechen. Kardinäle mussten zugestehen: „hier redet nicht ein Weib, sondern der Heilige Geist,“ und selbst der Papst stand nicht an zu erklären: „ihre Lehre ist eingegossen, nicht erworben;“ d. h. von Gott inspiriert, nicht von den Menschen erlernt. Und diesem Eindruck können auch wir uns nicht entziehen, zumal wenn wir an den Boden denken, aus dem Katharina hervorgewachsen, und an die Atmosphäre, welche sie eingeatmet. Oder was sollen wir sagen zu Aussprüchen eines unwissenden Mädchens wie die folgenden: „Nicht die Nägel hielten den Erlöser fest am Kreuz, sondern die Liebe.“ – „Von dem göttlichen Meister fehlt uns so viel, als wir von uns selbst zurückbehalten.“

„Wenn diejenigen, die dem Gekreuzigten zu dienen begehren, dies tun wollen nach eigenem Belieben und nicht nach Gottes Art, und wenn sie ungeduldig werden, dass Gott an ihren selbsterwählten Entsagungen kein Wohlgefallen hat, so ist das eben nur der sinnliche Wille, eingehüllt in den geistlichen Mantel.“ - „ Törichte Demut, wegzubleiben vom heiligen Mahl, sagend: ich bin dessen nicht würdig! wie lange willst du warten, um würdig zu sein? Mit all unserer Gerechtigkeit werden wir dessen nie würdig! Aber Gott ist es, der würdig ist, und mit seiner Würde macht Er uns würdig. Was denn sollen wir tun? Uns bereit machen unsern Teils und sein süßes Gebot: kommt! befolgen.“ Solche Sätze sind doch wahrlich lebendige Zeugnisse von Genie, und zwar von dem religiösen Genie, das Hase in seiner Lebensbeschreibung der hl. Katharina so schön bezeichnet als „eingepflanzt vom Schöpfer und getränkt mit dem Wasser, das Christus auch einem Weib am Jakobsbrunnen darbot.“

Übrigens hat die arme Färberstochter von Siena, welche so mystisch und innerlich lebte, so viel mit dem übersinnlichen Reich Gottes beschäftigt war und so intim mit dem Himmel verkehrte, doch nicht nur brieflich, sondern persönlich, und zwar in sehr energischer Weise auch in die politisch-kirchlichen Welthändel eingegriffen. Als die Adeligen Toskanas sich blutig befehdeten, mahnte sie nicht nur aus der Ferne zur Versöhnung, sondern sie reiste selbst nach Pisa und ruhte nicht, bis ihr das Friedenswerk gelungen war. Und als die florentinische Republik mit dem Papst in einen Streit verwickelt war, begab sie sich sogar nach Avignon, um Gregor XI. milder zu stimmen. Bei dieser Gelegenheit drang sie beim Papst mit mächtigen Reden darauf, er solle das schmachvolle Exil verlassen, um wieder römischer Pontifex zu werden. Sie erreichte Beides, zunächst die Rückkehr des Papstes nach Rom und dann auch die Aussöhnung mit Florenz. Der Pöbel von Florenz wusste ihr freilich wenig Dank; als sie dort für den Frieden warb, suchte ein Volkshaufen sich ihrer zu bemächtigen und die schändliche päpstliche Gesandte, wie die Gegner des Friedens sie hießen, zu verbrennen. Sie aber trat voll hohen Mutes der Meute entgegen und sprach: „Ich bin Katharina, tut, was der HErr euch erlaubt über mich, aber bei dem Allmächtigen gebiete ich euch, dass ihr keines der Meinigen verletzt.“ Ihre geistliche Familie nämlich begleitete sie auf all ihren Reisen. Durch solche Ruhe betroffen, stob der Pöbel auseinander, während Katharina jammerte, dass ihr die schon gehoffte Märtyrerkrone nicht verliehen worden sei.

Als die Verworrenheit jener Tage den Höhepunkt erreichte, und zwei Päpste einander als Rivalen gegenüberstanden, da versuchte Katharina auch diesen Knoten zu lösen durch ihr auf Visionen sich berufendes und eben darum bei ihren Zeitgenossen so wirkungsvolles Dazwischentreten. Den italienischen Kardinälen, welche sich zu Clemens VII. hielten, schrieb sie: „Kehrt zurück, ihr gefallenen Engel, die ihr euch dem Dienst Christi entgegen in den Dienst des Antichrists begeben habt, kehrt um, und ich will eure Buße mit euch tragen,“ und die neapolitanische Königin Johanna beschwor sie, nicht ferner ihr Volk zu trennen vom Christus im Himmel und auf Erden und zu binden an den Antichrist. „Wie mögt ihr glauben, dass eure Untertanen euch treu sein werden, wenn sie sehen, dass ihr die Ursache seid, sie aus dem Leben zum Tod zu führen. Gott wird sie zu Henkern machen, dass sie die Gerechtigkeit vollziehen an seinem Feinde.“ Um Urban VI. beizustehen, reiste Katharina nach Rom. Und der Papst empfing sie mit allen Ehren und schenkte auch ihren Ratschlägen ein williges Gehör. Sie starb aber, ehe die Verwicklung ein Ende erreicht hatte, noch in Rom am 29. April 1380, im 33. Lebensjahr, mithin in dem nämlichen Alter, in dem auch ihr himmlischer Bräutigam vom irdischen Schauplatz abgetreten ist. In Siena wird ihr Andenken bis auf diesen Tag mit besonderer Liebe gepflegt; ihr elterliches Haus ist in ein kleines Oratorium verwandelt worden. Heilig gesprochen wurde Katharina 1461 durch ihren Landsmann, den ebenfalls aus Siena gebürtigen Pius II., den Stifter unserer Universität, Enea Silvio dei Piccolomini.

Vielfache Ähnlichkeit mit Katharina hat die nordische Prophetin aus der nämlichen Zeit: die heilige Birgitta von Schweden; doch ist dieselbe, schon weil sie nicht so viele und handgreifliche Visionen hatte, sondern eine ehrbare germanische Familienmutter war, uns ungleich sympathischer. Wie wir in der heil. Elisabeth die echteste Repräsentantin des eigentlichen mittelalterlichen Geistes und damaligen religiösen Lebens glauben erkennen zu dürfen, so ist uns die heil. Birgitta nicht nur die ansprechendste, sondern auch die glaubwürdigste Vertreterin jener Übergangszeit, wo die Reformation sich anbahnte und die sogenannten Reformatoren vor der Reformation, zu welchen eben auch St. Birgitta zu zählen ist, die Besserung der Kirche an Haupt und Gliedern immer energischer verlangten.

Birgitta (so und nicht Brigitta lautet der Name ursprünglich) ist in dem schwedischen Hochland auf Finstad, einem Herrenhofe bei Upsala, im Jahre 1302 geboren, von väterlicher und mütterlicher Seite aus königlichem Blut stammend. Die Eltern waren beide, Birger und Ingeborg, von ernster und frommer Gesinnung, in dem Kind aber wurde besonders durch eine Schwester der Mutter der Zug zur Selbstbetrachtung, sowie ein Ideal klösterlicher Gottesgemeinschaft geweckt und wach erhalten. So glaubte Birgitta schon in ihrem achten Jahr die Stimme des HErrn zu hören und gewöhnte sich allmählich, die Phantasiebilder, welche in der Stille der heimatlichen Wälder ihre Seele belebten, als Gottesoffenbarungen zu betrachten. Sehr jung wurde sie mit dem erst achtzehnjährigen, gleich gesinnten Lagman (Landrichter) Ulf Gudmarson verehelicht und hatte nun bei großem Grundbesitz ein sehr bewegtes Leben. Dabei entwickelte sich bei ihr eine ungewöhnliche Verständigkeit und Lebensklugheit, sowie eine Willenskraft, welche sie drängte, in weiten Kreisen nach außen zu wirken. Ebenso tüchtig, wie sie sich als Hausfrau, als Mutter ihrer acht Kinder bewährte, ebenso gewandt bewegte sie sich am königlichen Hof, wo sie mehrere Jahre das Amt einer Oberhofmeisterin bekleidete. Doch blieb immer ihr und auch ihres Mannes Ideal ein gänzlich heiligen Zwecken geweihtes Leben. Am liebsten dachten es sich die beiden gleichgestimmten Ehegatten aus, wie schön es wäre, wenn Ulf einen großen, sieghaften Kreuzzug mitmachen und Birgitta daheim in der Burg, umgeben von den Kindern, mit süßem Beben für ihn flehen und beten könnte. Allein es ging diesen Träumen nicht besser als so manchen anderen auch: sie zerrannen und mussten der gewöhnlichen Wirklichkeit mit ihren prosaischen Anforderungen Platz machen. Immerhin konnten Ulf und Birgitta außer häufigen kleineren auch zwei große Pilgerfahrten miteinander unternehmen: die beschwerliche Fußwanderung zum Heiligtum von St. Olaf nach Drontheim in Norwegen und die weite Reise nach San Iago da Compostela in Spanien. Auf beiden Wallfahrten legten sich die frommen Eheleute noch besondere Entbehrungen auf. Völlig übereinstimmend mit dem Geist der früheren mittelalterlichen Heiligen erklärte Birgitta: „Der Leib ist ein Esel, er bedarf knappen Futters, vieler Arbeit, täglicher Schläge.“ Nach der Rückkehr aus Spanien nahm Ulf Wohnung in einem Zisterzienser Kloster, wo er bald darauf, 1344, starb. Und nun wollte Birgitta ausschließlich dem Himmel angehören; sie wusste sich eine schwedische Bibel zu verschaffen, lernte auch Latein und forschte nun eifrig in den großen Offenbarungen Gottes. Dabei behielt sie jedoch ein offenes Auge für die Zustände ihres Landes und der Kirche und trat gelegentlich mit freimütiger Rede für deren gedeihliche Entwicklung auf. Ihr Lieblingswunsch war die Stiftung eines Ordens, welcher die Wiedergeburt der Kirche in ihrem Vaterland herbeiführen sollte. Und da der König Magnus gerade zu Wadstena am Weternsee ein größeres Kloster gründen wollte, so setzte sich Birgitta mit ihm in Verbindung und reiste, als er beigestimmt hatte, mit ihrem Sohne Birger und mit der später in jeder Hinsicht ihre Nachfolgerin gewordenen und ebenfalls heilig gesprochenen Tochter Katharina nach Rom, um für ihre Ordensregel die päpstliche Bestätigung zu gewinnen. Auf der Reise kam sie, vielleicht hier in Basel, mit den sogenannten Gottesfreunden, einer ebenfalls für die Hebung der tiefgesunkenen Kirche arbeitenden Bruderschaft, in Berührung und eignete sich manche Ideen derselben an. Ihren bleibenden Aufenthalt aber nahm sie nun in Rom. In Rom gründete sie die noch heute unter ihrem Namen bestehende Herberge für schwedische Studenten und Pilgrime. Von Rom aus entsandte sie mit dem Ansehen einer Prophetin Botschaften und Mahnungen an Könige und Fürsten. Mit heiligem Eifer strafte sie die Sünden der Geistlichkeit und verschonte am wenigsten die Päpste in Avignon, welche sie im Namen Jesu und seiner Mutter beschwor, nach Rom zurückzukehren. Da, wie wir oben gesehen haben, auch Andere darauf drangen, so ließ sich endlich Urban V. dazu bewegen; und dieser war es auch, welcher, überwältigt von dem Glaubenseifer und der Seelenstärke der nordischen Prophetin, die von ihr vorgeschlagene, ihr, wie sie behauptete, vom HErrn selbst geoffenbarte Regel eines Erlöser-Ordens 1370 genehmigte. Es war dies der erste Fall, dass ein größerer, zum allgemeinen Zweck der Kirchenverbesserung bestimmter Orden von einer Frau gestiftet wurde. Die Grundzüge der Ordensregel sind folgende: „Die Äbtissin oder „Mutter“ repräsentiert die heilige Jungfrau, die zwölf Priestermönche mit dem allgemeinen Beichtvater die zwölf Apostel und Paulus, die 60 Nonnen endlich mit den 4 Ministranten und 8 Laienbrüdern die 72 Jünger des HErrn. Jedes der beiden Geschlechter soll für sich wohnen, auch in der Kirche soll jedes sein besonderes Chor haben. Zunächst sollen die Töchter des schwedischen Adels hier eine Freistätte finden und ein Zentrum bilden, von dem aus eine nationale Wiedergeburt angebahnt werde. Zu diesem Zwecke sollen die Schwestern nicht nur in Werken der Barmherzigkeit Martha-Dienste tun, sondern sie sollen, so gut wie die Brüder, mit frommem Mariensinn fleißigem Studium obliegen, um befähigt zu werden, die Bibel und andere gottselige Schriften ins Schwedische zu übersetzen. Die Brüder sollen lernen schriftgemäß predigen, ohne Wortschwall und Redekunst, nach dem Bedürfnisse des einfachen Hörers; ihr Absehen dürfe nicht darauf gerichtet sein, des Volkes Staunen zu erregen, sondern das Volk zu erbauen.“

Uns kann dieser Orden namentlich deshalb interessieren, weil unser in Gott ruhender Reformator Dr. Joh. Oecolampad ihm zu Altenmünster bei Augsburg eine Zeitlang angehört hat.

Birgitta selbst pilgerte nach Erfüllung ihres größten Wunsches mit mehreren ihrer Kinder über Zypern nach Jerusalem. Doch war die Reise, verbunden mit den ihr überall dargebrachten großartigen Huldigungen, für ihr Alter zu beschwerlich gewesen; kaum nach Rom zurückgekehrt, starb sie am 23. Juli 1373. Das Bezeichnendste, was sie selbst je gesagt hat, ist wohl das echt evangelische Wort: „Ohne Christum vermag ich nichts, als zu sündigen.“ Über Birgitta aber hat ein protestantischer Theologe des 16. Jahrhunderts das treffende, sie als Typus für alle besseren Elemente aus der Zeit unmittelbar vor der Reformation hinstellende Wort ausgesprochen: „Die Päpstlichen betrachten sie als eine Prophetin, und der Papst hat sie unter die Heiligen versetzt. Und doch rügt sie oft und viel die Unwürdigkeit des Papstes und seiner Geistlichkeit. Von seinem Stuhl aber behauptet sie, er müsse in den Abgrund versenkt werden.“ Es gab denn auch beim Kanonisationsprozess der heiligen Birgitta allerlei Schwierigkeiten., Pflegten doch die Päpste keineswegs alle frommen Heldinnen, sondern eben nur die heilig zu sprechen, welche für Macht und Ansehen des römischen Stuhles gewirkt. Die Heilige Frankreichs aus dem 15. Jahrhundert wurde, weil sie nur das Vaterland gerettet und der Kirche keinen weiteren Nutzen gebracht hatte, nicht als Heilige verehrt, sondern als Hexe verbrannt.

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